Axel K. aus G. will wissen, ob ich denn ein kulinarischer Masochist sei, alldieweil ich anscheinend immer und immer wieder in irgendwelche gastronomischen Kaschemmen ginge und mich hernach allhier tierisch über das dortige Futter aufrege. Kathrin D. aus D. vermutet gar, ich sei ein chronischer Grantler, Nörgler, Miesepeter, der bewusst irgendwelche passenden oder auch nicht passenden Anlässe sucht, um seine übellaunige Kritik und ätzende Beleidigungen (sie hat tatsächlich „ätzende Beleidigungen“ geschrieben, sowas tut dem Schreiberling doch weh, Weib! Aber wer aussteilt, muss halt auch einstecken können …) niederzuschreiben; sie geht sogar noch einen Schritt weiter, opl.guide sei nichts weiter als eine Gelegenheit der öffentlichen Selbstdarstellung und der Kompensation der eigenen Unzulänglichkeiten und Minderwertigkeit (hat sie auch wörtlich geschrieben, die Kathrin „eigene Minderwertigkeit“ … an was erinnert mich das Konstrukt des ‚minderwertigen Menschen‘ doch gleich wieder, liebe Karthrin D. aus D.?) durch das mehr oder minder grundlose Herunterputzen Dritter, die sich noch nicht einmal wehren können.
Ich muss zugeben, von außen betrachtet könnte man das alles fast so sehen, auf den ersten, unbedarften Blick vielleicht. Ist aber tatsächlich nicht so. Eigentlich schreibe ich viel lieber nach trefflichem Schmaus und Trank Lobeshymnen auf grandiose Köche, Brigaden und Service-Teams. Nur leider schmaust es sich immer weniger trefflich in der Merkel-Republik. Heute ist der neue Guide Michelin für Deutschland erschienen, erstmals sind 300 Restaurants mit den begehrten und geschäftsfördernden Sternen ausgezeichnet worden, das stellt ein Allzeit-Hoch an Sterne-Küche in Deutschland dar, da sollte man doch glauben, dass es recht gut bestellt sei um die Deutsche Restaurant-Landschaft. Ist es aber keinesfalls, der Schein trügt bzw. die Sterne lügen, um es mal so auszudrücken. Klar, es gibt diese Sterne-Hochküche, mehr denn je. Wenn mir danach ist, gehe ich meistens in ein Ein-Sterne-Haus, die sind noch halbwegs bodenständig. Ich hatte bisher noch keinen Anlass, über das Essen bei Vincent Klink, Diethard Urbansky, Sebastian Frank, René Dittrich, weiland bei Dieter Müller oder Harald Wohlfahrt … – you name it – zu maulen, das war und ist einfach allzeit treffliches Schmausen. Was soll man da schreiben? Die Trüffelscheiben waren etwas zu dick geraten und der Kaisergranat einen Hauch zu lange pochiert, so dass er nicht mehr glasig, sondern leicht trocken daher kam? Die Lobeshymnen auf diese Restaurants sind doch längst geschrieben und werden Tag für Tag neu bzw. ab-geschrieben und perpetuiert. Und kaum ein Kleinkritiker traut sich dazu noch ohne Not und ganz alleine, z.B. auf einen – sehr alt und einfallslos gewordenen – Heinz Winkler einzudreschen, nur weil’s ihm zwei, dreimal nicht geschmeckt hat, hier wird brav und uni-sono gelobeshymnet, quasi kritiklose Kritik ad infinitum (es sei denn, jemand ist durch zwei Großkritiker zum Abschuss freigegeben, dann kommen sie auch aus ihren Löchern, die Mainstream-Schreiberlinge und schreiben fröhlich, gerne und wieder unkritisch abschußmäßig mit). Also nein, die 300 Spitzenrestaurants der Republik wieder und wieder Restaurant-Kritik-mäßig durchzunudeln, das mach keinen Spaß und ist auch überflüssig, solange sie ihrem Anspruch und Ruf gerecht werden. (Allerdings werde ich sehr bald in mein altes, geliebtes Boetchers gehen, das sich das McDonalds-Testimonial nun auch noch unter die vorbestraften Nägel gerissen hat; mal schauen, was der daraus gemacht hat.) Viel lieber