Das Füchschen in Düsseldorf: derbe, Convenience-geschwängerte, aber authentische Volksküche

Dass die Rheinländer kein Bier brauen können, ist ja nun hinlänglich bekannt, und dass sie die missglückten Brauversuche dann in Glasbehältern ausschenken, in denen man in Bayern Urin-Proben abzugeben pflegt, ist ebenfalls offenkundig. Nichtsdestotrotz, wenn es den Reisenden nach Düsseldorf oder – nochmals ungleich schlimmer – nach Köln verschlägt, so kann man entweder seinen Guide Michelin oder Gault Millau zücken, die hiesigen, der Bourgeoisie genehmen und angemessenen Lokale suchen und sodann unter seines Gleichen gepflegt speisen. Oder man wirft sich mitten in’s pralle Leben und tut es den Eingeborenen nach. Um das alte Augustinus-Zitat von  Ambrosius von Mailand zu bemühen: „Si fueris Romae, Romano vivito more! / Si fueris alibi, vivito sicut ibi!” (Epistula 54,2,3). (Wozu schleppt man den humanistischen Bildungs-Ballast denn sonst mit sich herum, als dass man ihn hier und dort in angeberischer Absicht mal unauffällig einstreut?) Und dazu geht man in Düsseldorf zum Beispiel in’s Füchschen, eine der (ich glaube) sechs verbliebenen Altbier-Brauereien in Düsseldorf (daneben gibt’s noch Schlüssel, Schumacher, Uerige, Kürzer und Albrecht; es gibt zwar viel mehr „Alt-Biere“ und „Altbier-Brauerei-Restaurants“ in Düsseldorf, aber hier wird durch die Bank weg nicht mehr in Düsseldorf gebraut, sondern die gehören längst irgendwelchen Food-Konzernen und das Bier kommt sonst wo). Füchschen-Bier hingegen wird seit dem 19. Jahrhundert vor Ort gebraut, genauer in Ratingen, am Rande von Düsseldorfs berüchtigter Altstadt, wo sich tagsüber Touristenströme und konsumtrunkenes Volk durch die Gassen schieben und des Nachts Party-Pack an der angeblich „längsten Theke der Welt“ sämtliche Säue rauslässt, derer es habhaft werden kann. Ein paar Fußminuten abseits liegt das Füchschen, an der Ratinger Straße – „Auf der Ratinger“, wie man hier sagt –, angeblich haben sich hier weiland Gustaf Gründgens, Friedrich Flick, Joseph Beuys und Udo Jürgens die Klinke in die Hand gegeben, und auch heute dominieren deutlich die einheimischen Rheinländer die fast immer rappelvollen Gasträume, während sich in den Kneipen in der unmittelbaren Altstadt – Schiffchen, Schlüssel, Goldener Ring, Uerige, McDonalds – doch eher das Touristen- und Party-Volk rumtreibt und sich lautem Krach, schlechtem Essen und teuren Preisen lammfromm und strohdoof ausnehmen lässt.

Füchschen, Düsseldorf, Ratingen, Killepitsch, Dicke Bohnen, Eisbein, Grünkohl, Reibekuchen, Schweinemett, Altbier, Kartoffelpüree, Convenience

