Gespräch mit einer Hure

Ich bin auf dem Weg zu Caro nach Frankfurt, wir wollen ein verlängertes Wochenende zusammen verbringen. Es ist der erste schöne Frühlingstag Anfang April, ich fahre gemächlich mit offenem Dach über kleine Landsträßchen und genieße die Fahrt einfach. Bei Marburg klingelt das Telephon, es ist Caro: „Du, ich sitze in Lissabon fest. Ich wollte schon längst in der Luft sein, aber hier stürmt’s wie’d Sau, keine Chance, zu starten, frühestens morgen früh.“ „Menno“, sage ich. „Wo bist Du?“ „Höhe Marburg, in eineinhalb, zwei Stunden sollte ich in Frankfurt sein.“ „Ich habe meine Sekretärin angerufen, sie wartet in der Kanzlei auf Dich und gibt Dir die Wohnungsschlüssel. Du kannst es Dir ja schon mal ohne mich gemütlich machen. Ich nehme mir jetzt am Flughafen ein Zimmer. Der Flugbetrieb hier beginnt um fünf, wenn ich gleich starten kann, sollte ich mit viel Glück und ohne Gegenwind gegen acht in Frankfurt landen. Ich muss dann noch die Maschine abstellen, den Papierkram erledigen, halb Zehn, Zehn sollte ich zuhause sein. Ich bringe Brötchen und Wurst mit, schmeiß Du dann schonmal die Kaffeemaschine an. Oder soll ich Dich wachküssen, mein Prinzchen?“ „Grummliges Prinzchen“, entgegne ich enttäuscht, ich hatte mich so auf den Abend mit Caro gefreut. „Bis morgen früh. Du kannst Dich ja mit meiner Hausbar trösten.“ „Guten Flug wünsche ich Dir.“

Ärgerlich fahre ich weiter, einen Abend alleine in einer fremden Wohnung, aber immerhin mit einer phantastisch ausgestatteten Hausbar. Da fällt mir ein, Caros Kühlschrank ist chronisch leer, ebenso wie mein Bauch, eigentlich wollten wir zusammen zu dem ruppigen Franzosen in Sachsenhausen am Main beim Eisernen Steg. Später in Caros Kanzlei gibt mir ihre Sekretärin die Schlüssel zum Penthouse und zur Tiefgarage. „Ach übrigens“, sagt sie, „den Tisch im Maaschanz für heute Abend habe ich wieder abbestellt, wenn die Chefin nicht da ist. Ich habe stattdessen für Morgen achtzehn Uhr reserviert.“ „Danke für nichts“, denke ich mir, „jetzt habe ich noch ein Futter-Problem.“ In Caros Wohnung schmeiße ich meine Tasche in die Ecke, mixe ich mir einen Martini, setze mich auf die Terrasse, zünde mir eine Zigarre an, nippe an meinem Drink, blicke über die Stadt und überlege, was ich mit dem versauten Abend anfange. Auf Lieferservice habe ich keine Lust, alleine weggehen eigentlich auch nicht, ich war mental auf Caro und Zweisamkeit eingestellt. Da fällt mir Caros Erzählung von ihrem Diedder wieder ein, mit dem sie in einer Kneipe war, in der vorwiegend Hotel- und Gastromitarbeiter verkehren, vorwiegend spät nachts, nach Dienstschluss. Der Schuppen hatte mich damals schon interessiert, doch Caro weigert sich stur, mit mir dort hinzugehen, wohl aus Angst, sie könnte ihren Diedder wiedertreffen. Coventry Pub hieß der Schuppen, an der Kurt-Schumacher-Straße, und es solle gute Currywurst mit Pommes geben, erinnere ich mich. Kurz gegoogelt, 30 Minuten zu Fuß oder zehn mit dem Taxi. Auf einen abendlichen Fußmarsch durch diese verkommene Stadt – „Zombieland“ hatte die britische Sun jüngst das hiesige Bahnhofsviertel genannt und ausdrücklich