Marginalie 98 – Freundlichkeit auf Italienisch …

Neulich in Genua, nochmals die kleine Pizzeria hinter dem Bahnhof Piazza Principe, noch  immer haben wir die wenigen verbliebenen Touristen weit hinter uns gelassen, die Speisekarte ist nicht zwei- oder gar mehrsprachig, es gibt auch keine bunten hübschen Bilder der Speisen für die ganz Doofen, kaum ein Gericht über 10 EURO, hier verkehren einheimische Arbeiter, Handwerker und Studenten, der Her Dottore und die Frau Giudice sind hier eher Mangelware, mehr schon die Schaffner der Ferrovie dello Stato Italiane, die über Nacht in einem der zahlreichen wohlfeilen Hotels in der Gegend mit ihren kleinen Rollköfferchen Station machen müssen, arme Socken. Wir sitzen vor dem Lokal auf dem Trottoire, schmucklose Tische, einfachste Stühle, innendrin kaum anders, funktional-ungehübscht, Linoleumboden, Pressspanmöbel, statt Tischwäsche schnell auswechselbare Papiertischtücher, billige Plastikblumen, große Kühlschränke mit suspekten Tiefkühl-Torten, mäßigen Weißweinen und süßen Limos, dazu Blechtbesteck, Pressgläser, billiges Keramik-Geschirr, dünne Papierservietten , so ganz anders, als wir uns in Deutschland „typische Italiener“ vorstellen, und doch ungleich authentischer als jeder aufgepimpte Nobel-Italiener in Schwabing, jede künstliche betont coole Szene-Pizzeria in Kreuzberg und jede versiffte Fraß-Mitnahme-Station in Oberhausen.

Wir essen Bruschette, gegrilltes Gemüse, Muscheln, Nudeln, Salat, dazu trinken wir den roten Hauswein, ein heimischer Rossese di Dolceacqua, rauh, fast schon grob, aber nach dem zweiten oder dritten Glas durchaus lecker. Auf der Straße direkt neben uns knattern Motorräder und viel zu schnelle Autos, Hausfrauen mit prall gefüllten Plastiktüten huschen vorbei, zwei Schwarze rauchen redend in einem Hauseingang, Passanten grüßen sich lautstark und vertraut und bleiben zu einem Schwätzchen stehen, das ist einfach pralles, unverstelltes Leben.

Unvermittelt setzt Regen ein, dieser plötzliche, kräftige Regen, wie er so oft an der Küste auftritt, in Minutenfrist peitscht das Wasser förmlich herunter. Scheiße, unser Tisch ist der einzige auf dem Trottoire vor dem Restaurant, der nicht geschützt vor dem Regen unter der mächtigen Jalousie steht. Die Einheimischen wussten schon, wo sie sich hinsetzen und haben alle angesichts der Wetterlage klug vorausschauend Tische unter der Jalousie gewählt, die jetzt alle rappelvoll besetzt sind; nur wir Fremden haben die Situation nicht richtig vorhergesehen und den einzigen ungeschützten Tisch genommen. Es regnet in unsere Nudeln und Muscheln, und zwar heftig. Und da passiert etwas Seltsames. Zwei der Gäste unter der Jalousie heben ihren Tisch an und rücken nach hinten, ohne eine Aufforderung oder Koordination machen alle anderen Gäste unter der Jalousie mit und rücken ihre Tische enger zusammen. Jegliche Corona-Abstandsregeln werden in einem Moment kollektiv über den Haufen geworfen. Dann winkt uns – wir sind verdutzt bis verständnislos – der erste Tischrücker, wir mögen doch nun unseren Tisch unter die Jalousie rücken, wo nun genügend Platz ist und was wir sehr gerne tun. Wieder im Trockenen sitzend nicken wir den Tischnachbarn dankbar zu, die quittieren diesen schüchternen Dankes-Versuch unsererseits mit einem eher kühlen Nicken, ein „Basst schoo“ würde der Bayer vielleicht sagen, für sie alle war das wohl vollkommen selbstverständlich. Ich behaupte mal, in den meisten Deutschen Kneipen wäre in nämlicher Situation niemand mit seinem Tisch gerückt, man hätte eher schadenfroh auf die nassen Pudel geschaut; und hätten die anderen Gäste ihre Tische wider Erwarten doch verrückt, so wäre gewiss der Wirt gekommen und hätte etwas von der Unverrückbarkeit der Tische und Durchkommen der Kellner und Schon-immer-so und Corona-Abstandregeln gesagt; und hätte wider-wider Erwartens auch der Wirt nichts eingewendet, so wäre mit Sicherheit das Deutsche Ordnungs- und Abstandsamt mit Maßband und Strafzettel gekommen und hätte gehörig gemessen und gestraft.

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