Sonne Pappenheim: kulinarisches va banque

Einen Auslassung über ein Lokal in Pappenheim mit einer Einlassung  zu dem Spruch, dass man seine Papenheimer schon kenne zu beginnen, wäre wirklich zu plump, das sei den Herrschaften von der FAZ vorbehalten; wer dennoch mag, mag bei Schiller das Original  nachlesen, Wallensteins Tod III / 15. Und wen die pejorative Entwicklung des Terminus in der Umgangssprache interessiert, der sei auf die Verantwortlichkeit der Marschälle von Pappenheim u.a. zur Kloakenreinigung in Nürnberg während der Besuche des Kaisers verwiesen, aber das sind eher historische Marginalien. Heute ist Pappenheim ein kleines Städtchen an der Altmühl, man trinkt Wurm-Bier, schöne Wachholderwiesen und hässliche Bus- und Auto-Massentouristen, die allerdings meistens gleich bis Eichstädt oder Regensburg weiterreisen und das Städtchen nicht allzu sehr dauerhaft verschmutzen, dazu redlich verschwitzte, aber ungleich erträglichere Wander-,  Rad- und Kanureisende, verklemmt schreibt Wikipedia nur vom Jagdmuseum in der örtlichen Festung, einer alten Staufferfestung, das formidable Foltermuseum alldorten, das jedem Sa- wie Masochisten das Blut zum Wallen bringt, wird in den Abgründen der offiziellen imperialen Prüderie schlichtweg verschwiegen, auch die örtliche Moschee, neben München Zentrum der radikal-moslemischen Tablighi Jamaat in Bayern wird gerne mal nicht explizit erwähnt, dabei viel Leerstand in der Innenstadt, teilweise wieder zerfallende barocke Bausubstanz, aber auch rege Bau- und vor allem Renovierungstätigkeit, dazu eine pfiffige Stadt-Marketing-Kampagne unter dem Motto „Wir Pappenheimer …“ und dann, allgegenwärtig auf Werbeschildern in Geschäften, auf Wänden, auf alten Fahrrädern, auf Plakatwänden, ein Verb dazu: „… nähen …“, „… genießen …“, „… feiern …“, „… lesen …“, manchmal auch etwas mehr „… sind im Trend …“, „… machen mobil …“, man spürt förmlich, hier stemmt sich eine Urbevölkerung noch gegen das Verschwinden in der Geschichte, wahrscheinlich vergeblich, aber immerhin Stemmen. Auch die Gastronomie ist noch nicht so verkommen wie in vielen ländlichen Regionen Frankens, Bayerns, Deutschlands, Europas, der Welt, der Altmühl-Tourismus mag das seinige dazu beitragen (an der Altmühl, weniger in der Welt als solches).

Die einstmals sehr schöne Krone und die Linde sind bar von Pächtern verwaist, der Grüne Baum und der Goldene Löwe schlagen sich wacker, wenngleich zuweilen mit deutlichen kulinarischen Tiefschlägen, im ehemals hübsche Bräustüberl hat die landestypische Pizza ihren vermaledeiten Einzug gehalten, viele der ganz alten Lokale stehen völlig leer und sind dem Verfall anheim gegeben. Auch der Gasthof „Zur Sonne“ mitten in der Innenstadt von Pappenheim lag mehrere Jahre brach, bis ihn 2010 das junge Wirtspaar Stefanie Bauer und Sven Wolfgang Glück übernahmen, renovierten und neues Leben einhauchten. Die regen Renovierungs-, Um- und Ausbautätigkeiten der letzten Jahre lassen vermuten, dass die Wirtsleute erfolgreich sind. Der Eingang ist unverändert unscheinbar, im Erdgeschoss eine Metzgerei (die, glaube ich, nichts mit dem Gasthaus zu tun hat), neben dem Metzgerei-Eingang führ eine düstere Treppe in den ersten Stock zu den Gasträumen; man muss schon wissen, dass hier ein Restaurant ist. Aber hinter dem Haus ist eine sehr schöne Terrasse entstanden, die alten Gasträume im ersten Stock sind heimelig, die neuen Gasträume im zweiten Stock sind modernistisch-puristisch-gewöhnungsbedürftig, die alten Gästezimmer sind renoviert und bieten einfachen, aber sauberen Drei-Sterne-Standard, dazu sind neue, behindertengerechte  Gästezimmer samt Balkonen und Lift gebaut worden, dann zwei völlig neue Küchen, das kostet alles, und es sei den Wirtsleuten von Herzen gewünscht, dass es sich rechnen möge. Man hat sich der Slow-Food-Bewegung (Vermarktung?) angeschlossen, konzentriert sich auf heimische Produkte, Jura-Lamm wird groß geschrieben, verwertet ganze Tiere in der Küche und nicht nur abgepackte Edelteile, verzichtet auf Geschmacksverstärker, übt sich im Spagat zwischen Schäufele und sous vide Rinderbacken … Das lockt Einheimische ebenso an wie durchreisende Touristen, neugierige Foodies, baldowernde System-Journalisten und anonym Wertungen verteilende Michelin-, Millau- und sonstige Götter.

