„They hadn’t this in the old times.“ Der Alte neben uns an der Bar grantelt vor sich hin. Wir sind in Midtown Manhattan, in einer dieser uralten – uralt bedeutet in den USA ungefähr so viel wie 50, maximal 100 Jahre –, klassischen, eigentlich sehr schönen amerikanischen Cocktailbars. Dunkles Holz, gedämpftes Licht aus Messinglampen mit grünen Schirmen in einer Stil-Mixtur aus Jugendstil und Art Deco, schwere Möbel, tiefe Lederfauteuils, lange Theke, sehr professioneller Barkeeper in blütenweißer Jacke, erzkonservative, Spinnereien- und Modernismen-freie Cocktailkarte, kein laufender Großbildfernseher, beachtliche Spirituosen-Auswahl, ungleich beachtlichere Preise. Wir sind vor dieser verrückten Stadt – genau genommen Stadtteil, aber allein Manhattan hat 1,8 Millionen Einwohner, 200.000 mehr als München – geflohen, und Cocktailbars sind dazu die geeigneten Refugien, sozusagen eine Flucht nach innen, sehr effektiv. Caro trinkt ihren Pisco Sour, nachdem sie völlig begeistert eine Flasche Pisco Caravedo Mosto Verde im Regal entdeckt hat, aus der ältesten Destillerie Amerikas (Amerika, der Kontinent), der Hacienda La Caravedo, die 1684 in der Stadt Ica in Peru gegründet wurde, wie sie mir erklärt. Ich trinke meine knochentrockenen Martinis, diesmal mit St. George Terroir Gin, schon allein aus Nationalstolz, sozusagen. (Tut zwar nichts zur Sache, aber St. Georg Spirits wurden 1982 von dem Deutschen Jörg Rupf gegründet, der heute als Vater des modernen amerikanischen Manufaktur-Destillerie-Wesens gilt, ein Deutscher also, der mal wieder ein wenig Kultur nach Ami-Land gebracht hat. Sein Dr Rye Gin ist zwar noch besser, hatten sie aber nicht, und der Terroir Gin ist auch exzeptionell.)
Wir reden über die Stadt im Besonderen und das Imperium im Allgemeinen. Immer wieder brabbelt der Alte neben uns, vielleicht 70 Jahre, Weißer, tadelloses Business-Dress, geschmacklose Krawatte, gepflegte Schuhe, Uhr im Gegenwert eines Kleinwagens, viel zu dicker Goldring am Kleinen Finger, gepflegte Hände, er trinkt ebenfalls Martinis, allerdings Bombays dirty mit Olive (Tut auch nichts zur Sache, aber der Dirty Martini soll auf Franklin D. Roosevelt zurückgehen, der damit das Ende der Prohibition begossen haben soll. Roosevelt war ein großer Trinker und ein lausiger Mixer, dem das herausfrumseln der Oliven aus dem Glas zu umständlich war, also kippte er Oliven samt Lake in das Rührglas. Das Standard-Rezept für einen Dirty Martini lautet: 6 Teile London Dry Gin, 2 Teile trockener Vermouth, 1 Teil Oliven-Lake, evtl. einige Spritzer Salzwasser, drei grüne Oliven mit Paprika-Füllung auf einem Zahnstocher; Gin, Vermouth, Oliven-Lake, nach Geschmack einige Spritzer Salzwasser in ein Rührglas mit Eis geben, rühren-rühren-rühren, Flüssigkeit durch ein Barsieb in ein gekühltes Cocktail-Glas gießen, mit 3 Oliven auf Zahnstocher garnieren, in den Ausguss gießen. Der Dirty Martini ist übrigens der Einzige, der mit Olive serviert werden darf.), ich würde auf alten, erfolgreichen New Yorker Anwalt tippen, aber ich kann mich irren, vor sich hin. „They hadn’t this in the old times.“ sagt er mindestens zum vierten Male, als es Caro entweder zu viel wird oder ihre Neugier siegt oder Beides. „What the hell didn’t they have in the old times?“ fragt Caro unseren Trink-Nachbarn. Als hätte er nur darauf gewartet (er hat wahrscheinlich nur darauf gewartet) sprudelt es aus ihm heraus. Also, schwarze Servicekräfte, die hätte es in einer Bar wie dieser vor ein paar Jahren nicht gegeben, schwarze Bedienungen, die gäbe es bei Pizza Hut und KFC, aber nicht in einer Cocktailbar in Manhattan. Wir sind dann doch einigermaßen konsterniert. Was ihn denn an dem schwarzen Kellner störe, will Caro wissen. „He’s none of us, he doesn’t belong here.“ Wir seien doch ebenfalls keine von ‚ihnen‘ und würden als Ausländer doch auch nicht hierher gehören, entgegnet Caro ziemlich gereizt. Aber nein, entgegnet der Alte, wir würden selbstverständlich hierher gehören, schließlich seien wir white upperclass, und die würde immer an solche Plätze gehören, schließlich habe er nicht gegen Ausländer. Aber doch offensichtlich gegen Inländer, denn die schwarze Bedienung sei doch wahrscheinlich US-Amerikaner wie er selber. „You shouldn’t try to mix up, what shouldn’t mixed up.