Tannenmühle: Massentourismusabfertigungsanlage in idyllischer Umgebung

Summa summarum: Hübsch und idyllisch und abgelegen isses ja, im Schlüchttal im Südschwarzwald. Leider ist der Gasthof vor Ort nichts weiter als eine holzvertäfelte Großgastronomie zur Convenience-schwangeren Abfertigung von Touristen-Busladungen, nur die hauseignen Forellen sind recht lecker. Ansonsten ist es laut und sehr rustikal, das Servicepersonal ist erwähnenswert freundlich, gut ausgebildet und flott, die Komfort-Zimmer sind ganz in Ordnung, die Standard-Zimmer sehr basic.

Potztausend. Just an diesem Wochenende scheinen alle schönen Schwarzwald-Hotels und –Gasthöfe ausgebucht, Caro (ok, sind wir ehrlich: Caros Sekretärin) und ich haben uns schon die Finger blutig gesucht, uns war nach solider, bodenständiger Gastronomie, handgeschabten Spätzle und gemütlichen Pensionszimmern mit dicken Betten und netten Bädern. Keine Chance, zumindest nicht an besagtem Wochenende. Als reiste die ganze Welt in den Schwarzwald. Sapperlot. Aber man ist ja bereit, Abstriche zu machen. Schließlich Südschwarzwald, ein romantisches, unbesiedeltes Tal an einem Bergbach, ein winziges Sträßchen, mitten im dem Tal tief im schwarzen Tann eine Forellenzucht mit kleinem Schwarzwaldgasthaus, wo man frisch gemeuchelte Forellen auf mannigfache Weise zubereitet essen kann, dazu ein paar Betten, in die erschöpfte Wanderer und großstadtgeplagte Großstädter ihre müden Häupter des Nachts in schwarzwäldlich idyllischer Stille fernab von jedem Stress und Lärm betten können. Sieht echt gut aus. Soweit die Theorie und die Bilder im Internet. Es muss ja nicht immer Kaviar sein, und von daher, nur immer frisch gebucht, und zwar ein „36 qm … Komfortzimmer mit optisch getrenntem Wohn- und Schlafzimmer ausgestattet, … Balkon sowie Dusche und WC“.

Des Samstags Morgens fahren wir auf engen, kurvigen Straßen im Südschwarzwald Richtung Grafenhausen. Es ist fast romantisch, dunkle Wälder, kleine Schluchten, verträumte Weiler, properer Gehöfte, stolze Dorfgasthäuser, saftige Weiden, glückliche Kühe, gepflegte Kirchen, keine Moscheen und Schischa-Bars, es scheint es sporadisch doch noch zu geben, Deutschland. Irgendwo dann an einem alten Hof eine Abzweigung auf ein Sträßchen, mehr schon ein Feldweg, zwei Wagen kommen hier nicht aneinander vorbei, hinein in besagtes Tal, immer frisch bachauf entlang der Schlücht. Nach vielleicht einem Kilometern dann das erste Haus im Tale, die Schlüchtmühle, an diesem Wochenende ein verwaister, leerer und verrammelter Gasthof, das Schwesterhotel der Tannenmühle unter gleichem Management, wie wir später erfahren werden, das vorwiegend als Tagungshotel am A… der Welt verwandt wird, ohne Chance für die Tagungsteilnehmer, des Abends nochmal kurz auf ein Bierchen oder Nüttchen abzuhauen, fast schon Zwangsklausur, gewiss ein gutes Konzept, zumindest für die Tagungsveranstalter, für die Tagungsteilnehmer eventuell eher weniger. Unvermittelt säumen sodann monströse Phantasiefiguren den Weg, naiv, aber massiv aus Holz geschnitzt und angemalt, ein, zwei, drei Meter hohe Gnome, Waldgeister, Schrate, es ist erschreckend, wozu Menschen in der Einsamkeit der schwarzen Tannenwälder offensichtlich fähig sind. Ein paar hundert Meter weiter im Tal dann schließlich die Tannenmühle, weniger romantisches Schwarzwaldhäuschen als vielmehr massiver Hauskomplex im nachempfunden Schwarzwaldstil mit zahlreichen Erweiterungen und Anbauten, ein mächtiges Drumm von Haus. Drumherum um das Drumm etliche Forellenteiche, nicht zur Zierde, sondern offensichtlich tatsächlich eine professionelle, veritable Fischzuchtanlange, ein großes Streichelzoo-Gehege mit Ziegen, Emus, Enten, kleinen Rindern, in einem Käfig zwei traurige schneeweiße Eulen, dann ein beachtlicher Kinderspielplatz mit allerlei beweglichen Miniatur-Baugeräten, dahinter ein Gehege mit handzahmem Rot- und Dammwild, darunter auffallend viele Albinos, vis-à-vis am Hang eine tatsächlich historische Schwarzwaldmühle, heute zum Mühlenmuseum umgebaut, natürlich mit angegliedertem Kitsch-Shop nach dem Motto Kitsch as Kitsch can, dämliche Pauschalbustouristen kaufen Schafsmilchseifen für 7 Euro, Namensbecher, Schwarzwald-Brotmischungen, Duftkerzen und ähnlichen Tinnef, darüber etwas weiter den Berg hinauf eine halb-offene Kapelle, die vielleicht 3 Meter hohen Herzen aus Metall mit Sitzbank darinnen mitten in der Landschaft, die Kapelle und das Museum jeweils im Hintergrund, lassen schnell erkennen, dass hier offensichtlich auch professionelle Hochzeitsindustrie praktiziert wird, dann wieder ein Ensemble dieser monströse Phantasiefiguren, diesmal unter dem Motto „Fischhochzeit“ mit einem Walross mit Zylinder und einem Delphin im Brautkleid, drumherum eine illustre hölzerne Gesellschaft monströser Phantasiefiguren … so weit, so schlecht. Wirklich schlimm ist dann der Großparkplatz inmitten dieses ganzen Waldensembles, auf dem Heerscharen von Autos Platz finden und natürlich Busse. Zwei Busse stehen bei unserer Ankunft da, die Busreisenden legen hordenweise von ihrem Hier- und Dasein laut- und dialektstark Zeugnis ab, nix von wegen idyllischer Waldesruh, Kleidung, Schuhe, Benehmen, Sprache und Tischsitten lassen vermuten, dass sie nicht unmittelbar zum „denkenden, besseren Teil des Volkes“ (Friedrich Schiller, 1784) gehören. Des Weiteren fallen auf dem Parkplatz erstaunlich viele Autos aus der Schweiz auf, allesamt Klein- und Mittelklasse-Wagen, größere und luxuriösere Automobile – Mercedes & Co. – fehlend auf dem Parkplatz gänzlich, weder aus der Schweiz noch aus sonstwo her, dieser Parkplatz suggeriert geradezu Kleinbürgerlichkeit.

