Thum Balingen: vor der Kür sollte eigentlich die Pflicht kommen

Summa summarum: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und es ist längst nicht alles gut, wo schwäbisch draufsteht. Das alte Schwaben-Mütterlein kann vielleicht perfekte traditionelle Maultaschen; der brillante internationale Koch kann vielleicht geniale crossover Hanoii-Maultaschen; der Kleinstadt-Stümper am Herd sollte erstmal das Können des alten Schwaben-Mütterleins erreichen, bevor er nach Fernerem greift.

Allein die Lage ist an sich schon mal eine Show, sowas muss man erstmal hinbekommen, direkt an der hier vierspurigen B27, vor dem Haus ein großer, hässlicher, unbegrünter, öffentlicher Parkplatz, eingerahmt vom Hinterausgang des örtlichen Krankenhauses, einer pitstop-Werkstatt, Polizei, Post, Bestattungsunternehmer und Friedhof, liegt das Hotel Thum am Rande der Balinger Altstadt, nur noch Abdeckanstalt, Puff und Gefängnis fehlen, um das Ensemble perfekt zu machen, sollte man meinen. Nun gut, viel Auswahl hat er Reisende nicht, wenn er in Balingen möglichst originalgetreu Schwäbisch essen möchte, in der Innenstadt gibt es Italiener, Griechen, einen gar nicht mal so schlechten Spanier, Chinesen, Inder, die üblichen Semi-Restaurants mit asiatischem und türkischem Fastfood, viele dieser Mode-Etablissements mit Zeitgeist-Design und –Speisekarten aus der Convenience-Retorten-Hölle, mehr oder minder üble Kneipen, ein paar wahrscheinlich deutsche Restaurants, die es nicht für nötig erachten, ihre Speisekarten in’s Netz zu stellen (liebe Wirte, es ist natürlich Eure Entscheidung, ob Ihr Eure Speisekarten im Internet veröffentlicht oder nicht; aber vor so einer immens wichtigen Entscheidung wie einem Restaurantbesuch versuche ich natürlich schon, so viele Informationen wie möglich vorab zu recherchieren, und ein Blick auf die Speisekarte gehört da zwingend dazu, und das, ohne scheißtreibend und hungrig von Wirt zu Wirt quer durch die Stadt zu dackeln, sondern schweißsparend und noch nicht hungrig bequem am Rechner; ohne Karte vorab im Netz seht Ihr mich maximal als Kunden nach massiven Empfehlungen vertrauenswürdiger Gewährsleute – und die heißen nicht tripadvisor oder Gault Millau – oder durch Zufall, andernfalls weiche ich dann lieber auf kommunikativere Wirte aus), der Adler in Ratshausen ist leider recht weit außerhalb, und dann gibt es besagtes Hotel Restaurant Thum: von seit drei Generationen überlieferten Maultaschen-Rezepten steht da was auf der Webpage, von regionalen Produkten und schwäbischen Spezialitäten, dazu ein Dutzend heimische Weine offen in Viertele zu wohlfeilen 5 bis 6 EURO, darunter vier Trollinger, das macht Vorfreude. Dass das Ganze in holprigem Dorf-Marketing-Sprech daher kommt und nicht in geschliffenen, wohlgesetzten Verkaufsphrasen, macht die Webpage eher noch authentischer und sympathischer. Eine ganze Seite Gerichte mit selbst gemachten Maultaschen, solch ein Haus kann nicht wirklich schlecht sein … denkt sich der Reisende am Bildschirm, da sieht man selbst über kulinarische Monstren wie Maultaschen Hanoii rassig mit Asiasoße oder Maultaschen mit Käsecreme hinweg. Ansonsten konkurrieren auf der Speisekarte einträchtig geräuchertes Schwarzwaldforellenfilet und Rindercarpaccio, Zwiebelrostbraten mit Bratkartoffeln und Putenbrustgeschnetzeltem aus dem Wok mit süß-saurer Sauce (Sauce diesmal in französischer Schreibweise), Schwäbische Kässpätzle und Persisches Gemüsecurry, Modegerichte wie Super-Food-Salate mit Quinoa und Allerwelts-Banalitäten wie Schweinesteak vom Grill mit Champignonrahmsauce. Nun gut, von weitem klingt eine Hälfte der Speisekarte halbwegs schwäbisch-authentisch und die andere Hälfte ist voller Zugeständnisse an den nach internationaler Küche hungernden kulinarischen Kleinstadt-Horizont, der nicht auf einen Döner zum Türken um die Ecke gehen mag. Sei’s drum, von der Papier- bzw. Bildschirm-Form her ist der Thum wahrscheinlich das Schwäbischste, was sich aus der Ferne in Balingen finden lässt. Also flugs reserviert, vorgefreut und nach langer Fahrt über die Alb des Abends zum Restaurant gegangen.

