Seit über zwanzig Jahren verschlägt mich ein grausames, erbarmungsloses Schicksal mehrmals im Jahr, meist sogar mehrmals im Monat nach Paris. Um dies gleich vorwegzunehmen, Paris und ich sind niemals richtig warm miteinander geworden, um ganz ehrlich zu sein: ich hasse diese Stadt, ich hasse sie abgrundtief. Und doch müssen wir irgendwie miteinander auskommen, ich mehr mit Paris als Paris mit mir, mein Pech. Schon bei der Ankunft ist die Stadt abweissagend. CDG ist eine verdreckte, architektonisch monströse, unübersichtliche Bauruine in vollem Betrieb (nicht ganz so ruinös wie BER, aber fast), das alte Terminal 1, wo die nicht-französischen Fluglinien abgewickelt werden, nochmals schlimmer als das nicht ganz so alte Terminal 2. Wenn man mit dem Privatflieger unterwegs ist, ist Le Bourget etwas besser, wenngleich ich mich dort immer frage, was wohl die längere Strecke sein mag, der Flug von Deutschland oder der Weg vom Runway zum Ankunftsgebäude. Wo vor normalen Flughäfen überall auf der Welt lange Schlangen von Taxis auf die Passagiere warten, warten vor CDG meist lange Schlangen von Passagieren auf Taxis, vor Terminal 1 nochmals mehr als vor Terminal 2 (warum wohl?). Die Taxifahrer selber sind fast allesamt ungehobelte Rüpel, kaum einer Europäischen Sprache mächtig, die Taxis sind Klein- und Mittelklassewagen meist aus einheimischer Produktion, selbst mit drei Fahrgästen darf sich niemand auf den Beifahrersitz setzten (wohl irgendein komisches französisches Gesetz oder Gewerkschaftsdiktat, wahrscheinlich eher letzteres), sondern muss sich zu Dritt auf die Rückbank quetschen, während auf dem Beifahrersitz im besten Falle die Tasche oder Bomberjacke des Fahrers liegen, oft aber auch ein stinkendes halb-leer gefressenes Ensemble vom McDonalds-Tüten oder Falafel-Resten. Die Aufforderung, dem lautstarken orientalische Gedudel aus dem Radio Einhalt zu gebieten wird zuweilen ganz ignoriert oder höchstens mit sichtlicher Missbilligung erfüllt, zur Strafe telephoniert der Taxler dann halt lautstark auf Arabisch oder einer anderen Sprache, natürlich ohne Freisprecheinrichtung. (Ja, auch die Pariser Taxifahrer mag ich nicht sonderlich, und ich feiere Uber, wegen dem den Pariser Taxifahrern die Ärsche auf Grundeis und die etablierten Taxikartelle auf die Straße gehen; nicht etwa, dass ich mich zu so einer wildfremden Privatperson in ein nicht kontrolliertes Uber-Auto setzten würde, und nicht etwa, dass ich einem gestandenen, ordentlichen Münchner oder Zagreber Taxler mit Daimler-Limousine diese Ami-Konkurrenz-Pest an den Hals wünschen würde, aber den Pariser Taxifahrern schon.) Die Slum-Siedlungen illegaler Landnehmer entlang der Einfallstraßen, insbesondere unter Brücken, waren unter Sarkozy vollständig verschwunden, unter Macron kommen sie wieder, allerdings besser versteckt.