Innen begrüßt das Hotel mit einer kleinen Rezeption, schnellem und freundlichen Einchecken, sodann engen, langen, düsteren Fluren, keinem Lift, dafür engen Treppen, einem Gewirr von Restaurationsräumen im Untergeschoss, noch weiter unten ein Kinderspielzimmer, aus dem ganztägig Lärmen, Jauchzen, Lachen, Schreien dringt, die Böden sind abgewetzt, die Wände weisen Kofferstriemen und Dellen auf, Hallenbad, SPA, Salons, Hausbar, Rückzugräume für Hausgäste … alles Fehlanzeige, das ist ein verwinkeltes Groß-Restaurant mit Pensionszimmern darüber, sonst nichts. Dafür, auch das muss man eingestehen, sind die frisch renovierten Komfortzimmer recht komfortabel, großes Tageslichtbad mir Wanne und Dusche, Holz- und Stein-Imitat-Verkleidungen an Wänden und Böden, keine Pflegeprodukte aber Fön, angerissene Frotteehandtücher, sehr einfache Bettwäsche, weiche Matratzen, funktionale Möblierung, aber von „optisch getrenntem Wohn- und Schlafzimmer“ (wie im Internet versprochen) keine Spur, extra Sitzgruppe, kein Schreibtisch, großer Balkon zum rauschenden Bergbach hin, sehr, sehr gutes Lichtdesign, ordentliches W-Lan: alles in allem sind die Komfortzimmer schon ok, während die Standardzimmer doch recht einfach gehalten sind. Die Tannenmühle mag gut sein für eine junge Familie oder Oma und Opa für ein Wochenende mit Kindern, sie mag auch taugen als Übernachtungsgelegenheit für müde Schwarzwaldwanderer, sie passt gewiss für Bus-Billig-Pauschaltouristen, für bewusst freudlos gehaltene Tagungen und für Groß-Hochzeiten und andere Festivitäten, aber für ein gepflegtes Relax-Wochenende, gar für ein romantisches Liebes-Wochenende eignet sich die Tannenmühle ebenso wie ein Grüner als Energieminister oder wie eine Gabel zum Brühe essen. Bis spät in die Nacht trampeln über uns Kinderfüße auf den alten Holzböden, Krach ist überhaupt eines der Hauptmerkmale dieses Hotels in idyllischer Waldesruhe, laufende Busmotoren, schreiende Kinder, zurückschreiende Mütter, speziell ein ungezogenes Kind in Narrenkostüm mit Schellen, das zur Abendessenszeit unablässig und laut klingelnd durch die diversen Restauranträume rennt, ohne dass jemand – Personal oder Eltern – Einhalt geböte, nach Bier und Torte schreiende, sich laut unterhaltende Bustouristen, … Dazu viele Schweizer Familien, die hier offensichtlich über’s Wochenende Familienfeiern an langen Tischen zelebrieren, wie gesagt, eher aus dem kleinbürgerlichen Milieu, wie Tischsitten und Schuhe unschwer erkennen lassen, für sie ist Deutschland heute ein Billigland (wie für die Deutschen weiland die Tschechoslowakei oder Polen), wo man zum Party machen und Urlauben hinfährt, weil alles so relativ wohlfeil ist gemessen am eigenen Land, und auch schon mal einen Teil des guten Benehmens daheim lässt, schließlich ist man ja gut zahlender Gast. Billigland Deutschland – daran muss man sich erst einmal gewöhnen, aber Konstanz oder Lindau am Wochenende verschaffen hier einen guten Eindruck.

