Ich sitze bei Caro in ihrem Büro hoch über Frankfurt und blicke durch die großen Fenster auf diese verrottete Stadt. „Du kommst also mit?“, sagt Caro, wobei ihr Ton mehr nach Anordnung denn nach Frage klingt. Sie muss ein paar Tage nach Sizilien, wenn ich es richtig verstanden habe, wollen italienische Agrar-Erzeuger, also keine kleinen Bauern, sondern größer eine Export-Gemeinschaft nach Deutschland gründen und das Ganze aus Gründen, die sich meinem beschränkten betriebswirtschaftlichen-juristischen-steuerlichen Horizont deutlich entziehen, als deutsche Gesellschaft mit italienischen Gesellschaftern aufziehen, für mich hat das Ganze ja ein G’schmäckle, wie der Schwabe sagen würde, aber als Juristin ist Caro eben bekannt als ausgewiesene Spezialistin für Angelegenheiten mit G’schmäckle (G’schmack darf’s halt keiner sein oder gar haut goût, da lehnt dann selbst Caro ab), und genau deshalb kann sie auch ihre zum Teil absurd hohen Honorarnoten stellen. In den vergangene Monaten hat sie lange Gespräche mit – wie ich finde – recht dubiosen Italienern und ihren italienischen Beratern geführt, jetzt soll sie persönlich nach Sizilien, um diese Allianz final zu schmieden, rechtliche Konstruktionen, Rechte, Pflichten, Risiken, steuerliche Auswirkungen, Weisungsbefugnisse, Gremienbesetzungen, Beschlussmehrheiten und weiß der Geier was sonst noch alles vor Ort allen Beteiligten zu erklären und Unterschriften unter Gründungsurkunden, Gesellschafterverträge und Gesellschafterbeschlüsse einzusammeln. Caro wäre nicht Caro, wenn sie dieses Mandat abgelehnt hätte, und dennoch begeht sie genau jetzt eine großen Fehler: sie muss zu ihrem nächsten Termin, mich hat sie bereits eher minder als mehr höflich herauskomplimentiert, da ruft sie ihrer neuen Sekretärin zwischen Tür und Angel noch zu: „Buchen Sie uns beiden“ – sie meint sich und mich – „bitte noch am 06. den ersten Flug,“ – uff, wir fliegen Linie und nicht in Caros Blechkiste – „wenn möglich Direktflug nach Palermo, dort einen kleinen Mietwagen mit Automatik und Navi, dann drei Nächte in Palermo, eine in Marsala, eine in Ragusa, eine in Syrakus, drei in Catania, Doppelzimmer, jeweils das erste Haus Platze in der unmittelbaren Innenstadt, sofern es preislich halbwegs im Rahmen bleibt, am 15. Rückflug Morgens von Catania oder Mittags wieder von Palermo, wo’s halt einen Direktflug gibt, und Auto dann auch entsprechen zurückgeben. Machen Sie bitte, ich muss dringend weg.“ Selber schuld, Frau Oberwichtig. Deine alte, langjährige Sekretärin hätte Dich verstanden, und alles wäre gut geworden, aber diese junge, bestens ausgebildete, engagierte, freundliche, dazu noch ausgesprochen hübsche Frau wird exakt tun, wie ihr geheißen, und das wird wenn schon nicht im vollkommenen, so doch im weitgehenden Fiasko enden.