In diesem Füchschen wogt nun gewiss das pralle Leben. Sommers wie winters stehen die Raucher in verqualmten Trauben an Stehtischen vor der Tür auf der Straße, der Eingangsbereich, noch immer mit dem zum Kassenhaus umgebauten Beichtstuhl von Peter König aus den Sechzigern, ist eine Art Schwemme, wo man rasch im Stehen ein paar Alt zischen kann, dahinter die Gastsäle und der überdachte Innenhof, eng bestuhlt mit groben Tischen, Stühlen Bänken, schlechter Luft, leicht säuerlich durch die angrenzende Brauerei, von morgens bis spät nachts proppevoll mit zechenden, fressenden – schlemmenden wäre das falsche Wort –, plappernden, lauthals lachenden, nur selten schweigsam und stumpf vor sich beim Bier hinblickenden (wie man das in Bayern oft sieht), unendlich und nach allen Seiten kommunikativen, ungleich unendlicher (ich weiß, von unendlich gibt es keinen Superlativ) oberflächlichen rheinländischen Menschen. Unaufhörlich schieben sich hier die Köbese in ihren blauen Schürzen und ledernen Geldtaschen über dem Gemächt mit Henkeltabletts voller Gläschen durch die engen Gänge zwischen den eng besetzten Tischen und stellen, wenn das Gläschen vor dem Gast leer ist, stets ungefragt, automatisch ein neues, mit einer bräunlichen, Altbier-genannten gefülltes Urin-Proben-Gefäß vor den Gast und machen mit dicken, noch von Hand gespitzten Bleistiften einen weiteren Strich auf den Deckel. So geht rheinländisches pralles Leben im Füchschen, zu Faschings-Zeiten nochmals ungleich praller. (Ich weiß, dass man am Rhein nicht Fasching sagt, aber ich weiß gerade nicht, wie man Karneval schreibt …)

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Abgesehen von dem – hören wir auf, darauf herumzuhacken – Altbier gibt’s hier traditionelle rheinländische Küche: als Vorspeise Schweinemett mit Zwiebeln und Röggelchen, „Russenei nach ‚Johannas Art‘ (drei halbe Eier, garniert auf Kartoffelsalat mit Remouladensauce und gekochtem Schinken 4, 7, a, c, g , i, j“) oder „Roastbeef mit Remouladensauce und Bratkartoffeln 1, 4, a, c, f, g, j“; als Hauptspeisen dann täglich wechselnde, sättigende, wohlfeile Eintöpfe von Kartoffeln, Linsen, Erbsen, Gemüse, Huhn, Bohnen, daneben „Eisbein mit Sauerkraut und Sahne-Kartoffelpüree 7, a, g, i“, „Sauerbraten „Rheinische Art“ mit Rotkohl, Kartoffelklößen und Apfelmus 2, 8, 10, a, c, i, l“, frischen Grünkohl mit Mettwurst, Kassler oder Gänsefleisch (und ganz ohne hochgestellte Zahlen und Buchstaben in der Speisekarte), „Düsseldorfer Senfrostbraten mit einer Zwiebel-Senfkruste, serviert mit Speckböhnchen und Bratkartoffeln a, g, j“ oder „‘Himmel und Ähd‘ (Sahne-Kartoffelpüree mit Apfelmus und gebratener Blutwurst mit Speck und Zwiebeln 7, i, j)“; nur Dienstagabend gibt’s Reibekuchen (frisch gemacht, nichts aus dem Tiefkühl-Beutel) und Mittwochabend Speckpfannkuchen, da werden Kindheitserinnerungen wach; daneben bietet die Speisekarte natürlich noch vier Spalten voller Allerwelts-Gerichte von Gnocchi, Rösti mit Lachs, Hirschgoulasch (mit den echten rheinländischen Haselnussspätzle, kennt man ja …), Schweinenackensteak bis zum Salatteller mit Putenbruststreifen. Und natürlich – neben Grünkohl – mein Favorite „Dicke Bohnen mit Sahne-Kartoffelpüree und Speck 1, 7, 8, a, g, i, j”.

