Von Lindau im Bodensee bin ich am Abbruch des Rheintals nach Süden, in die Berge gefahren, gefrühstückt in Altstätten, dann immer auf kleinen Nebensträßchen – Jeep sei Dank – vor dem Hohen Kasten Richtung Westen nach Gais, Urnäsch, vorbei am Kronberg und der Hochalp, Hemberg, Wattwil, Mosnang, beim Hörnli und Grat die letzten Skifahrer und die ersten Wanderer gesehen, Fischingen, endlich dort das berühmte Benediktinerkloster besucht, an dem ich seit Jahrzehnten immer auf der 1er Autobahn auf dem Weg nach Zürich vorbeifahre, in der wunderschönen barocken St. Idda Kapelle neben echten Benediktiner-Mönchen gebetet, dann nach Weisslingen, in Kyburg das alte Landvogteischloss der Stadt Zürich angeschaut, schließlich bis nach Winterthur – eine herrlich Strecke quer durch’s Appenzeller Land, man kann die Tour in dreieinhalb Stunden schaffen, sagt Navi, man kann aber auch die doppelte Zeit und mehr brauchen, wenn man sich neugierig auf Umwege einlässt, hier ein wenig schaut und dort ein wenig verweilt.
Essen, das hat sich als so eine Sache auf der Tour erwiesen, zwar liegen etliche propere Schweizer Gasthäuser an der Strecke, aber entweder Sonntags geschlossen, oder ausgebucht bis auf den letzten Platz, oder voll mit Familienfeiern, oder authentische thailändisch-schweizerische Küche (was immer das auch sein mag), oder Züricher Geschnetzeltes mit Röstinchen auf der Karte, oder Betriebsferien, kurzum, es ist nicht einfach, ohne einiges Suchen einen passendes Etablissement zum Mittagessen zu finden … bis man nach Russikon gelangt, dort liegt vis-à-vis der Dorfkirsche das Gasthaus Krone, ein altes, langes, zweistöckiges Haus mit vielen Fenstern, sogar die Straße heißt Kronen-Weg, das mag von der Bedeutung des Wirtshauses für den Ort zeugen, hinter dem Haus noch Traktoren und Gerät für die eigene Landwirtschaft im Nebengebäude, „Kegelbahn“ steht auf einem Schild an der Hauswand, „Zimmer-Chambres-Rooms-Coca-Cola“ auf einem anderen, eine markante rot-gelbe Tafel mit der Aufschrift „Relais Routiers“ verkündet, dass Berufskraftfahrer hier willkommen sind und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis erwarten können, vor dem Haus ausschließlich einheimische Wagen, hier verirrt sich – außer mir – kein Tourist her, hier sind die Schweizer noch unter sich und pflegen – hoffentlich – ihre traditionelle, traditionell gute Küche. Das macht alles einen sehr guten Eindruck. Die Gaststube ist ganz mit Holz getäfelt, ein mächtiger gemauerter Ofen von 1854 mit grünen Kacheln gleich am Eingang, dahinter eine einfache Theke mir Durchgang zur Küche, blanke Tische, große Maggi-Fondor-Streuer und Knorr-Suppenwürze-Fläschchen darauf, Männer mit Bärten sitzen an einem Ecktisch, trinken heimischen Wein und diskutieren verhalten, ich verstehe kein Wort von dem Schweizer Dialekt, so, wie die aussehen, waren die gewiss schon beim Rütli-Schwur selber mit dabei, ich frage die Bedienung im grauen Rock, ob ich mit Karte zahlen und – in Ermangelung einer Speisekarte vor dem Hause, eine wirklich ärgerliche Unsitte auf dem Schweizer Lande, in den Städten gibt’s meist eine Speisekarte draußen, auf dem Lande oft nicht – einen Blick in die Speisekarte werfen könne , sie entgegnet mir freundlich ebenfalls in breitestem Schweizer Idiom, ich möge bitte nicht so schnell sprechen, mit dem Verständnis des Hochdeutschen habe sie so ihre Schwierigkeiten, aber irgendwie kommen wir dann kommunikativ zusammen. Es gibt Crevettencocktail (was auf 1.000 Meter Seehöhe eigentlich ein Warnsignal sein sollte), Salate, Suppen mit Ei oder mit Mark, allerlei Kurzgebratenes von Schwein, Kalb und Rind (vieles Getier vom eigenen Hof, sagt die Karte), dazu kleine Speisen und Brotzeiten. Vorspeisen und Suppen von 5 bis 10 CHF, Hauptspeisen von 20 bis knapp 40 CHF, Brotzeiten von 10 bis 20 CHF, das klingt teuer, zumal für ein Dorfgasthaus, aber für Schweizer Verhältnisse muss man sagen, dass das richtig wohlfeil ist. Die Bedienung, eine vielleicht sechzigjährige, stämmige Frau – Dame wäre der falsche Ausdruck – ist phänomenal freundlich und ich habe den Eindruck, als Exot und Fremder werde ich nochmals flotter als die Einheimischen bedient, die – meist als Familien – zuhauf in das Lokal strömen, um 12:30 Uhr sind alle Tische proppenvoll besetzt und der Laden brummt förmlich.