gehe ich in die 466 mit einem Bib-Gourmand und die 1.524 mit einem Assiette Michelin erwähnten Restaurants, viele davon Newcomer, viele davon uralt-eingesessen und seit Jahrzehnten immer unter Sterne-Niveau, aber stets gut, viele davon aber auch mehr oder minder erfolgreich an den begehrten Sternen kratzend. Über diese Häuser zu schreiben, das ist spannend, kreativ, hat Neuigkeitswert und meist sind auch diese Berichte positiv, weil es Spaß macht, dort zu essen. Aber dies alles, diese 2.290 Restaurants, das ist das dokumentierte High-End der Deutschen Restaurantlandschaft. Machen wir mal die Milchmädchen-Rechnung:
300 Sterne-Restaurants
+ 466 Bib-Gourmand-Restaurants
+ 1.524 Assiette Michelin-Restaurants
= 2.290 „gehobene“ Restaurants
50 Plätze Mittags + 50 Plätze Abends = 100 Plätze pro Tag pro Restaurant
100 Plätze pro Tag * 2.290 „gehobene Restaurants“ = 229.000 Plätze pro Tag insgesamt
229.000 Plätze pro Tag * 300 durchschnittliche Öffnungstage pro Jahr = 68.700.000 Plätze pro Jahr
80.000.000 Menschen in Deutschland * 75% Restaurant-Gänger = 60.000.000 Restaurant-Gänger
Durchschnittlich jeden zweiten Monat 1 Restaurantbesuch = 6 Restaurantbesuche pro Jahr pro Person
60.000.000 Restaurant-Gänger * 6 Restaurantbesuche pro Jahr = 360.000.000 Restaurantbesucher pro Jahr
68.700.000 „gehobene“ Restaurantplätze pro Jahr / 360.000.000 Restaurantbesucher pro Jahr = 19,08%
Das bedeutet, alle positiv im Guide Michelin erwähnten Restaurants in Deutschland haben gerade mal Kapazität für 20% aller hungrigen Restaurant-Sucher. Da mag man jetzt noch kritisieren, vermuten, weiterrechnen, weniger potentielle Restaurant-Gänger, mehr Plätze in den Lokalen, auf über 20% Kapazität für alle Restaurant-Gänger bei guten und sehr guten Restaurants kommt man bei dieser Rechnung nicht. Was heißt diese ganze Rechnerei nun? Das heißt im Klartext, dass sich 80% aller Restaurant-Gänger tagtäglich andere Futterstellen suchen müssen. Und da kommt jetzt mein Geschreibsel in’s Spiel, denn in der Regel gehöre ich zu diesen 80%. Der aller-größte Teil davon wird von McKotz, Currywurst-Buden, Döner-Ständen, Mitnehm-Pizzabäckern, Steakhaus-Ketten und ähnlicher suspekter Gastronomie versorgt, bleibt aber immer noch ein erkleckliches Quantum an hungrigen Gästen übrig.
Was also macht der ganze Rest, wenn er einfach nur Hunger hat und nicht lange fahren oder gar Wochen im Voraus irgendwo ein Platz reservieren will, sondern ganz einfach jetzt und hier was Gutes, Ordentliches essen, wenn er sein Menschenrecht auf gute gastronomische Nahversorgung wahrnehmen will? Ein Deutsches Wirtshaus mit einem frisch geschnittenen und geklopften, in der Pfanne gebratenen Schnitzel und einem frischen Salat, ein ehrlicher Italiener mit einer tatsächlich hausgemachten Bolognesesauce und frisch al dente gekochten Nudeln, ein Österreicher mit einem großen Topf Goulasch, ein Schweizer mit einer frisch gemachten Rösti, ein Elsässer mit einem selbst gemachten Flammenkuchen, eine einfache Suppenküche mit drei am Morgen zubereiteten Eintöpfen, von mir aus auch ein Inder mit einem ordentlichen Curry (ich bin nicht nationalistisch, was gutes Futter anbelangt) … das alles ist kein Hexenwerk, und doch verschwinden solche Lokale mehr und mehr, was bleibt sind die leeren Hüllen, die alten Räumlichkeiten und Namen, scheinbar noch mit Tradition und Patina, und jetzt treibt ein fauler Convenience-Pfuscher in der Küche sein unheiliges Unwesen. Und dann schwillt mir der Kamm, und zwar gehörig, und der Grantler, Nörgler, Miesepeter in mir (s.o.) läuft zur Hochform auf.