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Tja, und was soll man nun zu dem Essen sagen? Das Schweinemett und Rinds-Tatar haben hier einen Riesen-Durchsatz und sind immer frisch und gut gewürzt. Die Eintöpfe sind natürlich weitgehend aus vorgefertigten Zutaten gekocht, aber nichtsdestotrotz aus dem großen Kessel so, wie Eintopf vielleicht sein sollte. Das Roastbeef ein gräuliches Trauerspiel mit jämmerlichen Bratkartoffeln und Konservierungsstoff-schwangerer Remoulade. Das Eisbein fleischig, geschmackvoll, das Kartoffelpüree natürlich aus dem Sack. Die dicken Bohnen – ebenfalls TK-Ware – in einer dicken Mehlsoße mit salzigem magerem Speck und wieder Fertig-Kartoffelpüree. Das alles hat bei leibe nichts, aber auch rein gar nichts mit Hochküche zu tun, noch nicht einmal mit gut-bürgerlicher Küche. Das hier ist traditionelle Volksküche. OK, vielleicht kam das Kartoffelpüree vor 100 Jahren noch nicht aus dem Sack und die Dicken Bohnen nicht aus der Tiefkühltruhe, sondern wurden von dürftig bezahlten Hilfskräften in den Tiefen der Küche frisch geputzt und vorbereitet, aber ansonsten deckt sich vieles dieser Gerichte mit den Erzählungen meines Großvaters aus der Zeit des Erstens Weltkrieges, wo er anfänglich in Köln stationiert war und den staunenden Nordhessen daheim dann von ganz komischen Gerichten und Küchensitten alldorten erzählte. Tja, dem Herrn Reinhard D. aus Ich-weiß-nicht-wo, dem wird es wahrscheinlich nicht gefallen, aber zuweilen muss auch sowas mal sein.

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P.S.: Und wenn die fetten Schweinebeine und die Lebensmittel-Zusatz- und –Ergänzungs-Stoffe dann doch zu schwer im Magen liegen, dann gibt’s in Düsseldorf als probates Mittel noch immer den legendären Killepitsch, einen heimischen bitter-süßen Kräuterlikör aus 98 Kräutern, Beeren und Früchten mit 42% Alkohol, der angeblich im Zweiten Weltkrieg in einem Luftschutzbunker während eines Bombardements der neuen Verbündeten entstanden sein soll. Damals soll der spätere „Erfinder“ des Killepitsch, Willi Busch, zu seinem Freund Hans Müller-Schlösser, dem Autor von „Schneider Wibbel“, gesagt haben: „Ech sach dech bloß ens Hans, koome meer he heil erus, dat se ons nit kille, dann brau ech dech ö Schabäuke, do kannste de Zong noh lecke, dann dommer eene pitsche on dä kannste dann von mech us Killepitsch nenne!“ (zitiert nach Thomas Mahjen: „Die Barfibel. Getränke & Marken“, Berlin 2012, S. 371)

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Brauerei und Wirtschaft „Im Füchschen“ Peter König e.K.
Inhaber: Peter König
Ratinger Straße 28
40213 Düsseldorf
Tel: +49 (2 11) 13 74 70
Fax: +49 (2 11) 1 37 47 47
E-Mail: info@fuechschen.de
Online: www.fuechschen.de

 

Hauptgerichte von 8,70 € (Bratwurst mit Kartoffelsalat) bis 16,30 € (Eisbein mit Sauerkraut), Drei-Gänge-Menue von 15,50 € bis 26,40 €

 

Guide Michelin (Booktable): n.a.
Gault Millau: n.a.
Gusto: n.a.
Schlemmer Atlas: n.a.
Feinschmecker: n.a.
Varta: n.a.
Holidaycheck: 5,3 von 6 Sternen (bei 13Bewertungen)
Yelp: 4,0 von 5 Sternen (bei 199 Bewertungen)
Tripadvisor: 4,5 von 5 Punkten (1.267 bei Bewertungen)
Google: 4,3 von 5 Sternen (bei 352 Bewertungen)

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One comment

  1. Reinhard Daab

    Lieber Herr Opl,

    ob mir dies nun gefällt oder auch nicht, spielt letzten Endes keine Rolle. Solche Kneipen gibt es nun mal, außerdem machen die ein Bombengeschäft. So ist das eben heutzutage, aber man muss ja nicht hingehen.!

    Weiterhin möchte ich keinen Blick in die Küche werfen, was glauben Sie, welches Personal dort arbeitet, die Situation im Gastgewerbe ist ausgesprochen schwierig. Jedoch, was solls, die machen auch so ihr Geschäft, daher sind alle Fragen beantwortet.

    Schöne Grüße

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