Brauereigasthof Winkler: Geölte Tagungsmaschinerie auf dem Lande

Summa summarum: Von vorne hübsch anzuschauen, dahinter ein großer, verwinkelter, architektonisch nicht vollends gelungener Hotel- und Tagungskomplex, bar jeder Gemütlichkeit und Authentizität, aber mit hoher, anonymer Funktionalität und ausreichendem Komfort für Tagungen und Feiern, dazu bemühtes bajuwarisierendes Ambiente, oft freundliche Bedienungen, Küche ist 08/15-Massenabfütterung keiner Erwähnung wert, aber leckeres hauseigenes Bier

„Wenn Du in der Gegend bist, musst Du unbedingt mal in den Winkler Bräu. Da habe ich schon vor 50 Jahren als Vertreter immer gegessen, und wenn ich mit Deiner Mutter nach Griesbach oder Füssing zum Kuren gefahren bin, haben wir da auch Station gemacht.“ So und so ähnlich lag mir mein Vater schon lange in den Ohren, immer wenn ich erwähnte, dass ich in der Oberpfalz unterwegs sei. Irgendwann bin ich dann mal auf der Durchreise beim Winkler Bräu vorbei gefahren, kleines Dörfchen bei Velburg, gar nicht mal so hässlich, altes, mittelgroßes, properes Wirtshaus, üppige Blumen vor dem Gebäude und den Sprossenfenstern, grüner Rasen, alte Kastanie, die Zahl 1428 in fetten altdeutschen Lettern an die Hauswand gemalt vermittelt das Gefühl von Tradition, dazu eine offensichtlich solide bajuwarisch-gut-bürgerliche Speisekarte, 4 DEHOGA-Sterne, der erste Eindruck durchaus positiv … Nur war ich damals bereits bei den Meiers in Hilzhofen angemeldet, und es gibt wenig, für das ich ein kulinarisches Wochenende bei Michael (dem Dritten) und Claudia Meier tauschen würde. Jetzt hatte es sich aber begeben, dass ich auf dem Rückweg vom Rennsteig eigentlich bei den Ostermaiers in Helmbrechts schlemmen und schlummern wollte, nur die hatten unerwartet zu. Also, warum nicht den Winkler Bräu mal ausprobieren? (Um die Antwort vorwegzunehmen: weil er ziemlich schlecht ist, deshalb nicht.)

Also flugs beim Winkler Bräu angerufen, Zimmer und Tisch reserviert, statt nach Helmbrechts eben nach Velburg gefahren, der Winkler liegt keine 5 Minuten abseits der A3, und doch halbwegs idyllisch und ruhig. Idyllisch und ruhig … hier zeigt sich der Winkler Bräu als typischer Vertreter der Spezies „Vorne hui, hinten pfui“. Denn hinter dem alten, mittelgroßen, properen Wirtshaus mit üppigen Blumen vor dem Gebäude und den Sprossenfenstern verbirgt sich zuerst einmal ein staubiger, geschotterter, unbegrünter Großparkplatz, der jedem größeren Billig-Shopping-Center hinter der Grenze in Tschechien zur Ehre gereichte. Selbst wenn man über die große Baugrube und die Baumaschinen einmal wegsieht, hier erstreckt sich ein ziemlich beeindruckender Gebäudekomplex aus alten, zum Hotel umgebauten Wirtschaftsbauwerke, Neubauten, in Betrieb befindlicher Brauerei, Wintergarten, Terrasse, Nebengebäuden, das alte, mittelgroße, propere Wirtshaus mit üppigen Blumen vor dem Gebäude und den Sprossenfenstern ist quasi nur der Eingangsbereich, nur die Tarnung eines deutlich weniger schönen, nach und nach aufgebauten Hotel- und Brauereikomplexes mit 148 Zimmern und Suiten, 8 Tagungsräumen und sonstigen Fascilitäten, die so verwinkelt sind, dass jeder Gast zusammen mit dem Schlüssel einen Lageplan erhält. Innendrinnen ist es gepflegt bayrisch, viel Holz, zum Teil echte alte Dielen, Zinnteller, Hirschgeweihe, Ledersessel, Massivholzmöbel, Leinentischdecken, wo die historische Bausubstanz endet wird die Neue gediegen-dezent der Alten angepasst … man bemüht sich um eine gepflegte Atmosphäre und ein authentisches Ambiente, die Servicekräfte tragen dazu Phantasie-Dirndl und -Westen, die mehr mit Disney-Land als mit originaler Oberpfälzer Tracht zu tun haben. Die Tagungsräume sind steril-funktional-beliebig. Die Zimmer sind recht groß, gepflegt, ebenfalls mit massiven Echtholz-Möbeln, Minibar, Flachbildschirm, W-Lan, ordentliche Bäder, ordentliche Matratzen, Schreibtisch, Tresor, Bademäntel, Pflegeartikel, das passt schon alles irgendwie. Neben den verschiedenen altertümlichen, meist aber auf altertümlich gemachten Wirtsstuben gibt es einen überdachten Wintergarten und eine Terrasse. Der SPA-Bereich ist ein fensterloses Kellerloch mit einem Lichtschacht nach oben, einem winzigen Pool, Sauna, ein paar Fitness-Geräten. Was bei dieser Melange herauskommt ist weder gemütlich noch luxuriös, sondern einfach ein Massen-Beherbergungs- und –Verpflegungs-Betrieb auf ordentlichem Niveau. Hier wird durchgeschleust, nicht bewirtet. Und das obwohl die Servicekräfte meistens nett und bemüht sind.

