Essen in USA (18/19): Corner House Supper Club

Gegen Mittag brezeln wir uns auf, um 15:00 Uhr ist die Trauung, zu der wir geladen sind, eine Trauung, wie sie ungewöhnlicher nicht sein könnte: ein offiziell imperial eingebürgerter Ex-Deutscher ehelicht eine noch nicht imperialisierte Philippina (nicht aus dem Katalog, sondern gegenseitig in freier Wildbahn verliebt) vor einem ritze-schwarzen Priester nach tridentinischem Ritus. Aber warum nicht, die Trauung verläuft erfolgreich, die Orgeltante orgelt, der Priester segnet, der Gott bindet, die beiden knutschen, die Tante weint, der Küster kassiert. Punktum.

Weitaus wichtiger ist die Tatsache, dass danach im ersten Haus am Platze zum Dinner geladen ist, dem Corner House Supper Club, keine fünf Minuten mit dem Wagen von der Stadtmitte entfernt, in einem dieser industriellen Quartiere mit zweistöckigen funktionalen Backsteinbauten aus dem späten 19. Jahrhundert entlang der Hauptstraßen, dahinter dann zersiedelte Einfamilienhaus-Wohnbebauung. Zwischen Parkplatz und Eingang zum Restaurant ein kleines gepflegtes Gärtchen, innen gelangt man zuerst in einen recht düsteren Vorraum, überhaupt ist das ganze Etablissement düster, es gibt kein einziges Fenster mit  Tageslicht in den Speiseräumen, nur Kunstlicht, linker Hand eine formidable Bar mit langem Tresen und einem Barkeeper, der sein Handwerk halbwegs versteht, dazu vielleicht ein Dutzend Tische, rechter Hand der eigentliche Speiseraum mit nochmals einem guten Dutzend Tischen, großzügig mit Abstand bestuhlt, brauner, halbwegs unversiffter Teppichboden, schwere Hotel-System-Möbel, Lederpolster, indirekte Beleuchtung, kein überfrachteter Deko-Kitsch, ein paar Reproduktionen von französischen Jugendstil-Bildern an den Wänden, weiße Tischwäsche, Leinen-Servietten, Couverts, grobschlächtiges Porzellan, aber immerhin Porzellan, dicke Pressgläser, schmuckloses Besteck, keine Tischdekoration außer einem Kerzlein, aber später Ketchup-Flaschen von Heinz und ähnliche Reminiszenzen der immanenten und offensichtlich omnipräsenten Stil-Kultur-Geschmacklosigkeit dieses Volkes … und dennoch, für imperiale Verhältnisse, noch dazu für imperiale Verhältnisse auf dem Lande ist dieses Ensemble durchaus gediegen, und gediegen-situiert-saturiert gibt sich allhier auch das Publikum, die Leute haben sich durchweg fein gemacht, Jeans, Jogginghosen und Schlabberpullis ausgezogen und statt dessen trägt man Kleidchen oder Rock, Hemd, Anzug, zumindest Sakko, mache haben auch versucht, einen Schlipsknoten zu binden und sich selbigen um den Hals zu legen, mit meist lustigen Effekten, die Hemden sind aus Kunstfaser und viel zu schrill von Farben und Mustern, dazu schlecht oder gar nicht gebügelt, die Krawatten sind nochmals schriller als die Hemden und ebenfalls aus minderwertigen Kunstmaterialien, und Krawattenknoten binden kann hier offensichtlich niemand, weder die Uhren der Herren noch der Schmuck der Damen lassen übermäßigen Reichtum vermuten, nur mancher massiv-goldene, übergroße Siegelring – man kennt das eigentlich nur aus Mafia-Filmen, wo die Mörder den Ring des Paten küssen – zeugt von gewisser Kaufkraft, verbunden mit zielsicherer Stilverfehlung. Alle bemühen sich, mit Messer und Gabel zu essen, und so manche bekommen es auch halbwegs hin, beim gemeinsamen Mittagstisch in einer deutschen Jugendherrberge bekämen sie für diese Manieren zumindest keine Schelte, andere sind da nicht ganz so erfolgreich, und dass es stillos ist, das Weinglas nicht am Stiel zu fassen, weiß hier ohnehin keiner. Aber zumindest ist man durch die Bank weg bemüht, und die latente Düsternis des Raumes verdeckt den einen oder anderen Fauxpas gnädig.

