Ein Wochenende mit Caro in New York, und wo wir geschlafen, gegessen und vor allem getrunken haben. Teil 3: Die Futterstuben (Restaurant wäre viel zu viel gesagt …)

Tja, und Essen in New York? Einerseits, das ist wie Trinken an einer Quelle, allerdings mit einem kleinen Unterschied: das Wasser dieser bildlichen Quelle ist fast überall mies, nicht gerade giftig, aber mies. Und so ist es beim Essengehen in New York auch. Es gibt zehntausende von Restaurants, Imbissbuden, Diners, Ständen, Garküchen, … you name it. Wie viele davon tatsächlich gut sind? Nun, ein Ami wird wahrscheinlich sagen, fast alle oder zumindest doch tausende. Vielleicht habe ich die richtigen Locations ja noch nicht gefunden, aber ich würde sagen, es sind keine hundert, obwohl es in New York alleine 77 Michelin-Sterne-Schuppen gibt. Aber irgendwie verspürten Caro und ich keine Lust, trotz aller jubelnden Berichte 275 US$ für ein 2 ½ Stündiges Menue im Atera (2 Michelin Sterne) auszugeben (danach wird man angeblich rauskomplimentiert, weil der Tisch schon wieder vergeben ist), dazu nochmals 365 US$ pro Person für die korrespondierenden Weine, oder ganze 595 US$ (ohne Getränke) bei dem ebenfalls ohne Ende gehypten Masayoshi Takayama (3 Michelin Sterne). Rainbowroom kann man schon seit Jahren vergessen, denn man weiß nie, ob er auf ist oder von einer geschlossenen Gesellschaft belegt, obwohl 65 US$ Mindestverzehr pro Person für einen der begehrten Terrassenplätze schon wieder richtig preiswert ist.

Spicy Village in Chinatown in Manhattan

Stattdessen machten wir etwas gänzlich anderes. Caro musste unbedingt zu Wendy Lian und Ren Fu Li in ihr Spicy Village in Chinatown, wo es angeblich die beste Henanküche der ganzen Ostküste gibt. Der des Mittags nicht abreißen wollende Strom von Businessmen, die sich gewiss Besseres oder zumindest Teureres als eine Chinesische Garküche mit Gerichten von 5 bis 10 US$, selten mehr, leisten könnten, vor dem kleinen, unscheinbaren, fast etwas schmuddelig aussehenden Laden mit Chinesischer Laterne und einer Girlande von Chilischoten über dem Eingang, legt beredt Zeugnis ab von der Qualität der Speisen, die hier geboten wird. Zahlreiche asiatische Gäste in dem langen, schmalen, mit billigen Linoleum ausgelegten Gastraum mit vielleicht einem Dutzend winziger, einfacher Tische, einem kleinen Tresen, einer großen, offenen Durchreiche in die Küche, einer bebilderten Speisekarte an der Wand und einem riesigen Ventilator lässt ebenfalls vermuten, dass das Essen hier authentisch ist. In Acht nehmen sollte man sich vielleicht vor der Lamm-Innereien-Suppe, den gebratenen Gurken und dem grausamen Tofu, und generell, wenn Wendy Lian and Ren Fu Li auf ihrer Speisekarte schreiben, etwas sei „spicy“, dann sollte man sich das vor dem Bestellen zu Herzen nehmen. Berühmt ist das Spicy Village für eine hausgemachten breiten Nudeln, die mit allerlei Begleitung – meist ein undefinierbares Zwischending aus Suppe und Ragout – serviert werden, Hühnchen, Ochsenschwanz, Schwein, Gemüsen, Schwarzen Bohnen, … Fleisch und Gemüse sind immer zerkocht, so dass Stäbchen oder ein Löffel ausreicht, die Nudeln sind immer breiig (und das mag ich überhaupt nicht, Caro liebt das), aber die Würzung, die ist immer sensationell und bei jedem Gericht anders, vorherrschend sind hier Peperoni, Szechuan Pfeffer und Chili Öl für die Schärfe, Cumin für die Rauchigkeit, und Koriander für die Frische. Caro hatte hausgemachte, Dim Sum-ähnliche Nudeltaschen in einer fetten Hühnersuppe, danach zerfasertes Lammfleisch mit Gemüse, Sauce und weichen, breiten Nudeln; ich hatte ein Pancake-genanntes Gebilde, mehr ein aufgeschnittenes Bun, darin pulled pork mit wenig Gemüse und einer sensationellen Gewürzsauce, danach gekochtes Rindfleisch mit Gemüse, noch einer phantastischen Sauce und Reis. Einerseits, jedes Gericht ist frisch zubereitet, anders gewürzt, sicherlich gibt es hier hundert Arten von Schärfe, die allesamt anders sind, aber niemals unangenehm, wahrscheinlich ist das sogar authentische Henanküche, andererseits ist halt alles zerkocht, das Lamm geht geschmacklich hart in Richtung Hammel, im Fleisch finden sich gerne mal Knöchelchen und Knorpel zum Knakeln, Chinesen lieben das, mir kann dabei das Essen wieder hochkommen, vor allem wir fast alles in vermaledeiten Einweg-Plastikschalen serviert, selbst wenn man nicht to go ordert, sondern sich an einen der winzigen Tische setzt, ganz selten bekommen Gäste mal eine Porzellanschale, ich weiß nicht nach welcher Systematik oder Logik. Das jedenfalls ist New York wie es leibt und isst. Mir taugt das Essen nicht so (die Rustikalität der Garküche hat hingegen sogar schon wieder etwas), aber Caro liebt es und muss bei jedem New York-Besuch hier her.

