Doornkaat Norden Dry Gin: weichgespülte Plörre von industriellen Produktentwicklern

Doornkaat, heute steht „Männlich. Markant. Dreifach gebrannt.“  als Claim unter dem unverändert altertümlichen, knallroten „Doornkaat“-Schriftzug auf der grünen Vierkantflasche mit dem 38 prozentigen Korn (angeblich aus Ostfriesland), für den der unerträgliche Hans-Peter Wilhelm Kerkeling (tatsächlich aus dem Pott) munter Schleichwerbung vor laufender Kamera machte. In meiner Jungend wurde Doornkaat noch mit dem Claim „Doornkaat – heiß geliebt und kalt getrunken“ beworben und war neben Hardenberger der Premium-Korn in Westdeutschland, irgendwann gesellte sich dann lange vor der Maueröffnung der Nordhäuser als Devisen-bringender Billig-Schnaps aus Erichs Landen dazu. Wahrscheinlich waren meine ersten verstohlenen Hartgas-Erfahrungen sogar mit Doornkaat, der natürlich immer in der elterlichen Hausbar stand, neben Pott Rum, Asbach Uralt, Courvoisier, Racke Rauchzart, Gordons, Martini Bianco,  Schlehenfeuer, Danziger Goldwasser, Cointreau, Bommerlunder und Stonsdorfer, das waren so die alkoholischen Standard-Suchtmittel des mittleren bis gehobeneren Bürgertums in den Siebzigern. Da war sicherlich mal der eine oder andere heimliche Schluck Doornkaat dabei, wenn die Eltern aus waren und man des Abends allein daheim die Hausbar ausprobierte, nicht etwa aus Suchtgründen, sondern aus reiner Neugier, und ich muss zugeben, geschmacklich ist mir der Doornkaat am wenigsten in Erinnerung geblieben, aber so ein richtiger Korn soll ja weniger schmecken als vielmehr beduseln, und das tat er gewiss.

Zwischenzeitlich, so musste ich feststellen, hat das 1806 in Norden von dem aus Groningen stammenden Mennoniten Jan ten Doornkaat Koolman gegründete Unternehmen eine wechselvolle, typische, traurige Entwicklung genommen. In seinen Blütezeiten betrieb Doornkaat neben der Schnapsdestille auch eine Bierbrauerei, eine Teemanufaktur, dazu Beteiligungen an Schiffen und einem Fruchtsafthersteller. In den Achtziger Jahren erfolgte der rasche Abstieg, aus welchen Gründen auch immer. 1991 erwarb die Berentzen-Gruppe Doornkaat und filetierte das Unternehmen vorbildlich: die Produktionsstätten in Norden wurden geschlossen, die Marken verblieben bei Berentzen, die umfangreichen Immobilien wurden gleich an die WCM Immobilienholding weiterverscherbelt, die Schnaps-Produktion in das Berentzen-Stammwerk verlegt, das Personal wurde vor die Wahl gestellt in  das 150 Kilometer entfernte Haselünne umzuziehen oder in die Arbeitslosigkeit zu gehen, so funktioniert Profit-optimierender Raubtierkapitalismus, ohne dass der Verbrauchen der grünen viereckigen Schnapsflasche als Endprodukt irgendetwas ansehen würde, Doornkaat halt, wie immer. Berentzen selber erging es nicht viel besser, die rapide Expansion, Doornkaart war nur einer von vielen weiteren Zukäufen, brach in sich zusammen, die Eigentümerfamilien verkauften ihre Anteile 2008 an die Münchener Beteiligungsgesellschaft Aurelius („Beteiligungsgesellschaft“ sagen die einen, „Heuschrecke“ die anderen), die führten die üblichen Sanierungsprozeduren ohne Schonwaschgang durch und warfen die Aktien dann wieder 2016 auf den freien Markt, Doornkaart wird mittlerweile in Minden gebrannt, denn auch die Destilliere in Haselünne ist zwischenzeitlich geschlossen. Also, von norddeutschem Familienbetrieb, Traditionsmarke und typisch friesischen Flair ist hier nur noch das Marketingsprech übrig geblieben, der Rest wird irgendwo im Hintergrund industriell gefertigt.

