Metzgerwirt Hurlach: dörflich, zünftig, urig, durchschnittlich

Summa summarum: wohl das erste Haus weit und breit in der Gegend, aber das mag nicht viel heißen. Tiefste Provinz, ordentliches Dorfgasthaus mit offensichtlich hoher Frequentierung und starkem Durchsatz, rustikales Stadl-Ambiente mit viel Holz über zwei Etagen, in der warmen Jahreszeit Biergarten unter Kastanien vor dem Haus, netter Service im Dirndl, das typisch bajuwarisch-schwäbische Futter meist frei von Tadel, doch stets auch frei von Lob, das Meiste wohl tatsächlich hausgemacht, doch Massenware ohne Liebe und Pfiff.

Das Tableau ist irgendwie denkwürdig: das Lechfeld, diese fast topfbodenplatte Ebene südlich von Augsburg zwischen Wertach und Lech, im Süden begrenzt durch die beginnende Allgäuer Hügellandschaft, fruchtbares, fettes Bauernland, die Via Claudia Augusta führte hier durch, die alte Römerstraße von Rom bis Augsburg und Donauwörth, an der nördlichsten Grenze des Reiches gegen die Germanen in dieser Gegend, der römische Statthalter Claudius Paternus Clementianus, Nachfolger von Pontius Pilatus in Judäa, verbrachte hier seinen Lebensabend als Pensionist in Epfach (römisch Abodiacum) am Lech, 910 zeigte Ludwig das Kind den marodierenden ungarischen Reiterheeren auf dem Lechfeld, wo der fränkische Bartel den Most herholt, 955 gebar sich die Deutsche Nation, als Otto der Große die Ungarn endgültig und vernichtend auf dem Lechfeld schlug (wenngleich viele Historiker den Platz dieser Schlacht zwischen Augsburg und Günzburg verorten, einerlei), während des Nazi-Regimes gab es hier zahlreiche Außenlager des KZ Dachau, Hitler wollte unter dem Lechfeld in gebunkerten unterirdischen Fabriken Kampfflieger bauen lassen, manche dieser – offenbar unkaputtbaren – Bunker werden dem Vernehmen nach bis heute von der Narrenrepublik genutzt, u.a. zur Lagerung der neuen EURO-Währung vor deren Einführung 2001 und heute für Arzneimittel-Vorräte der Bundeswehr, dann und wann soll auch mal ein maroder Eurofighter der Luftwaffe von Lager Lechfeld aus starten, diese strategische Bedeutung sieht man der Gegend alles andere als an, plattes Land mit kleinen, agrarisch geprägten Käffern, Unterdießen, Oberdießen, Untermeitingen, Obermeitingen, Kleinaitingen, Großaitingen, Westendorf, Oberostendorf, mit etwas Glück alle mit Blick auf den Alpenkamm im Süden. Eines dieser agrarisch geprägten Käffer ist Hurlach, nun ja vielleicht nicht Kaff, sondern Dorf mit knapp 2.000 Einwohnern (Tendenz steigend), entlang der Dorfstraße (der alten Via Claudia Augusta) propere Bauernhäuser, nicht reich-protzig, nicht arm-heruntergekommen, einfach proper, am Ortsrand viele schmucke neu gebaute Einfamilienhäuschen, in der Dorfmitte Rathaus, Dorfgemeinschaftshaus, Bank, Bäcker, Dorfladen, kleine Werkstätten, Kirche, Maibaum, Kriegerdenkmal, Weihnachtsbaum, das alte Renaissance-Schloss, 1610 von Markus Fugger zu Kirchberg und Weißenhorn erbaut, heute gehört es Paffen, die dort das richtige Missionieren lehren, auf der Terrasse des heruntergekommenen ehemaligen Wirtschaftsgebäudes des Schlosses grillen Männer westasiatischen Phänotyps trotz zapfiger Temperaturen auf einem großen Rost unter freiem Himmel, zahlreiche Kinder nämlichen Phänotyps springen umher. Inmitten dieser Idylle liegt das Gasthaus Beim Metzgerwirt, ebenfalls Anfang des 17. Jahrhunderts als Posthalterei am Weg nach Italien erbaut. Seit über 100 Jahren betreibt die Familie Schmid das Wirtshaus, mittlerweile in der vierten Generation. Heute präsentiert sich das architektonisch nicht sonderlich ansprechende Ensemble als Dreiseithof, rechts ein großes, zweistöckiges Wohnhaus, links und an der Kopfseite schmucklose Stadl oder Scheunengebäude, der Innenhof zugeparkt – ein Feuerwehr- und ein Rettungswagen sowie auffällig viele Handwerker-Kleinlaster – links vorne noch ein kleiner, aber netter Biergarten unter alten Kastanien. Das eigentliche Restaurant befindet sich in der Scheune am Kopfende, innen entpuppt sie sich als großes, aufwändig hergerichtetes Stadl über zwei Stockwerke, oben mit umlaufender Galerie, an der Kopfseite des Stadls eine Bühne, viel Holz, Steinfußboden, großes Kruzifix an der Wand, rustikale Brauereimöbel, großzügig bestuhlt, die ausschließlich weiblichen Bedienungen tragen allesamt einheitliche, himmelblaue Dirndl, für einen Arbeitstag ist der Laden ziemlich gut gefüllt, auch die Feuerwehrmänner, die Rettungswagen-Besatzung und reichlich Handwerker finden sich wieder, nicht etwa zum Feuerlöschen, zum Retten oder zum Handwerken, sondern allesamt vielmehr, um hier zu Mittag zu essen, ein gutes Zeichen, generell scheint das Publikum ganz überwiegend aus Einheimischen zu bestehen, noch ein gutes Zeichen. Beunruhigend hingegen sind die Speisekarten in Englisch und Italienisch.

