Lange waren Caro und ich diesmal ja nicht in New York, und geraume Zeit haben wir auch noch im Hotel selber verbracht, aber den einen oder anderen kulinarischen Abstecher haben wir dann doch geschafft, und Caro hat mich in die Rauschenberg-Ausstellung im MoMa geschleppt, der Kerl hatte ja sowas von nem Rad ab, das verzeihe ich Caro nicht so schnell. Aber um über solche Tiefpunkte der Kultur und des eigenen Erlebens hinwegzukommen, dafür hat Gott ja schließlich die Cocktailbars geschaffen. Zu Sean Muldoon und Jack McGarry in’s Dead Rabbit mitten im Finanzdistrikt (nicht nur Rauschenberg macht viel Alkohol notwendig, zuweilen auch die Börsenkurse) braucht man nicht mehr zu gehen, auch wenn das Tote Karnickel 2015 und 2016 in Folge zur besten Bar der Welt gekürt wurde und selbst wenn es hier nach wie vor die größte Sammlung von Irischem Whiskey gibt, die ich je gehen habe. Vor ein paar Jahren standen Sean und Jack fast immer persönlich hinter den Bartresen, heute sieht man maximal noch Jillian, kompetent und eine Augenweide, aber eben nicht die Gründerin. Mittlerweile wissen auch die letzte Provinzschranzen aus Jersey und Jever, dass weder das Pub im Erdgeschoss mit der Sägespäne auf dem Boden noch das Restaurant im ersten Stock mit dem mäßigen Essen die eigentliche Bar sind, die ist nämlich im zweiten Stock, hier gibt es routiniert und gut gemachte Drinks, darunter eine Menge Eigenkreationen, aber hier ist man halt nicht mehr zum Trinken und Plaudern und seinen Gedanken Hinterherzuhängen, hier ist man längst nur noch, um zu sehen und gesehen zu werden, und die meisten der Gäste sind ohnehin Touristen.
Ein paar Häuserblöcke weiter steht das neu erbaute World Trade Center. Früher zahlte man im Südlichen der alten Zwillingstürme einen happigen Eintritt, wartete dann lange auf die stets proppevollen Fahrstühle, um auf die Aussichtsplattform ganz oben auf dem Gebäude mit Blick auf die Freiheitsstatue, die Bay und Staten Island zu fahren. Im Nordturm gab es keinen Eintritt und keine Warteschlangen vor den Liften, und im obersten Stockwerk war eine rundum verglaste Bar untergebracht mit einem ebenfalls famosen Rundblick über New York, nur die Freiheitsstatue sah man nicht, da stand nämlich der Südturm davor. Und der Preis für einen Drink in der Bar auf dem Nordturm war deutlich niedriger als der Preis für den Eintritt auf die Aussichtsplattform auf dem Südturm: ich habe dieses Geschäftsmodell nie so ganz verstanden, aber einerlei, hat sich ja auch erledigt. Heutzutage kann man für 34 $ auf das One World Observatory Deck im neu erbauten WTC fahren, egal, ob man dort in dem miesen Café/Restaurant mit tollem Blick für – selbst für New Yorker Verhältnisse – völlig überteuerten Preisen was Essen oder Trinken will, die 34 $ sind auf jeden Fall fällig, am besten vorab online gebucht, denn die Warteschlangen sind nicht von schlechten Eltern. Macht vom Geschäftsmodell her ja auch mehr Sinn. Wenn man das erste Mal in New York ist, ist es sicherlich Touristen-Pflicht, da hochzupilgern und runterzugucken, und die Freiheitsstatue sieht man jetzt auch im ihrer vollen Schönheit, aber wenn man’s einmal gesehen hat, dann reicht das auch für Jahre, und weder des Futters noch der Drinks wegen lohnt sich der teure Weg da hoch.