Der Flug am 06. morgens verläuft problemlos, Dank Caros diverser goldener, platinumener (oder wie heißt hier das Äquivalent?) und schwarzer Karten flutscht es quasi nur so, beim Einchecken, beim Sicherheitscheck, in der Lounge, beim Einsteigen, auf dem Flug, beim Aussteigen in Palermo, am Avis-Counter, Caro ist erbost über den Upgrade auf einen kleinen Benz, „Ich wollte was Unauffälliges!“, motzt sie und erhält sofort wieder einen Downgrade auf einen Fiat, „Danke Caro, ein Benz mit Klima wäre mir lieber gewesen als eine Schuhkiste, aber wahrscheinlich hast Du ja Recht, immer unauffällig bleiben in der Heimat der Cosa Nostra, bloß keinen Wohlstand ohne Not zur Schau stellen.“ Caro meistert den süditalienischen Verkehr wie eine Große, ich bin dankbar, dass ich nicht fahren muss. Es gibt nur – was mich ehrlich gesagt recht verwundert hat –zwei Fünf-Sterne-Schuppen in Palermo, ein Sofitel mit dem gigantischen Namen Grand Hotel Villa Igiea Palermo, etwas nördlich vom Stadtzentrum direkt am Wasser gelegen, ein Träumchen von einem Hotel, bei meinem letzten Sizilien-Aufenthalt war ich dort, und außerhalb der Saison noch nicht mal so teuer, und eben das Hotel Wagner, ein alter, extrem protziger klassizistischer Schuppen mitten in der Stadt, ob der Leipziger Krachmacher jemals dort abgestiegen ist oder ob das Hotel nur so heißt, weil Familie Wagner weiland in der Nähe des Hauses die sizilianische Sommerfrische genoss, ist selbst in den Annalen des Hotel umstritten, aber auch sowas von egal … Es dauert immerhin 40 Minuten, bis wir dort ankommen. Trotz der angeblich 5 Sternen sind Doorman, Page, Wagenmeister Fehlanzeige bei der Anreise, selbst die Entlade-Parkbucht ist dauerhaft zugeparkt, Caro hält in zweiter Reihe, alles Gehupe hinter ihr stur ignorierend, ich hüpfe die paar Stufen – nix von wegen Barrierefreiheit – zum Hoteleingang hoch, der Rezeptionist blickt mir inmitten des prächtigen, perfekt erhaltenen / renovierten Belle Époque-Zinnobers interessiert, aber gänzlich tatenlos dabei zu, derweil auf der der Straße das Hupkonzert hinter Caro ein Stakkato erreicht, ja, er bestätigt unsere Reservierung, legt mir Papiere zum Ausfüllen vor und verlangt meine Kreditkarte als Sicherheit. Ich vertröste den guten Mann, laufe zurück zu Caro im Wagen, irgendwie hat sie versucht, das Auto rechts ranzufahren, damit die mittlerweile im Stakkato Furioso Hupenden hinter ihr vorbeikommen – erfolglos –, ich erkläre ihr kurz die Situation, schnappe unsere beider Reisetaschen, ihre große Handtasche und meinen unglaublich praktischen Rucksack, mache mich daran, alles die Treppe hochzuschleppen, das Arschloch von Rezeptionist schaut mir interessiert von seinem Counter aus dabei zu, ohne auch nur irgendwie eine Anstalt zu machen, mir zu helfen oder jemanden zu rufen, der mir helfen würde, dieweil Caro sich in Ermangelung einer Hotelgarage oder eines Hotelparkplatzes daran macht, einen Abstellplatz für die Karre zu suchen, nach dreißig Minuten – ich habe längst eingecheckt, bin mit dem knarzenden, alten Lift, in dem, wie passend, der Walkürenritt in Endlosschleife läuft, nicht sehr vertrauenserweckend bei einem knarzenden, altersschwachen Lift, nach oben gefahren und habe unser Gepäck selber geschleppt, keinerlei Anzeichen eines Pagen oder sonstiger Hilfestellung durch das Hotelpersonal, bin – ehrlich! – vor Ehrfurcht erstarrt, als ich das wirklich perfekte historische Zimmer betrete, keinerlei abgewetzte Tapeten, speckige Teppichböden, kaputte Möbel, schimmlige Bäder, windschiefe Fenster, alles top in Schuss, technisch state of the art, wenngleich ich diese Multifunktions-Schalttafeln, mit denen man angeblich alles im Zimmer steuern kann – sofern man ein elektrotechnisches Studium erfolgreich abgeschlossen hat zumindest – abgrundtief hasse, historisch alles vorletzte Jahrhundertwende, wenn hier irgendwo Glastrennwände stünden wie in einem Museum und Schilder „Bitte nicht berühren, Ausstellungsstücke“, ich wäre nicht verwundert gewesen, dazu aber sehr gute Matratzen, halbwegs großer Bildschirm, schnelles Internet, funktionierende Schallschutzfenster (was wichtig ist, auf Sizilien wird eigentlich immer gehupt, viel mehr noch als in Rest-Italien, hup-lose Momente der relativen Stille gibt es zumindest in Palermo so gut wie gar nicht, und wenn, dann sind sie geradezu unheimlich, von daher sind gute Schallschutzfenster ein wichtiges Thema), ordentlicher Wasserdruck in der Dusche (keinesfalls eine Selbstverständlichkeit auf Sizilien), bis auf die flauschigen Teppichböden mit zweifelafter Sauberkeit nichts zu beanstanden, großes Hoteltheater – erscheint eine sichtlich entnervte Caro, die den Mietwagen nach endlosem Kreisen um den Block schließlich irgendwo abgestellt hat. Es ist lustig, ihren spontanen Gemütsumschwung von stocksauer über die Park-Situation zu ehrfürchtig bewundern der perfekten historischen Einrichtung, so etwas haben wir beide noch nicht gesehen: wir kennen bis dato einerseits authentische alte Hoteleinrichtungen, ja, aber dann mit Gebrauchsspuren, andererseits perfekte, luxuriöse, höchstwertige, moderne, neue Hoteleinrichtungen, und die dann auch ohne Gebrauchsspuren; aber alt und absolut perfekt in Schuss, diese Mischung habe ich so noch nicht gesehen, auch nicht auf Schloss Bensberg oder Elmau. Genug gestaunt, Caro hüpft unter die Dusche, schlüpft in ein kleines Schwarzes, schnappt ihre absurd große Handtasche und sagt „Ich muss los, ich ruf‘ Dich an, wenn ich fertig bin, irgendwann heute Abend, wart‘ mit dem Essen auf mich.“ Spricht’s und entschwindet, ich dusche ebenfalls, deutlich gemächlicher und bummele in die Stadt (ach ja, nachdem ich mich ebenfalls angekleidet habe natürlich).
