The Exhibitionist Hotel, London

Vielleicht sollten Männer in meinem Alter tatsächlich keine jüngeren Freundinnen mehr haben, zumindest nicht so unternehmungslustige, ausgeflippte, besitzergreifende und dazu noch solvente wie Caro. Da will man nichts weiter, als im gediegenen Fünf-Sterne-Hotel still in der Halle oder Bar bei Tageszeitung und Scotch im Rosshaar-gepolsterten, Leder-bezogenen  Ohrenfauteuil die Zeitung lesen und sanft vor sich hindämmernd auf’s Dinner warten, und dann sowas.  „Ich will die Ausstellung französischer Impressionisten im Londoner Exil im Tate Britain unbedingt sehen, die geht zwar noch bis Mai, aber außerdem spielen dieses Wochenende am Samstag Roger Chapman im O2 und Keni Burke am Sonntag im Venue. Kommst Du mit? Biiiiiiiiiiiitte.“ hatte Caro gebettelt oder gefordert, bei ihr weiß ich das nie so genau. Was will man da machen? „Na gut“ hatte ich seufzend gemurmelt und mich in mein Schicksal ergeben. „Du bist ein Schatz. Ich kümmere mich um’s Hotel, nicht wieder Warwick-Tristesse, diesmal wird’s lustiger.“ Tja, und so bin ich im The Exhibitionist Hotel gelandet, mitten in London, genauer in South Kensington, um die Ecke vom Victoria and Albert Museum und vom Natural History Museum, in einer ruhigeren („ruhiger“ – „ruhig“ gibt es, glaube ich, in London so gut wie nicht) Seitenstraße.

Exhibitionist, London, Kensington

Von außen ist das Exhibitionist nichts weiter als ein stattliches, aber in London doch eher  durchschnittliches Viktorianisches Stadthaus in einer langen Straßenreihe ganz ähnlicher Gebäude. Weiße Fassade, Eisengitter vor den obligatorischen Souterrains, Balkon im ersten Stock, kleine Eingangstreppe, alte Flügeltüren, innen eher Halle eines großbürgerlichen Wohnhauses denn Hotel-Lobby, links Rezeption in Form zweier Schreibtische, rechts Bar und zugleich Restaurant in einem, direkt hinter dem Eingang ein monumentaler Metallstier in Lebensgröße, dazu unglaublich viele zeitgenössische Staubfänger, wahrscheinlich ziemlich teure Kunst in allen Materialien, Formen, Farben, die man mögen kann oder nicht, keine standardisierte 08/15 Hotelmöblierung, aber auch keine edlen Antiquitäten, sondern kreuz und quer kunterbunt zusammengewürfelte Möbelstücke vom Rohr- und Pressplastik-Stuhl und Spanplatten-Tisch bis hin zu Samtsofa, Ledersessel und Designerkommode. Eine überlebensgroße Photographie von Che Guevara samt Neonschrift blickt von der einen Wand auf das berühmte Portrait von Elisabeth II des angesagten Londoner Künstlers Endless in bester Warhol Manier an der anderen Wand. Über der Bar eine monströse, wandfüllende Installation aus großen, verschiedenfarbig gefüllten, beleuchteten Flaschen, die weitaus zahlreicher sind als die Spritflaschen der Bar selber. Keine Ecke dieses Schuppens, der nicht geradezu vollgestopft wäre mit Kunst und Design. Dieser Gestaltungs-Willen von Jimmie Karlsson und Martin Nihlmar (die sich unter der Marke Jimmie Martin mit ihren berühmten, typischen Mannequin Floor Lamps einen Namen und eine Goldene Nase verdient haben) zieht sich in die Gänge des Hotels und natürlich bis in die Zimmer weiter, die von verschiedenen Künstlern durchgestylt wurden. „Überbordend“ bis „erschlagend“ sind wohl die richtigen Worte, um diese Design-Flut auf engstem Raum zu beschreiben. Aber hieraus leitet sich zugleich auch der Hotelname ab, der nicht etwa für schamlose Zurschaustellung von Genitalien zum Behufe der eigenen Lustgewinnung steht (was ich ehrlich im ersten Augenblick gedacht hatte, ich Ferkel), sondern von „Exhibition“ – „Ausstellung“. Auf jeden Fall, mal etwas anderes als die eintausendste standardisierte Nobelschuppen-Hotelhalle.