Das bereits erwähnte Employees Only in West Village, nun gut, das ist auch eine tadellose Bar und „speakeasy“, wie man im Imperium sagt. Der Eingang ist – wie bei den meisten besseren Bars – unauffällig bis versteckt und glänz eher durch Understatement denn durch glamourösen Pomp, wie etwa bei den Broadway-Theatern, die Keeper tragen allesamt traditionelle weiße Jacken, angeblich sollen auch alle ein „EO“-Tatoo – für „Employees-Only“ auf dem Arm haben, das selbe Logo, das auch Gläser, Servietten, Reserviert-Schilder, die Karten usw., ziert, das dunkle, fast schon düstere Interieur mit Nussholz-Wandverkleidung soll an Art Deco erinnern, bei den Deckenleuchten stimmt das ja noch, aber spätestens bei den Leuchtstreifen in der Deckenverkleidung wird’s dann wieder komisch vom ästhetischen Erleben her. Aber man ist ja in den USA, da sind dererlei Stilbrüche an der Tagesordnung. Nachdem das Employees Only nur zur – ich glaube – fünfzehnt-besten Bar der Welt gewählt wurde, ist die Touristen-Population deutlich geringer als im Dead Rabbit; auch das Publikum ist hier deutlich älter, und obwohl nicht im Finanzdistrikt gelegen, sieht man hier gefühlt viel mehr Krawatten als dort. Seit Jahr und Tag hängt ein altertümliches Schild über der Bar, das vor Pickpockets und Loose Women warnt, einstmals wohl ernst gemeint, heute als Gag gedacht, und doch regt es Caro furchtbar auf, dass Taschendiebe und Frauen mit lockerer Moral hier in eine Kategorie gesteckt werden. Die Drinks sind tadellos, hier sind durch die Bank weg routinierte Könner am Werk, das beißt die Maus kein Faden ab, sogar Steve Schneider, Bester Bartender das Jahres 2015 mixt persönlich hinterm Tresen. Was das Essen anbelangt, so hatten wir nur rasch ein Tatar, bestes Fleisch, tatsächlich handgeschabt und frisch angemacht mit dünnen Baguette-Chips – hier „Crostini“ geheißen – für faire 18 US$ und eine – für Ami-Verhältnisse recht gute – Wurst-Schinken-Käse-Platte mit dickem Maisbrot – hier „Focaccia“ geheißen – für ebenfalls faire 21 US$. Wäre der Laden nicht chronisch überfüllt und eng, so könnte das glatt eine richtig gute Bar sein. Das Konzept jedenfalls scheint zu stimmen, das Employees Only hat bereits Filialen in Singapur, Miami Beach und Austin (Tex.) eröffnet.
An einer der seltenen anarchistischen Straßen Manhattans, der Stuyvesant Street, die sich mit einem widerspenstigen 45°-Winkel zwischen 3. Avenue und 10. Straße Ost dem Schachbrettmuster Manhattans entzieht, liegt das zumindest ebenso anarchistische Angel’s Share. Die Bar hat seit Jahr und Tag keine Website, keinen Eintrag auf Goolge Maps, noch nicht einmal ein Türschild, das darauf hinwiese, dass sich hier eine Bar verbirgt, diese Geheimniskrämerei mag der Grund dafür sein, dass andere – von der New York Times und Süddeutsche über unzählige Reiseführer, 1.740 Yelp-Beitragenden bis hin zu mir jetzt – umso mehr darüber schreiben. Der Eingang zum Angel’s Share befindet sich in einem Japanischen Lokal namens Village Yokocho, hier muss man – vorbei am Personal und den Restaurantgästen – eine unbeschilderte schmale Treppe hochsteigen und dort dann die – ebenfalls unbeschriftete – „Geheime Tür“ suchen, durch die man schließlich in die Bar gelangt. Vor der Tür sind ein paar kleine Bänkchen, auf denen die Suchenden und Süchtigen oft schon eine Stunde vor der um 06:00 p.m. öffnenden Bar geduldig warten, auch des Nachts, wenn den