Paris selber empfinde ich immer nur als dreckig, laut, eng, absurd überteuert, unhöflich, oft bedrohlich bis unsicher, chaotischer Verkehr, Menschen, die eine komische Sprache sprechen, derer ich nicht mächtig bin, und wenn sie Englisch sprechen, wird’s noch schlimmer. Über die Jahre habe ich den ganzen ortsüblichen Schmonzens bis zum Erbrechen mitgemacht, ich bin für ein Heidengeld diese Sinn- und Ästhetik-befreite Stahlkonstruktion hochgefahren und habe brav runtergeguckt, habe mich mit Menschenmassen an einer guten Kopie der grinsenden Frau vorbeigeschoben, habe auf einem Seine-Schiff bei einer nächtlichen Rundfahrt wenig gesehen und sehr schlecht gegessen, um Mitternacht haben mich zu Sylvester wildfremde Menschen im Champagner-Rausch auf der Champs Elysées abgeknutscht und ich habe wacker zurückgeknutscht, ich bin die Stufen zur Sacré-Cœur de Montmartre hochgehechelt und wieder runter, habe – bevor der Al-Fayed-Clan es luxus-sanierte – im Ritz soupiert und geschlafen, und in der Hemingway-Bar hat der Barchef meine Havanna mit einer leeren, scharf gefeilten großkalibrigen Patronenhülse angeschnitten (die Patronenhülse schenkte er mir, ich steckte sie gedankenlos ein, mei, war das ein Hallo und Hoppla und Hände-Hoch am nächsten Tag vor dem Rückflug in der Sicherheitskontrolle), in Notre-Dame habe ich eine Kerze für meine Mutter angezündet und inmitten gaffender und photographierender Touristen mit Baseballkappen auf den Köpfen ein Gebet gesprochen, den Pisspagen habe ich in Versailles vergeblich gesucht, aber erfolgreich im Quartier Latin mit Studenten gesoffen, in La Défense habe ich in einem der obersten Stockwerke mit nettem Blick über Paris einen Millionendeal besiegelt, im Jardin des Tuileries bin ich verliebt lustgewandelt, in der Nationaloper habe ich zweieinhalb Stunden lang entsetzlich schreiende Menschen und schlechte Luft ertragen, am Boulevard Haussmann habe ich bei unseren Wirtschaftsprüfern langweilige Sitzungsstunden verbracht, aufregender war da schon die Hausdurchsuchung der Sécurité, bei der ich anwesend sein durfte/musste, Geschäftspartner haben mich in rustikale Bistros, Marokkanische, Tunesische, Algerische Restaurants, Ein, Zwei- und Drei-Sterne-Schuppen eingeladen, und das Original der Freiheitsstatue habe ich auch gesehen, … und-so-weiter-und-so-fort, nur U-Bahn oder Bus bin ich noch nie in Paris gefahren und werde das ohne Not auch niemals tun, und in Disney-Land war ich auch nicht und werde ich auch nicht hingehen, es sei denn, meine Enkel nötigen mich eines Tages dazu. Man kann also durchaus sagen, ich habe mich über die Jahre – mehr oder minder gezwungen, aber redlich – bemüht, Paris etwas Positives abzugewinnen, es ist mir bis heute kaum gelungen. Am allermeisten verschissen haben es die Pariser ja bei mir in Sachen Restaurants und Essen. Ich werde nie verstehen, wieso man gerade Paris für einen Hort des guten Essens hält, niemals. Das Frühstück ist lausig, die Restaurants sind viel zu eng bestuhlt, und kochen können die auch nicht richtig. Die Franzosen generell und die Pariser speziell haben tolle Rohstoffe und Zutaten, nur machen sie nichts daraus, außer vielleichtordentliche Baguettes und gute Croissants. Na gut, zuweilen vielleicht noch Foie Gras und Brioche, aber dann hört’s wirklich auf. Nein, ich mag die Französische Küche generell nicht sonderlich, wenn schon, dann die Küche des Elsass, aber das ist ja eigentlich eine Deutsche Küche. Andererseits, all das hat auch sein Gutes. Ich werde diesen geradezu schon zwangsneurotischen Drang Deutscher Machthaber, andauern Paris erobern zu wollen, nie nachvollziehen können, und, liebe Pariser, sollte ich doch noch zum nächsten Deutschen König ausgerufen werden, vor mir seid ihr sicher, garantiert. Allem Jammern und Genörgel zum Trotze, drei Restaurants habe ich über die Jahre dann doch gefunden, wo ich gerne, ja sehr gerne zum Speisen hingehe, wenn ich in Paris bin. Mehr dazu Morgen an dieser Stelle.