Palermo ist schnell abgehandelt: Stadt halt, die Einwohner und die richtigen Geschäfte sind gegenüber den Touristen und den Abzockläden deutlich in der Überzahl, nur im Gassengewirr zwischen Via Maqueda – der Fast-Fußgänger-Zone Flaniermeile – und der Via Roma häufen sich zweifelhafte Verköstigungsstätten in denen offensichtlich Heiden Pizza, Nudeln und Schabefleisch – das original sizilianische Schabefleisch – zu Hauf anbieten und mit speckigen Speisekarten in aller Herren Sprachen vor den Kaschemmen recht aggressiv dafür werben und die Passanten in ihre Löcher locken wollen. Dann gibt’s noch ein paar alte Bauten, Mauern, Kirchen, Museen, einen großen Hafen und Swarovski- und Cartier-Filialen, das war’s, keine Spur von Cosa Nostra und Verbrechen, zumindest äußerlich, noch nicht einmal ein Taschendieb. Nur vor Kirchen und an öffentlichen Plätzen schauspielern etliche Vertreter devianter Volksgruppen den erbarmungswürdigen Bettler; vor den Kirchenstufen werden sie recht rasch, wie ich mehrfach beobachten kann, vom Küster oder Kaplan vertrieben, der Bettelschauspieler erhebt sich dann schimpfend und lamentierend, und derweil er zeternd weiter zieht, gesellt sich rasch aus dem Verborgenen immer ein zweiter Devianter – ich weiß nicht, ob Beschützer oder Herr – dazu und sie ziehen weiter zum nächsten Auftritt; und auf öffentlichen Plätzen erfahren sie deutlich mehr Miss- und Verachtung, als das in Merkels Gutmenschenland der Fall ist. Da mich hungert und ich mich nicht vorsätzlich in die Hände dieser aggressiven Schabefleisch-Pizzabäcker begeben will, gehe ich – direkt an der Idiotenrennmeile gelegen und doch unscheinbar bescheiden – in die Sud Antica Forneria Siciliana, eine Forneria – Bäckerei – 2.0, wie sie sich selber nennen, aufbauend auf der traditionellen Sizilianischen Bäckerei, die weitaus mehr war als nur Brotbackstation. Der Raum ist lang und schmal, zur Hälfte offen Küche, ein Viertel Gang und ein Viertel Tische, im Hinterhof sind weitere Tische, aber hier vorne ist es interessanter, den Leuten bei der Arbeit zuzusehen. Der Raum ist auch irgendwie stylisch, vorwiegend lokale Materialien wie Billiemi Marmor, Walnuss-Holz, Caltagirone Fliesen, helles, gelbliches Licht, und so ist auch das Publikum. Die Macher haben sich weiterhin 0-km-Zutaten („prodotti chilometgro zero“) verschrieben, was freilich nicht immer klappt, aber fast alle Zutaten – insbesondere die Mehle aus alten Sizilianischen Getreidearten – kommen tatsächlich aus Sizilien, und nahezu alle Zutaten stammen aus biologischem Anbau (wobei ich freilich nicht beurteilen kann, was „biologischer Anbau“ nach Italienischem Recht bedeutet / erfordert, aber es hört sich erstmal gut an, und bis zum Beweis des Gegenteils nehmen wir auch erstmal das Beste an). Es gibt warmgehaltene Take-Away Pizza-Stücke von großen Blechen, eigentlich ein Graus, hier tatsächlich nicht nur essbar, sondern lecker, und durch den hohen Durchsatz fast immer halbwegs frisch.
