Berlin 1999, Teil 1

Es war einmal, in der guten alten Zeit …  Am Kudamm gab es das Kranzler noch, in der Bristol-Bar des Kempi trank fröhlich und unverzagt Harald Junke vor sich hin, und alle Köstlichkeiten der freien Welt konnte man mit astronomischen Preisen und durchaus bescheidenen Qualitäten im legendären KaDeWe käuflich erwerben.  Die Stadt wurde geschützt vor allem Unbill der Welt durch eine solide, gute Mauer und einen unwirtlichen Schutzgürtel, schier unerschöpfliche Fördermittel flossen aus der Bonner Republik in diese Insel der Glückseeligen, das faul-feige Drücken vor der Pflicht am Staate war gesellschaftlich en vouge und bescherte der Stadt stetigen Menschenzufluss von Quer- und Nichtdenkern.  Selbstzufrieden beschied man sich damit, ein hoch subventioniertes, nicht wirklich nützliches, doch auch nicht wirklich schädliches Symbol zu sein, Politik war ohnehin abgeschafft in der regierungsfreien Hauptstadt, mit ganz wenigen Ausnahmen gedieh nichts großes, weder intellektuell, noch künstlerisch, noch wirtschaftlich, geschweige denn, kulinarisch.  Futtertechnisch orientierte sich das freie Berlin Jahrzehnte lang weitaus mehr an den Standards des real existierenden Sozialismus denn an den Standards der Haeberlins oder Witzigmanns.  Doch dann kam die Katastrophe, der Schutzwall fiel, statt der Subventionsmilliarden kamen mit einem Male die Beamten und Politiker selber, die bisher nur das Geld überwiesen hatten und forderten von den Berlinern urplötzlich nicht nur ein pay-back, sondern auch noch auf eigenen Füßen zu stehen.  Das war das Ende der Glückseelig- und auch der Beschaulichkeit.  Am Gendarmenmarkt eröffnete eine Lokalität die den Markennamen des legendären Borchardt erworben hatte, und Scharen von Touristen kamen um die Kanzler stattliche, aber durchaus schlechte Schnitzel in enger Atmosphäre essen zu sehen.  Verschreckt von knipsenden Rheinländern zogen sich die Eingeboren und Eingebürgerten nach Kreuzberg zurück, Johannes alias Joschka kannte da einige gute Kneipen, aber erwähnenswert war wirklich keine.  Danach Grenzüberschreitung nach Prenzelberg, kurzer Zwischenstop in den neu erstandenen Hackischen Höfen, bevor die Pauschalreiseveranstalter sie in ihr Standardprogramm aufnahmen, zaghafte, aber erfolglose Vorstöße ins alte Wedding, so hechelt heute das, was in Berlin wichtig und schick sein will durch eine Szene, die sich immer noch nicht gefunden hat.

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top