Exhibitionist, London, Kensington

Aber all dieses Design-Gedöns ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite zeigt sich spätestens im einzigen Lift des Hauses, die Innenwände mit struppigem grünem Kunstrasen beklebt, dazu eine Metalltafel mit allerlei bunten Magnet-Buchstaben, mit denen man während der gemächlichen Fahrt Worte bilden kann, „Love“ etwa, „Mama“ oder „Fuck u“ standen da während unseren Aufenthaltes. Aber weder Kunstrasen noch Magnetbuchstaben sind das wirklich Bemerkenswerte an diesem Lift, sondern sein offensichtliches Alter, das sich in beunruhigendem Geruckel, Geknarze und Gequitsche während der Fahrt deutlich bemerkbar macht, wobei die schmale Treppe auch nicht viel besser und vertrauenserweckender ist. Die Gänge zu den Zimmern sind kunstvoll bemalt, aber eng und düster. Auch die Standard-Zimmer selber haben mit 15 qm eher Ibis-Größe, Zimmer mit 18 qm heißen hier „Luxury King“, dazu gibt es paar Suiten mit 50 qm und mehr. Matratze, Kissen und Bettwäsche sind gut, serienmäßiges iPad, Fernseher, Kaffeekocher, Laptop-Tresor und natürlich jede Menge schrilles, in jedem Zimmer anderes Design reißen die Enge nicht raus. Links und rechts der Kingsize-Betten nur ein schmaler Gang, durch den man sich quetschen muss, Schranktüren haben eine spezielle Falt-Technik, weil sie sich sonst vom Platz her nicht öffnen ließen, Sitzgelegenheit und Schreibtisch auf engstem Raum, die Fenster lassen sich nicht vollständig öffnen, keine Ablage für nur zwei mittelgroße Reisetaschen, lahmes Internet, lausige (nicht dick-flauschige, sondern kratzige) Handtücher, Bademantel und Slipper vielleicht für Micky Mouse passend, aber nicht für meinen Teutonen-Körper, winzige Bäder mit viel schwarzem Schiefer, wieder viel Design, ordentliche Pflegeprodukte von Noble Island, alles funktional, aber eng. (Hier sieht man wieder einmal, was der wahre Luxus in London ist, nämlich Raum. 5.000 bis 10.000 Britische Pfund Monatsmiete für eine Wohnung mit drei Schlafzimmern in der Innenstadt sind hier eher selbstverständlich, falls Sie wissen, was ich meine.) Dazu die Hotelzimmer im Exhibitionisten nicht wirklich sauber, nicht etwa dreckig, aber hier in Haar, dort ein einige Krümel, dann ein paar Flecken im Teppichboden, dazu riecht es muffig und die Klimaanlage / Heizung klappert. Caro blieb genau 90 Sekunden in diesem Standard-Zimmer, bevor sie ziemlich angepisst (zum Glück hatte sie das Hotel gebucht) zur Rezeption zurück stapfte und energisch (sehr energisch) ein größeres Zimmer verlangte. To make a long story short: nach einigem Diskutieren und gegen einen recht stattlichen Aufpreis bekamen wir dann ein „Ultimate Luxury King“ Zimmer samt Balkon mit Blick auf eine Hinterhof-Wohnstraße, euphemistisch als „overlooking a quiet corner of Kensington“ umschrieben. Nichtsdestotrotz, womit das Haus seine vier Sterne begründet, ist mir schleierhaft; schräge Drei-Sterne-Herberge allemal, aber doch nicht First-Class Unterkunft für hohe Ansprüche.

