Spätestens ab dem tausendstem Kochbuch wird das Kochbuch-Lesen und –Sammeln langweilig, wahrscheinlich schon ab dem Fünfhundertsten oder noch früher, zumindest wenn man nur drei oder vier Sprachen mächtig ist, selbst wenn man Ethno-Küche – nicht nur Französische oder Österreichische usw., sondern Küche der Bukowina, Inuit-Rezepte, neue Südamerikanische Spitzenköche und sowas – dazu nimmt, Kochmoden – sous vide, molekular, dry aged und sowas – und Krankenküche – vegetarisch, vegan, Gluten-frei, Diät und sowas – irgendwann ist es meist immer dasselbe. Wenn ich für jedes Rindssuppen-Rezept, das ich in meinem Leben gelesen bzw. nur gesehen und eben nicht mehr gelesen habe, einen Groschen bekäme, ich wäre reich. Aber irgendwomit müssen die Seiten ja gefüllt werden, bevor sie ans kaufkräftige Publikum verhökert werden.
Ganz anders ist da das Werk von Elisabeth Ruckser „Aus Omas Kochbuch. Fast vergessene Rezepte“, ursprünglich peu à peu erschienen im Magazin „Servus in Stadt und Land“ des Österreichischen Energiebrause-Giganten Red Bull (man heißt es Diversifizierung) und 2017 dann als Buch. Und dieses Buch ist – selbst für den Kochbuch-Müden – ganz außergewöhnlich. Ruckser hatte ein Team von Leuten um sich, die jeweils in ihrer Region – Österreich und Süddeutschland – Menschen gesucht haben, die alte, regionale Rezepte noch kannten und vor allem auch noch aktiv gekocht haben. So steht jedes der Rezepte konsequent auf zwei Buchseiten, obwohl die Kochanleitungen meist sehr kurz und knapp sind, einfache Rezepte halt, ohne Brunoise, blanchieren, Piment d’Espelette und zur Rose abziehen. Links steht stets die Geschichte, die zum Rezept gehört, sehr individuelle, liebevolle, menschliche Geschichten allesamt. Und rechts steht dann das Rezept, meist reicht eine viertel Seite dicke aus, dazu ein echtes Bild des Gerichts. Wo andere Kochbücher oft „Symbol-Photos“ verwenden – bei einem Rindfleischgericht z.B. halt ’ne Kuh auf der Wiese aus dem Stock-Photo-Archiv –, ist hier jedes einzelne Gericht getreulich zubereitet und abphotographiert worden, weniger künstlerisch-food-design-mäßig in Szene gesetzt, sondern authentisch, unverfälscht dokumentiert, wofür ich als Kochbuch-Leser durchaus dankbar bin, wenn ich zumindest vorher mal sehe, wie ein Kräuter-Dorten auszusehen hat oder ein Steirischer Fleischkrapfen, das hilft ungemein.
Es wäre müßig, hier jetzt die Rezepte aufzuzählen oder zu beschreiben – Lavanttaler Leberlan, Glantaler Montagsknödel, Schweinsripperl mit Ruim-Granl, Das Geheimnis von Steyerling, Waldviertler Polsterzipf, Alpbacher Steffas Nidai –, als gestandener Kochbuch-Leser, der mittlerweile meist recht rasch „Langweilig! Kenn‘ ich schon!“ schreit muss ich zugeben, dass ich kein Dutzend der vielleicht 80 Rezepte in dem Buch kannte, lauter interessante Neu- bzw. Wieder-Entdeckungen, die – wahrscheinlich zum Leidwesen der Jungs – unseren Speiseplan der nächsten Wochen prägen werden. Ausgesprochen löblich ist die Tatsache, dass alle Rezepte stimmig sind. Oft findet man Rezepte, in denen bei den Zutaten z.B. „2 Eier“ stehen, aber in der Kochanleitung erscheinen diese Eier dann gar nicht mehr, man weiß also nicht, was es mit den Eiern auf sich hat oder was man mit ihnen tun sollte; oder man soll etwas halb-fertig backen, erkalten lassen und dann wird nicht mehr erklärt, was genau man mit dem halb fertig gebackenen, erkalteten Teil tun sollte. Wenn man Kochbücher genau liest, findet man solche Klopse sehr häufig, und so manchen Lektor sollte man einfach hauen; hier jedoch gibt sich es solche Schludereien nicht, hier stimmt alles in den Rezepten. Am Ende des Buches schließlich – wo die Seiten sonst meist gefüllt werden mit „Grundrezepten“, also z.B. dem berühmten Rezept für Rindssuppe (s.o.) – stehen auch hier echte Schmankerl, Paprikamarmelade, Kräuterlikör oder Melissengeist ohne Zucker zum Beispiel. Nur das „Kulinarische Wörterbuch“ zum Schluss ist etwas zu kurz geraten, da gibt es schon den einen oder anderen Spezialbegriff – Selchroller z.B. –, der hier fehlt.
Alles in Allem: endlich mal wieder ein Kochbuch mit Neuem (Alten), das Spaß macht.
Elisabeth Ruckser: „Aus Omas Kochbuch. Fast vergessene Rezepte“; Wals bei Salzburg, 2017, Benevento Publishing, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, ISBN 978-3-7104-0140-4, 25 EURO
Copyright Fotos: Markus Bassler.