Schwarzkopf in Frammersbach: More to come

Summa summarum: außen unscheinbarer, innen gemütlicher Dorfgasthof mit ambitionierten jungen Inhabern, die während Corona zumindest die Basics in Speisekarten-verkürzter, aber tadelloser Form abliefern und Erwartung auf mehr schüren. Sobald die Republik nicht mehr zugesperrt ist, fahre ich wieder hin.

„Kein Problem, aber da muss ich nochmal kurz los zum Bäcker.“ sagt der junge Mann mit den Ohrringen, die ich so überhaupt nicht mag, freundlich zu mir. Der junge Mann mit den Ohrringen, die ich so überhaupt nicht mag, ist Stefan Pumm, Wirt des Hotel-Restaurants Schwarzkopf in Frammersbach, einem elenden Örtchen am Rade des Main-Spessarts, eine gute Stunde von Frankfurt entfernt. Das Hotel ist dieser infektösen Tage  fast leer, drei Zimmer sind beleget und damit drei Frühstückstische eingedeckt, kein opulentes Buffet, aber verschiedene Sorten sehr leckerer selbstgemachter Marmeladen, eine üppig bestückte und liebevoll angerichtete Wurst-Käse-Platte ganz allein für mich, Eier à la minute vom Chef persönlich, Obst, Cerealien, Milchprodukte, Säfte, Tees, Kaffeevollautomat auf einer Anrichte, was braucht’s mehr? Ach ja, und ein Körbchen mit einer weißen Stern-Semmel (Brötchen sagt man allhier) und zwei von diesen chronisch malzig schmeckenden Körndel-Dingsbumsen, mit denen man maximal Hühner füttern kann (ich mag keine Körner-Vollkorn-Brötchen, nur mal so, nebenbei) für mich. Und da hatte ich halt gefragt, ob ich stattdessen noch zwei ganz normale Semmeln aus weißem Mehl haben könne, was der junge Mann und Inhaber und Koch – an diesem Morgen ganz alleine im Service – damit beantwortete, dass er selbstverständlich sofort zum Dorfbäcker loslaufen werde, um mir die gewünschten Brötchen zu holen.

Der eine mag in diesem Geschichtchen ein ganz banales Setting sehen, ich finde, das sagt verdammt viel aus.

  • Hier werden keine Lebensmittellberge vorgehalten, damit jeder auch noch so seltene Wunsch befriedigt werden könne, hier sind die Semmeln gezählt, und das heißt, hier wird wenig weggeworfen.
  • Hier lebt der Service-Gedanke: der Chef würde persönlich zum Bäcker gehen, um Semmeln nachzukaufen.
  • Hier werden keine industriellen Tiefkühl-Backlinge aufgebacken, hier gibt es heimische Handwerker-Produkte, und die sind richtig gut.

Wenn ich das jetzt mal in eine Matrix bringen sollte, dann sähe die so aus:

 Üblicher Fünf-Sterne-Schuppen*Schwarzkopf in Frammersbach
Keine Verschwendung von LebensmittelnNEINJA
Service-Gedanke wird
aktiv gelebt
NEINJA
Keine industriellen TK-Produkte, sondern heimische Handwerker-WareNEINJA

Nun gut, ich habe an diesem Morgen tatsächlich Körnderl-Brötchen gefrühstückt und den Wirt nicht zum Bäcker laufen lassen, die geschmackliche Passung zu der sehr guten hausgemachten Kirschmarmelade, dem Zwetschgenmus und dem Löwenzahnhonig war nicht optimal, aber siehe, ich hab’s überlebt!

Also, Hotel-Restaurant Schwarzkopf in Frammersbach. Ich bin auf den Weg in’s Ruhrgebiet, geschäftlich, nutze aber meine neu gewonnene Freiheit, nicht rasch mit Flieger, Bahn oder auf der Autobahn rüberzurasen, sondern fahre ganz entspannt, kontemplativ zwei Tage mit Übernachtung – eben in Frammersbach – im Cabrio auf Landstraßen in den Pott, eine völlig andere Art des geschäftlichen Reisens (ohne Zeitdruck!). Frammersbach liegt ziemlich genau auf halber Strecke zwischen Augsburg und Essen, im nördlichsten Zipfel Bayerns, landschaftlich reizvoll am Rande des Spessarts im Tal – sagen wir Tälchen – der Lohr, der Ort weder ein architektonisches Kleinod, noch brummendes Städtchen noch touristischer Hotspot, hier sagen sich Fuchs und Hase auch nicht Gute Nacht, hier hängen sie gemeinsam tot durch Selbstmord aus Verzweiflung über’m Zaun. Das Schwarzkopf reiht sich baulich gekonnt in dieses Ensemble ein, eine Dorfkneipe direkt an der Hauptstraße B276, schmuckloser Siebzigerjahre Bau, keine Parkplätze, bunte Butzenscheiben verwehren den Blick in’s Innere, eigentlich würde nichts den Reisenden speziell dazu animieren, hier anzuhalten, auch ich wäre da ehrlich gesagt wahrscheinlich vorbeigefahren. … wäre vorbeigefahren, hätte nicht der Gusto Restaurant- und Hotelführer (https://www.gusto-online.de/) das Haus sehr lobend mit 5 Pfannen und 2 Bestecken ausgezeichnet und als „kulinarischen Leuchtturm im Spessart“ bezeichnet. Wieder einmal hat Markus J. Oberhäußer mit seinem Team bewiesen, dass sie ein gutes Näschen für echte Geheimtipps und Newcomer haben. Danke dafür Gusto, der Tipp war goldrichtig.