vor dem Betreten gewarnt, und viele andere Ecken sind auch nicht viel besser – habe ich keine Lust, also flugs ein Taxi geordert und in’s Coventry Pub gefahren. Tatsächlich eine abgefahrene Location, ganz wie Caro sie beschrieben hatte, eigentlich mehr ein an die Häuserwände geklebter Schuppen mit Schnellimbiss, zum Trottoire raus gibt es eine Ausgabe-Theke und ein paar Stehtische, dahinter eine traditionelle alte Frittenbuden-Küche, noch ohne Dönerspieß, sondern wie früher, mit großen, stets blubbernden Fritteusen. Innendrinnen ist es größer als vermutet, richtige Pub-Atmosphäre, riesen Theke mit beachtlicher Spirituosen-Auswahl, Guinness vom Fass, Frittenfett-Gestank, aber trotzdem irgendwie gemütlich. Es ist wohl noch zu früh für die Gastro-und Hotelmitarbeiter, das Lokal ist fast leer, ein paar alte Männer spielen an einem Tisch Karten, trinken Bier, an der Theke sitzen vier schweigende Gestalten und starren auf ihr Glas. Ich geselle mich zu ihnen, setze mich an’s Eck, damit ich das Treiben im Gastraum beobachten kann, bestelle Bier, Whisky und Currywurst mit extrakrossen, nicht EU-konformen Fritten (Nimm das, Ursula!). Currywurst und Fritten können die hier wirklich gut. Als mich noch immer hungert, ordere ich noch den Erbseneintopf mit Wienerle, zwar grobschlächtig, aber ebenfalls sehr gut und riesig portioniert. Ich schaffe nur die Hälfte, beim Abräumen schaut mich der Barkeeper vorwurfsvoll an, wie zur Entschuldigung bestelle ich noch einen großen Whisky, VAT69 trinkt man hier. Ich lese meine Post und Nachrichten in der Funke und trinke schweigend mit meinen Tresennachbarn. Gegen einundzwanzig Uhr füllt der Laden sich langsam, aber stetig. Ich vermag nicht zu erkennen, ob die Gäste tatsächlich Gastroleute sind, für Köche und Servicekräfte ist es ja eigentlich noch zu früh, vielleicht Hotelmitarbeiter im Schichtdienst oder ganz einfach Leute aus der Nachbarschaft, Koch- oder Kellner-Montur jedenfalls trägt keiner, aber bei den Gesprächsfetzen, die ich aufschnappe, geht es ganz eindeutig meist um Gastro- und Hotelthemen.

„Du bist aber keiner von denen“, spricht mich die Frau neben mir am Tresen unvermittelt an. Ich hatte sie gar nicht weiter bemerkt, ich war zu sehr mit der Beobachtung der Gäste beschäftigt. Ich schätze sie auf vierzig, noch keine fünfzig, schlecht geschminkt, aber geschminkt, brünette, schulterlange Haare, billige Klamotten, hochhackige Schuhe, lackierte Nägel, Gesicht und Figur gar nicht mal hässlich, aber ein unendlich müdes Gesicht, in dem sich die ersten Falten ihren Weg bahnen. Unvermittelt muss ich an das alte Hannes-Wader-Lied denken „Meine Tochter sieht aus wie dreißig und sie macht / auf zwanzig, dabei ist sie acht. / Cocaine …“ „Keiner von welchen?“ frage ich zurück. „Keiner von diesen Restaurant-Typen, oder?“ „Nein, bin ich tatsächlich nicht.“ „Und was macht so ein feiner Pinkel“ – keine Ahnung, wie sie darauf kommt, ich trage ganz normal Jeans, Polo, Jackett, keine Uhr, das teuerste an meinem Outfit sind die Schuhe – „in einer Kneipe wie dieser?“ „Mir wurde gesagt, die Currywurst hier sei vorzüglich, und das ist sie auch.