Unter der Woche besteht das Publikum meist aus Tagungsteilnehmern, Anreise am Vorabend oder frühen Vormittag, ganztägige Meetings oder Schulungen, leichtes Lunch, Nachtmittags-Kaffee, abends bayrische Kost als gesetztes Menue oder vom Buffet, danach gemütliches Beisammensein mit den hauseigenen Bieren, Kollegen, Vorgesetzten, Trainern, Beratern (jetzt bloß nicht zu viel trinken!), frühes Frühstück vom Buffet, Fortsetzung der Veranstaltung ab 08:00, spätestens 08:30, Kaffeepause, nochmals leichtes Lunch, Abreise am späteren Nachmittag. Wie oft hab ich solche Veranstaltungen schon mitgemacht, und wie sehr hasse ich sie! Mit dieser Location, diesem Service und diesem Futter kann man sicherlich ein paar saupreußische Sachbearbeiter auf Fortbildung, ein paar rheinländische Mittel-Manager  beim Strategie-Workshop oder ein paar Imperial-Amis auf Hochzeitseinladung sowieso beeindrucken, meine bayrischen Kollegen würden mir einen Satz heiße Ohren verpassen, wenn ich sie zu einer zweitägigen Tagung in den Winkler-Bräu schleppen würde. Aber wenn die mich mal alle ärgern, tue ich‘s vielleicht wirklich (durchaus als Drohung aufzufassen). Zwischen die Tagungsteilnehmer schmuggeln sich noch einige Handlungsreisende und ein paar verirrte, gänzlich deplatzierte Wellness- und Wander-Willige. Am Wochenende scheinen im Winkler Bräu Familienfeiern angesagt zu sein, Hochzeiten, Geburtstage, Jahrestage, sowas halt, dann sieht man auch relativ viele Kinder hier. Dazu gesellen sich Motoradfahrer, auch redliche Ausflügler und wenige Einheimische. Am Nachbartisch unterhalten sich junge Männeraus Velburg , vielleicht um die 25, beim Bier über Konditionen und Laufzeiten von Bausparverträgen und den offensichtlich unvermeidlichen Hausbau. Sagt der eine „2047 ist dann alles abbezahlt, und dann geht das Leben richtig los.“ Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter.