Die Burrata ein Gedicht, die unscheinbaren halbierten Kirschtomaten dazu ebenfalls, der gehackte Basilikum genial, das Olivenöl herrlich, die Pizza Pane aus Sauerteig, frisch, heiß, knusprig, lecker, alles ganz einfache Zutaten, aber von sehr guter Qualität, ganz primitive Zubereitung, und doch ein kulinarischer Höhepunkt. Die Saucen sind natürlich vorgekocht, die Nudeln aber frisch und auf den Punkt, alles zusammen deutlich besser als bei so manchem Nobelitaliener. Dazu trinke ich – eigentlich ist es ja noch zu früh, aber was soll’s – einen 2015er Nerello Cappuccino von Giuseppe Benanti von der Ätna-Südseite. Das Alles hier ist sicherlich nicht anders zu bezeichnen als Fast Food, und doch ist es anders. Wo bei McDonalds & Co. Plastik und Furnier in vorgegebenem Style bei der Einrichtung dominieren, sind’s hier nicht billige, heimische, individuell gestaltete Materialien. Wo bei McDonalds & Co. vorgefertigte, angelieferte Produkte dominieren, wird hier das meiste – Pizzateige z.B. – frisch vor Ort selber gemacht. Wo bei McDonalds & Co. Billigzutaten aus aller Welt dominieren (nur manchmal wird vorgegeben, Rindfleisch oder so käme aus der jeweiligen Region), dominieren hier Bio-Produkte aus der unmittelbaren Umgebung in ziemlich guter bis bester Qualität. Wo bei McDonalds & Co. unterbezahlte und untermotivierte Burger-Knechte maulen, sind die Bedienungen hier freundlich, flott, kommen an den Tisch und können sogar beim Wein beraten. Wo’s bei McDonalds & Co. nach altem Fett und billigem Parfum stinkt, riecht’s hier nach leckerem Essen. Wo bei McDonalds & Co. täglich Tonnen von Papp- und Plastikgeschirr-Abfall anfallen, gibt’s hier eine Spülküche. Wo man bei McDonalds & Co. erzwungener Maßen nüchtern bleiben muss wie ein Muselmane, kann man sich nach Herzenslust die Kante geben. Und wo bei McDonalds und Co. große Teile der Gewinne direkt nach USA gehen, um make America great again und so’n Schmarrn, bleiben die Gewinne hier im Lande. Also, für mich hätte die Sud Antica Forneria Siciliana durchaus Franchaise-Potential, um Fast Food und Systemgastronomie neu zu definieren.
Nach dem Essen setze ich mich vor das für seine Akustik so berühmten Teatro Massimo an die Piazza Guiseppe Verdi und beobachte bei Scotch und Espresso das Treiben, einheimische Schulklassen auf den Theaterstufen im Schatten sitzend und in ihre Funken starrend, beflippfloppte Touristen in Short mit Tatoos und Kameras, alte Männer mit Stock und Kappe auf den Bänken unter den Bäumen redend, eilige Muttis mit Kinderwägen beim Einkauf, vereinzelte Musiker, dafür, dass Sizilien viel näher an Afrika ist als zum Beispiel Bottrop, laufen in Bottrop deutlich mehr Verschleierte Frauen und Männer in wallenden Tüchern mit grimmigen Bärten herum als jetzt hier. Trotz allem will in mir keine Stimmung aufkommen, keine Stimmung von Sonne, Süden, Meer, antiker Ergriffenheit, dolce vita und dolce farniente, was Wagner an dieser Ecke fand – außer, dass man sein Gedudel hier hudelte und ihn dafür lobhudelte – vermag ich nicht zu verstehen.
