Sauftour in Wien: 2. Vorspiel im Sperl

Und am Samstagmorgen fallen wir früh wieder raus, Croissant und Melange reichen als Frühstück, wir wollen zum Flohmarkt hinter dem Naschmarkt zwischen den Wienzeilen, und der startet traditionell früh, nämlich schon um 06:30 Uhr geht der Verkauf los. Der Naschmarkt selber ist zwischenzeitlich eh‘ für’n Arsch, früher, in den Achtzigern, konnte man hier noch ganz normal sein Fleisch, Gemüse, Obst, Spezereien einkaufen, zu etwas teureren Preisen zwar, aber es war ein echter Stadtmarkt. Heute ist der Naschmarkt verkommen zu einem Markt-Disney-Land für Touristen aus aller Herren Ländern, mit Restaurants, pseudo-schicken Bars, immer wieder denselben Ständen mit eingelegten Gemüsen, Bergen von industriell gefertigten Frischkäsen, Haufen von billigen, offenen Gewürzen, dazu Kitsch-as-Kitsch-can und vorwiegend Muselmanen, die ihre Ware in gebrochenem Deutsch aggressiv feilbieten. (Politisch unkorrekt? Können Tatsachenschilderungen politisch unkorrekt sein?) Rasch also den verkommenen Naschmarkt durchmessen (hier ist eh‘ noch nichts los um die Zeit), Richtung Kettenbrückengasse, wo die Flohmarkthändler schon früh ihre Waren und Schrott auf gebrechlichen Tischen und Decken auf dem bloßen Boden feilbieten. Hier ist zwar noch immer viel los, ca. die Hälfte der Plätze hier sind feste Standplätze, die ein Händler jedes Wochenende hat, auf solch einen festen Platz muss man zwei Jahre warten, die andere Hälfte sind Plätze für wechselnde Händler, maximal dreimal pro Jahr darf man solch einen Platz nutzen, und um ihn zu ergattern, muss man sich früh in die lange Schlange vor dem Marktamt einreihen. In den Achtzigern, da war der Naschmarkt noch verrucht. Modevolk verscherbelte hier seine kaum getragenen Disco-Klamotten, um sich den nächsten Schwung Fummel leisten zu können, die ebenso wieder nach zwei-, dreimal Tragen hier auf dem Markt landeten, clevere Geschäftsleute klapperten systematisch die Bauernhöfe auf dem Lande ab, kauften alte Möbel, Hausgeräte, Bilder, Besteck, Porzellan zu Spottpreisen auf (heute sind die Höfe meist leer, diese Zeit ist vorbei, das Geschäft tot), und was nicht für den Restaurator und dann das Antiquitätenfachgeschäft taugte (zu horrenden Preisen, versteht sich), landete unrestauriert hier auf dem Naschmarkt, und da war durchaus das eine oder andere Schnäppchen zu machen, dazu lagen Berge von äußerst wohlfeilen Autoradios herum, viele mit seltsam zerbeulten Frontpartien, als seien sie gewaltsam aus der Verankerung gehebelt worden, und die Marktpolizei ging wichtig durch die Reihen und sah nichts davon, eben so wenig wie sie die Mengen von Kinderpornos sah, die nur halbherzig versteckt unter einem Playboy fast offen herumlagen; und um die U-Bahnstation Kettenbrückengasse im wunderbaren Jugendstil Otto Wagners lungerten stets und immer meist ausländische Mitbürger herum, bei denen man diskret, aber in aller Öffentlichkeit, ohne sich in die Gefahr eines düst‘ren Hinterhofes oder einer konspirativen Wohnung begeben zu müssen, zu fairen Preisen, in guter Qualität und quasi unter polizeilicher Aufsicht nahezu alles kaufen konnte, was das Betäubungsmittelgesetzt verbietet, während weiter oben, bei der Steggasse, meist serbische Jugoslawen aktiv an der Ost-West-Abrüstung arbeiteten, indem sie den Ausverkauf von Titos Waffenarsenalen betrieben. Aber auch das war einmal. Heute ist der Samstägliche Flohmarkt zwischen den Wienzeilen eine Ansammlung von Schrott und Müll, und was kein Schrott und Müll ist, ist überteuert oder gefälscht. Punktum.

