Wildhasenrücken mit Sauce Böhmischer Art und Mehlklößen

Mein Taufpate, der Standerer Franz, Sudetendeutscher vom Dorfe wie alle meine Vorfahren väterlicherseits, über zwei Meter groß, mir riesigen Händen (oder habe ich sie nur als riesig in Erinnerung, weil meine Kinderhände so klein waren? eher nein, dann müsste ich ja alle Erwachsenen-Hände als riesig erinnern), bar jeder höherer Bildung, aber Dank seiner natürlichen Sprachbegabung, die ihn, ohne jemals groß zu lernen, fließend Französisch, Russisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und sogar – ein Wunder bei einem Sudetendeutschen – Hochdeutsch sprechen ließ, zum Oberkellner im Französischen Restaurant des Grandhotels Pupp in Karlsbad avanciert, brachte eines Tages von dort – ich weiß nicht, aus welchen Gründen genau – meiner Großmutter, seiner Schwägerin, die in einem elenden Kaff namens Neudorf, bei Petschau auf der zugigen, kalten Hochebene des Kaiserwalds gelegen, einen stattlichen Bauernhof samt Brauerei (Micro-Brewery nennt man sowas wohl heutzutage), Brennerei (natürlich nur im manufacture-hand-made Micro-Batch-Verfahren) und Schankwirtschaft betrieb (Männer waren in der Opl-Familie meist das unterdrückte Geschlecht, die Hosen hatten die Frauen an) ein Rezept für einen Wildhasenrücken à la Pupp mit. Hasen galten damals als Schädlinge, ihre Bejagung war nicht den Landherren und Regierungsbonzen vorbehalten, ihnen (die Hasen, ausdrücklich nicht die Landherren und Regierungsbonzen) durfte auch der gemeine Bauer mit Schlingen und Büchsen nachstellen, um seine Ernte zu schützen zum einen, um seine Speisekarte aufzubessern zum anderen, um wohl vor allem aber die Pest der Hasenbauten, in dem sich so mancher hochherrschaftlicher Gaul schon die Knochen gebrochen hatte, einzudämmen. Wahrscheinlich dachte sich mein Taufpate, meine Großmutter könnte dieses Gericht auf die Speisekarte ihrer Schankwirtschaft (ja, die Schankwirtschaft meiner Großmutter, in der eigentlich nur Bier, Schnaps und andere Getränke verkauft werden durften, hatte eine kleine, rustikale Speisekarte, das war die einzige Möglichkeit, wie durchreisende Herrschaften auf dem Weg zu den Jagschlössern der Metternichs, Nostitz-Rienecks oder Schönburg-Waldenburgs, wandernde Handwerksburschen und fliegende Händler sowie Bauern und Taglöhner, die von ihren Frauen wegen Trunksucht, häuslicher Gewalt oder  Ehebruch vor die Tür gesetzt worden waren, sich verköstigen konnten, und auf dem Dorfe sah sowieso niemand so genau hin) setzen und so die eintönige Dörfler-Kost etwas aufpeppen, der Großvater könnte die Hasen jagen und die Großmutter zur Hasenbratenkönigin des Sudentenlandes aufsteigen, so etwas wird er sich dabei wohl gedacht haben, der Standerer Franz, als er meiner Großmutter dieses Rezept mitbrachte. Der Plan scheiterte schon allein daran, dass es in jenem elenden Kaff keinen Rotwein gab (auch davon hatte der Standerer Franz irgendwann mal eine Flasche aus Karlsbad mitgebracht, die Männer scharten sich neugierig darum, die erste Schwierigkeit bestand darin, dass es auf dem Dorfe keinen Korkenzieher gab, wozu auch, es gab ja sonst keine verkorkten Flaschen, die man hätte ziehen müssen, mit einem groben Holzbohrer des Dorfschreiners und zugleich Totengräbers muss man dieses Ziehungs-Problem dann erfolgreich gelöst haben, die Männer schenkten sich winzige Schlückchen ein – noch nie hatte irgendwer von ihnen Wein, geschweige denn Rotwein getrunken, vorsichtig, als sei es Schierling – nahmen tapfer alle gleichzeitig einen Schluck und spuckten diesen – so kolportierte es meine Großmutter zumindest immer wieder süffisant, sehr zum Ärger meines Großvaters – ebenfalls sofort gleichzeitig wieder aus, mitten auf den Holzboden besagter Schenke; tatsächlich habe ich meine Großeltern niemals Rotwein trinken sehen, selbst als in den siebziger und achtziger Jahren durchaus annehmbare Flaschen – die ersten Châteauneuf-du-Papes und Beaujolais aus Frankreich, damals in Nordhessen quasi eine Sensation, daneben die vertraut süßen Mosel- und Pfalzweine, die richtig harten Männer versuchten sich an Bocksbeuteln mit Sylvaner aus dem Frankenland, aber die galten im Gegensatz zu den lieblichen – zuckersüßen, würde man heute wohl sagen –Moselweinen als viel zu sauer – auf den reich gedeckten Tafeln der diversen Familienfeiern auftauchten, Weißwein vielleicht mal, Rotwein nie, Bier und Schnaps immer) (Klammer zu, wir waren davor bei den Zutaten für den Hasen à la Pupp stehen geblieben), und Cognac schon gar nicht, noch nicht einmal Weinbrand, hier trank man Schnaps aus heimischem Obst, Getreide, Kartoffel, was halt übrig war und nicht unbedingt zum Leben gebraucht wurde und was sich vergären ließ, wichtig waren weniger Geschmack und Reinheit, als vielmehr Dröhnfaktor, vulgo Alkoholgehalt, ordentlich in die Birne gehen sollte er eben, und nicht unbedingt blindmachen, dann war’s ein guter Schnaps, und hätte man Hasen vergären können, ich bin mir – bei Gottfried – sicher, die da oben hätten massenweise einen prima Hasenschnaps hingelegt. So wurde dieses so gut gemeinte Rezept niemals in Neudorf gekocht, wohl aber bewahrte es meine Großmutter zusammengefaltet in ihrer Henriette Davidis auf, und so kam es schließlich auf mich, gleichwohl ich einen Übersetzer brauchte, um die exakte, fast schon akribische Süterlin-Schrift zu entziffern.

