Savoyen: Monströs

Um ehrlich zu sein, ich mag die Savoyarden. Sie sind ein lustiges Völkchen. Auch wenn sie ihre Unabhängigkeit verloren haben und sich dem französischen, dem eidgenössischen und dem italienischen Joch beugen müssen, so sind es doch weder richtige Franzosen, noch richtige Schweizer und auch keine Italiener, Savoyarden halt. Und die haben weiland nicht nur Wien den Arsch gerettet, sondern auch wesentlich dazu beigetragen, die Türkische Invasion des christlichen Europas ein paar hundert Jahre hinauszuzögern. Und landschaftlich reizvoll ist Savoyen allemal. Zugegeben, Savoyen ist heute weitgehend eine Gebirgsregion (früher einmal, da gehörten auch Turin und Nizza zu Savoyen), und im Gebirge ist’s kalt, die Landwirtschaft spärlich, der Kalorienverbrauch groß, und dementsprechend einfach und doch mächtig ist halt die Regionalküche. Aber die Savoyarden übertreiben’s manchmal schon.

Croziflette zum Beispiel, die savoyische Form der Tartiflette, aber nicht mit Kartoffeln, sondern mit typisch viereckigen kleinen Buchweizennudeln zubereitet, den Crozets, („croé“ heißt in Savoyen „klein“). Dabei wird ein +/- halbes Pfund Nudeln mit einem knappen Pfund Reblochon, einem halben Pfund mageren Speck und einem achtel Liter Sahne gratiniert, dazu kommen noch ein wenig Weißwein, Zwiebeln und Knofl.

Oder die Longeole, eine Schweinewurst, die sich die Genfer haben schützen lassen, die aber ebenfalls für ganz Savoyen typisch ist; ihren Geschmack bekommt die Longeole durch Fenchelsamen und durch 1/3 Fleisch, 1/3 Speck und 1/3 Schwarte, was nichts anderes heißt, als dass die Wurst zu 2/3 aus Fett besteht. Zum Vergleich: der Fettgehalt durchschnittlicher Hartwürste liegt heute bei 20 bis 30%, selten darüber.

Oder Poêlée montagnarde, zwei Pfund Kartoffeln werden mit einem halben Pfund Speck, einem halben Pfunde d’Abodance Käse und einem viertel Liter Weißwein gebraten.

Oder das weitbekannte Kartoffelgratin Savoyarde. Ich habe Kartoffelgratin gelernt als dünne Kartoffelscheiben, die zuerst in etwas Milch halb gar gekocht und danach mit Milch im Ofen überbacken werden; an Sonn- und Feiertagen kann man vielleicht ein paar Butterflöckchen oben drauf setzen oder einen Schuss Sahne zur Milch geben. Daneben gibt es die Schmalhans-Fraktion, die überbacken die Kartoffelscheiben in Gemüsebrühe; die Fettlebe-Fraktion hingegen nimmt Sahne statt Milch zum Garen her und krönt das Gratin mit reichlich Butter und Parmesan. Und dann gibt es  die Savoyer-Fraktion, die garen die Kartoffelscheiben in Sahne, geben dann noch Crème double und Butter dazu und gratinieren das Ganze mit viel  Beaufort, Gruyère, Tomme de Savoie oder anderem heimischen Käse. Wenn man einschlägige Rezepte für Kartoffelgratin Savoyarde liest, die hören sich alle nicht so grausam an, da ist von Hühnerbrühe die Rede und von 100 Gramm Käse für zwei Pfund Kartoffeln. Wenn man sich dann aber in Savoyen an den Restaurant-Tisch setzt, so kommen fast immer Fettorgien daher, mit viel Butter auf viel Käse über wenig Kartoffelscheiben schwimmend.

Dem Fass die Krone aufgesetzt hat letztens allerdings eine Kneipe in Annecy, nichts Besonderes, keiner ausführlicheren Erwähnung wert, ich war Sonntagabend mit der Spätmaschine von Genf gekommen, Sonntagabend, da sind in der Französischen Provinz die Bürgersteige hochgeklappt, ich war froh, dass ich um 22:00 Uhr noch was zu essen fand. Bei einem Flammenkuchen – so sollte man sich doch denken – kann in Frankreich nicht allzu viel schief gehen, außer vielleicht, dass der Ofen nicht die nötige Temperatur herbringt. Weit gefehlt: was mir da des Nachts in Annecy serviert wurde, das war ein durchaus knuspriger Teig mit ordentlich Crème fraiche, gebratenem Speck und Zwiebeln drauf – so weit, so gut –, und alles überbacken mit einer fetten, heißen, zähen, dicken Käseschicht. Jeder Ami würd’s wahrscheinlich lieben, aber ich war noch nicht einmal in einem dieser Touristen-Nepp-Lokale am See, sondern ganz bieder hinter dem Bahnhof in einem gänzlich Touristen-freien Wohnviertel. Das bedeutet für mich, dass auch und vor allem die Eingeborenen dergestalt speisen. Nun gut, einerseits habe ich mich nicht einzumischen, was der statistisch repräsentative Savoyarde so mag und isst, andererseits muss ich aber auch nicht immer ebenfalls alles mögen und essen …

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