Summa summarum: Sicherlich keine Bar für Partyvolk, Eimersäufer und Paarungswillige, sondern ein verborgenes, nicht steifes, legeres und doch gepflegtes Refugium für Genießer, die keinen Mainstream zum tausendsten Male reproduziert haben wollen, sondern die neugierig auf Neues, gierig nach Qualität und versessen auf Können sind und die gerne unter sich bleiben wollen.
Mixology, das Magazin für Barkultur, kürte 2013 und 2018 Oliver Ebert von der Berliner Bar Becketts Kopf zum Mixologen des Jahres. Dabei sind Ebert und seine Ehefrau Christina Neves Autodidakten, die 2004 im Prenzlauer Berg die Cocktailbar mit den kryptischen Namen „Becketts Kopf“ eröffneten, mit dem Namenszusatz „Bar zur Verfeinerung der Sinne“, quasi ein provokanter Gegenentwurf zur Trash-„Kultur“ des angehenden neuen Jahrtausends. Marketing und Werbung waren nie das Ding von Neves und Ebert, ebenso wenig wie Mainstream und Standards. Unter der Überschrift „Wie eine Tankstelle, die nur Diesel anbietet.“ schreibt eine empörte anonyme Person unter dem Pseudonym „Press Member“ am 27. März 2017 auf der Internetplattform des kompetenzbefreiten kollektiven kulinarischen Klatsches (vulgo tripadvisor): „Ich finde, eine Bar muss ihren Gästen die Spirituosen anbieten, die Common Use sind. … Sowas wie Nüsse und so gibt’s hier leider nicht.“ Kostenlose Nüsslein gibt es in der Tat ebenso wenig in Becketts Kopf wie Bacardi Rum, Sex on the Beach und Eimersaufen (böser, böser Becketts Kopf), selbst mit Karte kann man nicht zahlen, nur Bares. Leute wie Press Member sind gewiss hier fehl am Platze, die sind am Ballermann & Co. weitaus besser aufgehoben, der entspricht dieser Art von Erwartungshaltung und Horizont weitaus mehr. Becketts Kopf ist da ganz anders gestrickt, hier wird nicht zur Besucher- und Profitoptimierung rausgehauen, was das Gros des zahlungskräftigen Partyvolks erwartet, hier machen zwei Leute seit 15 Jahren ihr Ding, 7 Tage die Woche, von 19:00 bis 02:00 Uhr, take it or leave it, der Erfolg gibt ihnen Recht, viele Leute, Connaisseurs und Connaisseusen, taken it, der Rest möge es getrost leaven. Und leaven tun viele, freiwillig oder unfreiwillig. Partyvolk und Laufpublikum ist ohnehin kaum unterwegs in der Pappelallee in Prenzelberg, man muss schon wissen, was man hier sucht, auch von außen gibt sich Becketts Kopf unauffällig, keine große Reklame, keine Schilder, kein Neon, nur ein Photo des Kopfes des Namensgebers im Fenster, sonst nichts, die Tür ist verschlossen, man muss klingeln, um Einlass zu finden, (alles erinnert schon recht stark – gewollt oder ungewollt, ich meine, eher gewollt – an die bei Tage unsichtbare und auch ansonsten nur für Eingeweihte sichtbare Türe zum Magischen Theater in Hesses „Steppenwolf“: „Heut nacht von vier Uhr an magisches Theater – nur für Verrückte …“), nach 21:00 Uhr findet man ohne Reservierung nur mit viel Glück Einlass, meistens ist es voll, wobei die Macher penibel darauf achten, dass es nicht rappelvoll wird, die Atmosphäre bleibt entspannt, hier wird nicht Jeder auf Umsatz-Optimierungs-Teufel-komm-raus reingelassen. Das Licht ist gedämpft bis düster, die Möbel bequem, man sitzt entspannt, es gibt einen Raucher- und einen Nichtraucher-Bereich, 100 Leute passen hier nicht rein, eher 50, so ist die Stimmung mehr familiär-vertraut, es scheint viele persönlich bekannte Stammgäste zu geben, insgesamt ist das Publikum zwar jünger, aber nicht hippes Partyvolk, sondern eher – wie