Der Service ist – wieder typisch us-amerikanisch – freundlich, zuvorkommend, aber vollkommen unprofessionell, bis auf einen älteren Kellern hat hier garantiert niemand eine professionelle Restaurant-Ausbildung, das sind Quereinsteiger mit training on the job, nur leider scheint niemand jemals da gewesen zu sein, der sie in den Feinheiten dieses Berufs hätte trainen können. Aber sie sind bemüht. Ob die endlosen Wartezeiten bei vielleicht dreiviertel vollem Haus auf den Service oder die Küche zurückzuführen sind, kann ich nicht beurteilen. Das Essen, das sie dann aber servieren, ist – wenn sie’s denn mal servieren – gar nicht mal so schlecht. Scheinbar ist die Speiskarte typisch us-amerikanisch: allerlei Kleinigkeiten als Starter, natürlich viele Steaks mit viel Tamtam um Herkunft, Schnitt, Größe und Zubereitung, dann Spareribs, Kalb, Geflügel, Meerestiere, Salate, Desserts, das scheint alles ganz normal und üblich. Bei genauerem Hinsehen wird man dann gewahr, dass die Karte neben den üblichen frittierten Zwiebelringen, Calamari oder Shrimpcocktail auch Schnecken anbietet, Freitags sogar Froschschenkel, überbackene Zwiebelsuppe, in der Saison Austern, sogar auch Austern Rockefeller (überbacken mit Kräutern, Butter und Brotkrumen, zuweilen kommen auch noch Spinat, Sellerie, Frühlingszwiebeln, Pastis, Tabasco und Sahne dazu), das ist durchaus ungewöhnlich. Auch bei den Hauptgerichten gibt es neben den endlosen Steak-Orgien verschieden sautiertes Kalb, eine geröstete Wisconsin Ente à l’orange, unterschiedlichste Hühnchen-Gerichte, Fische aus den heimischen Seen, dazu Hummer und Krabben. Was aber noch weitaus sensationeller ist: es gibt keine Hamburger, keine Pizza, keine Sandwiches, dieser ganze Einheits-Dreck, mit dem sich die Leute hier an allen Ecken abfüttern (mit Ausnahme der Kinderkarte muss man sagen, für die Kleinen gibt’s einen Burger). Die Weinkarte dazu mit vielleicht 250 Positionen erinnert ein Wenig an Hänschen Klein, wie er sich die weite Weinwelt vorstellt, natürlich sehr viele Westküsten-Weine, dazu Chilenen, Australier, Neuseeländer, bei den Franzosen dominiert Bordeaux, bei den Deutschen Mosel, bei den Italienern Apulien, die Preise sind mit US$ 29 bis selten US$ 500 moderat, die meisten Flaschen liegen um die US$ 50; soweit ich die Auswahl erkenne und bewerten kann, dominieren liebliche Weißweine und schwere, alkoholreiche Rotweine, wir trinken heimische Biere und erträgliche Cocktails und lassen hier die Finger vom Wein. Zum Couvert gibt’s für jeden ein halbwegs frisch gebackenes, übergroßes Brötchen oder kleines Brot mit Butter, das ist nett, aber alles andere als knusprig. Die Schnecken als Vorspeise sind tadellos, Kräuterbutter mit frischen Kräutern, heiß, fleischige Mollusken, gut gewürzt. Die Zwiebelsuppe ist ein Drama, süßliche, verkochte, lauwarme Zwiebelpampe unter einer aufgeweichten Scheibe Weißbrot mit ein paar Käsekrümeln – alles andere als eine überbackene Käsekruste – drauf. Die überbackenen Champignons sind dann wieder lecker, frisch, heiß, leider sehr fettig. Die Beilagensalate sind frisch, ordentlich geputzt, knackig, endlich