Vincent Moissonnier: „Der Käse kommt vor dem Dessert“ – ein charmantes Büchlein

Seit über vierzig Jahren arbeitet Vincent Moissonnier in der Gastro, davon hat er 36 Jahre lang das Kölner Zwei-Sterne-Restaurant „Le Moissonnier“ geführt (und just in diesem Jahr geschlossen, sogar die „Bild“ berichtete darüber). Der Mann weiß also, wovon er schreibt. Die Quintessenz seiner Erfahrungen aus vierzig Jahren Gastro hat er nun gemeinsam mit seinem Co-Autor Joachim Frank, seines Zeichens Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe (bei der das Werk auch erschienen ist) in einem herzallerliebsten, überaus lesenswerten, kurzweiligen Büchlein auf gerade mal 144 Seiten zusammengefasst.

Zum einen gibt er dabei exemplarische – man könnte auch sagen bruchstückhafte – Erläuterungen zum „richtigen“ Verhalten im Restaurant: wie man eine Einladungskarte zu einem Essen gestaltet, was Black Tie bedeutet, wie man einen Tisch richtig eindeckt, wie man Gäste an einem Tisch platziert, wie man Spargel „richtig“ isst, wie man Trinkgeld gibt, usw. usf. Ich erdreiste mich jetzt mal zu sagen, da ist nichts dabei, was ich meinen Söhnen nicht schon seit frühester Kindheit beigebracht hätte, und dass man Austern nicht übermäßig kauen sollte, haben sie selber gemerkt. Und vollständig ist dieses Benimm-Kompendium keinesfalls, da gibt es ausführlichere Werke, aber die sind dann nicht so vergnüglich zu lesen wie Moissonnier. Dazu immer wieder kluge Hinweise, warum Dinge so sind, wie sie sind (abgerundete Speisemesser, um Messerstechereien an der Tafel des Königs zu unterbinden, bestimmte Weingläser zu bestimmten Weinen, um die Dingsda-Aromen besser zur Geltung zu bringen). Der Stil von Moissonnier / Frank dabei ist unübertrefflich. Alles ist leicht, freundlich, charmant, keinesfalls starr normativ, oktroyierend geschrieben, savoir-vivre halt.

„Denn im Allgemeinen gilt doch: Es ist alles Geschmackssache. Solange es Stil und Rhythmus eines Hauses nicht empfindlich stört, sollten alle machen, was sie möchten und was ihnen guttut. Die Hauptsache ist: entspannen, Spaß haben.“

Vincent Moissonnier

Moissonnier begeht hier eine Gradwanderung, einerseits verteidigt er die klassische französische Restaurant-Etikette mit Klauen und Zähnen, insistiert, dass das (gehobene) Restaurant eine Bühne mit großer Inszenierung für alle Teilnehmer (diesseits und jenseits des Passes) sei, und dass es da halt gewisse Regeln gebe; andererseits stellt er das Genusserlebnis – nein: das Wohlfühlen – seiner Gäste über Alles und wirft fast alle Regeln en passant über Bord, sofern sie das Wohlfühlen behindern. So hält er die Frage nach Leitungswasser im Restaurant für völlig legitim – sofern der Gast auch bereit ist, ein paar EURO für die notwendigen Aufwand dafür zu zahlen; das ganze Gedöns um die „richtigen“ Weingläser hält er für völlig überbewertet und für eine Marketing-Masche der Glasindustrie – nur ein Weinglas am Kelch statt am Stil anzufassen ist nach wie vor ein no-go für ihn. Doch eines fordert er unmissverständlich und kategorisch von beiden Seiten: Respekt. Man kann unsicher sein in einem Nobel-Restaurant, man kann nicht wissen, was ein Fischmesser ist, man kann auch euphorisiert dem Alkohol zu viel zusprechen, aber Muscle-Shirt, prinzipielle Dauer-Nörgler und „die Pest“ der „selbst ernannten Gastrokritiker in den sozialen Medien“ (wie ich einer bin, aber lassen wir das, ich bin ja nicht nachtragend), die von jedem Gang erst mal ein Photo machen, noch bevor er richtig eingedeckt ist, die gehen für ihn halt gar nicht.