Durchgefroren stapfen wir die Girardigasse hoch zum Sperl, hier hat sich außer den neuen Sanitärräumen, dem wiederhergestellten Fußboden und den Registrierkassen wenig verändert. Seit „damals“. Ich bin schon in’s Sperl gegangen, da wuselte der alte Manfred Straub noch unermüdlich, mit Argusaugen zwischen den Tischen und gab Anweisungen an das – durchweg weibliche – Personal, sein Sohn Rainer saß mit seiner unverzichtbaren bunten Fliege – nicht etwa eine Kellnerfliege, die seine war stets in den buntesten Papageien-Farben und –Mustern – vis-à-vis des Eingangs und machte hinter dem Tresen, rechts von der Kuchentheke sitzend, in dicken Folianten und großen Kladden die Buchführung, dieweil die ehemalige Besitzerin des Sperls, von der Straub sen. das Kaffeehaus 1968 erworben hatte (ihr Name ist mir entfallen, ich glaube, es war eine geborene Sperl, verheiratete So-und-So, die nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr den Elan hatte, diese Wiener Institution alleine zu führen und daher lieber verkaufte, gleichwohl aber nicht von ihrem Lebenswerk lassen konnte – wie die alten Hawelkas übrigens auch, wenngleich die nicht verkauft haben, sondern quasi beide in ihren Kaffeehaus neben der Theke sitzend gestorben sind – und als gestrenge Kassiererin links von der Kuchentheke hinter nämlichem Tresen thronte. Die Bedienungen im Sperl hatten allesamt keine Geldbeutel, wenn man gehen und zahlen wollte, so schrieben die Kellnerinnen die Zeche von Hand auf einen Block, zeichneten den Zettel mit ihrer Paraphe ab, damit ging an dann zur gestrengen Zahl-Matrone, die in unglaublicher Schnelligkeit die Rechnung im Kopf nachrechnete, und sodann konnte man zahlen und das Lokal verlassen. Diese ältere Dame war es übrigens auch, die in konspirativer Zusammenarbeit mit dem alten Straub über Jahrzehnte verhinderte, dass im Sperl moderne Registrierkassen eingeführt wurden (klar, damit wäre sie ihren Job, mehr aber noch ihre Lebensaufgabe losgeworden), und das zum Leidwesen des jungen, progressiveren Straub jun.. Das sind Wiener Geschichten, die das wahre Leben schreibt und die ich gerne höre und erzähle, und nicht, dass die gesamte Wiener Sezession beim Melange schlürfen im Sperl kollektiv philosophiert hat und dass kuk-Generäle und Sozen-Künstler sich hier die noch immer reichlich Tageszeitungen geteilt haben, solche Sachen sind doch überall nachzulesen, in den Reiseführern, Life-Style-Magazinen und Wikipedias, mal richtig, ganz oft aber auch voller Fehler, die sich beim unkritischen Abschreiben aus unzuverlässigen Quellen halt ergeben und im Laufe der Zeit immer weiter potenzieren.

Wie dem auch sei, die beiden Alten sind verschwunden, Rainer Straub ist noch sporadisch im Sperl anwesend, es gibt zwischenzeitlich Registrierkassen, computerisierte gar, und die Bedienungen haben eigene Geldbeutel. Wir essen ein Gabelfrühstück, so nennt man die kleine Zwischenmalzeit zwischen Frühstück und Mittagessen, die eben nicht proletarisch-einfach in Form eines Butterbrots oder so aus der Hand gegessen wird, sondern schon ein etwas anspruchsvolleres, aber immer noch kleines Gericht, welches zumindest einer Gabel bedarf. Caro nimmt Frankfurter Würstl (die Wiener können richtig sauer werden, wenn man diese Würstchen in Wien als „Wiener“ bezeichnet, „Wir Wiener sind keine Würstchen, das sind ‚Frankfurter‘“, bekommt man dann erbost zu hören) im Bratensaft mit Senf, Kren und Gebäck, ich ein kleines Saftgulasch mit Gebäck; eigentlich geht es mir dabei nicht um die großen, manchmal mürben, manchmal von Fett und Sehen durchzogenen („Probieren’s unser Gulasch, dann haben’s was zum Würgen.“, sang einst die EAV) Fleischbrocken, sondern nur darum, die dicke, braune, mit verkochter Zwiebel und dem gelösten Bindegewebe des Fleisches angedickte, mit Kümmel, Paprika und Majoran kräftig gewürzte Sauce mit den Stücken einer zerrissenen Semmel (in Wien ‚Gebäck‘ geheißen) aufzutunken und genüsslich in‘s Maul zu schieben. Dazu trinken wir „Lumumba“, das ist frisch gekochte Schokolade mit Sahnehäubchen und einem gehörigen Schluck Rum, vielleicht etwas unvernünftig zu der Tageszeit, zumal angesichts des Programms, das wir noch vor uns haben, aber zuweilen ist Vernunft die große Schwester der Langeweile.

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