Am frühen Abend treffe ich Caro im Hotel, sie macht sich frisch, schließt ihre Unterlage in den Zimmertresor und wir bummeln die viertel Stunde durch die Stadt in die Osteria Ballarò in der Via Calascibetta, das angeschlossene Take-Away ist nur auf den ersten Blick beunruhigend, die Einrichtung drinnen ist einfach-rustikal, vorne eher Enoteca, hinten Restaurant, schwarz-weiß karierter Steinfußboden, helle Natursteinwände aus großen Quadern, romanische Bögen, große Fenster, eng bestuhlt, einfache Stühle mit Korbgeflecht, einfaches Geschirr, es gibt authentisches sizilianisches slow food, dazu ausgezeichnete Grillo-Weine (eine heimische Traube), das Leben kann schön sein. Wir teilen uns zu Anfang Tempura aus Gemüsen und Schrimps. Caro nimmt dann gegrilltem Oktopus mit Kartoffeln und Basilikumöl, danach Meeräsche unter Brotkruste mit Büffelmozzarella, Tomaten und Basilikum-Mayo. Ich finde bei den Antipasti nichts für mich, nehme stattdessen hausgemachte Pappardelle mit einer Ragoutsauce vom seltenen Nebrodi-Schwein, danach einen Kalbsfilet-Spieß mit Zwiebeln auf geschmolzenem Ragusano-Käse, was doch recht mächtig ist. Zum Nachtisch teilen wir uns wieder eine Dessertplatte des Hauses mit Tiramisu, Sorbet, Kuchen, Mandelcreme, …, dazu Kaffee und Scotch. Das ist alles keine Hochküche, aber alles ehrlich, frisch zubereitet aus fast ausschließlich lokalen Zutaten, die Tellerkompositionen sind übersichtlich, logisch, passend, man schmeckt beim Fisch die Frische des Meeres, und das Kalb schmeckt nach Kalb und nicht nach Hormon, und die Kräuter haben eine ganz andere Geschmacksintensität als bei uns, selbst ein gut meinender Deutscher Koch kann solchen Basilikum nicht bei Metro oder Bos erstehen, sowas gibt’s nur frisch vor Ort vom Gärtner aus Sizilien. Nur leider trifft der Begriff Slow Food hier nicht nur auf’s Essen zu, sondern auch auf den Service, der langsam, aber herzlich ist.
Enttäuschend danach die Hotelbar im Wagner. Restaurant gibt es sowieso keines im Haus, eigentlich ist das ein Hotel garni (ich verstehe bis jetzt nicht, woher die ihre 5 Sterne haben wollen, auch der Wellnessbereich ist nur ein kleines, muffiges Kellerloch mit einer kalten Winz-Sauna, ein paar Duschen und Liegen und einigen Fitness-Geräten, von Schwimmbad oder richtigem SPA keine Spur), aber eine ebenfalls wunderschöne, alte, bestens in Schuss gehaltene Hotelbar. Offensichtlich sind wir die einzigen Gäste, der Rezeptionist sitzt zusammen mit dem Barkeeper auf einem großen Sofa in einer Nische der weitläufigen, ansonsten leeren Hotel-Halle, beide die Füße auf dem Tisch (!), und sie schauen auf einem Großbildfernseher Fußball. Als sie uns gewahr werden, springen sie auf, der Rezeptionist trollt sich in seine Rezeption (als wir später die Bar verlassen, sitzt er wieder vor dem Fernseher, dann allerdings ohne die Füße auf dem Tisch zu haben), der Barkeeper in seine Bar, diese wieder traumhaft schön und in Schuss, aber das Getränkeangebot ist traurig-traurig-traurig, ich versuche noch nicht einmal, einen Martini zu bestellen, statt dessen ordern wir Scotch ohne Eis, J&B ist das Beste, was die Bar hier zu bieten hat, der Keeper in seiner viel zu großen weißen Jacke mit schreienden Messingknöpfen, Epauletten und dicken Kordeln (weiß der Geier, wozu ein italienischer Barkeeper ohne jegliche Ahnung vom Fach Epauletten und Kordeln an der Jacke braucht, wahrscheinlich um die mangelnde Ahnung wenigstens durch großes Auftreten zu kaschieren) serviert zwei spärlich mit Scotch befüllte Tumbler mit jeweils einem Zahnstocher mit zwei aufgespießten grünen Oliven mit Paprika-Fülle darinnen und natürlich mit Eis. Irgendwie erwarte ich, dass er jetzt noch sagt: „Mein Name ist Bond, James Bond.“ Sowas kann Caro ja nun gar nicht ab. Sie schüttet einen Schwall ziemlich unfreundlich klingender Worte auf Italienisch über die Barkeeper-Kopie mit Epauletten und Kordeln aus, dieser trollt sich stante pede mit seinen zwei spärlich mit Scotch befüllten Tumblern mit jeweils einem Zahnstocher mit zwei aufgespießten grünen Oliven mit Paprika-Fülle darinnen und natürlich mit Eis, zurück hinter seine Bar, und er kommt zurück mit zwei Tumblern voll bis obenhin mit J&B ohne jeden Schnickschnack. Caro grinst, prostet mir zu und nimmt einen großen Schluck. Das geht dann noch eine ganze Weile so, bis wir uns zu Bett begeben, in unser Museum. Des Nachts hat man hier die Wahl zwischen Straßenlärm – der in Palermo zu keiner Tageszeit aufhört – oder gut isolierenden geschlossenen Lärmschutzfenstern, Innenstadt halt, wie gewünscht. Das Frühstück wird in einem fensterlosen Kellerloch serviert, bitterer Filterkaffee auf der Warmhalteplatte einer billigen Plastik-Kaffeemaschine auf dem Buffet, viel abgepacktes Süßzeugs, schlechte Brote, kaum frisches Obst … das alles ist selbst für italienische Verhältnisse lausig.