Ich ordere Boullion mit Ei, Nüssleinsalat – eine traditionelle Vorspeise in der Schweiz – mit gebratenen Champignons, dann ein Geschnetzeltes vom Kalb, das sich noch nicht einmal „Zürcher“ nennt, sondern einfach nur unprätentiös Geschnetzeltes, dazu – natürlich – Rösti. Was dann kommt, ist denkwürdig. Brot: frisch, weiß, knusprig, vom Bäcker – – – da kann sich so mancher ein Beispiel nehmen! Suppe: ich kenne es ja, dass man einen Löffel gekörnte Brühe in einen halben Liter Wasser kippt, um eine schnelle Suppe zu erhalten; hier hat wohl jemand einen Löffel Wasser in einen halben Liter gekörnte Brühe gekippt – – – vollkommen künstlich, versalzen, überwürzt, ungenießbar, selbst als Suppenliebhaber und Gast in eine anderen Land. Nüssleinsalat mit gebratenen Champignons: Salat selber sagenhaft frisch, geschmackvoll und knackig, gewiss keine holländische Treibhausware, aber gänzlich ungeputzt, Erde an den Wurzeln, dazu gelbe Blätter, die Salatsauce eine saure, versalzene, dünne Mager-Joghurt-Flüssigkeit, die gebratenen Champignons vorgeschnittene, eingelegte Ware aus der großen Dose, kurz scharf angebraten und – guess what – versalzen – – – schwer genießbar, aber mit dem leckeren Brot zwingt’s der Hunger rein. Kalbsgeschnetzeltes mit Rösti: geniale Rösti zum Niederknien, allein diese Rösti macht alle Fährnisse dieses Mittagstisches wett, außen knusprig, innen kartoffelig-dampfend, insgesamt butterig, nicht versalzen, genial, das Geschnetzelte dazu wieder sagenhaft gute Kalbfleisch-Streifen, die Sahnesauce künstlich bis zum Geht-nicht-mehr, Geschmacksverstärker, synthetische Saucenbasis, fette Sahne, ein dicker Klecks Sprühsahne noch oben drauf, zwei Körner grünen Pfeffers, dicke Zwiebelstücke, wieder die Champignon-Scheiben aus der Dose, dazu ein ganz dezenter Fisch-Geschmack, ich vermute, zwei, drei Gerichte vorher wurde in der Pfanne Fisch gebraten, natürlich versalzen – – – ich versuche, möglichst viel von der Rösti mit möglichst wenig von diesem Schnetzel-Verbrechen zu erhaschen.
Derweil ich esse, leide, grantle und meine freundlichen Schweizer Gastgeber schlecht mache ist der Laden bis auf den letzten Platz besetzt, offensichtlich einheimische Familien, bei denen an diesem Sonntag die Küche kalt ist, da wird geordert, geschwätzt, gelacht, gespachtelt, getrunken bis die Schwarte kracht, und das ist ja auch Recht so. Der Service hat alle Hände voll zu tun, alles läuft wie am Schnürchen, bald hat jeder, vom Kind – hier auf dem Dorfe gibt es noch reichlich Kinder, wie schön! – bis zum Greis dampfende Teller vor sich stehen, und allen scheint’s königlich zu munden, außer den meinen sehe ich keine Teller, die halbvoll in die Küche zurück gingen. Und das ist gerade mein Problem: ich bin Gast in diesem Lande, den Einheimischen schmeckt’s trefflich, ich vermute nicht, dass man gerade mir andere, schlechte, boshaft versalzene Speisen vorgesetzt hat, und doch geht es hier nicht um kulinarischen Schnickschnack wie einer etwas zu dominanten Curry-Note in einer Mulligatawny-Suppe, hier geht’s um den kriminellen Einsatz von Brühwürfeln, Dosenchampignons, dreckigen Salat und Salzfass-Orgien: was schreibt man da? Am besten wohl doch die Wahrheit.
Landgasthof zur Krone
Familie A. & P. Weber
Kronenweg 2
CH – 8332 Russikon
Kanton Zürich
Tel.: +41 (44) 954 01 35
Fax: +41 (44) 954 00 33
Email: —
Internet: http://www.landgasthof-krone.ch
Hauptgerichte von 17 CHF (Geschnetzeltes Schweinefleisch mit Brot) bis 38 CHF € (Rinderfiletsteak mit Mark und Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 29,50 CHF bis 56,50 CHF
DZ Ü/F 140 CHF (pro Zimmer, pro Nacht)