Aus diesem anonymen industriellen Konglomerat ist jetzt auch – wie sollte es anders sein – ein Gin entsprungen, Doornkaat Norden Dry Gin mit 44%. Das Beste an dem ganzen Zeugs ist sicherlich die Flasche, schwer, konisch, schwarzes Etikett mit traditionellem rotem Doornkaat-Schriftzug und einem güldenen Segelschiff, das macht einen hübschen, wertigen Eindruck. „Friesische Leidenschaft“ steht da geschrieben: alles Mumpitz, die Brennerei in Norden ist lange geschlossen. „Seit 1806“ steht da weiter: noch mehr Mumpitz, 2017 kam der Brand auf den Markt. „Jan ten Doornkaat Koolman“ steht da schließlich handschriftlich geschrieben: immer noch Mumpitz, der gute Mann hat – obwohl Genever-affiner Niederländer – niemals einen Gin auf den Markt gebracht. Also: bei allem möchtegern-nordischen Marketingssprech, der Doornkaat Norden Dry Gin ist von hinten bis vorne ein anonymes Industrieprodukt von irgendwelchen anonymen Industrieproduktentwicklern aus irgendeiner anonymen Industrieproduktionsstätte irgendwo auf der Welt.

Was diese anonymen Industrieproduktentwickler dabei abliefern ist, naja, mäßig. Wachholder und Zitrus stehen auf der Flasche,  Torf, Tee und Nelke würde ich zusätzlich schmecken, insgesamt aber flach und belanglos, auch geruchlich eher neutral, dazu reichlich süßlich, ob sowas überhaupt noch Dry Gin heißen darf. Ein weichgespülter Mainstream-Gin, der sich differenzierungslos – bis auf die hübsche Flasche – in die Reihe der belanglosen Mainstream-Gins einreiht, und mit weniger als 20 EURO für den Liter immer noch überbezahlt, für das Geld nehme ich  lieber einen Gordons, Brokers oder gleich den einfachen Tanqueray, da habe ich wenigstens einen London Dry im Glas, der nach was schmeckt und Ecken und Kanten hat, nicht so eine weichgewaschene Plörre.

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3 Comments

  1. Alles Geschmackssache sagte der Affe und hat die Seife gefressen, so ähnlich ist es mit allem am Markt. Die industrielle Fertigung findet aus Kostengründen überall statt, was die Sache nicht unbedingt schlechter macht, denn der Preis spielt (leider) eine sehr wichtige Rolle, denn keiner kann von dem Leben, der sich eine Flasche Edeldestillat im dreistelligen Bereich ins Regal stellt und hin – und wider daran nippt. Nun ist noch die Sache mit dem Trend. Gin liegt im Trend, ständig neue Marken schießen aus dem Boden und bei der Etablierung am Markt wird ein Produkt um € 30 wertiger eingestuft als der halbe Preis. Wenn ich dann einen „Siegfried“ trinken sollte, wäre mir die einfache Cola lieber und der Doornkaat ebenso. Die Gründer der großen Whisk(e)y Destillen würden im Grab rotieren bis Rauch aufsteigt, könnten Sie in die Discounterregale gucken und würden Ihr Destillat mit Honig, Chili und sonstigem Zeug versetzt vorfinden. Der Markt will es und bekommt es und wenn’s schmeckt ist es in Ordnung, da gibt es keine Norm und auch ein für mich widerlicher Asbach Uralt hat in sensorischen Prüfungen hervorragend abgeschnitten, bei mir wird der eckig im Hals, geht nicht runter und trotzdem verlangt der Markt danach.

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