Die nächsten beide Tage arbeitet Caro und ist verschwunden, ich schaue mir nochmals die Stadt an – viel hat sich nicht verändert seit gestern – und fahre am zweiten Tag ein wenig die Küste entlang, links Meer, rechts Hügel, wer’s mag. Am Abend des zweiten Tages gehen wir in die La Champagneria del Massimo, ein nice and fancy place, wo sich die einheimischen Reichen und Schönen treffen und diejenige der Touristen, die nicht unbedingt Tripadvisor als Reiseführer nutzen und McDonalds Palermo für ein typisch italienisches Lokal halten. Das Wein- und Champagner-Angebot ist ebenso beachtlich wie die Spirituosen-Auswahl und die Cocktailkarte. Obwohl vor dem Lokal noch Plätze auf der Straße frei gewesen wären sitzen wir drinnen im schummrigen Licht an der Theke, knabbern an einer großen Platte mit heimischer Wurst, Schinken, Käse, Oliven, Tomaten, dazu ziemlich gutes Brot und Grissini, trinken einen unglaublich gehypten Schaumwein aus Grillo-Trauben von Marco De Bartoli (Caro ist begeistert, mich haut er jetzt nicht vom Hocker), bis Caro einen Foursquare Triptych Rum von 2004 im Bar-Regal vor uns entdeckt und sich sofort die noch fast volle Flasche komplett bringen lässt; als der schwarz gewandete Keeper vorsichtig anbringen will, was er dafür wird in Rechnung stellen müssen, zeigt Caro im schweigend kurz eine schwarze Amex, und der Keeper versteht und lässt jeden Widerstand fahren, schenkt statt dessen beherzt, kräftig und freudig ein, ich nippe auch zwei Gläschen mit, mir ist er viel zu komplex von der Struktur her, den kann ich zwar saufen, aber wirklich kapieren tue ich solche offensichtlichen Köstlichkeiten dann doch nicht, geschweige denn, sie wirklich würdigen. „Morgen Abend brauche ich Dich“, sagt Caro unvermittelt. „Aha, also doch nicht nur eine altruistische Einladung, sondern tatsächlich Hintergedanken.“ „Morgen werden die ersten und größten Syndikalisten die Papiere unterzeichnen – wenn alles gut geht – “ fügt sie bedeutungsschwanger hinzu, „und danach soll traditionell gemeinsam gegessen werden. Und da wäre es halt gut, wenn ich einen Mann an meiner Seite hätte. Du darfst sagen, dass Du wichtig bist, dass Du studiert hast und dass Du viele osteuropäische Freunde hast, ansonsten hältst Du bitte den Mund. Und iss gefälligst, was serviert wird, und untersteh‘ Dich, was anderes als höchstes Lob zum Ausdruck zu bringen!“ Klare Ansage, Danke Caro. Ich entdecke einen Scapa Glansa und tue mich daran – weitaus wohlfeiler – gütlich, aber Caro zahlt an diesem Abend, also was soll’s?
