Nach einem – sagen wir – sehr gewöhnungsbedürftigen, wahrscheinlich grottenauthentischen Hot Dog von einem der typischen Straßen-Stände, bestehend aus dem obligatorischen länglichen, dreiviertel aufgeschnittenen Labberbrötchen und einer (wahrscheinlich) fleischhaltigen Masse in Wurstform, ummantelt von einem Plastikdarm, garniert mit Ketchup, gehackten frischen und industriell frittierten Zwiebeln, einer – recht interessanten – Art saure Gurken Relish, einer gelb-ockernen Paste, Caro und ich tippen auf Senf-Mayo, aber wirklich identifizierbar war das nicht, abgedeckt mit ein paar Scheiblein süß-saurer Gurken, ist uns schon am späten Nachmittag nach Essbarem in größerer Menge.
In Soho spült uns das Treiben in das italienische Restaurant Sant Ambroeus, und einmal italienisch Essen gehört in New York einfach dazu. Auf den ersten und den zweiten Blick sieht das Sant Ambroeus – benannt nach dem Heiligen Ambrosius, Schutzpatron von Mailand, daneben ist der gute Mann aber auch noch schützenderdings zuständig für Bologna, Krämer, Imker, Wachszieher, Lebkuchenbäcker, Bienen, Haustiere und Lernen, man kennt ja seinen Katechismus – aus wie ein ganz typischer gediegener New Yorker Italiener, bodentiefe Fenster zur Straße, innen viel helles Holz, Möbel und Lampen im Art Deco Stil, lange orange-rote Kunstleder-Bänke an den Wänden, schwarz-weißer Boden (ich glaube Marmor), schwere Vorhänge, nette Bar mit Tresen zum Warten auf einen Tisch oder um nur rasch im Vorbeigehen – ganz italienisch – einen Espresso zu trinken, keine Tischtücher, aber schöne hölzerne Tischplatten und weiße Stoffservietten, ordentliches Geschirr, Besteck, Glas, das Service-Personal trägt eher legere Stoffhosen, blaue Hemden mit schwarzer Krawatte, die unteren Chargen mit schwarzer Kellnerweste, manche von ihnen bemühen sich um Aussprache mit italienischem Idiom, was allerdings eher lächerlich wirkt, an den Wänden Schwarz-Weiß-Photographien und ein großes wandfüllendes Städtebild (ich tippe auf den Mailänder Dom) von David Guinn, erst auf den dritten Blick bemerkt man die Sammlung von Teller-Unikaten an der Wand hinter der Eingangstüre, die von mehr oder minder bekannten Künstlern für das Sant Ambroeus Soho gestaltet wurden. Geleitet wird die ganze Chose von dem kunst-, mode-, vor allem aber PR- und selbst-PR-bewussten, charismatischen Iraner Alireza Niroomand, der das Restaurant zur Fashion Week auch schon mal zur Bühne macht für Magermodels, Design-Spinner, die Trottel, die den hochpreisigen Schrott kaufen und die willfährigen Systemmedien, die gerne darüber berichten, am liebsten mit Busenblitzer, aber das wissen wir beim Betreten des Lokals alles noch nicht. Was wir auch nicht wissen, ist dass das kein kleiner Italiener von der Ecke ist, sondern Teil einer gehobenen Restaurantkette mit vier Dependancen in New York, einer in Florida und drei Cafés, darunter die Cafés im New Yorker Regency und im Sotheby’s; und die Sant Ambroeus Kette wiederum ist Teil der SA Hospitality Group, „a selective group of iconic New York neighborhoods with its three brands: Sant Ambroeus, Casa Lever, Felice with 12 restaurant locations“. Die imperiale Industrialisierung des Restaurant-Wesens ist zum Kotzen, aber in einem Land, in dem die Leute weitestgehend weder kochen noch essen können, ist es am Ende auch völlig egal, ob ein Koch oder eine maschinengestützte industrielle Prozesskette am Ende das Essen produzieren. In den nächsten Tagen werden wir schmerzlich erfahren, dass die maschinengestützte industrielle Prozesskette meist die bessere Wahl ist, zumindest im Imperium.