“ „So einer isst doch keine Currywurst.“ „So einer“, entgegne ich, „isst Curryurst und sogar noch Erbseneintopf. Wie kommen Sie darauf, dass ich ein ‚feiner Pinkel‘ sein könnte?“ „Die Schuhe, es sind immer die Schuhe, auf die man gucken muss, Ihr zieht Eure feinen Anzüge aus und Jeans an, aber billige Schuhe würde so einer wie Du niemals anziehen.“ Ich stelle fest, dass sie da durchaus Recht hat. „Wenn Du kein Hotelmanager bist, der wissen will, was seine Leute nach Feierabend machen, dann bist Du doch bestimmt fremd in der Stadt und suchst Gesellschaft, hast aber Bammel, direkt in’s Bahnhofsviertel zu gehen. Und in den ganzen Nobelschuppen, in denen Ihr haust, gibt’s halt keine ‚Damen‘.“ „‚Damen‘?‘“ frage ich verständnislos-naiv. „Na, Huren, die ganzen Escort-Services mit diesen blutjungen, aufgetakelten Schicksen, die sie in die Hotels reinlassen, sind sauteuer. Und da geht Ihr halt in die örtlichen Kneipen, um nachzuschauen, ob Ihr abseits des heißen Pflasters der Bahnhofsstraße für kleines Geld sicher was abschleppen könnt, irgend so ein kleines Naivchen, das ein wenig Geld braucht und die vielleicht sogar noch Freude an dem Nebenjob hat. Du fragst mich doch gleich, ob ich Dir für’n Fuffi einen in Deinem Auto blase oder für‘nen Hunni für ein Stündchen mit in Dein Hotel komme.“ Ihr Ton ist bei diesen Worten weder werbend noch erotisch, sondern eher wütend-aggressiv. „Belästigt Sie diese Frau?“ geht der Barkeeper dazwischen. „Nein, nein, alles gut, wir sind gerade dabei, uns näher bekannt zu machen.“ „Dann macht Euch mal ‚näher bekannt‘“, sagt der Keeper, „aber nicht wieder auf unserer Toilette.“ „Also?“ fragt die Frau. „Sehe ich aus wie ein Hurenbock?“ Sie mustert mich und sagt zögerlich „Nein, eher nicht, zumindest nicht wie ein typischer.“ „Ich kann Ihnen versichern, ich bin keiner, weder ein Typischer noch ein Untypischer.“ Ich muss gestehen, ich habe keine praktischen Erfahrungen im Umgang mit Sexarbeiterinnen, aber die Akquise hatte ich mir ganz anders vorgestellt, mehr so knapp bekleidete Damen, die sich in geöffnete Autofenster beugen oder in rot beleuchteten Türen stehen, wie man das halt aus Filmen kennt. „Darf ich Sie was fragen?“ frage ich zaghaft. „Sind Sie so eine, eine …“ „Hure, sprich das böse Wort halt aus, Du Stenz. Ja bin ich, und bin ich wieder doch nicht. Ich habe keinen Luden, dem ich meinen Nuttenlohn abliefern muss, und keine Puffmutter, bei der ich für teures Geld ein Zimmer miete, ein Zimmer, und für bisschen Mehr gibt’s auch Schutz, frische Bettwäsche und Putzdienst. Ich bin mehr eine – sagen wir – Freischaffende. Am Bahnhof brauche ich mich nicht blicken zu lassen, da schlagen sie einem ohne ‚Beschützer‘ sofort die Fresse ein, da sind die Reviere streng verteilt und bewacht. Und wenn Du inserierst, weißt Du nie, wen Du als Kunden bekommst, das kann der kleine, schüchterne, liebe Provinzunternehmer auf einer Messe sein, der sich zu Tode geniert, wenn Du ihm an die Hose gehst und der beim Abspritzen laut den Namen seiner – frisch betrogenen – Ehefrau daheim brüllt, das kann aber auch ein feister Perverser oder sogar ein fieser Schlitzer sein. Ich suche mir meine Kunden lieber selber aus. Das Coventry ist für mich eigentlich ideal, hier kennt man sich, passt aufeinander auf, Luden kommen hier nur selten rein. Aber so mancher Kellner kommt nach der Spätschicht mit Druck im Sack und Trinkgeld in der Tasche hierher, und da bin ich dann gerne behilflich. Die Leute hier wissen das und respektieren mich, soweit man ‚so eine‘ eben respektiert, wir bilden einfach eine Symbiose.