Am nächsten Morgen leidet Caro – selber Schuld – aber eisern verschwindet sie um 09:30 zu ihren Terminen, am Abend kommt sie relativ früh in’s Hotel Wagner, wir haben noch etwas Zeit füreinander, gegen 20:00 Uhr machen wir uns frisch und fahren mit dem Taxi in die Via D’Ossuna in die Trattoria Ai Cascinari, ein von außen wie von innen absolut unscheinbares Restaurant, eher würde man schon Kneipe sagen wollen, nur zwei Holztüren zur Straße, keine Fenster, in einem schmalen Haus am Rande der Altstadt, bessere Wohngegend würde ich schätzen, keine Speisekarte, ein kleines Schild mit Restaurantnamen, ungleich größer die Klimaanlage außen offen an der Wand, ein paar vergilbte Aufkleber von irgendwelchen Restaurantführern an der Türe, innen drinnen sehr rustikal, einfach Tische, ockerne Wände, unten irgendwie verkleidet, ein paar Bilder, rote Tischtücher, rote Servietten, Blechbesteck, Pressglas, massives Kantinen-Geschirr. Unser Tisch ist über Eck gestellt, weil ein Tisch mit 13 Plätzen würde von der Tiefe des Raumes hier gar nicht am Stück hineinpassen, so klein ist das Kabuff. Moment mal, 13 Leute, bringt das nicht Unglück, fährt es mir durch den Kopf, aber zum Glück hat einer von Caros Geschäftspartnern seine wirklich entzückende Enkelin dabei, also sind wir 14, alles i.O. Dennoch habe ich den Eindruck, dass hier mindestens eintausend Jahre Zuchthaus am Tisch versammelt sind, was unsere Sizilianischen Gastgeber anbelangt; das einzige, was noch krimineller als die acht Sizilianer aussieht sind die drei mittelalten Sizilianerinnen, die wohl ebenfalls mit ihren Firmen zu dem Syndikat gehören, bei der einen kann ich mir förmlich vorstellen, wie sie als Mama Leone ihre Söhne zum Rauben und Morden ausschickt derweil sie daheim Minestrone im großen Topf für die ganze Familie kocht, die Enkel versorgt und auf die Heimkehr der Söhne wartet. Der dicke, freundliche – oder vielleicht mehr gespielt-freundlich, ängstliche – Wirt serviert, als alle Gäste eingetroffen und mit vielen Küsschen links und rechts auf die Wangen hinlänglich begrüßt sind, Speise um Speise, wie am Vorabend beginnt es mit Platten von heimischer Wurst, Schinken, Käse, Gemüsen, dazu Körbe voller Brote, nur die Grissini fehlen. Dazu stehen Karaffen von Wasser auf den Tischen, bis der Wirt gefolgt von einem kräftigen Kellner mit einem Tablett eines Weißweines erscheint, dieses einem Herrn aus der Tafelrunde präsentiert, der blickt kurz auf die Flaschen, nimmt dann eine, erhebt sich, präsentiert die Flasche stolz nach links und rechts und beginnt sodann eine recht ausführliche Rede auf Italienisch, wahrscheinlich über / auf diese Flasche, ich vermute mal, dass er der Produzent oder zumindest Großhändler dieses Tropfens ist und ein paar Flaschen davon für heute Abend spendiert hat und diesen Anlass gleich nutzt, seinen Kollegen den Wein ausführlich vorzustellen Nach seinem minutenlangen Wortschwall jedenfalls entkorkt der Wirt eine der Flaschen, lässt den vormals Wortschwallenden verkosten und macht sich nach einem zufriedenen Nicken von Jenem daran, den Wein an die Gäste zu verteilen, genau genommen für’s erste fünf Flaschen, etliche weitere werden folgen, man kann hier sein Glas nicht leertrinken ohne sofort nachgefüllt zu bekommen. Es folgen – irgendwie ist dieser Abend nur in milchiger Erinnerung, ich weiß gar nicht, warum – diverse Tabletts mit Weinen, jedes Mal hält irgendjemand anders von der Tafelgemeinschaft eine wortreiche Rede auf Italienisch und zeigt die Weinflasche ausladend herum, bevor eine erste entkorkt, gekostet, für gut befunden und sodann allgemein eingeschenkt wird. Dazu gibt es Speisen, die auf großen Platten und in großen Schüsseln auf den Tisch gestellt werden, kleine panierte Fischlein, dicke Nudeln mit einer komischen Sauce – ich tippe auf Auberginen und Kräuter – und Bröseln, ein unglaublich geschmackvolles Kaninchen-Ragout mit gebratenen Polenta-Schnitten, leider mit Knöchelchen und Knorpeln darinnen, fast spucke ich den Speisebrei