Ein wahres Leerbuch in Sachen Gastronomie

„Arme essen – Reiche speisen. Neuere Sozialgeschichte der zentraleuropäischen Gastronomie“ lautet der vielversprechende Titel des Buches des Kasseler Devianzforschers Rolf Schwendter. Wenngleich bereits 1995 erschienen ist, so ist das Werk in der Tat derart außerordentlich, daß es auch eine verspätete kritische Würdigung verdient.

Am bemerkenswertesten ist dabei sicher die Chuzpe, solch einen Text in Druck zu geben. Der Autor zitiert seitenlang aus mehr oder minder wohlbekannten klassischen Standardkochbüchern, garniert das Ganze dann mit einer gesunden Halbbildung sowie mit Bemerkungen über seine persönlichen geschmacklichen Vorlieben und Abneigungen und zieht aus diesem willkürlichen Wust ebenso willkürliche Vermutungen über mögliche Zeithintergründe. Ergänzt wird diese recht fleißige, aber heuristisch unergiebige Literaturauswertung durch Zitate aus den wenigen anerkannten gastronomischen Standardwerken – allen voran Tannahills „Kulturgeschichte des Essens“ und Dünnbier/Paczenskys „Leere Töpfe, volle Töpfe“; man tut sicherlich gut daran, besser gleich die Originale zu lesen.

Am meisten allerdings zitiert der Autor sich selber (er hat nämlich schon sechs andere Bücher geschrieben, wie man zwangsläufig immer wieder erfährt); dabei scheint es ihm jedoch relativ egal zu sein, ob bei den vielen Selbst-Zitaten ein inhaltlicher Bezug besteht. Die Häufung des Wörtchens „ich“ in dem Werklein könnte die Frage nach einer möglichen Egomanie Schwendter durchaus berechtigt erscheinen lassen. Die Häufung der ersten Person singular wird nur noch übertroffen durch fortwährende sprachliche Reminiszenzen an eine bereits im Abort der Geschichte geglaubte kommunistisch geschulte Terminologie. Fundierte Daten hingegen (Bevölkerung, Ernteerträge, Pro-Kopf-Verbrauch, Preise usw.) fehlen gänzlich, ebenso vermißt man die Auswertung von (durchaus reichlich existierenden) historischen Originalquellen; maximal vergleicht der Autor den Viktualienverbrauch in Wien, Paris und anderen Städten, ohne dabei im geringsten zu berücksichtigen, wie groß die jeweilige Bevölkerung in diesen Städten war. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, taugt das Buch damit maximal zu einer schlechten Proseminararbeit – wenn es mit seinen 247 Seiten nicht so quälend lang wäre.

Dabei ist noch nicht erwähnt, daß Schwendters Ausführungen sich entgegen dem Titel nicht mit der „Gastronomie“ befassen, sondern (zum Glück) auf das Essen und Trinken beschränkt bleiben. Auch erfassen sie keinesfalls Zentraleuropa, sondern sind weitgehend auf die Gebiete der k.u.k.-Monarchie und den deutschen Sprachraum begrenzt. Aber wer von Österreich nach Kassel geht, der hat die Provinz eben wahrlich nie verlassen.

Rolf Schwendter: „Arme essen – Reiche speisen. Neuere Solzialgeschichte der zentraleuropäischen Gestronomie.“ Verlag Promedia, Wien: 1995, 247 Seiten, 28,- DM

 

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