Das Ergebnis ist – sind wir, bei aller Sympathie für junge, engagierte Gastronomen in der Provinz, ehrlich – durchwachsen. Das kalte Gurkensüppchen als Amuse Gueule versalzen und sehr Dill-lastig. Die Tafelspitz-Brühe mit gemischten Einlagen eine tadellose, kräftige Rindsbrühe, selbst die Grießnockerln frisch und fluffig, dass Muskatnuss fehlt, ist wohl ein Standard-Gastronomie-Problem, auch die Fränkischen Bratwürste, grob und Majoran-schwanger, auf Fasssauerkraut frei von Tadel. Das Krusten-Schäufele ein Mordsdrumm harten, trockenen Fleisches in einer ganz seltsam gewürzten Sauce, ich bin mit der Fränkischen Küche zu wenig vertraut, um hier sagen zu können, ob die Sauce regional-typisch oder schlichtweg Scheiße ist, die hausgemachtem Kartoffelknödel – und da kenne ich mich aus – matschig, breiig, geschmacklos, sicherlich irgendwann mal frisch gemacht, die Betonung liegt auf ‚irgendwann‘, nicht auf ‚frisch‘. Die sous vide Rinderbacken butterweich, die Sauce dazu zum Niederknieen, selbst das Duo von Topinambur – ich mag Topinambur nicht sonderlich – hervorragend. Spätestens beim Rehrücken mit Schokolade, Pfifferlingen, Avocado, Granatapfelkernen, Wassermelone und Süßkartoffel-Topfennockerln merkt man, dass hier jemand richtig gut kochen kann und will, aber dieser Jemand muss gerade beschäftigt gewesen sein, als das zähe, furztrockene Kalbsschnitzel mit diesen fettigen, Bratkartoffel-genannten Kartoffelfragmenten verbrochen wurde. Durchwachsen ist die richtige Umschreibung für diese Küche, insgesamt ambitioniert, aber hier wechseln sich richtig gute Gerichte mit richtig herzhaften Griffen in’s kulinarische Klo einträchtig ab. Gelänge es dem Küchenchef, alles – das meiste – auf das Level seiner sous vide Rinderbacken zu heben, das wäre eine richtig, richtig gute Landhausküche, derzeit gleicht es eher eine va banque Spiel mit vielen Up-, aber eben auch Downsides.

 

Hotel-Gasthof zur Sonne
Deisingerstraße 20
91788 Pappenheim
Tel: +49 (91 43) 83 78 37
Fax: +49 (9143) 83 78 35
E-Mail: info@sonne-pappenheim.de
Internet: www.sonne-pappenheim.de

 

Hauptgerichte von 9,00 € (Schäufele mit Knödel) bis 23,50 (Ribeysteak), Drei-Gänge-Menue von 16,70 € bis 41,00 €

 

DZ Ü/F 76,00 € bis 96,00 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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