Exhibitionist, London, Kensington

Das Exhibitionist hat aber noch eine dritte, vierte und fünfte Medaillenseite. Da ist zuvorderst das Personal. Allesamt jung, freundlich, aufmerksam, nicht immer perfekt, aber immer bemüht, stets zur Stelle, höflich, zuvorkommend und zahlreich. Zwei von ihnen beobachten ständig den Eingang, begrüßen Gäste, halten Türen auf, tragen Gepäck, jagen auf der Straße Taxis, geben Auskünfte, sind behilflich in jeder Art und Weise, und das unglaublich freundlich; aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss ich zwar sagen, dass sie vielleicht dreiviertel ihrer Zeit einfach unproduktiv herumstehen, aber so geht eben hospitality. Selbiges gilt für die Rezeptionisten und natürlich den Service im Restaurant und der Bar. Hier gibt es keinen Schlendrian, Wartezeiten, Desinteresse, hier fühlt man sich als Gast tatsächlich noch als König. Als König … was den Service anbelangt, nicht aber – vierte Medaillen-Seite – was die Qualität der Speisen anbelangt. English Breakfast ist sowieso ungenießbar (finde ich und dazu stehe ich, auch wenn die Anglophilen jetzt die Messer wetzen mögen), Porridge geht noch, selbst die Eier sind gewöhnungsbedürftig, dazu komische Butter und industrielles Wabbelbrot in Weiß oder Hellbraun; früher gab es mal ein kleines Buffet, das Continental Breakfast symbolisieren sollte, das wurde aber wohl wieder eingestellt. Morgens fungiert die Hotelbar als Frühstücksraum, tagsüber und abends als Restaurant, dann wieder bis spät nachts als Bar. Es gibt hier Breakfast, Lunch, Five-o`clock-Tea, Dinner, schließlich Bar-Snacks, und große Teile dieses durchgängigen Trauerspiels kann man schließlich noch via Room-Service auf die winzigen Zimmerlein bestellen. Der Versuch einer dezidierten Restaurant-Kritik erübrigt sich aus meiner Sicht hier: alles, was aus hier der Küche kam und wir probierten, war lausig bis teilweise sogar widerlich, Britische Küche at it’s best halt, und was auf den Nachbartischen serviert wurde, lies nicht den Eindruck aufkommen, dass wir das schlechtere Futter geordert hätten. Die Tatsache, dass dabei sehr viel einheimisches Laufpublikum das Restaurant / die Bar des Exhibitionist zu allen Tageszeiten frequentiert, spricht allein für sich Bände, Briten mögen diese Art von „Speisen“ offenbar. Ach übrigens, wer es nicht gemerkt haben sollte, ich mag Britisches Essen nicht. Aber immerhin, so ist man nicht nur mit reisendem Volk zusammen, sondern trifft sogar noch echte Eingeborene, ohne das Hotel zu verlassen.  Die fünfte Seite der Medaille – und damit will ich es dann auch gut sein lassen, fünfseitige Medaillen, wo gibt’s denn sowas? – schließlich ist die Lage, die Lage, die Lage. In den Hide Park oder zum Buckingham Palace sind es zu Fuß keine 30 Minuten, auch am Piccadilly Circus ist man in weniger als einer Stunde urbanen Flanierens durch belebte Straßen mit Geschäften und Restaurants. Und um das Hotel selber finden sich in Rausch-Wank-Nähe  neben U-Bahn-Station und Buslinien jede Menge angesagte Restaurants, Shops, Galerien, Bars, Clubs, hier braucht man weder Auto noch Bahn noch Taxi, das pralle urbane Leben tobt hier quasi vor der Haustür.

Exhibitionist, London, English Breakfast

Man muss sich halt nur vorher im Klaren sein, auf was man sich da einlässt.

Exhibitionist, London, Kensington

 

The Exhibitionist Hotel
7-10 Queensberry Place
London SW7 2EA
Vereinigtes Königreich
Tel.: +44 (20) 79 15 00 00
E-Mail: reception@theexhibitionisthotel.com
Internet: www.theexhibitionisthotel.com

 

DZ Ü/F 220 € bis 650 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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