gesagt – angehende ebenso wie gestandene Connaisseurs und Connaisseusen. Und die sind hier genau richtig, denn Bacardi Rum, aber auch Tanqueray No. Ten, Jonny Walker Blue Label, Scappa oder Hennessy XO, all diese bekannten und auch irgendwie lieb gewonnen Premium-Marken der Spirituosen-Multis gibt es in Becketts Kopf nicht. Stattdessen werden rare, qualitativ hochwertige, fast immer unbekannte Produkte kleiner und kleinster Sprit-Manufakturen aus aller Welt angeboten, Freimeisterkollektiv Gin by Thomas Neubert mit 48%, Tequila Blanco artesanal von Herencia Mexicana, Kräuterlikör aus dem Kloster St. Ottilien, einen 7 Jahre alten Single Malt Whiskey von Glendalough, Weißer Rum aus der Japanischen Nine Leaves Brennerei, Blanche de Fougerolle Absinth von der Französischen Familien-Brennerei Devoille mit 74%, solche Sachen halt, die kaum jemand kennt, die Neves und Ebert aber konsequent suchen … und finden. Die meisten dieser Flaschen kosten schon im Einkauf das Doppelte oder mehr herkömmlicher Mix-Spirituosen. Auch mit Limetten arbeitet man hier nicht, alldieweil man sie nicht in für Neves und Ebert hinlänglicher Qualität in Deutschland bekommt, statt dessen mixen sie mit Zitronen, von denen sie jede Woche eine Kiste frisch aus Mallorca bekommen, oder mit Verjus, mit Verbene und anderen Kräutlein und Säftlein. Natürlich gibt es viele Bar-Klassiker (aber keinen Muschiöffner, Cocktails mit unanständigen Namen bietet man in Becketts Kopf konsequent nicht an), dazu alte, vergessene Cocktails aus den 20er und 30er Jahren, aber auch Eigenkreationen wie den Hispanola Buccaneer, ein – ich muss es so schreiben – monströses, komplexes Geschmackserlebnis, das jemanden wie mich an seine sensorischen Grenzen bringt, aus weißem Haitianischen Rum, süßem Sherry, Kaffeegeist, Verjus, einem imperialen Bitter und Salbeispray, und das Ganze dann völlig unprätentiös ohne jede Garnitur oder sonstige Aufmachung serviert, denn dieser Drink spricht alleine hinlänglich für sich: uff. Handwerklich perfekt mein Lackmustest jeder Bar, mein extra trockener Martini Cocktail, nur gewaschenes Bareis, gerührt, nicht geschüttelt, Lemontwist, keine Olive. Olive würde hier auch schwierig, denn in Becketts Kopf serviert man den Martini Cocktail in einer kleinen, runden Phiole, die in einem Glas mit Eis steht/schwimmt und aus der man in drei oder vier Portionen seinen Martini in ein klassisches, filigranes, kleines Likörglas gießt. Nun gut, kann man so machen, muss man aber nicht, mir reicht mein Martini in einer normalen, dickwandigen, gefrosteten Cocktailschale vollkommen. Und der Freimeisterkollektiv Gin by Thomas Neubert ist tatsächlich nicht so mein Ding, trotz seiner 48% kommt er reichlich flach daher, eine deutlichere Wachholdernote wäre sicherlich hilfreich; die bietet dann, zusammen mit viel Zitrus, beim zweiten Martini an diesem Abend der Berlin Dry Gin KPM Edition, der natürlich nur bedingt mit der Porzellan Manufaktur zu tun hat und eigentlich aus dem Hause Schroff und Stahl stammt, also eine Art Premium-Version des altbekannten Adler Gins. Und trotz alledem sind die Cocktailpreise zwischen 10 und 15 EURO in Becketts Kopf eher moderat (selbst wenn es keine kostenlosen Nüsslein gibt – aber dafür kostenloses Wasser zu jedem Drink).
Becketts Kopf
Oliver Ebert und Cristina Neves GbR
Pappelallee 64
10437 Berlin, Prenzlauer Berg
Tel.: +49 (30) 4 40 358 80
E-Mail: info@becketts-kopf.de
Web: www.becketts-kopf.de