Huimei – was immer das dann auch genau ist (ich jedenfalls will’s nicht wissen, aber die Sauce ist sensationell!)
Two Little Red Hens – An American Bakery

Was in München der Streit um die beste Weißwurst sein mag, das ist in New York der Streit um den besten New York Cheese Cake. Wir jedenfalls haben bis auf weiteres unseren unbestrittenen Sieger gefunden, das Two Little Red Hens, An American Bakery, wie die Betreiberinnen stolz dazu schreiben. Die Hühner hausen in Yorkville, westlich vom Central Park zwischen Metropolitan Museum of Art und Carl Schulz Park gelegen, direkt neben dem unseligen deutsch-tümelnden Restaurant Heidelberg mit seinen schlechten Rouladen und Schweinshaxen, überhaupt scheint das ganze Viertel ziemlich stark Deutsch geprägt zu sein, es gibt Deutsche Bäcker, Metzger, Kneipen, … und eben diese explizit „American Bakery“. Vor dem kleinen Laden eine knallig rote Markise, drinnen bloße Backsteinwände mit Hennen in allen Formen, Farben, Materialien und Größen, zwei große Kuchenvitrinen, meist mit langen Schlangen, z.T. bis auf die Straße davor,  und ein paar Holztische mit Holzstühlen, wo die Gäste, die nicht to go einkaufen, verweilen können (so sie denn einen Platz finden, was nach 10:00 a.m. so gut wie unmöglich ist). Es gibt kunterbunte Torten, nicht minder farbenfrohe Muffins, Cookies, Kuchen und eben echten New York Cheesecake, und Caro und ich sind beileibe nicht die Einzigen, die meinen, dass dies der beste Käsekuchen der ganzen Stadt sei. 4,50 US$ zahl man für ein Stückchen, mit einer dicken Fruchtsoße obendrüber 5 US$. Der Boden ist, wie es sich gehört, aus gerösteten Graham-Keks-Krümeln mit viel Butter und Zucker, darauf ein mächtiger Berg Frischkäse, dezent gesüßt, mit echter Vanille und Zitronenschale aromatisiert und mit einer dunklen, dünnen Kruste vom Backen. Im Gegensatz zu so vielen anderen Käsekuchen ist die Frischkäsemasse hier weder trocken noch zähn, sondern richtig fluffig-sahnig-feucht, und doch unglaublich schwer (und lecker natürlich). Ein Stück New York Cheesecake aus den Two Little Red Hens ersetzt auf jeden Fall ein komplettes Mittagessen. Und man sollte nicht zu lange warten, denn am späteren Nachmittag ist dieser Cheesecake gerne schon mal ausverkauft, was ja an sich ein gutes Zeichen ist. Schade allein, dass man sich auch hier nicht bemüßigt fühlt, Kaffee und Kuchen in richtigem Geschirr zu servieren, sondern ebenfalls dieses vermaledeite Plastik verwendet.

Best New York Cheesecake in the whole world!

 