“ Sie macht eine Pause und trinkt von ihrem Bier. „Also, Süßer, wie viel willst Du investieren, welches Schweinderl hätten’s denn gerne?“ Gerade will ich sagen, dass ich nichts zu investieren gedenke, da kommt mir ein besserer Gedanke. „Investieren will ich ein paar Bier und Schnaps für Sie, und mit Ihnen ein wenig plaudern. Und wenn es zu einem überschaubaren Verdienstausfall für Sie kommen sollte, so stehe ich dafür grade.“ „Ach so einer bist Du, der nur reden will. Das sind mir die Liebsten, linkes Ohr rein, rechtes Ohr raus, ein paar Mal verständnisvoll genickt, Schlüpper bleibt an, leicht verdientes Geld. Also, worüber möchtest Du reden? Ist Mutti daheim nicht mehr lieb zu Dir? Disst Dich Dein Chef? Ist Töchterchen mit einem Rocker zusammen? Der Sohn vielleicht schwul?“ „Blödsinn!“ blaffe ich sie ernsthaft verärgert an. „Über Sie und Ihr Leben will ich was erfahren.“ „Ach so einer bist Du, Wortwixer, Du willst hören, was ich im Bett so treibe, was die Freier so mit mir anstellen, je perverser, desto besser, und Dir da drauf einen keulen.“ „Gnädigste …“, entgegne ich. „Gnädigste, der war gut, verstehst Du nicht, ich bin eine Hure, eine gottverdammte scheiß Teilzeit-Nutte und keine ‚Gnädigste‘!“ OK, Punkt für sie, die Wortwahl war tatsächlich nicht sehr gut. „Liebste …“, setzte ich erneut an. „‚Liebste‘ nur, wenn das Geld stimmt, aber dann Hallo-Liebste!“ Resigniert setze ich zum dritten Male mit dem Satz an: „Also hör zu“ – jetzt duze ich zurück, sapperlot! –, „mich interessieren Deine Bettgeschichten nicht, und wer Dich von wo und wie besteigt, mich interessiert Dein Leben. Ich habe noch nie mit einer Hure gesprochen, zumindest nicht wissentlich. Mich interessiert’s einfach.“ „Du interessierst Dich für mich als Mensch und nicht für meine Löcher, und die sind, weiß der Teufel, gut?“ „Ja, der Teufel weiß das gewiss sehr gut. Behalt‘ Deinen Schlüpfer getrost an, kein Auto und kein Hotel, hier und jetzt, erzähl‘ mal von Deinem Leben.“ „Bist Du so’n Streetworker zur Rettung verlorener Seelen oder Skandalschreiberling auf der Suche nach einer heißen Story für die Bild?“ „Keins von beiden, ich schreibe zwar, eine keine Sorge, ich weiß ja noch nicht mal, wie Du heißt.“ „Renate.“ Das Eis ist irgendwie gebrochen, egal, ob der Name echt ist oder ein ‚Künstlername‘. Renate winkt dem Keeper: „Dasselbe, was der Herr hier hat, aber einen Dreifachen, er zahlt.“ Der Keeper blickt mich kurz fragend an, ich nicke nur leicht, er bringt das Gewünschte, Renate ext ihren dreifachen VAT69 mit einem Schluck, nippt am Bier. „Was willst Du wissen?“ „Wie wird man sowas, ‚freischaffende Hure‘?