Obwohl 16 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geboren und niemals richtigen Hunger wirklich kennengelernt, so stamme ich doch noch aus der Generation, für die das Wegwerfen von Lebensmitteln ein absolutes no-go ist. Für meine Großmutter war das Wegwerfen von Brot nicht nur Verschwendung, sondern zugleich eine sehr schlimme Sünde, denn – so meine Großmutter mit bestechender Logik – man könne nicht beten „Unser täglich Brot gib uns heute“ und dieses Brot dann später wegwerfen, damit vergehe man sich an der Gnade des Herren, den man um dieses Brot gebeten habe und der es letztlich gegeben habe. Aber nicht nur Brot, nahezu alle Speisereste wurden in der Küche meiner Jugend – und werden heute in meiner Küche – irgendwie verwertet, aufgewärmt, weiterverkocht, anders zubereitet, wegwerfen war einfach nicht, und wenn die Lebensmittel tatsächlich zu unansehnlich, mehrfach verkocht, angegoren, gar verdorben waren, dann gab es im Keller immer noch zwei freundliche – und später einmal sehr lecker schmeckende – Schweine, die auch noch Verschimmeltes und Vergammeltes gerne fraßen.
Tja, und heutzutage kommt es regelmäßig vor, dass ich zu viel Weißbrot kaufe – besonders an Wochenenden in Form von Brötchen und Baguette. Wenn ich sie nicht zu Scheiterhaufen, Semmelknödeln oder Armen Rittern verarbeite, werden die Weißbrotreste dann bei uns in einem großen Steingut-Topf gesammelt, wohlgemerkt nur Weißbrot, Baguette, Brötchen, Fladen aus weißem Teig (also keine Vollkornbrötchen oder Brezn) ohne Zusätze wie Rosinen, Sesam, Kümmel, … Dort trocknen sie und werden steinhart, ohne zu verschimmeln. Alle vier bis sechs Wochen – am besten, bevor die Küche ohnehin geputzt wird – hole ich den Steingut-Topf aus dem einen Schrank, den Cutter aus dem anderen und die leere Semmelbrösel-Schütte aus dem dritten. Wir haben einen – würde ich sagen – mittelmäßigen Cutter von Braun mit kräftigem Motor und einem erstaunlich stabilen Cutter-Gefäß aus Plastik mit Metallmesser, und das reicht vollkommen aus. Die steinharten Weißbrotbrocken zerteile ich grob mit einem großen Messer, so dass sie in das Cutter-Gefäß passen und auf das Messer fallen können. Dann ein paar Sekunden gecuttert und fertig sind die Semmelbrösel. Zwei Dinge gilt es zu beachten: wenn man zu lange cuttert, hat man keine Semmelbrösel mehr, sondern Mutschelmehl, also wirklich staubfein zerteilte Semmeln, was auch nicht schlimm ist, daraus lassen sich z.B. leckere Mutschelmehlknödel als Suppeneinlage machen, nur zum panieren von Schnitzeln eignet sich das nicht. Wenn man kürzer cuttert, hat man zwar körnige Semmelbrösel, aber auch noch einige große, noch unzerteilte Weißbrotbrocken; die muss man dann halt händisch rauschklauben und bei der nächsten Portion wieder mit in den Cutter werfen.
Diese selbstgemachten Semmelbrösel erfordern auch noch etwas Disziplin in der Essensplanung. Wenn die Semmelbrösel-Schütte noch voll ist und der Steingut-Topf mit harten Weißbrot schon überläuft, dann muss man halt ein, zweimal was mit viel Semmelbröseln kochen, Schnitzel, panierten Fisch, Semmelklöschen, Hackbiazala zum Beispiel, damit die Schütte leer wird, man neue Semmelbrösel nachproduzieren kann und der Steingut-Topf wieder leer wird. Anders herum wird’s dann allerdings problematisch, wenn man erst mal selbst gemachte Semmelbrösel gewohnt ist. Wenn also Steingut-Topf und Semmelbrösel-Schütte leer sind, man dennoch Semmelbrösel benötigt und dann diesen industriellen Dreck kauft, der in Supermärkten abgepackt als Semmelbrösel wohlfeil geboten wird, so wird man sehr schnell sehr enttäuscht sein. Wenn schon Semmelbrösel kaufen, dann ausschließlich beim kleinen Bäcker des Vertrauens, der auch nichts anderes macht, als seine überzähligen, hart gewordenen Semmeln zu zerreiben.