kleine Raum zum Bersten voll ist, warten hier Gäste auf Einlass. Ein Schild an der Wand belehrt die Wartenden, dass maximal vier Personen gemeinsam eingelassen werden, größere Gruppen nicht, dass man sich leise zu verhalten habe und das Rauchen unterlassen muss. Viele Hürden, um sich einen hinter die Binde zu gießen, und diese Hürden machen das Etablissement wohl nochmals interessanter. Hat man dieses vermeintliche gate to heaven einmal durchschritten, so bietet sich ein anderer langer Barschlauch, nicht so düster vielleicht wie andere Bars, denn hier gibt es raumhohe, große Sprossenfester zur Straße runter mit dicken Stores drum herum, und wenn man einen der Tische am Fenster erwischt, so kann man den ganzen Abend auf das bunte New Yorker Nachtleben hinabschauen; am meisten Spaß mach es, die Touristen mit ihren Reiseführern und mobile devices auszumachen, die in selbige hineinstarrender Dings nun ihrerseits den Eingang zum Angel’s Share suchen. Die Barkeeper hier sind zumeist Asiaten (bzw. asiatischer Abstammung, ich weiß nicht, wie man so etwas politically correct beschreibt), es gibt eine große Auswahl an Japanischen und Koreanischen Whiskys, Reis-Vodka, viele der Mixgetränke sind mit Schwarzem oder Grünem Tee, Matcha, Unami Essig, Litschi, Ingwer, Thai-Gewürzen, so asiatischem Zeugs halt, sie tragen nette Namen wie „Bitches Brew“, „Mack the Knife“ oder „Flirtbird“, die Drinks sind um die 15 US$ und ganz ok. Die Bedienungen sind flott, die Luft ist schlecht, der Ausblick ist hübsch, über der Bar prangt ein Deckengemälde mit Rafaels Barock-Engelchen und einem ganz entzückenden, ziemlich schelmisch-finster dreinblickenden schwarz gewandeten Engelchen mit kleinen Hörnern, das weder Caro noch ich kunstgeschichtlich zuordnen konnten, das aber dennoch zu herzallerliebst ist. Mir persönlich sind die Drinks im Angel’s Share oft viel zu bunt, cremig, modisch, schnick-schnack, der Keeper verstand erst gar nicht, dass ein meinen Martini mit Lemon Twist haben wollte und warf einfach zwei Oliven rein; hier serven die Bartender weniger, sie rulen mehr, und das – offensichtlich meist nicht sehr Bar-erfahrene – Publikum lässt sich gerne leiten, in Ermangelung der Kenntnis klassischer Drinks auch oft verleiten zu modischem Firlefanz. Einheimische sind zwischenzeitlich Mangelware im Angel’s Share, die wurden endgültig vertrieben von „Geheimtipp“-versessenen Touris.
Dead Rabbit
30 Water St.
New York, NY 10004, USA
Tel.: +1 (6 46) 4 22 79 06
Email: ask@deadrabbitnyc.com
Online: www.deadrabbitnyc.com
Hauptgerichte von 18 US$ (Burger mit Pommes) bis 20 US$ (Hühncheneintopf), Drei-Gänge-Menue von 34 US$ bis 39 US$; Cocktails 16 US$
One World Observatory
Westfield World Trade Center
285 Fulton St,
New York, NY 10006, USA
Tel.: +1 (8 44) 6 96 17 76
Email: info@oneworldobservatory.com
Online: www.oneworldobservatory.com
Hauptgerichte von 40 US$ (vegetarisches Pilzragout) bis 59 US$ (Ribeye Steak), Drei-Gänge-Menue von 73 US$ bis 103 US$; Cocktails 15 – 20 US$
Employees Only
510 Hudson St,
New York, NY 10014, USA
Tel.: +1 (2 12) 2 42 30 21
Email: employeesonlyinfo@gmail.com
Online: www.employeesonlynyc.com
Hauptgerichte von 19 US$ (Nudeln, Sauce) bis 68 US$ (Ribeye Steak), Drei-Gänge-Menue von 41 US$ bis 94 US$; Cocktails 16 US$
Angel’s Share
8 Stuyvesant St,
New York, NY 10003, USA
Tel.: +1 (2 12) 7 77 54 15
Email: n.a.
Web: n.a.
Cocktails 14 – 16 US$