Zuerst einmal aber nehmen wir im Sant Ambroeus ein ganz normales, gehobenes, urbanes Publikum wahr, eher mittelalterlich, eindeutig besser situiert, aber nicht sonderlich herausgeputzt, das hier ist Alltag, das gepflegte, nicht hektische Dinner oder auch nur ein Teller Nudeln und ein Gläschen Wein, man plaudert, nimmt sich Zeit, ist recht entspannt, die meisten können sogar mit Messer und Gabel umgehen, nur wozu der Stiel am Weißweinglas dient, das scheint keiner hier zu wissen, statt dessen umschmeicheln sie mit ihren warmen Pfoten den Kelch mit der kalten Flüssigkeit, als gelte es, einen alten Armagnac zu erwärmen. Die Weinkarte ist sehr italo-lastig, es gibt eigentlich nur italienische Weine, was ja nicht weiter schlimm ist, bei einem italienischen Restaurant, wir bestellen eine Flasche 2016er Pinot Grigio vom Unterebner aus Südtirol, ein ganz famoser Wein, im Holzfass ausgebaut, goldgelbe Farbe, mit starken Vanille- und Blütenhonig-Noten und sehr ausgewogener Säure, ich mag diesen Ruländer sehr. Das Essen dazu ist so-so, wie der Amerikaner sagen würde. Als Amuse-Bouche vorweg ein paar Stücklein mäßigen Brotes und mäßiger Focaccia, dazu ein Näpfchen mäßigen Olivenöls und ein Salzstreuer. Na-ja. Burrata: halbierte Käsekugel von mäßiger Qualität, durchgängig fest, keine Spur von cremigem Kern, dazu eine exzellente Tomate, habe selten so eine gute Tomate gegessen, selbst in Apulien nicht und ein Berg von schlecht geputztem, teils nicht mehr ganz frischen gemischten Salatblättern mit ein paar Spritzern eines dubiosen Dressings. Linsensalat: knackige Belugalinsen in einem sahnig-cremig-fettigen-weißlichen Dressing, nicht schlecht, aber unglaublich fett, außerdem eine hinterhältige Säure, dazu ein paar gegarte Gemüsestücklein – „roasted ratatouille“ wird es auf der Speisekarte genannt – und ein Händchen voll frischer Sprossen obendrauf; zwei, drei Gäbelchen von dem Gericht als Vorspeise – oder als richtiges Amuse-Bouche! – wären ja vielleicht nicht schlecht, aber ein ganzer Teller davon verkleistert dann doch den Magen. Tagliatelle alla Bolognese: es sind Tagliatelle und keine Spaghetti, das ist schon mal gut (auch wenn „Spaghetti Bolognese“ in Deutschland als Inbegriff des italienischen Nationalgerichts gelten mögen), die Tagliatelle sind aber alles andere als al dente, das Ragout ist aus Kalbfleisch, was vielleicht nobel anmuten mag, aber nichts mit einem echten Bologneser Ragout zu tun hat (Ich spreche hier nicht von meinem persönlichen Geschmack oder kulinarischen Horizont, ich beziehe mich auf die Akademie für italienische Kochkunst, die im Oktober 1982 in der Handelskammer von Bologna ein Originalrezept für ragù alla bolognese eingereicht hat, worin sind die Zutaten und die Zubereitung genau festgelegt sind: grobes Rinderhackfleisch, Pancetta, Karotten, Stangensellerie, Zwiebeln, Tomaten, trockener Weißwein, Vollmilch, Gemüsebrühe, Olivenöl oder Butter, Salz, Pfeffer und optional ein Schuss Sahne werden in genauer Abfolge angeschwitzt, angebraten, gedünstet, geschmort und dann lange geköchelt.), Pancetta fehlt hier anscheinend komplett, dafür ist viel Sahne in das Ragout gekippt worden, was das Ganze wieder unglaublich fett macht, und der serienmäßige Reibekäse über den Nudeln (den ich explizit abbestellt hatte, weil ich instinktiv schon ahnte, was das kommen würde) ist nie und nimmer 24 Monate alter Parmesan. Caros Minestrone ist dann einfach nur ein Trauerspiel, eine trübe Brühe in der Brocken von verkochtem, weichem, breiig-matschigem Gemüse schwimmen, nach zwei Löffeln geht das Gericht zurück in die Küche zusammen mit Caros sehr ärgerlichen Bemerkung, dass sie das Lokal verklagen werde, wenn die Minestrone auf der Rechnung erschiene; die Minestrone erschien nicht auf der Rechnung. Die Tagliata di Manzo schließlich ganz OK, gutes Fleisch, allerdings ziemlich viel gebraten, statt des avisierten Eichblattsalates gibt es Rucola, und die Vinaigrette ist einfach nur sauer und unendlich ölig. Alles in Allem war das nix Richtiges. Klar, wir sind halbwegs satt und nach der zweiten Flasche Pinot Grigio vom Unterebner und einigen Digestifs zum Espresso auch gut angeschickert, bis auf den Versuch einer Minestrone war auch nichts wirklich schlecht, aber wirklich gut war auch nichts von dem Essen, durch die Bank weg einfach zu fett und schwer. Da habe ich schon bei kleineren Italienern wesentlich besser – und wohlfeiler – gegessen.
Sant Ambroeus NYC
Sant Ambroeus Soho
Manager Alireza Niroomand
265 Lafayette Street
New York, NY 10012
USA
Tel.: +1 (2 12) 9 66 27 70
Online: www.santambroeus.com
Hauptgerichte von US$ 33 (Hühnchen mit Salat) bis US$ 65 (Tagliata di Manzo), definiert man Nudeln auch als Hauptgerichte (was ein Italiener nie tun würde), so startet das preiswerteste Hauptgericht bei US$ 18 (Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino), Drei-Gänge Menue von US$ 58 bis US$ 105
Den Abend verbringen wir bei massivem Alkoholmissbrauch in der Dachbar des Archers.