Auf der Suche nach der Deutschen Gastronomie: IX. Atlantic Kempinski in Hamburg

Tag 4: Celle – Hamburg, 130 Kilometer, 2,5 Stunden Fahrtzeit, Übernachtung im Atlantic Kempinski, Mittagsimbiss in Gretchens Villa, Abendessen im Opitz


Irgendwo hatte ich gelesen „Wiedereröffnung nach der Renovierung“. In die Jahre gekommen war es ja, das alt-ehrwürdige Atlantic Kempinski in Hamburg, zum Schluss drohte sogar der Verlust der fünf Dehoga-Sterne – lachhaft, wenn man sich anschaut, welche Kaschemmen diese fünf Sterne heute hinterhergeworfen bekommen. Jetzt haben die Königs tief in die Taschen gegriffen und eine behutsame, aber komplette Rundumerneuerung spendiert – was bei Hotels im Gegensatz zu abgehalfterten Rockstars ja funktioniert. Dennoch bin ich einer Falschmeldung aufgesessen: „Wiedereröffnung“: ja, „nach der Renovierung“: nein, denn die Renovierung ist noch in vollem Gange, wir kommen auf eine unwirtliche, mühsam, irgendwie, mehr schlecht als recht in Betrieb genommene Großbaustelle. Als wir auf dem Holzdamm vor dem Haupteingang des Atlantic vorfahren … fahren wir erstmal weiter, denn der Haupteingang ist verrammelt und verhangen von Bauarbeitern, die Parkbuchten und das Trottoire zugeparkt von Handwerker-Kleinlastern, die meisten davon mit osteuropäischen Kennzeichen. Also flugs einmal um den Block gefahren, denn als Hotel-Entrée dient dieser Tage der weiter vorne gelegene Eingang zu den legendären Ballsälen des Atlantic. Vor dieser Tür steht zwar das obligatorische Pult der Doormen, aber das ist verwaist, weit und breit keine livrierten dienstbare Geister, die die Wagentüre öffnen, den Gast begrüßen (der berühmte erste Eindruck), sich um’s Gepäck kümmern, die Hoteltüre aufhalten, den Wagen parken … nix, nada, niemand, tote Hose. Also den Wagen in zweiter Reihe geparkt (Parkbucht für anreisende Gäste ist trotz einschlägiger Schilder auch keine frei, da stehen ein paar protzige getunte Benze, ich will ja nichts sagen, aber auch mit osteuropäischen Nummernschildern), innen erwartet den Gast statt einer Hotelhalle mit obligatorischem Blumenbouquet ein kahler Flur, die Garderoben bei den Ballsälen sind zur provisorischen Rezeption umfunktioniert worden, ein Ami-Pärchen hat einen Rezeptionisten mit Beschlag gelegt – keine Spur von einem Concierge – und lässt sich in aller Ausführlichkeit und Detailliertheit die Geschichte, den Stadtplan, die öffentlichen Verkehrsmittel, die Sehenswürdigkeiten und die Restaurants Hamburgs erklären, eine zweite Rezeptionistin tackert und stiert stur ihn ihren Computer, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, ansonsten ist es empfindlich kühl, besonders beim längeren Rumstehen und Warten: so geht Empfang in einem Spitzenhotel für über 300 EURO pro Zimmer und Nacht. Irgendwann würdigt die tackernd Stierende mich dann doch eines Blickes und fragt nach meinem Begehr. Zimmer begehre ich, und einen ausgeladenen, geparkten Wagen entgegne ich.  Ausladen lassen könne sie meinen Wagen, doch parkten müsste ich ihn schon selber, das sei so wegen des Virus, fügt sie fast verschwörerisch hinzu.  Also eingecheckt, einen Pagen das Auto entladen und das Gepäck auf’s Zimmer bringen lassen, nochmals selber um den Block gefahren, in die Parkhäuser des Atlantic auf der Rückseite des Gebäudekomplexes an der Alstertwiete: meine Fresse, hier stellen die seit Jahrzehnten meine Autos für viel Geld ab? Die Parkhäuser des Atlantic sind heruntergekommene, verdreckte, baufällige Betonbauten mit mega-engen Auf- und Abfahrten, vielleicht weiland – als die Bauten neu waren – für VW-Käfer dimensioniert, aber nicht für moderne SUVs, der alte bröckelnde Beton wird wahrscheinlich nur noch von Ölflecken, Dreck, Rost und wucherndem Efeu zusammengehalten, bei aller Baufälligkeit, wenigstens fegen hätte man ja wohl mal können, in solche Dreckslöcher kann ich doch nicht ohne Not Hotelgäste schicken, soviel Schamgefühl sollte dann doch noch sein. Viel schöner wird der Weg durch’s Hotel zum Zimmer dann auch nicht, überall schwere, dreckige Plastikplanen, schnell aufgebaute weiße Pressspanwände zur Abtrennung, dahinter hämmert’s, staubt’s, lärmt’s und stinkt’s, Kabel über die Böden, statt der Creme der Gesellschaft gibt sich das arbeitende Volk ein lautstarkes Stelldichein, wie viel zahle ich doch gleich für dieses Leben auf der Baustelle? Zugegeben, die renovierten Zimmer sind hübsch geworden, frische Teppichböden, Marmorbäder, sehr gute Matratzen und Bettwäsche, schwere Vorhänge, Schallschutzfenster, state-of-the-art Unterhaltungselektronik  mit Flachbildfernseher und iPod Docking-Station, Tresore in Laptopgröße, endlich diese verfluchten Kapsel-Kaffe-Maschinen (ihre Erfinder, Hersteller, Händler, Werbeikonen und Nutzer mögen in der Hölle schmoren!) , individuelle Möblierung … aber dennoch: SPA und Pool zu, die Halle leergeräumt und zugehangen, die legendäre Atlantic Bar hin zum Innenhof wegen eines Wasserschadens geschlossen, das Restaurant Atlantic nicht geöffnet, kulinarischer Notbetrieb im Alstersalon, Barkeeper kommt erst um 18:00 Uhr und Lehrling kann leider keine Martini Cocktails mixen, Frühstück in zwei kahlen, eisig kalten Ballsälen … Klar, jedes Hotel muss mal general-überholt werden, und klar, wenn man es sich nicht leisten kann, den ganzen Laden während der Renovierung komplett zu schließen (aber wer kann das schon?), muss der Betrieb hat irgendwie weiter laufen. Aber dann sollte man keine Meldungen wie „Wiedereröffnung nach der Renovierung“ in die Welt setzen, und vor allem sollte man Gäste, zumal namentlich bekannte Stammgäste bei der Buchung geflissentlich darauf hinweisen, dass die Qualitätsstandards nicht ganz den üblichen Gepflogenheiten entsprechen, statt sie in’s offene Messer bzw. in den offenen Farbeimer laufen zu lassen. Grummel-groll.


Hotel Atlantic Kempinski Hamburg
An der Alster 72-79
D-20099 Hamburg
Tel: +49 (40) 2 88 80
Fax: +49 (40) 2 88 88 52
E-Mail: hotel.atlantic@kempinski.com
Online: www.kempinski.com/hamburg

DZ Ü/F 240 € bis 440 € (pro Doppelzimmer mit Frühstück pro Nacht, Suiten deutliche teurer)

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