Soho House Istanbul: Klassisches und doch junges Britisches Clubleben am Bosporus

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Hausbar auf dem Zimmer

Es gibt keine Schuhlöffel auf den Zimmern, es ist fast überall in den drei Häusern chronisch düster, dazu laut, die Klimaanlage bollert und die Schallschutzfenster sind schlichtweg für’n Arsch, die direkte Sicht auf’s Golde Horn ist teilweise durch den Betonklotz des Radisson verbaut, und die Küchenleistung der diversen Restaurants und Bars ist durch und durch Britisch, also mäßig bis miserabel … und das war es eigentlich auch schon an Negativem, was man über das Soho House Instanbul sagen kann; ach ja, und wirklich preiswert geht gewiss vollkommen anders. Dafür stellt die Auswahl an Pflegeprodukten auf dem Zimmer jedes Kempi oder Mandarin Oriental locker in den Schatten, für die flauschigen Hotelbademäntel müssen riesige Herden von Plüschteddys niedergemetzelt worden sein, denn die Dinger haben endlich mal die Größe, dass sie selbst über meine XXL-Wampe passen, die Bettwäsche aus Ägyptischer Baumwolle ist ein Traum (drei 80 x 80 – und vier 80 x 40 – Kissen sind Standard pro Bett), wo andere Hotels eine Minibar mit ein paar überteuerten Winz-Flaschen Sprit und ebenso überteuerten Flaschen Bier und Wein in einem billigen, im Regal verbauten Kleinkühlschrank anbieten findet sich im Soho House in jedem Zimmer eine Hausbar mit 0,375 l Flaschen von Jack Daniel‘s, Cointreau, Russian Standard, Olmeca Tequila, Beefeater Gin, einem dreifach gebrannten (höllischen, höllisch guten auch) Raki und – man höre und staune, für die richtig trockenen Martinis – einem Zerstäuber mit trockenem Wermut (ok, über den Bourbon an sich und die Gin-Marke müsste man nochmals reden, aber allein der gute Wille zählt ja bekanntlich), dazu Barutensilien, Shaker und Gläser aus schwerem Kristall, und jeden Abend bringt der Nachtservice einen großen – ebenfalls kristallenen – Behälter mit Eis auf’s Zimmer.

Soho House, das ist eine andere Kategorie von Hotel. 1995 von Nick Jones in London (wo sonst?) als Privatclub speziell für junge Medien-, Mode- und Kunstschaffende gegründet, heute gehört die Mehrheit dem Imperial-Amerikanischen Milliardär Ron Burkle,  die Mitgliedschaft ist recht exklusiv, man muss nicht nur zwei Bürgen, die bereits Mitglied im Soho House sind, beibringen, man muss auch seine beruflichen Verhältnisse offenlegen und ein Motivationsschreiben verfassen, auf dieser Basis entscheidet dann ein Komitee, ob man Aufnahme in den erlesenen Kreis findet, die 400 € Aufnahmegebühr und die 1.800 € Jahresbeitrag sind da eher nebensächlich (wer’s sich leisten kann und will), und wer höhere Summen anbietet, damit die Aufnahme schneller und vor allem sicher von Statten geht, der wird – so hört man – sofort lebenslang auf die Schwarze Liste gesetzt; für diesen Preis stehen den Clubmitgliedern – und in sehr begrenztem Maße externen, zahlenden Gästen – 17 Häuser in Europa und Amerika, allesamt an hippen Locations – New York, Miami, Hollywood, Berlin, und eben auch Istanbul – offen. Der Stil all dieser Häuser ist immer gleich: zentral gelegen, betont lässig, easy living, scheinbar kunterbunt zusammengewürfeltes, tatsächlich aber streng durchdesigntes Interieur, vorwiegend alte Möbel mit echter „Patina“, Dachpools, Screening Rooms, Bars, Restaurants, Spa, Kosmetik, Friseur, ein paar Tagungsräumlichkeiten, Club-Areas, Dance-Floors, kleine, mittlere und große Gäste-Zimmer (wobei die „kleinen“ Zimmer schon deutlich größer sind als manche normale Hotelzimmer), dazu ein paar Suiten, nicht etwa livriertes Personal, sondern junge, freundliche, gut ausgebildete, dienstbare Menschen in Jeans und Burberry Polo die einen mit Vornamen ansprechen, photographieren (auch mit der Funke) ist mit Rücksicht auf die eventuell prominenten Clubmitglieder überall strikt verboten: so stellt man sich junges Britisches Clubleben vor. Mein erster Besuch in einem Soho House war dennoch verstörend, in der Berliner Dependance, dem ehemaligen Sitz des ZK der SED, irgendwie psychedelic, wäre Austin Powers auf der Suche nach seinem Mojo durch die Halle getanzt gekommen, so hätte es mich nicht gewundert; aber wenn selbst Die Zeit, Elle und andere bornierte Systemmedien ehrfürchtig über einen neu eröffneten Beherbergungsbetrieb berichten und von angeblich gesichteten Präsidentengattinnen und Stars im Dachpool munkeln, dann muss das wohl wirklich ein ganz besonderer Beherbergungsbetrieb sein.