Bis auf den vermaledeiten, heutzutage wohl unvermeidlichen Zeitgeist-Burger, die Currywurst und das vegane Zeugs gibt es typisch bajuwarisch-schwäbische Kost: Rinderkraftbrühe mit verschiedenen Einlagen und eine jahreszeitliche Suppe, Krautkrapfen, Gschwollene, Schweinshaxe, Krustenbraten, Schnitzel- und Steakvariationen, Spareribs, Tafelspitz in Meerrettichsauce, den allseits bekannten Zander als Fisch, Kässpatzen, Schwammerlragout, diverse Beilagensalate und tatsächlich nur zwei Salatplatten mit toter Pute oder nochmals dem altbekannten Zander, dann ein paar Standard-Brotzeiten, schließlich zum Dessert viel Eis, Kaiserschmarrn, Panna Cotta, dazu eine kleine Saison-Karte, derzeit u.a. mit Knoblauch-Suppe, Wildschweinbraten, gebackenen Champignons, Apfelkücherl oder Bratapfel-Schichtdessert. Die Kinderkarte ist schlichtweg 08/15, ein paar kleine Portionen der Gerichte für die Großen, ansonsten Spätzle mit Sauce, Pommes rot-weiß, Chicken Nuggets, so zieht man gewiss keine Feinschmecker heran. Wenngleich man beim Metzgerwirt vorgibt, vorwiegend regional einzukaufen, lassen Positionen auf der Speisekarte wie „knusprige Kartoffelrösti-Ecken“, „Chicken Nuggets“ oder verdächtig viereckige Kaiserschmarrn-Stücklein alle Alarmglocken bei mir schrillen. Biere schließlich gibt’s von der Augsburger Brauerei Riegele, von Löwenbräu, Erdinger, Franziskaner, Clausthaler, Mönchshof, Becks, ein kunterbuntes Sammelsurium, die „Weinkarte“ ist nicht erwähnenswert. Die Preise sind für Münchner Verhältnisse moderat, für Lechfeld Verhältnisse würde ich sagen, angemessen bis gehoben, ein Schnitzel mit Pommes (ohne Salat) für 15,50 EURO, eine ganze Schweinshaxe für 18,90 EURO, eine Maß Helles für 8,80 EURO.