Die Servicekräfte in der Tannenmühle stammen aus Litauen, Ostdeutschland, Iwan aus Russland, usw., alle meist tadellos freundlich, flott, gut ausgebildet, hilfsbereit, auch das muss man koinzidieren. Wohlgemerkt meist … Auch für Hotelgäste gilt am Eingang des Restaurant-Bereichs das obligatorische Schild „Sie werden platziert.“ Wenn man als Hausgast zusammen mit massig Laufkundschaft des nachmittags um 14:30 Uhr über 10 Minuten an besagtem Schild wartet, während Personal im Hintergrund – die wartenden Gäste wohl sehend – quatscht und tratscht und lacht und scherzt (und nicht etwa hektische Dienst-Gespräche führt) und die wartenden Gäste einfach ignoriert, dann ist das schon eine ziemlich arrogante Frechheit.

Aber lassen wir das, sprechen wir über’s Essen. Das Ambiente der Fütterungsbereiche ist holzvertäfelte Großgastronomie, und so gemütlich ist es ebenfalls. Die Speisekarte selber gibt sich deutsch-national plus Forellengerichte, wechselnde Tages- oder jahreszeitliche Karten sind Fehlanzeige, dafür gibt’s eine verkürzte Bus- und eine Feier-Karte. Als Vorspeise werden Carpaccio, Salate, Crevetten Cocktail geboten, drei Suppen, für die Essgestörten Gemüseteller und Käsespätzle und dann das übliche Ausflugslokal-Einerlei von Schnitzel, Steak, Cordon bleu, Schweinelende mit Pilzen in Sahnesoße, Wildragout, Salatteller, dazu – wie es sich für eine Forellenzucht gehört – allerlei Fischiges, Forellensuppe, geräuchertes Forellenfilet, flambierte Forellenleber im Reisring, Forelle Blau und Müllerin, ein knappes Dutzend verschieden zubereitete Forellenfilets, als Piccata, paniert mit Remoulade, mit Rösti, orientalisch mit Banane, mit Kapern und Blattspinat, sowas halt, schließlich noch der obligatorische Schwarzwaldbecher, Crème brûlée und Standard-Eisbecher mit Industrieeis, die Nachtischkarte ist so inspirierend, kreativ und appetitanregend wie eine Betonwand. In der Tat interessant ist die Forellen-Karte, die Forellen sind mega-frisch und gut, der Rest ist Ausflugs-Lokal-Tristesse mit viel TK und Convenience, wie sonst sollte ad hoc ein Bus mit 50 Personen verköstigt werden können? Was dann da über drei Tage hinweg immer wieder serviert wird, entspricht vollends der desillusionierten Erwartungshaltung, untertrifft sie zuweilen sogar noch zielsicher.