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Der kleine Hotelgarten mit Café mitten in Istanbul

Nicht ganz so psychedelic wie das Berliner Soho House kommt das Istanbuler daher, in den Gebäuden des ehemaligen Imperial-Amerikanischen Generalkonsulats im Europäischen Stadtteil Beyoğlu, zwischen Galata Turm und Taksim Platz, in unmittelbarer Nähe der Idiotenrennmeile (vulgo: Haupteinkaufstraße) İstiklal Caddesi und der meisten Konsulate gelegen, das Wachhäuschen mit dickem schusssicherem Glas zeugt noch von der Ami-Zeit, und auch heutzutage stehen ständig wenigstens drei schwarzgewandete, grimmige, kräftige Herren mit Knopf im Ohr vor dem Gebäudekomplex, wenigstens ein weiterer auf dem Rooftop. Shoppingmeile und Galata Trum erreicht man von hier in 5 Minuten, in die eigentliche Altstadt, das ehemalige Byzanz, sind es zu Fuß über die Brücke über das Golde Horn keine 20 Minuten, ebenso zu den Fähren nach Asien, die für ganz kleines Geld im 20-Minuten-Takt fahren, zum Großen Bazar, der Hagia Sophia, der Großen Moschee und dem Topkapi-Palast – der Hohen Pforte – läuft man vielleicht 30 Minuten, aber logistisch ist Istanbul ohnehin kein Problem, die gelben Taxis – mal tipptopp in Schuss, mal verdreckt und verraucht; darauf achten, dass das Taxameter angeschaltet wird, sonst kann man böse Überraschungen erleben, es sei denn, man hat vorher einen Festpreis vereinbart (und der Taxifahrer vereinnahmt das Geld „steuerfrei“) – sind immer und überall dienstbar allgegenwärtig , und eine Taxirechnung über 10 € ist kaum machbar.

 

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Batterie von Pflegeprodukten, Armaturen aus Kupfer, Fliesen im gewöhnungsbedürftigen Retro-Design