“ „Och, das ist einfacher und banaler, als man denkt. Behütete Kindheit oben in einem Kaff im Taunus, strenge, aber liebe Eltern, wenig Geld, aber eigenes Häuschen vom Munde abgespart, Garten mit eigenen Tomaten und Himbeeren, Vater geht in der Holzfabrik malochen und ist im Schützenverein, Mutter macht den Haushalt und uns drei Kinder, wenn die Klassenkameraden nach den Ferien zurück in die Schule kamen, erzählten sie vom Urlaub auf Malle oder in den Alpen. Ich hätte höchstens sagen können, dass ich eine Woche bei Oma im nächsten Dorf war, da habe ich lieber gar nichts gesagt. Mit Fünfzehn den ersten Freund, im Holzschuppen meiner Eltern verlor ich meine Unschuld, als er die hatte, hat er sich dann auch recht schnell wieder vom Acker gemacht, wochenlang geheult, aber damals habe ich verstanden, dass Männer Schweine sind.“ „Alle Männer?“ „Vielleicht nicht alle, aber fast alle. Ich bin gespannt, wann Du die Sau rauslässt und mir sagst, was Du wirklich von mir willst. Aber lassen wir das, kommt bestimmt schon noch. Mäßige Mittlere Reife, keinen Bock und kein Geld für’s Gymnasium, also Buchhalterinnen-Lehre bei Papas Betrieb. Irgendwann habe ich es dann nicht mehr ausgehalten und bin runter nach Frankfurt, ziemlich guter Job in einer Bank – für eine nicht-studierte Frau. Disco, Freunde, High Live, verkatert in’s Büro, was man als zwanzigjährige Dorfschranze mit ein bisschen Geld auf der Tasche halt in der Stadt so macht. Und dann … – Paul, bringst Du mir bitte noch einen großen Whisky auf den Deckel des Herrn hier … – –hey, wie heißt Du überhaupt?“ „Phillip“, lüge ich. „…ja, und dann, bei mir war’s kein Lude, der mir Liebe vorgegaukelt und dann auf den Strich geschickt, auch keine Drogen, oder Geldgier, oder Lust am Abenteuer. Bei mir war’s – halt Dich fest – die Waschmaschine.“ „Eine Waschmaschine hat Dich auf den Strich gebracht?“ frage ich ungläubig. „Nicht direkt, aber fast. Meine Waschmaschine hat damals den Geist aufgegeben, einfach so, und damals waren diese Dinger noch richtig teuer, ich habe zwar für meine Verhältnisse recht gut verdient, aber alles für Party und Klamotten – und natürlich für eine Frankfurter Miete – rausgehauen, keinen Pfennig auf der hohen Kante, und meine Eltern wollte ich um’s Verrecken nicht anpumpen, die wollten ja nie, dass ich nach Frankfurt gehe, lieber wäre ich in dreckigen Klamotten rumgelaufen oder hätte von Hand im Waschbecken gewaschen. Also habe ich den Hausmeister, ein netter, patenter, älterer Herr, immer freundlich und hilfsbereit, wohnte mit seiner Frau und zwei Söhnen im selben Haus, gefragt, ob er mal nach meiner Waschmaschine schauen könnte. Er hat das Teil auseinandergeschraubt, wissend hineingeschaut und sagte dann, da könne man nichts machen, die sei endgültig hinüber. Ich muss dann sowas gesagt haben wie ‚Oh Gott, was mache ich jetzt?‘ Er hätte vielleicht eine Lösung, hat er gesagt. Er hätte noch die Waschmaschine von der alten Schulte im Keller, die hätte sie dagelassen, als sie in’s Altersheim gekommen sei, und die könne er mir hochholen und anschließen, wenn …“ Sie ext ihren VAT69 wieder. „Wenn was?