Summa summarum: zentral gelegen, preiswert, spartanisch, sauber, doch längst nicht mehr role modell moderner urbaner Hotellerie
Einerseits, es hat schon was, die große Kirchturmuhr des Michels, so heißt die evangelische Hauptkirche Sankt Michaelis im Volksmund in Hamburg, unmittelbar vor dem Fenster quasi als Nachttischuhr zu haben, der Preis für diese Aussicht ist eine sechsspurige, Tag wie Nacht stark befahrene Hauptverkehrsstraße samt regelmäßiger Kavalierstarts präpotenter Pimmel-Paulis an den Ampeln (doch es gibt – das muss der Ehrlichkeit halber gesagt werden – auch Zimmer zu den Innenhöfen und nach hinten, die sind dann ruhiger, doch dieser kirchliche Nachttischuhr-Ersatz tut dringend Not, denn Nachtisch – oder auch nur sonst irgendeine Ablage neben dem Bett – gibt es absolut keine. Die Funke liegt zum nächtlichen Laden auf dem Fußboden vor dem Bett, bloß aufpassen, dass man nicht schlaftunken drauflatscht. Auch ansonsten ist die Zimmereinrichtung des Motel One in Hamburg am Michel so spartanisch, wie man es von den Motel Ones eben gewohnt ist: der einzige Luxus in dem winzigen Zimmerchen ist ein ziemlich großer high-tech Loewe-Fernseher an der Wand, der – verflixte Hacke noch einmal – jedes Mal automatisch anspringt, wenn man das Zimmer betritt und sphärische Musikklänge zu Filmchen von farbenfrohen, träge dahinschwimmenden, tropischen Fischen in einem Aquarium zum Besten gibt (noch nicht einmal einen Stecker hat dieses Mistding offenbar, den man ganz einfach ziehen könnte), ansonsten kein einziger Stuhl, nur zwei Hocker, ein winziger Schreibtisch ohne Steckerleiste, kein Kleiderschrank, sondern nur eine offene Garderobe (seien wir ehrlich: eine Kleiderstange an der Wand), an die gerade mal fünf Kleidungsstücke passen, keine Kofferablage, winziges Bad, immerhin mit einer guten Dusche, dafür mit Tag wie Nacht unablässig brummender Lüftung, generell ist es laut in dem Zimmerchen, kein Wunder bei den dünnen Wändchen, wenn jemand über den Gang läuft, hört man es, wenn irgendwo auf dem Flur eine Zimmertüre in’s Schloss fällt, hört man es, wenn im Nachbarzimmer Liebe gemacht wird, hört man es, nur die Schallschutzfenster sind echt effektiv schallschützend, aber ansonsten ist es sauber, funktional, Bettwäsche und Handtücher sind ordentlich, und was will man schon mehr erwarten, für gerade mal 150 EURO die Nacht im Doppelzimmer (Frühstück kostet 15,90 EURO extra pro Person) mitten in der Hamburger Innenstadt, zum Rathaus, der Elbphilharmonie und den Landungsbrücken sind’s von hier fußläufig rund 20 Minuten, auf der Reeperbahn ist man sogar in fünf Minuten.
Die Halle des Motel One gibt sich im gewohnten Lounge-Stil mit viel Türkis und bequemen Lümmel-Sesseln, richtige Tische und Stühle gibt es nur ein paar wenige in der Frühstücksecke, ansonsten nur niedrige Couchtischlein, Sesselchen, Hockerchen, des Abends noch nicht einmal Barhocker an der Bar, die bodennahe, geduckte, kauernde Stellung scheint hier die ganz überwiegende Haltung zu sein – gewünscht oder oktroyiert? –, und das Publikum kauert brav geduckt in Bodennähe. Andere hippe, livestylische, trendige Billig-Hotelketten – 25hours, Me and All, Urban Loft … – setzen längst auf co-working spaces und meeting areas, wo man mit geradem Rückgrat an einem ordentlichen Tisch sitzen kann, die doch etwas altbackenen Motel Ones vertrauen hier noch eher auf die primitive orientalische Hocke, die vor zehn, zwanzig Jahren vielleicht mal hipp gewesen sein mag, die aber dem Bruttosozialprodukt ebenso abträglich sein dürfte wie der Rückengesundheit.