Der Corpi-Palast aus dem 19. Jahrhundert dient dem Istanbuler Soho House heute als Clubhaus mit zwei Restaurants – italienisch und türkisch –, zwei Bars, diversen Terrassen und sonstigen Clubräumen. Ein weiterer Palazzo und ein gesichtsloser, funktionaler Neubau fugieren als Bettenhäuser für die 87 Gästezimmer, Spa, Tagungsräume, Café, Dachpool mit Bar und Rezeption. Ein kleiner Garten mit Tischen, auch für Laufpublikum offen, bietet eine ruhige Oase mitten in der Stadt. Clubhaus, Dachpool und sonstige Räumlichkeiten hingegen sind Clubmitgliedern und Hausgästen vorbehalten. Man planscht hoch über den Dächern Istanbuls im warmen Wasser, schlürft Cocktails im Bikini auf Sonnenliegen, Studenten treffen sich wie selbstverständlichen zum gemeinsamen Lernen im Club an Tischtennisplatten, die es Abends bespielt werden, am Tage aber als Arbeitstische dienen, eine Grande Dame – Verlegerin, wie sich aus den herüberwehenden Gesprächsfetzen zeigt – hat ihre Autorinnen zum Plausch bei Champagner auf einer der Dachterrassen um sich versammelt, in einem Salon treffen sich distinguierte Herrschaften zu einem Vortrag über Astrologie, in einer der Küchen werden Interessierte praktisch in die Kunst des Sous Vide – Kochens eingeführt, ein in der Türkei wohl furchtbar angesagter DJ macht mit allerlei elektrischem Gerät einen Höllenkrach und Jungvolk hüpft dazu in verzückter Weise, un-BH-te Brüste wackeln in engen T-Shirts, wie der Liebe Gott sie geschaffen hat, bei allem Stil und Understatement,  von muselmanischer Prüderie keine Spur, zwei prollige Deutsche Geschäftsleute sprechen laut und völlig indiskret darüber, dass 5% Rabatt bei dem Deal wenigstens 1 Mille weniger Gewinn wären, drei Hipster stehen um eine Blättermappe und diskutieren irgendwelche Entwürfe – so geht Clubleben. Das Publikum besteht vielleicht zur Hälfte aus urbanen, gebildeten, einheimischen, vorwiegend jungen Leuten und zur anderen Hälfte aus internationalem Reisevolk aus den oberen Schichten. Man ist schick, wohlhabend, elitär, weitgehend unter sich, man kann das mögen oder auch nicht. Weder zottelbärtige Radikalmuselmanen noch Weibspersonen mit dem Schandfetzen vor dem Gesicht noch enthemmt-wütende Präsidialschlägertypen zählen zu den Gästen, das Publikum ist durch die Bank weg westlich-zivilisiert (was nicht heißen soll, dass es nicht auch asiatische Zivilisationen – jenseits des Islam – gäbe), viele Gegenden in Oberhausen oder Marseille sind mit Abstand unzivilisierter als das hier. Alkohol und Schweinefleisch werden wie selbstverständlich serviert, Respekt und Gleichberechtigung – bei den Gästen wie beim Servicepersonal – ist hier längst kein Thema mehr, die Rede ist frei, der Ton locker … als das hat aber überhaupt nichts mit dem Bild der Türkei zu tun, das die westlichen Systemmedien derzeit zeichnen.

"Clubsandwich" oder so ähnlich
„Clubsandwich“ oder so ähnlich

Kurzum, auch das Soho House Istanbul ist ein Platz zum Wohlfühlen, mitten in einer anderen, fremden, quirligen Metropole. Es ist die richtige Mischung aus „Daheim“ und aus „Fremde“, aus „bekannt“ und aus „neu“, aus „gewohnt“ und aus „ungewohnt“, aus „Sicherheit“ und aus „Abenteuer“. Wir zumindest sind gerne hier. Daran ändert auch das durch die Bank weg mäßige bis schlechte Essen nichts. „Frühstück“ im Kontinental-Europäischen Sinne gibt es ohnehin nicht, schon gar kein traditionelles Frühstücksbuffet, man kann Gebäck und Sandwiches vom Buffet wählen, dreierlei Eier Benedict (alle frisch gemacht, mit Bun, nicht mit Toast, und tatsächlich mit frisch blanchiertem Spinat und frisch aufgeschlagener Hollandaise), Türkisches Frühstück mit Schafskäse und Oliven, Englisches Frühstück, … aber dafür ist man ja auch in der Fremde. Die Restaurantleistung Mittags und Abends ist mäßig, Grillfleisch und –fisch, Mezze, wabbliges Brot, Teigfladen mit lammelndem Schafhack, breiige Nudeln, dünne Sößchen, verbratene Steaks, gute Salate mit schlechtem Dressing, eines der schlechtesten Clubsandwiches ever, aber eine ordentliche Schinkenplatte. Und die Barkeeper verstehen ihr Handwerk, die können wirklich ordentliche Martinis und Mojitos. Man muss beim Soho House halt wissen, worauf man sich einlässt. Sagen wir so: meine Schwiegereltern oder meinen Chef würde ich nicht dorthin einladen, die Tochter meines Chefs schon …

 

 

 

Soho House Istanbul
Evliya Çelebi Mahallesi Meşrutiyet Cad. No:56,
34430 Beyoğlu/İstanbul
Türkei
Tel.: +90 (2 12) 3 77 71 00
Internet: www.sohohouseistanbul.com/en
Mail: reservations.istanbul@sohohouse.com
DZ (ohne Frühstück und Steuern) von 160 € (für sog. „Tiny-Rooms“ mit 26 qm, so gut wie nie frei buchbar), bis 770 € (für den „Play Room“ mit 83 qm); Türkisches Frühstück ca. 12 €, Englisches Frühstück ca. 15 €

Hauptgerichte (im mandoline) von ca. 12 € (Cheesburger) bis ca. 22 € (Steak mit Fritten), dreigängiges Menue von ca. 22 € bis ca. 54 €

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