Das Rezept liest sich auf den ersten Blick wahnsinnig kompliziert und aufwändig, tatsächlich aber werden hier lediglich Hasenparüren und Gemüse ewig lange geröstet, umständlich abgelöscht, dann mit Gewürzen, Wein, Fond und Sahne ewig lange geschmort, irgendwann wird der vorher gespickte und kaltgebeizte Hasenrücken mit draufgeworfen, zum Schluss wird die Sauce abpassiert, mit einer Einbrenne und nochmals Sahne gebunden. Dann hat man ein wenig Fleisch und Unmengen einer ziemlich gigantischen Wildsauce, die man so niemals aus einem kleinen Häschenrücken herausbekommen hätte. Und – bei allen Streitereien – das lieben Tschechen, Böhmen und Sudentendeutsche einer wie der andere: Knödel mit reichlich guter Sauce, das Fleisch wird da Nebensache.

 

Zutaten:

Für die Sauce:

  • 1,5 kg Hasenparüren (Läufe und Knochen, keine Innereien)
  • Öl
  • 3 Möhren
  • 1 kleine Stange Lauch
  • 2 Zwiebeln
  • 1 frische (oder 2 ältere) Knoblauchzehen
  • 1 Scheibe Sellerieknolle
  • 1 mittlere Petersilienwurzel
  • 5 Steinchampignons
  • 50 g Petersilienstängel
  • 1 Essl. Butter
  • 3 Essl. Tomatenmark
  • 1 knapper Teel. Zucker
  • 1 guter Essl. Paprika (Edelsüß)
  • 3 Essl. Rotweinessig
  • 150 ml Cognac
  • 200 ml Madeira
  • 200 ml trockener Sherry
  • 1 Flasche kräftiger Rotwein
  • 750 ml Wildfond
  • Salz
  • 2 Stängel Rosmarin
  • 2 Blätter Salbei
  • 10 Wacholderbeeren
  • 1 kleines Lorbeerblatt
  • 5 weiße Pfefferkörner
  • 250 ml Süße Sahne
  • 200 ml Schmand
  • 4 Eßl. Butter
  • 2 Eßl. Mehl
  • 200 ml Creme double
  • 40 ml Gin

 

Für den Hasenrücken:

  • 1 Wildhasenrücken
  • 100 g Räucherspeck zum Spicken
  • 5 ml Gin
  • 10 schwarze Pfefferkörner
  • 3 Korianderkapseln
  • 1 Kapsel grüner Kardamom
  • 1 Messerspitze Kümmel
  • 7 Wacholderbeeren
  • 2 Nelken
  • 1 Lorbeerblatt
  • Salz
  • Pfeffer aus der Mühle

