Mit einem Schlage sind es auf dem Süd-Balkon 32 Grad (gestern herrschten hier noch Minus-Grade, 35 Grad Temperatur-Steigerung innerhalb eines Tages), ich habe ganz banal den Trockner Trockner sein lassen und die gewaschene Wäsche wieder auf dem Balkon aufgehängt, für Null Energiekosten, und die Wäsche ist schon knochentrocken, seit Monaten trage ich eine Flasche Gin mit mir rum, mit der ich den Frühling (oder den Vorfrühling, da kommt noch was Fieses vor Ostern, garantiert, ich habe es in den Knochen) feiern will, eine Bouteille London No. 1 Gin, nicht nur ein London Dry, sondern tatsächlich ein Gin, der mitten in London City destilliert wird, allerdings nicht von einer uralten britischen Brennerei, sondern seit 2006 von der spanischen González Byass Gruppe, einem recht kleinen Sprit-Multi, der vor allem mit seinen Sherris mittelgroß geworden ist, aber mit seinem London No. 1 Gin durchaus einen Zeitgeist und Marktrend getroffen hat. Der Gin vom Blender Charles Maxwell ist ordentlich, unterscheidet sich mit seinen 47 Umdrehungen, seinem Produktionsort mitten im teuren London und seinen drei Destilliergängen zusätzlich mit Botanicals wie – wahrscheinlich – Bergamotte, Wacholder, Koriander, Angelikawurzel, Zitronenschalen, Zimtkassie, Süßholz, Zimt, Mandeln, Bohnenkraut, Iriswurzel und Orangenschalen deutlich von anderen Gins, alldieweil er diese bis zum Gehtnichtmehr ausgelutschte, teilweise penetrante Zitrusnote eben nicht hat; gleichzeitig bleibt er für mich ein dünnes Süppchen, das weder den Mut zu Wachholder noch zu anderen Akzenten zeigt (wollte man es positiv formulieren, so würde man schreiben „ausgewogene, vielfältige Aromen“; ich schreibe „ohne Ecken und Kanten, ohne spezifischen USP, und ohne typische Wachholder-Note“). Der einzige USP, den ich bei dem Gin sehe, ist seine signifikant bläuliche Farbe, die von einem Gardenien-Extrakt stammt, das sieht hübsch aus, ist distinktiv, bringt jedoch geschmacklich recht wenig. Aber in der eher wertig scheinenden, dickwandigen Flasche (mit billigem Presskork-Stopfen mit Plastik) sieht das toll aus, zumal aus der Entfernung hinter einem Bar-Tresen. Was mich dazu verwirrt, ist die Vermarktungsstrategie. Den Gin gibt’s in Gebinden von 0,7 bis Doppelmagnum, und das zu Preisen von 30 bis 80 EURO pro Liter, irgendwas läuft da kolossal schief, einheitliche Marken- und Preisstrategie gehen gewiss anders. 30 EURO pro Liter ist der Sprit vielleicht gerade noch wert (ich würde für diesen Preis immer einen Tanquarays nehmen), aber der ganze Rest ist doch Vermarktungs-Chi-Chi.
Wie dem auch sei, es ist Wochenende, ich habe Wäsche gewaschen und auf dem Balkon aufgehangen, dazu einen neuen Gin in der Sonne mit einem Martini Cocktail ausprobiert, gerade bereite ich mir Matjes in Schmand-Apfel-Zwiebel-Tunke mit Salzkartoffeln zu – so langsam kehrt so etwas wie Normalität wieder ein, in mein Umzugs-durcheinandergewirbeltes Leben.