mal kein Eisberg-, sondern Kopfsalat, das Dressing ein Schöpfer ungewürzten, fetten Schmand, darauf ein paar industrielle, vorgebackene Croutons: naja. Die Tranche Lachs tatsächlich frisch, aber bis zur Krümeligkeit totgebraten, die Béarnaise dazu kalt, Kerbel-lastig, der Estragon getrocknet. Das Zander-Filet frisch, voller Gräten, wohlschmeckend, zum Glück ohne Béarnaise. Das Wiener Schnitzel (steht auch tatsächlich als „Wiener Schnitzel“ in der Karte) ist ein Trauerspiel von drei wässrigen, zähen Fetzen Kalbfleisch mit einer halb von Fleischsaft, halb von zu kaltem Bratfett durchtränkten, aufgeweichten, wabbligen, kaum am Fleisch haltenden Panade, lauwarm in einem Metallnäpfchen voller Fett schwimmend; als wir diesen finalen Abgesang auf die Küchenkultur als solches zurückgehen lassen, fragt die Bedienung noch schnippisch, was uns denn nicht passe, das werde hier immer so serviert. No comment. Der panierte Kabeljau mit hausgemachter Tatarsauce ist dann wieder nicht nur tadellos, sondern schon richtig gut, saftig, glasig, frisch. Das Porthouse Steak ist ein Riesen-Flatschen ordentlich gebratenen, zarten Fleisches, die frittierten Zwiebelringe dazu ok, die Ofenkartoffel außen fast schwarz, scheinbar verkohlt, aber innendring herrlich fluffige, weiche, fast trockene Kartoffelmasse, die perfekt mit dem Schmand dazu korrespondiert: mit Abstand die beste Ofenkartoffel, die ich je gegessen habe. Caros prime rib – ein Pfund zarte, saftige, auf den Punkt rosa gebratene Hochrippe – ist schließlich sicherlich was für eingefleischte Fleischfresser, für mich wäre das nichts, aber wer’s mag … Summa summarum: für ein gehobeneres Kleinstadt-Restaurant ist der Corner House Supper Club ganz ok, das muss man bei allem Meckern eingestehen. Hier sind gewiss keine ambitionierten Feinschmecker-Köche am Werk, Schnecken in Kräuterbutter oder Steak mit Ofenkartoffel sind keine Hexenwerke, das sollte jeder halbwegs ausgebildete Koch und auch jede bessere Hausfrau und jeder bessere Hausmann aus dem ff ohne Kochbuch und Zauberei hinbekommen. Aber hier zumindest mal halbwegs ambitionierte Restaurant-Betreiber am Werke, die sich aus der Burger-Pizza-Sandwich-Deckung trauen und ihren Gästen etwas anspruchsvollere Essen, und das anscheinend noch meist frisch und selbst zubereitet und nicht aus der Convenience-Tüte anbieten und die dazu noch in Tischwäsche und Geschirr investieren, das ist alles andere als selbstverständlich im Imperium, selbst das Restaurant im Hilton am Vorabend hatte keine Tischtücher, nur mal so zum Vergleich. Das Publikum jedenfalls scheint’s anzunehmen, der Laden ist gut gefüllt bei unserem Besuch, Gäste ohne Reservierung werden abgewiesen oder zum Warten an der Bar geparkt.


Corner House Supper Club
1521 Washington Ave (Hwy 20)
Racine WI 53403
USA
Tel.: +1 (2 62) 6 37 12 95
Fax: +1 (2 62) 6 37 32 03
Email: ben@chsupperclub.com
Online: n.a.

Hauptgerichte von US$ 16 (Paniertes Fischfilet mit Sauce Tatar) bis US$ 59 (Tomahawk Steak mit Beilagen), Drei-Gänge-Menue von US$ 27,25 bis US$ 90,75

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top