Kulinarisch geht Deutschland seit langer Zeit einfach die Mitte verloren. Immer mehr, immer verkünsteltere, immer versponnenere, Realitäts-fernere Kunst-Küche mit gesalzenen Preisen, die sicherlich notwendig sind, um diesen Zinnober auf Dauer durchziehen zu können und die Luxus-süchtige Prahler oft noch eher zahlen als erfahrene Gourmets und Gourmands einerseits, andererseits die vermaledeite System- und Filial-Buletten-Brater-Pest, skalierbare Gastrokonzepte mit Franchise-Potential statt nicht-skalierbarer Gastronomen-Persönlichkeiten, faule Convenience-Pseudo-Köche mit Mikrowelle und einem Acht-Stunden-Tag, Eimersoßen und Tütenknödeln, dann Neubürger in schmuddligen Kaschemmen, die geschächtetes Fleisch von oft fragwürdiger Qualität von großen Spießen schaben, gescheiterte Existenzen, die Home-delivery- und To-go-Läden für aufgewärmtes Zeugs erstaunlich erfolgreich betreiben, Landnehmer, die mal ein Kochbuch gesehen haben, hier ein Restaurant eröffnen und dann steif und fest behaupten, das sei jetzt authentische Somalische, Georgische, Pakistanische Küche … you name it, die Liste ist beliebig fortsetzbar. Die kulinarische Mitte aber, die verschwindet mehr und mehr. Und ich singe ein Loblied auf jeden Koch, der des Morgens die Fonds für seine hausgemachten Sößchen kocht, seine Salate frisch putzt, seinen Schweinsbraten in die Röhre schiebt, seinen Pizzateig selber ansetzt, sein Gulasch schmort, usw. usf. (und natürlich auch auf jede entsprechende Köchin), und da braucht’s keinen Kaviar, keine 80 Stunden bei Niedrigtemperatur sanft gegarte dry aged Kobe-Filets und schon gar keine geschnitzte Möhrchen. Und um auch das klarzustellen, mir ist bewusst, dass dererlei bodenständiges, scheinbar (!) einfaches Tun – auch ohne Kaviar, Kobe-Beef und Möhrenschnitzer – weder einfach noch wohlfeil ist, und wenn ein Schnitzel 20 EURO kostet (und gut ist), dann ist das halt so, allemal besser als ein in der Fritteuse heißgemachter vorpanierter Formfleischfladen für 6,50 EURO.
Erst jetzt, beim Schreiben, wird mir klar, was ist tatsächlich tue, wenn ich mich in solche Etablissements begebe und darüber berichte: nennen wir es Neu-Deutsch „Messages from the Twilight Zone“.
Lieber Hr. Opl,
Hier ein Zitat des geschriebenen:
“ Nur leider schmaust es sich immer weniger trefflich in der Merkel-Republik. Heute ist der neue Guide Michelin für Deutschland erschienen, erstmals sind 300 Restaurants mit den begehrten und geschäftsfördernden Sternen ausgezeichnet worden, das stellt ein Allzeit-Hoch an Sterne-Küche in Deutschland dar“
Meine volle Zustimmung, allerdings bin ich nicht sicher, ob durch die Vergabe eines Michelin-Sternes ein höherer Umsatz erzielt wird. Viele Menschen wissen nicht einmal welche Bedeutung der Stern überhaupt hat. Es gibt immer wieder Leute die felsenfest behaupten dieses oder jenes Haus hätte 4 Sterne. Zuletzt sah ich eine Fersehschmonzette über ein Restaurant in Österreich, hier wurde mehrfach behauptet die Köchin hätte einen Stern, obwohl es in Österreich schon seit dem Jahr 2006 keinen Guide Michelin mehr gibt. Der Guide für Österreich ist nur einmal und zwar im Jahr 2005 erschienen. Deshalb spricht man in der Österreichischen Gourmetszene auch nur von Hauben-Köchen, welche der Gault Millau Führer vergibt.
Innerhalb vergangener Kommentare wurde es von mir schon erwähnt, man kann heutzutage nicht einfach irgendwo reinstolpern, gute vorherige Information ist schon wichtig.