Crevettencocktail als Vorspeise: ein paar TK-Meereswürmchen mit Flaschen-Sauce und vielen kleinen Obststückchen (wir rätseln immer noch ob Dosen-Ananas oder –Mango) auf Füllsalat an Chicoréeblatt (damit man nicht so viele Garnelen braucht) unter Mandarinen- und Kiwi-Spalte mit Dillzweiglein, vier Granatapfelkernen und wellig geschnittener Butterspalte zur Garnitur im Becherglas: das ist – bis auf Kiwi und Granatapfelkern – sowas von retro Siebziger Jahre, und wenigsten genau so schlecht wie damals (nur damals war’s wenigstens noch neu und originell).
Auf den Teller mit kleinen Forellen-hors d`oeuvre haben sich neben Stücklein der hauseigenen – wie gesagt recht guten –geräucherten und gebratenen Forelle und einer geschmacklosen Forellenterrine auch noch allerlei Industriesaucen, wieder TK-Crevetten auf Chicorréeblatt und zugekaufter Räucherlachs verirrt, aufgefüllt mit Salat, Flaschendressing und Pinienkernen: bis auf die Forelle absolut belanglos bis unangenehm.
Flädlesuppe: naja
Forelle blau: ich bin zwar – aus gegebenem Anlass – gerade auf Krawall gebürstet, aber man muss ehrlich bleiben: die Forelle blau frischer geht es kaum, gekonnt – eine Tick zu lang – pochiert, das ist tadellos. Andererseits, ich bin es selbst von schlechteren Restaurants gewohnt, dass der Fisch vom Service-Personal am Tisch tranchiert wird, in der Massenverköstigungseinrichtung Tannenmühle kann man das natürlich nicht erwarten. Die Kartoffeln dazu tatsächlich keine Convenience-Ware, sondern offensichtlich in der Hotelküche zur zubereitetet und ordentlich, die Butter dazu allerdings nicht geklärt sondern voller Molke-Flocken, ein Armutszeugnis.
Die gebratene Forellenfilets Grenobler Art mit Zitronenfilets, Kapern, Blattspinat, brauner Butter, Bauernhof Kartoffeln wieder ausgesprochen frisch und gut, wieder eine Tick zu lange gegart, über die Zubereitungsart mag man geschmäcklerisch streiten, die braune Butter jedenfalls suspekt, die Kartoffeln ok, der Rest auch.
Tannenmüller’s hausgemachter Wurstsalat zur Vesper am Nachmittag besteht aus einem Berg aufgeschnittenen wurstigen Zeugs, wir tippen auf Leberkäs. Gegen die Vermutung, dass das Zeugs aus dem Convenience-Bottich stammt spricht die Tatsache, dass es weitestgehend geschmacklos ist. Die Garnitur von Gurke, Radieserl, Eichblattsalatblatt. Zwiebel und Petersil reißt es auch nicht raus.
Spektakulärer ist da schon der Nüsslesalat mit Himbeerdressing, gerösteten Kernen, Croutons und Ei. Nüssle, das meint Feldsalat, Feldsalat, wie er kistenweise vorgeputzt im Gastro-Großhandel zu bekommen ist. Himbeerdressing, das meint irgendwas rotes cremiges Saures. Geröstete Kerne, das meint irgendwelche Kerndel, alles andere als geröstet, aus dem Packerl drüber gestreut. Croutons, das meint zu Würfeln geschnittenes Industrie-Weißbrot, wie man es in zig-Kilo-Säcken bei der Metro kaufen kann. Ei schließlich meint hart gekochte Ei-Spalten in Industrie-Sauce.
Über die hausgemachte Gulaschsuppe – eine mit Paprikas angedickte Fleischbrühe mit gekochten, sehnigen, zähen Rindfleischstücken darinnen – schweigt man besser.
Das Rumpsteak vom Angusrind mit Pfefferrahmsoße ist ein ordentlicher Flatschen ordentliche Kuh, allerdings scheint man in Grafenhausen und dem Rest der Welt unterschiedliche Auffassungen über die Garstufe „medium“ zu haben. Die Pfefferrahmsauce ist nach unserem Geschmack übelstes Convenience-Machwerk aus der Tüte, die Pommes sind ok, der gemischte Salat – gegen Aufpreis – ebenfalls ok. Aber die Sauce reißt den Rest in den geschmacklichen Abgrund.
Der obligatorische Schwarzwaldbecher: industrielles Schokoladen- und Vanille-Aroma-Eis mit Schattenmorellen aus dem Glas, einem Schuss Alkohol und unendlich viel Sprühsahne.
Nicht besser sind die Meringe – harten Schaum aus Eiweiß und Zucker, kaum selbst gemacht – mit Industrieeis, Industrieschokosauce, wieder unendlich viel Sprühsahne mit Physalis obendrauf.
Aus der Bus- und Gruppenkarte der Tannenmühle

Hotel Tannenmühle
Familie Baschnagel
Tannenmühleweg 5
79865 Grafenhausen
Tel.: +49 (77 48) 2 15
Fax: +49 (7748) 12 26
Email: info@tannenmuehle.de
Internet: www.tannenmuehle.de

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