“ frage ich gespannt. „Wenn ich ein wenig nett zu ihm wäre, bei mir in der Wohnung, bei ihm ginge ja nicht, wegen Frau und Kindern. Ich habe kurz überlegt, eigentlich war er immer freundlich und hilfsbereit gewesen, ganz sympathisch, zwar überhaupt nicht mein Typ, aber wenigstens keinen Buckel, und stinken tat er auch nicht. Also habe ich ‚Ja‘ gesagt. Es hat keine fünf Minuten gedauert, bis er abgespritzt hatte. Ich habe ihm noch einen Kaffee gekocht, sein Saft lief dabei an meinem Schenkel runter, nach dem Kaffee hat er mich nochmal gerammelt, diesmal vielleicht drei Minuten, der Kerl muss einen Druck auf der Leitung gehabt haben, unglaublich. Es hat mir zwar nicht gefallen, gebracht hat’s mir auch nichts, sexuell meine ich, aber andererseits, gestört hat es mich auch nicht sonderlich, da hatte ich schon unangenehmere Bettgenossen, und acht Minuten Beine breit für eine fast neue Waschmaschine, frei Haus geliefert und angeschlossen, und die Alte noch entsorgt, das fand ich durchaus reell.“ „Aber heute wirst Du nicht mehr mit Waschmaschinen bezahlt? Ich habe dummerweise grad keine bei mir.“ „Also willst Du doch ran?“ „Ne, das war nur so’n dummer Spruch, tschuldigung.“ „Tja, und da war ich auf den Geschmack gekommen, schnelles Geld ohne viel Arbeit, das gefiel mir. Als junge Frau wirst du ja immer wieder in Clubs und Discos angesprochen, von den unterschiedlichsten Typen, Pickelgesicht oder Dandy bis seriöser Manager oder Sugar Daddy. Bis dahin war ich immer eher die spröde Dorfschranze, aber dann habe ich mal versucht, das Spiel mitzumachen und habe ‚Ja‘ gesagt, ‚50 EURO‘. Ich war so naiv, die ganze Nacht hat er mich durchgevögelt, ein richtiger Hengst, aber hässlich wie die Nacht und blöd wie geschnitten Brot, aber potent, sehr gut gebaut, aber holla, Sohn aus besserem Hause, ewiger Student. Drei Tage lang konnte ich danach nicht richtig sitzen, doch ich war stolz auf meine ersten 50 EURO. Dann habe ich das Spiel weitergespielt, 100 Euro, 150 EURO, zu meinen besten Zeiten konnte ich klaglos 300 EURO für ein Stündchen verlangen. Den bürgerlichen Job habe ich schleifen lassen, irgendwann haben sie mich gefeuert, zu viele Krankheitstage, verspätete Dienstantritte, offiziell hieß es ‚dringend notwendige Restrukturierungsmaßnahmen‘, mir war schon klar, warum wirklich, und ich konnte ihnen noch nicht mal böse sein, sie hatten ja Recht, außerdem verdiente ich zwischenzeitlich von nine to five nachts ein Vielfaches von dem, was ich von nine to five tagsüber steuerpflichtig bekam. Das ging ein paar Jahre sehr gut, endlich konnte ich mir auch mal Malle, sogar Bali leisten. An den Job hatte ich mich gewöhnt, ich war unabhängig, kein Lude, ich fühlte mich immer wie ein Schlachter, der im Akkord Lämmerkehlen durchschneidet, völlig emotionslos, nur, dass es bei mir keine Lämmerkehlen waren, sondern Männerschwänze.