Dieses altbackene Design wirkt sich offenbar ganz massiv auf die Gästeschar aus. Das urbane, hippe Yuppie-Publikum, das vor zehn Jahren noch das Motel One Publikum ausmachte, ist zusammengeschmolzen, stattdessen ein mehr – ich muss jetzt verdammt gut aufpassen, was ich schreibe – eher proletarisches Publikum in einer Billig-Herberge. Am Nachbartisch Mitarbeiter einer Schweizer Spedition, die ihren Betriebsausflug nach Hamburg machen. Dem Holsten-Pils aus Flaschen sprechen sie reichlich zu, sie geben sich begeistert von der Hafenrundfahrt und den vermeintlich großen Pötten, die sie gesehen haben, angewidert geben sie sich allerdings vom hiesigen Porno-Museum auf der Reeperbahn, wo es wohl irgendwelche Exponate mit Fäkalien und deren oralen Aufnahme geben muss, soweit ich verstehen kann, ich kann das nicht beurteilen, ich war noch nicht dort. Dann eine Gruppe hackeidichter, junger, männlicher Bewohner des Bayrischen Waldes in einheitlichen hautengen Einteilern aus Polyester im Leopardenmuster mit breitkrempigen Strohhüten, die Hutbänder ebenfalls passend im Leopardenmuster und hochhackigen Schuhen, ebenfalls im Leopardenmuster, die jungen, hackendichten Männer wanken schon genug, um so mehr in dem ungewohnten Schuhwerk, hier hat sich ein bayrischer Hochzeitslader echt was einfallen lassen, mit den Photos von diesem Abend kann man die Feiernden sicherlich noch in zwanzig Jahren trefflich erpressen, wenn sie längst stramme CSU-Ratsherren im örtlichen Stadtrat sitzen, so was will von langer Hand vorbereitet sein, das pay back für sowas kommt viel später. Erwähnt sollen noch die rheinländischen Möhnen sein, von Lage und Lautstärke der Stimmen her fatal an Typhons erinnernd, die deutlich mehr Interesse an den Schweizer Speditionsmitarbeitern zeigen als diese an ihnen.
Um das ganz klipp und klar zu sagen: ich gönne jedem Speditionsmitarbeiter, jedem Junggesellverabschieder, jeder Möhne jeden Ausflug und Urlaub in jedem Hotel, in dem sie mögen, und sie mögen sich benehmen, wie sie mögen, sie mögen auch über die Stränge schlagen, solange es nur im Rahmen der Gesetze bleibt und das Mobiliar und die anderen Gäste heil bleiben, da habe ich mich nicht einzumischen, und das habe ich weder zu bewerten noch zu kommentieren. Lauschig waren die Nächte in der Lounge des Motel One in Hamburg am Michel trotzdem nicht, sondern sehr laut und enthemmt, für diese Art von Stimmung könnte ich auch in jede beliebige Hafenkneipe geben, wahrscheinlich wäre die Stimmung dort auch noch authentischer. Dieses Flair war weder weltläufig, noch maritim, noch hanseatisch, noch urban, es war einfach nur laut und hockend. Ich war bisher gelegentlich in Motel Ones gegangen, weniger wegen der zugegebenermaßen sehr wohlfeilen Preise, die spartanische, ungemütliche Zimmereinrichtung hatte ich in Kauf genommen für die zentrale Lage, das akzeptable Frühstück, vor allem aber für die Lounge-Atmosphäre mit teilweise interessanten Menschen und manchmal sogar guten Gesprächen zur Nacht. Das ist njetzt alles wie weggeblasen. Warum sollte man als Sauftourist denn auch in ein Ibis am Hauptbahnhof oder an der Messe für rd. 100 EURO pro Nacht gehen, bei dem das Lebendigste zur Nacht der teure Getränkeautomat in der Halle ist, wenn es für 50 EURO mehr ein zumindest stylisch angehauchtes Hotel mit geiler Kneipe im Erdgeschoss gibt? Irgendwie habe ich das Gefühl, das Motel One – Konzept geht gerade nicht mehr auf.
Motel One Hamburg am Michel
Ludwig-Erhard-Straße 26
D – 20459 Hamburg
Tel.: +49 (40) 3 57 18 90-0
E-Mail: hamburg-am-michel@motel-one.com
Online: https://www.motel-one.com/de/hotels/hamburg/hotel-hamburg-am-michel/
DZ (Ü/F) ca. 140 bis 220 EURO (pro Zimmer, pro Nacht)