“ ist die ebenso lapidare wie schwer angreifbare Antwort. „But you even had a black president.” entgegnet eine zusehends entgeisterte Caro. „You’re really from abroad, you have no clue how the game works.” „Probaly not.” „So I’m going to tell you. You need to give two out of fifty from those” – das ‚those’ spricht er sehr betont aus – „the chance to become a medical doctor, a lawyer, an entrepreneur, a baseball star, a famous artist, a mayor, even a president. And you need to fuck two out of fifty of those hard and cruel in their Nigger,” – er sagt tatsächlich das verbotene Wort – „Mexican, Chinese, Latino asses, throw them into prison and cast away the keys, or even better, hang them on the highest tree, guilty or not. I say this not although I’m a lawyer, I say this because I’m a lawyer, I know this human trash only to well. Only so all of those” – wieder dieser Tonfall – „learn that you’re not fooling around. Than all the rest of those is useful utility meat” – er sagt tatsächlich ‚Gebrauchsfleisch’!!! – „which” – er sagt ‚which‘, nicht ‚who‘, kann die verbale Demütigung von viel weiter gehen? – „does our dirty work, they keep our houses clean, take care of our gardens, drive the trucks bringing the food into our cities, do the hard work in our factories and construction sides, serving as regular soldiers in our wars or as regular police officers in our streets and get killed, standing for hours and hours as security at doors, working in grease spoons as waiters, but not here, in such a place … Anyway, you see, we need such utility meat, no one of us would like to do such a work.” Caro und ich sind einigermaßen entsetzt, sind uns aber unausgesprochen einig, dass eine Diskussion mit diesem post-faschistischen Arschloch weder sinnvoll wäre, noch dass dieser intellektuelle Abschaum ein Gespräch überhaupt wert wäre. (Mir fällt gerade ein, von der Wortwahl her nähere ich mich gerade dem Niveau unseres Erzählers, ob das ansteckend ist?) Er nutzt unser Schweigen zum Fortfahren, aber darf man bei solchen Leuten überhaupt schweigen, ohne sich zum Komplizen zu machen? Andererseits, wir sind zu Gast in seinem Land … wenigstens eine nette Entschuldigung. „Of course, you also need to take care of such useful utility meat, you need to give them jobs to earn their own money, churches and TV sets are very helpful instruments to sedate them, you give them old cars, after some years of hard work and decent behaviour you let our banks give them money to buy their own home, of course in their own quarters, not in ours, as I said before: You shouldn’t try to mix up, what shouldn’t mixed up. With the credit for the house they are stronger bound as before, and they need own homes to start a family and have children. That’s important for the entire system, the utility meat pipe needs always to be well filled for the coming generations, and if they become too much, you just start an additional war, this regulates the pipe filling very effective. And we appreciate it, when those drink, smoke, take drugs heavily. First, the State benefits from the taxes; second, who is stoned is calm; third, who needs those drugs will work even harder; and fourth, probably the most important point, they die early and don’t burden the pension scheme. As far as I understand it, you’re currently building up your own utility meat pipe with all the sub human pack from Africa and Arabia you’re luring into the civilized parts of Europe, that’s good and clever, every civilized country should have an own utility meat pipe, but you must be careful, they’re all savages, and for sure no noble savages.”
Hitler würde begeistert an den Lippen dieses Kerls kleben, wir hingegen sind wirklich baff, in Deutschland reichte dieser Verbal-Scheiß für eine saftige Anzeige. Ich fühle mich wieder einmal bestätigt, wer Dirty Martinis trinkt kann kein anständiger Mensch sein. Caro wäre nicht Caro, wenn sie die Situation nicht drehte. Sie wendet sich in ihrem vermeintlich freundlichsten Ton – nur zur Info: dieser Ton bedeutet höchste Gefahr für den Angesprochenen – an den Alten, sie stellt sich als Kollegin aus Deutschland vor und überreicht ihm mit großer Geste ihre Karte. Der Alte ist erfreut und legt nach einigem Kramen seine Karte vor Caro auf den Tresen. Weiter sagt sie, sie arbeite derzeit für den CERD – das ist natürlich gerade frei erfunden, aber das kann der Alte ja nicht wissen – und würde ihn mit seiner sehr spezifischen, dezidierten Sichtweise gerne zu einer Hörung vor dem CERD in Genf im August einladen. Zuerst ist der Alte hoch erfreut, doch dann kommt ein gesundes, begründetes Misstrauen; was der CERD denn sei, will der Alte wissen. Aber das müsse er als Jurist doch wissen, der CERD sei das Committee on the Elimination of Racial Discrimination, der UN-Fachausschuss zur Anti-Rassismus-Konvention beim Hochkommissariat für Menschenrechte der UN; und der tage nun im August in Genf, und die Ausführung des sehr geschätzten Kollegen könnten sicherlich ein wichtiger Baustein zur Beurteilung der Rassismus-Situation in den USA sein, und das könne durchaus zu Early-Warning-Measures führen. Das Misstrauen des Alten verwandelt sich mit einem Schlag in nackte Panik. Er greift nach seiner Karte auf dem Tresen und bringt sie in Sicherheit vor Caro, kramt ein Bündel Gelscheine aus der Börse, wirft einige große Scheine – wahrscheinlich viel mehr als seine eigentliche Zeche, aber er will nur weg, will auch kein Wechselgeld, nur fort von dieser Bedrohung seiner Existenz – auf die Theke und verschwindet grußlos stehenden Fußes aus der Bar, dabei belongt er doch hierher, hatte er ja selber gesagt. Caro grinst wie ein Honigkuchenpferd von einem Ohrläppchen zum anderen. „Gut gemacht!“ sage ich. „Gell?” antwortet Caro selbstzufrieden.