Super, meine Reservierung ist natürlich verschmissen, niemand weiß etwas, die dennoch freundliche Bedienung will mich fast alleine in das spießige Restaurant im Achtziger-Jahre-Stil mit sehr schönem Parkettboden und extrem kitschiger Deckenbeleuchtung verfrachten; mit etwas Protestieren und Betteln bekomme ich dann doch noch den Katzentisch auf der ansonsten restlos ausgebuchten, eigentlich nicht wirklich hübschen, bei fast 30 Grad dampfigen, aber alternativlosen Terrasse mit Blick auf besagten Parkplatz und Bundesstraße. Das Publikum ist gediegen, von 30 bis 80 schätze ich, so mehr die Mercedes-Diesel-Fraktion, wohlhabend, vernünftig, understatement, Revolution zettelt man mit denen keine an, wahrscheinlich haben sie sich selbst mit Kretschmann arrangiert, Maultaschen statt Maulen, aber das sind nur meine Eindrücke des Fremden auf der Durchreise, ich bin ja zum Essen hier, nicht für sozio-kulturelle Studien. Die Bedienungen jedenfalls sind flott, freundlich, ausgebildet, kompetent, zuvorkommend, nur zuweilen recht lange verschwunden und man sitzt alleine durstig vor seinem Glas. Die knallig bunte Plastiktischdecke mit Blumenmotiven und die billigen Papierservietten mit Vogelmotiven stehen in einem recht interessanten Missverhältnis zur silbernen Suppentasse und dem alten, recht schönen WMF-Gastronomie-Silber-Besteck, dann wieder billiges Pressglas und billiges Gastro-Geschirr, eine durchgängige Linie ergibt das nicht, aber man erkennt zumindest den guten Willen des Gastronomen.

Der gute Wille und noch ganz andere Dingen scheinen nämlichen Gastronomen dann allerdings beim Kochen verlassen zu haben. Flädlesuppe: Kräuterflädle selbst gemacht und ok, frischer Schnittlauch, Brühe trüb, vollkommen überwürzt, leicht säuerlich, hart am Rande des Nicht-Essbaren. Maultaschen Versucherle mit einer abgeschmälzten Maultasche und einem Löffelchen Kartoffelsalat für nicht wirklich wohlfeile 8 EURO: nette Idee, gut gemeint, Maultasche halb offen, breiiger, geschmackloser Nudelteig mit viel harter, ebenfalls geschmackloser Brätfüllung, fast nur aus Fleisch bestehend, kaum Spinat und Gemüse, Zwiebelschmelze darüber dubios, Kartoffelsalat dazu nicht säuerlich, sondern penetrant sauer von billigem Essig, kein Öl, nicht schlorzig, sondern breiig, ein pelziges Gefühl auf der Zunge hinterlassend. Saure Linsen mit Saiten und Spätzle: Linsen keine dunklen, kleinen Alb-Linsen, sondern dicke, breiig zerkochte Teller-Linsen, die gleichmäßig quadratischen, verkochten Stücklein Gemüse darinnen lassen den starken Verdacht aufkommen, dass dies einfach nur angedickte, mit einem Schuss Essig gesäuerte Suppenlinsen aus der Dose sind, die Saiten dazu ziemlich gut, die Spätzle wohl aus der Presse, hart, brüchig, geschmacklos. Thums Zwiebelrostbraten mit Jus und Bratkartoffeln: Fleisch rosa, lauwarm, mit Sehnen und Fett durchzogen, Zwiebeln darauf kalt, Jus lauwarmes, dünnes Sößchen unklarer Herkunft, Bratkartoffeln kurz in Fett geschwenkte, lauwarme Kartoffelstücke. Erdbeerbecher zum Dessert: industrielles Vanillin-/Vanille-Eis mit ein paar geputzten, zerteilten, weitgehend geschmackfreien Erdbeeren.


Hotel Restaurant Thum
Hotel Thum GmbH
Thomas und Marina Meyer
Klausenweg 20
D-72336 Balingen
Tel.: +49 (74 33) 9 69 00
Fax: +49 (74 33) 96 90 44
Mail: info@hotel-thum.de
Online: www.hotel-thum-balingen.de

Hauptgerichte von 12,00 € (Kässpätzle mit Salat) bis 25,80 € (Entrecòte, Kräuterbutter, Bohnen, Pommes); Drei-Gänge-Menue 21,80 € bis 47,10 €

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