“ Ich ordere noch eine Runde für uns. „Zwei Beziehungsversuche hatte ich auch, liebe, gutbürgerliche Kerle, die haben sich beide mit Grausen abgewandt, als sie erfuhren, womit ich mein Geld verdiene, Spießer, spießige. So um die Dreißig bemerkte ich dann, dass es enger wird, 300 konnte ich kaum noch für ein Stündchen durchsetzen, höchstens mit SM-Sonderbehandlungen oder so, ich musste auf 250 runter gehen, um überhaupt noch einen abzuschleppen, dann 200, jetzt eben 100 für die Stunde, Fahrtzeit eingerechnet, und das wird kontinuierlich weniger werden, die alten Kolleginnen machen’s noch für 50 die Stunde, 25 für nen schnellen Blowjob, und selbst die finden kaum noch Kunden, wenn’s eine siebzehnjährige knackige Chinesin im Bahnhofsviertel full service für‘nen Fuffi macht. Und das steht mir auch bevor, Rente habe ich so gut wie keine, bleibt mir noch Hartz IV oder wie das jetzt heißt und Beine breit für‘nen Zehner bis zur Bahre. Seit Neuestem jobbe ich jetzt nebenbei in einer Backwarenverkaufsstelle als Teilzeit-Verkäuferin: ‚Sehr gerne, sechs Brötchen.‘ ‚Wenn Sie drei von den Plunder nehmen, gibt’s den Vierten gratis, sind heute im Angebot.‘ Ich hasse diesen Job, ich hasse diese Leute, ich hasse diese Arbeitszeiten, aber so ist wenigstens die monatliche Miete sicher. Du bist nicht zufällig reich und suchst eine treusorgende Ehefrau, die ihrer Vergangenheit abgeschworen hat? Ach, kochen kann ich nicht, aber ich hätte eine Waschmaschine, das Teil wäscht bis heute tadellos.“ „Tut mir echt leid, Geld habe ich keines, außerdem bin ich vergeben“, lüge ich weiter. „Schade. Aber ich habe mir dieses Leben ausgesucht, ich kann niemand anderem die Schuld geben, das war ich schon alles selber. Und schlecht war das Leben, war mein Leben bisher wahrlich nicht, leichte Arbeit, sehr gutes Geld, manchmal sogar ein netter oder sexy Typ, die anderen waren mir meist vollkommen egal, wenn sie über mich drüberrutschen, auch das ist mir meist egal, ich bin nicht angewidert oder haben den Moralischen, ich lasse sie einfach machen und male mir aus, was ich mit der Kohle anfangen werde. OK, ein paar echte Kotzbrocken sind zuweilen dabei, stinkend, ungewaschen, grobschlächtig, aber die nehme ich auch nicht, wenn ich’s rechtzeitig merke, aber manchmal ist es halt schon zu spät. Warum wollen so viele Männer Frauen beim Sex würgen oder schlagen oder die Titten zerquetschen? Das macht vielleicht einer Masochistin Spaß, aber habe ich irgendwo ein Schild, dass ich Masochistin wäre? Was nehmen sich diese Kerle raus? Oder glauben die, mit so einer wie mir kann man das einfach und ungestraft machen? Mein Täschchen mit dem Pfefferspray und dem Teaser habe ich dabei immer in Greifweite, ein paar haben schon Bekanntschaft damit gemacht. Anfänglich hatte ich Angst, so ein Typ macht mich tot, wenn ich mich wehre, aber das sind alles solche Feiglinge, eine Ladung Pfefferspray oder den Teaser an den Oberschenkel und sie heulen und verschwinden. Na ja, zum Glück wissen die nicht, dass ich keinen ‚Beschützer‘ habe, der nachkarteln könnte. Aber so drauf wie ich sind längst nicht alle Mädchen, das weiß ich auch, ich bin da die absolute Minderheit. Die meisten Mädchen werden von irgendwelchen Kerlen auf den Strich geprügelt, oder von ihren eigenen Familien oder von ganzen Gangs, das sind ganz arme Socken, jeder Mann, der zu so einer geht, sollte sich in Grund und Boden schämen – aber woher soll er’s denn wissen, wenn sie nicht gerade mit einem Veilchen anschaffen gehen