Remedy Diner

Erinnern Sie sich an die Szene in Man in Black III, in der Will Smith alias Agent J mit Josh Brolin alias Agent K in einen typischen American Diner zum Kuchen essen geht, um dabei besser nachdenken zu können (und natürlich des Pudels Kern auch findet)? Ein nahezu perfektes Ebenbild dieses Etablissements findet sich in der Lower East Side, Norfolk ecke Huston und heißt Remedy Diner. Der Fußboden ist beige-braun kariert, der Raum wird dominiert von einer großen, langen Theke mit Kunstleder-bezogenen Barhockern davor, großen Ventilatoren und vermaledeiten Fernsehen darüber, auch die Bänke und Stühle sind mit braunem Kunstleder bezogen, große Fensterfronten zur Straße, einfache, blanke Diner-Möbel, fast alle Kellner tragen einheitlich lila Schürzen, es ist ziemlich sauber für imperiale Verhältnisse, außer Caro und mir findet man hier fast ausschließlich Einheimische, obwohl mitten in Manhattan gelegen. Es gibt Salate, Burger, Sandwiches, allerlei Kurzgebratenes, Wraps, dazu von frittierten Tintenfischringen bis Frühlingsrollen mit Kokosnuss und Shrimps alles, was die Convenience-Bottiche hergeben. Die Preise sind mit 5 bis 15 US$ ausgesprochen moderat, hier kann man für kleines Geld satt werden – ob man wohlschmeckend und gesund satt wird, steht hingegen auf einem anderen Blatt. Was wirklich authentisch ist und immer ein Erlebnis wert, das ist das Frühstück im Remedy. Frische gebackene Pancakes, dick und fluffig und so groß wie Frühstücksteller, Eier in jeder Art, wirklich sehr guten kanadischen Speck, knusprige Hashbrowns (wenngleich auch aus dem großen Fertig-Sack), Eier Benedict mit einer (ebenfalls nicht hausemachten, aber sehr interessanten) Chili-Hollandaise, tatsächlich frisch gemachter, ordentlich zubereiteter Obstsalat, Kaffee bis zum Abwinken: für 5 US$ bekommt man hier ein ordentliches Frühstück, für 15 US$ kann man den Rest des Tages maximal noch rollen. Damit ich nicht falsch verstanden werde: das ist weder Hochküche noch bodenständige hausgemachte Kost, das ist größtenteils ordentlich zubereitetes, industriell vorgefertigtes Futter, das von flotten, freundlichen Kellnern sogar gebührlich auf Porzellan serviert wird. Mehr nicht, aber auch nicht weniger, und das ist schon viel in Imperial-Amerika. Das ist die Art von Futter, das die Trump-Wähler Tag für Tag in sich reinschaufeln, authentisch, unverfälscht, offensichtlich so, wie’s der Großteil der amerikanischen Gaumen und Mägen liebt und verlangt. Nun gut, ist deren Sache, man soll ja nicht ohne Not an fremden Ess-Gebräuchen – von „Ess-Kultur“ würde ich hier dann doch nicht sprechen wollen – rumkritisieren. Aber mögen braucht man’s auch nicht ohne Not.

Frische Pancakes im Remedy Diner
All American breakfast im Remedy Diner

 

Summa summarum: sicherlich gibt es „Geheimtipps“ in New York, die haben allerdings einen Haken: sie sind geheim. All diese vermeintlichen „Geheimtipps“ die durch vermeintliche „Insinder“ und die wieder und wieder voneinander abschreibende professionelle Journaille und semi-professionelle Blogger hoch und runter durch alle Medienkanäle gehypt werden, das sind längst keine Geheimtipps mehr, das sind zuerst Szene- und dann Touri-Hot-Spots, bis sie irgendwann wieder im Or- oder Locus verschwinden. Dabei sind das zumeist durchaus nette Orte mit irgendeiner value preposition, die sie abhebt: exzessives Retro-Design im irisch-amerikanischen Stil im Dead Rabbit, der Ausblick im One World Observatory, die Geschichte mit dem verschwiegenen Treffpunkt der Köche, Servicekräfte und sonstigen Restaurant-Mitarbeitern im Employees Only, die konsequente Marketing-Verweigerung bis hin zur Geheimniskrämerei im Angel’s Share, das alles sind Nuklei (der Plural von Nukleus, musste ich gerade selber nachschlagen), um die herum sich prosperierende Geschäfte aufbauen lassen. Natürlich bedarf’s dazu auch harter, langer Arbeit, ausreichender Finanzmittel, guter Mitarbeiter und einer gehörigen Portion Glück, aber so eine eindeutige value preposition ist schon mal ein guter Anfang, der den restlichen Weg deutlich erleichtert. Unter all den genannten Bars gibt es aber – meine ich – doch einen Geheimtipp, und das ist ein Geheimtipp eben deshalb, weil es kein Geheimtipp ist und noch nie war: besagtes Randolph’s im Warwick. Das war schon immer irgendwie da, das hat Hearst und Grant überlebt, da wurde schon gesoffen, als ich noch Muttermilch trank, dort wurde auch gesoffen, lange bevor diese ganzen vermeintlichen Geheimtipps überhaupt eröffneten, und dort wird gesoffen werden, wenn all diese vermeintlichen Geheimtipps längst wieder geschlossen sind und wenn ich längst unter der Erde liege (hoffe ich mal). Es sind die völlige Offenheit und die Kontinuität, die solch einen Ort besonders machen, zu einem offenen Geheimnis eben.

 

Spicy Village
68 Forsyth St #B
New York, NY 10002, USA
Tel.: +1 (2 12) 6 25 82 99
Email: n.a.
Online: www.spicyvillagenyc.com

Hauptgerichte von 6 US$ (hausgemachte Nudeln mit Ei und Tomaten) bis 15 US$ (großer Hühner-Eintopf), Zwei-Gänge-Menue (Vor- und Hauptspeise, Lokal bietet keine Nachspeisen) von 9,50 US$  bis 22,50 US$

 

Two Little Red Hens – An American Bakery
1652 2nd Ave
New York, NY 10028, USA
Tel.: +1 (2 12) 4 52 04 76
Email: n.a.
Online: www.twolittleredhens.com

 

Remedy Diner
245 E Houston St
New York, NY 10002, USA
Tel.: +1 (2 12) 6 77 51 10
Email:
Online: www.remedydinerny.com

Hauptgerichte von 10,50 US$ (Burger, Pommes), 14 US$ (Spaghetti mit Gemüse), 30 US$ (Ribeye Steak,, Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 19,50 US$  bis 49 US$

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