Aber man geht ja nicht zum Sparen zum Essen, sondern zum Essen. Allora. Bedienungen: wie gesagt himmelblau dirndelgewandet, nicht immer sofort zur Stelle, was entschuldbar ist, angesichts des Andrangs, dafür sehr freundlich und durchaus auch für einen Scherz unter gänzlich Fremden aufgelegt. Rinderkraftbrühe mit Brätspätzle: geht schon, aber Rinderbrühe würde das Süppchen besser umschreiben. Gebackene Champignons mit Remoulade: panierte und ausgebackene ganze Champignons, doch wäre man böse, könnte man vermuten, etwas Zement sei in die Bröselpanade geraten, denn die ist so hart, dass man sie kaum schneiden kann, und schneidet man sie, dann hat man noch separaten Champignon-Batz und Bröselpanzer; die einzige Möglichkeit, die Dinger zu essen, besteht darin, sich einen kompletten panierten, frittierten Champignon in’s Maul zu stopfen, aber damit verbrennt man sich garantiert die Fresse; ganz ähnliche steinhart frittierte Champignons hatte ich im Sommer in der keine 50 Kilometer entfernten Katzbrui Mühle auf dem Teller. Die L.STROETMANN Großverbraucher GmbH & Co. KG aus Werner bei Münster in Ostwestfalen-Lippe bietet solche vorpanierten Champignons tiefgefroren an, 32,58 EURO für 2,5 Kilo, oder 65 Cent pro Portion. Wäre bestimmt interessant, herauszufinden, woher die Champignons beim Metzgerwirt und der Katzenbrui Mühle wirklich stammen, die Ähnlichkeit jedenfalls ist frappierend. Doch während ich in Katzbrui im Sommer 2022 für zwölf steinhart frittierte, schlechte Champignons mit Beilagen 5,90 EURO zahlte, verlangt man beim Metzgerwirt für acht (8!) steinhart frittierte, schlechte Champignons 16,30 EURO, also mehr als 2 EURO das Stück frittierten Champignon, das ist stolz. Dafür ist die Remoulade dazu in Hurlach offensichtlich wirklich hausgemacht und richtig gut, ohne den Beigeschmack von Konservierungsstoffen, während im Katzbrui einfach ein Klecks Industrie-Mayo aus dem großen Eimer serviert wurde. Kleines Schnitzel Wiener Art in Hurlach: tatsächlich ein Pfannenschnitzel, nicht aus der Fritteuse, gutes Fleisch, Panade nicht knusprig, sondern wieder hart und nicht gleichmäßig gebräunt, da hat es jemand versäumt, beim Braten des Schnitzels die Oberfläche geduldig mit Bratfett zu begießen, Kartoffelsalat dazu mäßig, mehr matschig als schlorzig (gleichwohl ich genau weiß, was ich meine; mit dem Begriffspaar matschig-schlorzig, so hätte ich doch gerade Schwierigkeiten, die Unterschiede umgangssprachlich zu umschreiben). Schweinshaxe: für bajuwarische Verhältnisse recht klein (aber keine Sorge: man wird satt), sehr resch, die Kruste ist selbst mit einem Steakmesser kaum zu knacken, Fleisch zart; durchgebraten, aber noch saftig, das Sößchen dazu recht dünn und wenig, die Kartoffelknödelchen belanglos, mit labbrigen, ungerösteten, zähen Weißbrotwürfelchen gefüllt. Kaiserschmarrn: dem traue ich nicht über den Weg (s.o.). Sehr gut hingegen die Apfelkücherl selber, äußerst leckere, dicke, durch- aber nicht übergarte, säuerliche Apfelscheiben, gutes Frittierfett, nette handtournierte Obst-Deko, die Sprühsahne und das industrielle Eis als Ergänzung überflüssig wie ein Kropf. Der doppelte Espresso dazu lousy as lousy can be.


Metzgerwirt Hurlach
Stefanie Rüdel
Poststraße 10
D – 86857 Hurlach
Tel.: +49 (82 48) 7676
Fax: +49 (82 48) 2 53
E-Mail: info@beim-metzgerwirt.de
Online: www.beim-metzgerwirt.de/

Hauptgerichte von ca. 15,40 € (Krustenbraten, Biersauce, Kartoffelknödel) bis ca. 25,90 € (Steak, Salat, keine Sättigungsbeilage), Drei-Gänge-Menue von ca. 21,70 € bis ca. 43,60 €

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