Der zweite Eindruck ist dann auch schon weitaus positiver: heimelige Gaststube, Parkettboden, Kastenholzdecke, holzvertäfelte Wände, nachgemachte Tiffany-Lampen, von innen sind die Butzenscheiben jetzt nicht mehr abweissagend, sondern eher gemütlich, aber nicht nobel, ordentliche Massivholzmöbel, darauf reichlich gestärkte weiße Leinentischwäsche, neben dem Haus hinter einem großen, schweren Hoftor mehr lauschiger Innenhof als Biergarten mit Bäumen, Rasen und Kinderspielecke. Irgendwo hinten geht es weiter in die Eingeweide des Hauses, kein Lift, enger, schmuckloser Flur, schmuckloser Frühstücksraum, schmucklose, kleine Zimmer, die Basics sind da, sauber, aufgeräumt, ordentliche Bettwäsche, zu weiche Matratzen, Fenster auf die Seitenstraße mit dem Blick auf einen alten metallverarbeitenden Betrieb und Einfamilienhäuser, kleines Bad ohne Tageslicht, keine Pflegeprodukte, dünne Frotteehandtücher, kein Schreibtisch, versteckte Steckdosen, Tresor, Minibar, Wasserkocher Fehlanzeige, kleiner Flachbildfernseher, funzeliges Licht, tausendmal so oder so ähnlich gesehen, keine persönliche Note (außer einem Buch von irgendeinem Selbsterfahrungs-Zausel auf dem Nachtisch, wenigstens kein Koran), zum Übernachten reicht’s allemal, zum Wohlfühlen fehlt noch so Manches.

Sehr wohlfühlen kann man sich allerdings offensichtlich im Restaurant des Hauses, wo der junge Stefan Pumm für die Küche verantwortlich zeichnet, und seine Frau Anja macht den Service und den – nicht uninteressanten – Weinkeller. Es ist leer dieser Tage im Restaurant, nur Hausgäste dürfen hier speisen, dafür schleppen die Eingeboren eifrig ihre große Essen-to-go-Pakete aus dem Restaurant. Stammgast-Loyalität in Zeiten der Krise. Entsprechend – und verständlich – gibt es nur eine verkürzte Speisekarte: Spargelsuppe und klassischer Spargel, heimische Forellenfilets mit Speck und Spargel-Bärlauch-Gröstl, karamellisierte Entenbrust mit süß-saurem Kohlrabi, verfluchte Zeitgeist-Burger, Filetsteak mit selbst gemachter Café de Paris Sauce, Salate, als Dessert Panna Cotta mit marinierten Erdbeeren oder Kaiserschmarren, alles in allem nicht viel, aber vollkommen ausreichend. Und gut.

Statt eines Amuse Gueuls stellt Anja Prumm erstmal einen Kanten frischer Focaccia mit einem selbst gemachten Pesto aus Radieschenblättern und Giersch auf den Tisch: ziemlich sensationell. Dann kommen einfach mal so ein paar gepickelte Knospen von Löwenzahn und Bärlauch: da wird man alt wie ein Schuh und doch immer wieder kulinarisch überrascht. Tadellos und kräftig die Spargelsuppe, die Spargeleinlage nicht breiig zerkoch, sondern bissfest. Der Spargel als Hauptgericht echter Spargel, leicht bitter, noch mit Geschmack, nicht überzüchtet, sauber geschält, auf den Punkt gegart, die Hollandaise selbst gemacht, fluffig, leckerer Eigengeschmack von einer gekonnten Reduktion, leider zu kalt, dazu wohlschmeckende, halbfeste, letztjährige Salzkartoffeln, kein wässrigen, überteuerten, diesjährigen, eingeflogenen Zypern-Kartoffeln; das Schnitzel als Begleitung tadellos aus dem Schweinrücken, frisch geklopft und paniert und in Butterschmalz ausgebraten. So einfach geht ein gutes, traditionelles Spargelgericht. Der Kaiserschmarrn als Nachtisch satt Eigelb-gelb, fluffig, heiß, zum Niederknieen, kriegt man in Österreich auch nicht besser. Ich weiß, das waren jetzt alles keine kulinarischen Höhenflüge, sondern gastronomische Basics, die aber auch erstmal gekonnt abgeliefert sein wollen, und das liefert er, der Stefan Pumm, tadellose Basics, die Spaß machen. Aber wenn man der Presse vertrauen darf, so ist der Stefan Pumm einer dieser typischen heutigen Spagat-Köche. Einerseits bedient er mit Schnitzel, Schweinsbraten und Steaks das traditionelle heimische Klientel und den kulinarisch einfacher gestrickten Sommerfrischler, sozusagen als bread and butter business. Aber er scheint mehr zu können, der Stefan Pumm, immer wieder liest man in den höchste Tönen von einem formidablem Chateau Briand mit hausgemachter Béarnaise, von Trüffeln, Langusten, Pulpo, glasigen Fischen, Nudeln, Pâtissier-Kunstwerken, …