muss. Und dazwischen gibt es so viele Töne von Grau. Was soll denn eine junge, alleinerziehende Mutter mit Hartz IV machen, die sich alleine um die Plagen kümmern muss, ein fester Job ist da meist nicht drin. Aber wenn sie ihrem Kind mal einen schicken Tornister kaufen will, damit es auf dem Schulhof nicht dauernd gehänselt wird, oder mal ein paar Tage mit den Kids an die Ostsee, einmal im Jahr ein wenig rauskommen? Das ist dann wie bei mir mit der Waschmaschine, da muss man – frau -verzichten oder halt mal ‚nett‘ zu Leuten sein, zu denen man eigentlich nicht ‚nett‘ sein würde. Oder die faule Schlampe, die keinen Bock auf Maloche hat und stattdessen lieber den ganzen Tag am Handy daddelt oder die ganze Nacht Party macht. Irgendwo muss ja Geld herkommen, und wenn es keine reiche Familie oder einen reichen Freund gibt, Prostitution ist für ein hübsches, faules Mädel immer eine Alternative, und wenn man nur für die eigene Tasche arbeitet und keinen Luden mit durchfüttern muss, dann hält sich der ‚Arbeitsaufwand‘ in Grenzen, um über die Runden zu kommen, zumindest, solange man jung und hübsch ist. Und dann gibt’s noch die, denen ihr Job richtig Spaß macht, Nymphomaninnen, oder ich kenne zwei echte Dominas im Kolleginnenkreis, naturveranlagte Sadistinnen, wo die hinhauen, wächst kein Gras mehr, und die lieben ihren Job über alles, und die Kerle lieben sie und ihre Peitschen. Aber das sind die Ausnahmen, ich bin keine Statistikerin, aber ich würde sagen, 80, 90 Prozent der Kolleginnen machen ihren Job mehr oder weniger unfreiwillig.“

Die Flasche VAT69 ist leer. Bevor der Keeper eine Neue aufmacht, beende ich das Gespräch, gebe vor, jetzt heimzumüssen, obwohl heute wirklich niemand auf mich wartet. „Was bin ich schuldig? Gab’s einen Verdienstausfall, von dem ich nichts bemerkt habe?“ „Natürlich habe ich heute Abend nichts verdient, bei dem ganzen Gequatsche. Ich weiß nicht, wie lange mir kein Mann mehr richtig zugehört hat, und das hast Du. Danke dafür. Normalerweise höre ich den Kerlen zu, wenn sie über ihre Muttis daheim und ihre Chefs abkotzen. Heute hast Du mir zugehört, Chef hab‘ ich ja keinen, aber wie ich über mein Leben abkotze. Ich hab‘ zwar absolut keine Vorstellung, warum Du das hören wolltest und was Du damit machst, aber sei’s drum. Mir hat es gutgetan. Zahl Du den Deckel und wir sind quitt.“ Ich lasse mir eine Taxe kommen. „Für Dich auch?“ frage ich Renate. „Nein, für mich ist die Nacht noch lange nicht vorbei, ich muss meinen Verdienstausfall wieder reinholen, bis fünf, sechs Uhr morgens geht hier immer was.“ Zum Abschied schütteln wir uns die Hände, ein komisches Gefühl, und ich will auch gar nicht darüber nachdenken, was ihre Hand sonst noch so alles schüttelt. Die Nacht ist noch empfindlich kalt, ich steige in’s Taxi, fahre zurück zum Penthouse, überlege, ob ich Caro von Besuch im Coventry oder gar von dieser Begegnung erzählen sollte.

Beim Frühstück überschlägt sich Caros Stimme mit einem Male, so was bin ich gar nicht von ihr gewöhnt: „Du warst gestern WO? Und Du hast den Abend mit WEM verplaudert?“

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