Die Speisekarte sprudelt vor Buzz-Words wie „regional“, „faire Milch“, „umliegende Bäche und Weiher“, „eigenes Jagdrevier“, Handwerk“, „selbstgemacht“ „respektvoller Umgang mit der Schöpfung“, „heimische Bauern“, so weit, so schön, so blubb. Neben dem bajuwarisch-internationalistischem Einerlei von Carpaccio und Tomahaw Kotelette über Schnitzel und Zwiebelrostbraten bis Bauernhofeis und Crème Brûlée finde ich es ausgesprochen erfreulich, dass beim Winkler Bräu gleich neun Braten- und Schmorgerichte auf der Speisekarte stehen, hier geht das wohl, weil man den entsprechenden Durchsatz hat, während diese ansonsten – vielleicht bis auf Schweine- und Sonntagsbraten – immer mehr von den Speisekarten verschwinden und durch einfaches Kurzgebratenes ersetzt werden, und wenn es Bratengerichte gibt, so sind dies oft vorkonfektionierte Einzelportionen, die nur noch erhitzt werden.  Aber die Qualität, die Qualität! Über den Nachmittag gedachte ich mich mit kaltem Braten zu retten, aber der Braten war nicht mehr zu retten; des Abends dann der Vorspeisenteller mit gebeiztem Lachs, geräucherter Entenbrust und Wildschweinschinken einfach nur belanglos, ob aus heimischer Erzeugung oder Metro, völlig egal, einfach geschmacklich nur belanglos, die Kalorien nicht wert; das Kräuter-Rahmsüppchen wuchtig, kräuterig, deutliche Kerbel-Note (ich mag Kerbel nicht sonderlich, aber dazu kann der Winkler ja nichts), insgesamt aber zu fett und versalzen; die Viertel Bauernente warmgehalten, ledernde, nicht resche Haut, faseriges Fleisch, da war man glücklich, dass nur so wenig Fleisch an dem Tierchen dran war, kurzes braunes Allerwelts-Sößchen, dazu halt Kartoffelknödel, der Salat frisch und ordentlich geputzt, leichtes Sommerdressing, nur Blätter nicht klein gezupft, und das alles für 18,20 EURO, was für eine viertel Ende selbst in der Stadt ein stolzer Preis wäre (36,40 EURO für die halbe, 72,80 EURO für die ganze Ente, mein Großvater hätte mich in’s Kreuz geschlagen, hätte er jemals erfahren, was ich für so ein Stück Geflügel ausgebe); ganz kurios schließlich die Schweinehaxe, die war nämlich an zwei Seiten schnurgerade gepresst und mit einem exakten rechten Winkel, ich vermute mal, die war zusammen mit vielen, vielen anderen Schweinshaxen in den Reindl zum warmhalten gestopft … gepresst worden und just meine musste aus der Reindl-Ecke stammen, wobei es schon hohen Druck erfordern dürfte, eine gebratene Schweinshaxe so rechtwinklig hinzubekommen (in Singapur habe ich mal eckige Wassermelonen auf einem Markt gesehen, die züchten die Dinger tatsächlich so, um sie ohne Zwischenräume optimal transportieren und lagern zu können, und bei einer Melone sieht das schon befremdlich genug aus, nochmals ungleich befremdlicher jedoch bei einer Schweinshaxe), aber in erster Linie geht es ja mal um den Geschmack und die Fleischqualität, also, Kruste so hart – hart, nicht resch – dass man sie kaum schneiden konnte, maximal brechen, Fleisch absolut trocken, faserig, dafür nur noch wenig Fett (alles ausgebraten mit der Zeit, nehme ich an), kein Eigengeschmack, aber wirklich leckeres, fettes, aber leckeres Sößchen, die frittierten Kartoffelnocken dazu (Hans-Girgerl geheißen, eine Oberpfälzer Spezialität, die ich natürlich ausprobieren musste) für sich vielleicht ganz interessant, aber zur rechteckigen Schweinshaxe mit fettem, gehaltvollem Sößchen definitiv die falsche Entscheidung (mein Fehler, dazu kann der Winkler auch nichts); die Sorbets zum Dessert halt gefrorene Fertig-Frucht Püreés, nicht die Kalorien wert, ebenso das Gläschen Crème Brûlée. Aber das hauseigene Kupferbier, das ist echt süffig, auch der Obstler aus der Region hilft zuverlässig, das Essen zu überstehen und zu vergessen. Das Frühstück ganz normales 08/15-Hotel-Buffet-Frühstück mit mäßigen Backwaren, mäßiger Wurst, Schinken, Käse, Tetrapack-Säften, wenig unreifem Obst, dem ganzen Cerealien-Zeugs, warmgehalter Eipampe, alles zusammen ein Basst’scho, mehr sicherlich nicht. Das Highlight des Frühstücks allerdings war die Tatsache, dass zwei junge Servicekräfte im Phantasiedirndl hinter dem Buffet standen, schwatzten, mich nach Kräften ignorierten, auch auf meine zaghafte Zeichensprache nicht reagierten, bis ich mir schließlich selber einen Kaffee aus einer neben dem Frühstücksbuffet stehenden frei zugänglichen WMF-Gastro-Maschine holte. Kaum saß ich mit meinem frisch gezapften Kaffee an meinem Platz, kam eine der Ignoranten im Phantasiedirndl angerannt und schnauzte mich am (sie schnauzte, das war weder höflich noch bestimmt, das unverschämtes Schnauzen), ich habe die Finger von dieser Maschine zu lassen, die sei ausschließlich für die Teilnehmer einer Veranstaltung bestimmt, die hernach in dem Raum hinter besagter Maschine stattfinden werde. Als ich ihr sehr ruhig antwortete, sie solle mir jetzt sofort einen weiteren Kaffee oder wahlweise ihren Chef bringen, hatte ich umgehend einen weiteren Kaffee, wobei mir der Chef zum Behufe der unmittelbaren Beschwerde lieber gewesen wäre, so eine freche Landgöre, so eine rotzfreche, zuerst nicht bedienen und dann anschnauzen, man, war ich geladen …

Winkler Bräustüberl GmbH
Geschäftsführer: Gabi und Hanns Konrad Winkler, Georg Böhm
St.-Martin-Straße 6
92355 Velburg/Lengenfeld
Tel.: +49 (91 82) 170
Fax: +49 (91 82) 1 71 10
E-Mail: infowinkler-braeu.de
Internet: www.hotel.winkler-braeu.de

Hauptgerichte von 13,20 € (Kässpätzle mit Salat) bis 25,90 € (Zwiebelrostbraten mit Hans-Girgerl), Drei-Gänge-Menue von 22,30 € bis 46,90 €

Doppelzimmer mit Frühstück (pro Zimmer, pro Nacht) 114 € bis 172 €

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