 

Für die Mehlklöße:

  • 500 g Mehl
  • 25 g (Trocken-) Hefe
  • 3 Eigelb
  • 250 ml Milch oder Sahne (handwarm)
  • Salz

 

  • Backofen auf 250 C vorheizen; große feuerfeste Kasserolle mit Deckel gut mit Öl einfetten
  • Hasenläufe säubern, waschen und gut trocknen; Knochen klein hacken, waschen und gut trocknen
  • Läufe und Knochen in gefettete Kasserolle geben, ohne alle Gewürze im vorgeheizten Backofen ohne Deckel unter gelegentlichem Wenden von allen Seiten sehr dunkelbraun (nicht jedoch schwarz) rösten lassen, das dauert – je nach Backofen – schon 40 bis 60 Minuten
  • (Während dessen Rotwein aufmachen, atmen lassen, probieren, falls er richtig lecker ist, gleich noch vorsorglich eine zweite Flasche öffnen)
  • Möhren, Lauch, Zwiebel, Sellerie, Petersilienwurzel, Champignons putzen, waschen und in grobe Stücke schneiden; Petersilienstängel waschen, grob hacken; Knoblauchzehen schälen, halbieren, den grünen Keim herausschneiden, alten, „muffig“ schmeckenden Knoblauch 1 Minute in kochendem Wasser blanchieren
  • Das Gemüse auf die angerösteten Hasenparüren geben, ohne Deckel im Backofen bis zur ersten Bräunung ohne Umrühren mitrösten lassen, danach gut durchrühren, alles gezogene Wasser verdampfen lassen; Fleisch, Knochen und Gemüse intensiv rösten lassen, gelegentlich umrühren; auch das dauert – je nach Backofen – nochmals 20 bis 40 Minuten

 

Während Parüren und Gemüse rösten, Hasenrücken vorbreiten:

  • Hasenrücken putzen, von Sehnen, Silberhäutchen, Blutsäcken befreien, abwaschen, sehr gut abtrocknen
  • Speck (am besten gut angefroren) in Streifen schneiden, Hasenrücken damit spicken
  • 10 schwarze Pfefferkörner, 3 Korianderkapseln, 1 Kapsel grüner Kardamom, 1 Messerspitze Kümmel, 7 Wacholderbeeren, 2 Nelken, 1 Lorbeerblatt im Möser oder – einfachen – im Blitzhacker zu Pulver verarbeiten
  • Gespickten Hasenrücken zuerst mit Gin einreiben und dann allseitig mit dem Gewürzpulver einreiben, dann den Rücken gekühlt 1 Stunde trockenbeizen lassen (nicht viel länger, sonst wir der Geschmack zu intensiv)

 

Zurück zur Sauce:

  • Nach ca. 45 bis 75 Minuten Röstzeit von Parüren und Gemüse Topfboden in der Mitte freischaufeln, 1 Essl. Butter schmelzen lassen, 1 knappen Teel. Zucker darauf geben, kurz warten, bis er leicht karamellisiert (aber nicht verbrennt!), dann rasch und 1 guten Essl. Paprika edelsüß darauf geben, verrühren, sofort mit 3 Essl. gutem Rotweinessig ablöschen, alles zügig und gut vermischen
  • Dann rasch mit 75 ml Cognac (oder Brandy) ablöschen, gut durchrühren, Cognac vollständig verdampfen lassen; Vorgang mit nochmals 75 ml Cognac wiederholen
  • Mit 100 ml Madeira ablöschen, gut durchrühren, Madeira vollständig verdampfen lassen; Vorgang mit nochmals 100 ml Madeira wiederholen
  • Mit 100 ml trockenem Sherry ablöschen, gut durchrühren, Sherry vollständig verdampfen lassen; Vorgang mit nochmals 100 ml Sherry wiederholen
  • Jetzt mit 100 ml Rotwein ablöschen, gut durchrühren, Rotwein vollständig verdampfen lassen; Vorgang mit nochmals 100 ml Rotwein wiederholen
  • Mit nochmals 200 ml Rotwein und 750 ml Fond (am besten vom Wild) ablöschen, gut verrühren (aber nicht mehr einkochen bitte), 2 Stängel Rosmarin, 2 Blätter Salbei, 10 Wacholderbeeren (im Mörser leicht angedrückt), 1 kleines Lorbeerblatt, 5 weiße Pfefferkörner und ½ Teel. Salz dazu geben, wieder gut verrühren
  • Hasenparüren und Gemüse ca. 45 min. bei 120° mit geschlossenem Deckel sanft schmoren, gelegentlich umrühren und den Topfboden loskratzen,
  • Nach ca. 20 min. die süße Sahne und den Schmand dazu geben, kurz umrühren,
  • Nach 45 min. schmoren Hitze im Backofen auf 200° erhöhen
  • Trockengebeizten Hasenrücken aus der Kühle holen, von allen Seiten salzen, auf die Hasenparüren und Gemüse im Backofen setzen, dort ca. 45 (sehr rosa) bis 70 min.(sehr durch) (natürlich je nach Größe und Gewicht!!! – ) in der geschlossenen Kasserolle garen lassen, zwischenzeitlich immer wieder mit Sauce beträufeln, gelegentlich wenden; die Trockenbeize soll dabei langsam abgespült werden
  • Aus Mehl und Butter eine Einbrenne bereiten, gut durchkochen (aber nicht braun werden lassen)
  • Fleisch aus Sauce nehmen, in Alu-Folie gewickelt bei ca. 60° separat warm stellen
  • Sauce samt Gemüse mit einem Stößel durch ein Spitzsieb passieren, zur Einbrenne geben, wenn nötig unter ständigem Rühren (Vorsicht, brennt leicht an!) auf starker Flamme einkochen lassen bis zur gewünschten Konsistenz, mit Creme double aufkochen lassen, 40 ml Gin und evtl. noch Rotwein dazugeben, final abschmecken
  • Man sollte jetzt rd. 1 Liter wohlschmeckende, mollige, ziemlich fette Sahnesauce für einen kleinen  Hasenrücken haben, so liebt es der Böhme als solcher: viiiiiiiiiiel Soße!

 

Die Mehlklöße können nebenbei zubereitet werden.

  • 2 bis 3 Stunden vor der geplanten Essenszeit aus 500 g Mehl, 25 g Trocken-Hefe (bei Verwendung von „richtiger“ Hefe vorher Dampferl ansetzen), 3 zimmerwarmen Eigelb und 250 ml handwarmer Milch oder Sahne den Teig für Mehlklöße mischen, sehr gut kneten und ca. 1 oder 2 Std. zugedeckt an einem warmen Ort ohne Zug gehen lassen
  • Eine gute halbe Stunde vor der Essenszeit den gegangenen Teig (sein Volumen sollte sich verdoppelt haben) zusammenschlagen, zu zwei bis drei Rollen formen und nochmals 20 bis 30 min. zugedeckt gehen lassen
  • Ca. 5 l Wasser in einem möglichst großen Topf mit reichlich Salz zu kochen bringen; der Topf muss so groß sein, dass die Kloßrollen hineinpassen – bzw. die Kloßrollen dürfen nur so lang sein, dass sie in den Topf passen
  • Kloßrollen ca. 5 min. in geschlossenem Topf ziehen lassen, danach wenden, nochmals 3 min. im offenen Topf ziehen lassen,
  • Rollen aus dem Wasser heben, sofort von allem Seiten ein paarmal mit einer Gabel anstechen, damit heißer Dampf entweichen kann, mit einem Faden (hier besser als ein scharfes Messer) zur Schlinge geformt in Scheiben schneiden

 

  • Hasenrücken auslösen, in Scheiben schneiden, mit Kloßscheiben und viel Sauce servieren
  • Wer’s jetzt ganz böhmisch mag, der kann auch noch einen großen Klecks herber Preiselbeermarmelade auf einer Scheibe Orange und einen Flatscher ungesüßter geschlagener Sahne auf den Teller geben, ich mag das nicht.
Teile diesen Beitrag:

One comment

  1. Artur Mandera

    Oh, wie schön ist dieser Text zu lesen. Vielen Dank lieber Freund!

    Ein ‚ähnliches‘ Gericht hat meine Oma aus Znaim immer gekocht, mein Lieblingsessen.
    Tatsächlich waren die Sauce und die Semmelnknödel zuletzt wichtiger als das weiche, eingebeizte Hasenfleisch.

    Herzlichen Glückwunsch und alles Gute, vielen Dank

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top