Dafür, dass im Schwarzkopf üblicher Weise mehr als 08/15-Standard-Dorfküche geboten wird, spricht auch die Weinkarte. Konsequent (bis auf drei Chilenische Bouteillen) nur europäische Weine, auch aus ökologischen Gründen (wie lange sage ich das eigentlich schon?). Die üblichen Verdächtigen und großen Namen sucht man vergebens in dem rund 30 Seiten umfassenden Buch, sondern man findet solide, alteingesessene, vor allem Deutsche, daneben auch Österreichische, Französische, Italienische und ein paar Spanische Weingüter und viele junge „wilde“ Winzer, die entdeckt sein wollen, alles mit Sinn und Verstand zusammengetragen und fast alle zu sehr moderaten Preisen, die meisten zwischen 25 und 50 EURO. Anja Pumm empfiehlt mir zum Spargel einen 2017er Sister Act von den Wirsching-Schwestern, ein Silvaner von alten Reben, elegant und modern in einer schlanken Schlegelflasche, ein sehr dichter, vielschichtiger Wein, mit einem Bouquet von Wildkräutern, reifen Birnen und Äpfeln. Als ich nach Mehr verlange rät mir Anja Pumm, doch auf einen 2017er Sister Act vom Riesling umzusteigen, wieder alten Reben, aus der Spitzenlage Iphöfer Julius-Echter-Berg, traditionell hergestellt durch Gärung im großen Holzfass mit den traubeneigenen, wilden Hefen und trocken ausgebaut. Wieder ein sehr komplexer Wein mit deutlicher Pfirsich-Note, ein Hauch Wildkräuter, langer Abgang. Axel K. aus G. hätte gewiss seine helle Freude an dieser Weinkarte. Allein schon wegen der Weinkarte, aber auch um auch noch die andere Seite des Küchen-Spagats näher kennenzulernen, werde ich gewiss wiederkommen, wenn die Herrschaft des grausamen Inzidenz denn einmal gebrochen sein wird. Ich werde dann berichten.


Hotel-Restaurant Schwarzkopf
Inhaber: Stefan Pumm
Lohrer Straße 80
D – 97833 Frammersbach
Tel.: +49 (93 55) 3 07
E-Mail: info@schwarzkopf-spessart.de
Online: www.schwarzkopf-spessart.de

Preise Speisekarte werden nachgetragen, sobald es wieder eine richtige Speisekarte gibt. Hauptgerichte € () bis € (), Drei-gängiges Menue von € bis €

Übernachtung mit Frühstück EZ 76,50 €, DZ 115 € (pro Zimmer)


* Um dies nur anzumerken: mit „Üblichem Fünf-Sterne-Schuppen“ meine ich nicht so manches liebevoll geführte Privathotel, z.B. die Traube, das Bülow Palais, die Althhoff-Hotels oder Kempis (aber hier schon nicht alle), mit „Üblichem Fünf-Sterne-Schuppen“ meine ich die lieblosen Manager- und Massen-Herbergen wie Marriott, Hilton, Interconti, Mövenpick, Hyatt, …

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One comment

  1. Reinhard Daab

    Guten Tag Hr. Opl,

    freut mich einen Bericht über die Pumms zu lesen, das geschriebene kann ich in vollem Umfang bestätigen. Dieses Restaurant kennen wir nun schon sehr viele Jahre, denn zuvor hatte das Ehepaar Pumm ein Restaurant in Wiesbaden gepachtet. Durch dieses Corona-Gedöns konnten wir schon seit über einem Jahr dort keinen Besuch mehr machen. Der Koch mit den Ohrringen kann natürlich, wie von ihnen bereits erwähnt, sehr gut kochen. Einmal hatte ich dort selbst gemachtes Sauerkraut bekommen, darauf ein Filet vom Wilden Main Zander, einfach Wunderbar. Wein kann man ebenfalls zu günstigen Preisen kaufen, denn Anja Pumm verkauft zu normalen Preisen.

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