in meinem Maul auf den Tisch vor Eckel, es ist nur die Furcht vor Caro, die mich an mich halten lässt, danach ein extrem Wachholder-lastiges Wildschwein-Ragout (ohne Knöchelchen und Knorpel) mit breiigen breiten Nudeln, mit ziemlicher Sicherheit hausgemacht, aber breiig, Barilla ist mir lieber, aber ich bin ein Banause, dann ganze gesottene Fische, die auf großen Platten herumgereicht werden und jeder reißt sich mehr oder minder gekonnt Fetzen heraus, darüber gießen die Einheimischen viel gutes Olivenöl und essen den Fisch mit Öl, Salz und Weißbrot, die gebackenen Auberginen-Scheiben langt keiner an, sehr sympathisch, nach dicken, in Streifen geschnittenen Scheiben gegrillten Rindfleischs, quasi pur gegessen, diffundieren Mahl und Weine langsam in Richtung süß … glaube ich zu erinnern. Ohnehin sprechen alle den ganzen Abend unablässig Italienisch, Caro sprudelt nur so, ich dachte immer, sie spricht etwas Italienisch, aber offensichtlich ist sie hier fließend, wusste ich auch noch nicht. Zuweilen versucht einer der Herren am Tisch, mich in gebrochenem Englisch in das Gespräch einzubeziehen, weitgehend erfolglos. Jetzt weiß ich, wie sich Cornelia immer gefühlt haben mag, wenn sie mich – als ich noch wichtig war – auf Empfänge von Abgeordneten, Ministern, Präsidenten, Diplomaten, Magnaten und ähnlichem Kroppzeugs begleitete, ich stets mit kompletten Titel und Namen begrüßt, sie stets nur als „i.B.“ – in Begleitung, das hört sich irgendwie an wie ein beliebig austauschbares, namenloses Liebchen, obwohl sie immerhin die Mutter meiner Söhne war, und mir gerichtlich angetrautes Eheweib – bezeichnet wurde. Nun gut, auch dieser Abend geht rum … irgendwie. Wir bummeln zu Fuß durch das Gassengewirr um die Via Cappuccinelle, heruntergekommene Häuser, kaum noch Menschen auf der Straße, aber keinerlei Angstgefühl, nach keiner halben Stunde sind wir im Hotel Wagner, noch rasch einen Absacker in der noch immer leeren Bar, dann Ratz.
Am nächsten Morgen stehen wir früh auf, verzichten auf’s Frühstück im fensterlosen Keller, packen unsere Siebensachen und – wir versuchen erst gar nicht, einen Pagen zu rufen – schleppen sie selber runter zur Rezeption. Während Caro den Wagen holt und ich auschecke fährt es mir durch den Sinn, dass sie doch mich eingeladen hatte und ich nun zahle … die Rechnung knöpfe ich ihr noch an’s Knie, sie kann’s schließlich absetzen, ich nicht. Dass Caro mit dem Wagen angekommen sein muss, höre ich an dem schnell wieder zum Stakkato Furioso anschwellenden Hupkonzert. Jetzt plötzlich erscheint ein Page wie aus dem Nichts, wahrscheinlich hat er sich die ganze Zeit hinter einer Säule versteckt, schnappt unsere Taschen, trägt sie die paar Stufen runter zum Wagen, verstaut sie im Kofferraum und baut sich breit grinsend – offensichtlich in Erwartung eines Trinkgeldes –neben der Beifahrertür auf. Für guten und freundlichen Service gebe ich immer und überall und großzügig Trinkgeld. Aber hier denke ich mir, „Drei Tage warst Du unsichtbar, und jetzt willst Du ein Trinkgeld, Bursche? Nix da!“, steige grußlos in den Wagen, schließe die Tür und wir fahren los, einen recht perplex dreinblickenden Versteck-Pagen allein zurücklassend. Na ja, freiwillig werde ich ohnehin nie wieder ins Grandhotel Wagner in Palermo gehen.
Grand Hotel Wagner
Via R. Wagner, 2
90139 Palermo PA
Italien
Tel.: +39 (91) 33 65 72
Fax: +39 (91) 33 56 27
E-Mail: info@grandhotelwagner.it
Online: www.grandhotelwagner.it
Sud Antica Forneria Siciliana
Via Maqueda, 278
90133 Palermo PA
Italien
Tel.: +39 091 588178
Online: www.sudanticaforneriasiciliana.it/bistrot
Osteria Ballarò
Via Calascibetta, 25,
90133 Palermo PA
Italien
Tel.: +39 (91) 32 64 88
Online: http://osteriaballaro.it
Bottiglieria Massimo
Via Salvatore Spinuzza, 59
90133 Palermo PA
Italien
Tel.: +39 (91) 33 57 30
Online: www.bottiglieriadelmassimo.it
Trattoria Ai Cascinari
Via D’Ossuna, 43/45
90138 Palermo PA
Italien
Tel.: +39 (91) 6 51 98 04
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