Summa summarum: echte, unverfälschte Schweizer Beiz mit sehr bodenständigem, aber authentischem Essen, süffigem Bier und historisch-gemütlichem Ambiente mitten in bester Innenstadtlage
Wenn man auch und bewusst die unteren Gefilde der Gastronomie zuweilen einer Beachtung und Kritik würdigt, so kann man wahrlich nicht schreiben, dass unverhofft oft käme, aber zuweilen kommt es eben doch. Also, wenn ich betriebswirtschaftlich denkender, Profit-besessener, Raubtier-Kapitalismus-geprägter Eigentümer der hübschen Fachwerk-Immobilie Schmiedgasse 30 in der südlichen St. Galler Altstadt wäre, ich hätte in dieser ziemlich idealen Fußgängerzonen-Lage längst einen McKotz oder ein hochpreisiges Touristen-Nepp-Lokal installiert. Haben die Eigentümer aber nicht. Statt dessen findet sich dort wie seit Jahr und Tag – wenigstens seit 1894 urkundlich belegt – eine Beiz, ein traditionelles, robustes Schweizer Bierlokal mit verschiedenen Alias-Namen, die offensichtlich alle miteinander den einheimischen St. Gallern geläufig sind: Goldener Löwe alias Zum goldenen Leuen alias National alias Naz (in Gutmenschistan, diesem kleinen rückständige Land am Rande der Geschichte mit verblödeten Bewohnern, hätte sich gewiss bereits eine Bürgerinitiative gebildet, die die Bezeichnung „Naz“ aufgrund zu großer sprachlicher Nähe zu „Nazi“ mit Hilfe von Lichterketten und angegliederten Steinewerfern wegterrorisieren würde, aber die Schweiz ist im Gegensatz dazu noch ein freies Land).
Den letzten Wirtewechsel von Walter Tobler zu Stefan und Christine Schmidhauser verbunden mit einer Renovierung im Sommer 2018 hat das Naz unbeschadet überstanden, der grobe Holzfußboden ist neu und die Küche, ansonsten sieht alles eigentlich aus wie immer, Kastenholz-verkleidete Wände, blanke Tische und einfache Wirtshaus-Stühle, ein paar naive Malereien mit Szenen aus dem St. Galler Leben, einige alte Bilder, ein paar Blümchen, sonst kein Deko-Kitsch und keine künstlich historizierenden Reminiszenzen, auch die Bedienungen tragen Jeans und nicht etwa Dirndl-Derivat und Lederhose, das Naz muss weder auf alt noch auf schweizerisch getrimmt werden, das Naz ist tatsächlich alt und schweizerisch … und authentisch. Das Bier stammt von der Huus-Braui vom Alt-Wirt Walter Tobler aus dem nahen Roggenwill, dazu ein paar überteuerte internationale Mode-Biere aus der Flasche, die Speisekarte ist sehr – sagen wir – robust und sehr typisch schweizerisch, internationalistische Kniefälle wie Burger, Flammenkuchen und Rice-Bowls fehlen komplett. Danke dafür. Natürlich gibt es unverändert die original Chäschüechli, für die das Naz in St. Gallen legendär ist, ein knuspriges Gebäck mit einer Füllung aus drei verschiedenen Käsen, verfeinert mit Rahm und abgeschmeckt mit verschiedenen Gewürzen, eigentlich eine käsige Variante der Lissaboner Patéis de Nata. Zum Bier gibt es Biertapas, etwa Siefleischsalat, Roastbeef oder frisch geröstete Rote Beete Spalten (hier Randen geheißen) mit Frischkäse und frisch geriebenem Meerrettich, dazu ein paar Salate, weinige Hauptgerichte wie Rindfleischvogel (die Schweizer Schreibweise für Roulade), Käse Hörnli mit Röstzwiebeln und Apfelmus (man muss wohl Schweizer sein, um das zu mögen) oder Weißwürste, dazu noch ein wechselndes Tagesgericht aus Teigwaren, eine Suppe und ein paar Nachspeisen. 16 EURO für einen Teller Nudeln oder 9 EURO für einen Teller Suppe, und das in einer betont einfachen Gaststätte, nicht etwa einem Sterne-Lokal, das kommt dem normal verdienenden Deutschen teuer, sehr teuer vor, aber wenn man die sonstigen Schweizer Preise und Zustände kennt, dann muss man sagen, das ist recht wohlfeil für hiesige Verhältnisse, hier jammert auch niemand über eine Pizza für umgerechnet 30 EURO – wohlgemerkt ohne Trüffel und Kaviar drauf.
Das Essen im Naz ist – sagen wir – derb-authentisch, die Würzungen sind sehr deutlich, die Nudeln zu weich, die Salate frisch und gut geputzt, die Dressings unspektakulär, die Käse in den Chäschüechli wirklich hervorragend, der selbst gemachte Kartoffelsalat ein Gedicht, wenngleich ein Einfaches, die knackigen Wiener mit deutlichem Rauchgeschmack stammen von einem guten, nicht von einem billigen Metzger, die Gerstensuppe könnte auch frisch aus einem Suppenkessel über dem offenen Feuer auf einer Alm geschöpft sein, allerdings sollte man vorher besser zu Fuß auf diese Alm den Berg hinauf gelaufen sein und nicht durch eine flache Fußgängerzone geschlendert, so gehaltvoll ist diese Suppe, die Röstzwiebeln über den Käsenudeln mit hervorragendem geschmolzenem Käse sind frisch geröstet, … Das ist unverfälschte, unprätentiöse, ehrliche Schweizer Volksküche, und das reichlich schmausende heimische Publikum – ich würde sagen, vom Studenten und Arbeiter über Handwerker und Richter bis zum Rentner ist hier jede Bevölkerungsschicht einträchtig bei Bier und Speis vertreten – gibt diesem Eindruck mehr als Recht.
NAZ
National – Zum goldenen Leuen
Stefan Schmidhauser
Schmiedgasse 30
9004 St.Gallen
Schweiz
Tel.: +41 (71) 2 22 02 62
Email: info@naz.sg
Online: http://naz.sg/
Hauptgerichte von 16,00 CHF (Käse Hörnli mit Röstzwiebeln) bis 27,50 CHF (Große Portion Tatar), Drei-Gänge-Menue 31,50 CHF bis 48,00 CHF