Zum anderen – und hier wird das Büchlein wirklich spannend, lehrreich und noch kurzweiliger – gibt Moissonnier Einblicke in die Erfahrungen aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Patron. Eigentlich ist das „Restaurantkritik umgekehrt“, also „Restaurantgästekritik“. Moissonnier hält uns allen einen Spiegel vor, nicht nur dem regelmäßigen Restaurantbesucher wie mir, sondern auch dem gelegentlichen, vielleicht auch etwas unbedarften (was dann ja der Sache geschuldet ist) Restaurantbesucher, vor allem aber dem Restaurantbesucher mit mangelndem Respekt. Er schildert uns, wie das Servicepersonal gewisse Verhaltensweisen von Gästen wahrnimmt, wie es sich dabei fühlt, wie es damit umgeht, meist diskret und deeskalierend, selten auch mal klare Kante und auch, was gewisse Verhaltensweisen an unnötiger Mehrarbeit und Stress bedeuten. Er schreibt – natürlich – von verfluchten no-shows, von tatsächlichen oder eingebildeten Lebensmittelunverträglichkeiten, von über den Nachbarstuhl gehängten Mänteln, von Mobilfunkgeräten im Restaurant, von betrunkenen Gästen, von knutschenden Paaren, von nicht mundenden Weinen, von gebrauchten Servietten auf Tellern, von unbotmäßigen Kindern usw. usf. Das Alles wird aufgelockert und angereichert durch anekdotenhaft eingestreute tatsächliche Erlebnisse mit prominenten und anonymen Restaurantgästen, das ist köstlich zu lesen. Ich habe mich dabei selber an meine eigene Nase gefasst und muss sagen, im Großen und Ganzen scheine ich – bis auf meinen Blogger-Scheiß – ein recht „guter“ Restaurantgast zu sein, gleichwohl ich gestehen muss, den einen oder anderen Fauxpas habe ich denn doch schon begangen.

Monsieur Moissonnier, ich verspreche Ihnen, ich werde mich bessern.


P.S.: Am besten gefallen an dem ganzen Büchlein haben mir Moissoniers Ratschläge, wie ein Paar ein Restaurant betreten sollte:

Nehmen Sie es [das Betreten eines Lokals mit weiblicher Begleitung] also als Bewährungsprobe für den galanten, gut erzogenen Mann von heute: Gehen Sie – wie es immer war – voran! Öffnen Sie vor Ihrer Begleitung die Tür, und bahnen Sie ihr den Weg.

Sie sind es dann auch, der das Wort ergreift. Überlassen Sie es nicht Ihrer Begleitung, das Servicepersonal anzusprechen und nach Ihrer Reservierung oder einem freien Tisch zu fragen. Das ist nämlich ihre Verantwortung.

Vincent Moissonnier

Das sollte doch eigentlich eine Steilvorlage für woke-wahnsinnige world wide web Wort-Wichser sein, einen virtuellen Shitstorm epischen Ausmaßes zu entfachen, oder irre ich mich da? Aber solche Spinner lesen wohl nicht, schon gar nicht Bücher, und erst recht keine Bücher über gutes Benehmen.

P.P.S.: Andererseits, Moissonnier sollte mal versuchen, auf die von ihm beschriebene Weise ein Lokal mit Caro zu betreten …


„Der Käse kommt vor dem Dessert: Goldene Regeln für den Restaurantbesuch – von Dresscode bis Trinkgeld“ von Vincent Moissonnier (Autor), Joachim Frank (Autor), Nishant Choksi (Zeichner); DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG, Köln 2023; ISBN-10 3832169326; Gebundene Ausgabe, 160 Seiten, 20 EURO

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