Stellen Sie sich vor: Sie sind in einem dieser gediegenen Fünf-Sterne-Boutique-Hotels mitten in einer historischen Altstadt, die Zimmerpreise fangen hier so bei Schnappatmung aufwärts an, gerne aber auch mal deutlich mehr, dafür wird man von fast jedem Mitarbeiter mit Namen angeredet, es gibt Eierspeisen à la minute zum Frühstück und keine warmgehaltene Tetrapack-Eierpampe, das Abends stellt man seine Schuhe vor die Zimmertüre und findet sie des Morgens perfekt geputzt wieder, in den geräumigen Tageslicht-Marmorbädern stehen stets frische Blumen, der Barkeeper weiß, was ein trockener Martini ist, und man muss nicht jeden Abend in das hauseigene Sterne-Restaurant, es gibt auch ein rustikales Bistrot mit frisch geschnittenem Tatar und hausgemachter Foie Gras, so eine Art von innerstädtischem gediegenem hide out, wo man glaubt, den Anstrengungen und Fährnissen der Stadt selber entgehen und sich rekreieren zu können. Stellen Sie sich weiter vor, Sie sitzen des Morgens im Frühstücksraum dieses Refugiums tief in den Eingeweiden des Hauses, versteckt hinter Halle, Bar und Restaurant, eigentlich nur für Hausgäste zugänglich, als Ihr Funktelephon klingelt, es ist wichtig, die einheimischen Freunde rufen wegen der Verabredung am Abend an. Natürlich geht man als wohlerzogener Mensch vor den Frühstücksraum zum telephonieren und alldort begibt sich sodann Folgendes: Ein Touristenpaar, vielleicht um die sechzig, beide mit kleinen, praktischen Rucksäcken, entweder von unendlichem Understatement oder von der Kleidung her definitiv nicht zu den Hausgästen zählend (mit ziemlicher Sicherheit eher Letzteres), dackelt halb unsicher, halb frech, jedenfalls neugierig glotzend durch den Gang zum Frühstücksraum, verweilt in der Türe, blickt hinein, traut sich offensichtlich angesichts des massiven Personals nicht weiter, schießt bar jeder DSGVO-Konformität ein paar Photos und macht sich auf den Rückweg Richtung Hotelhalle. Entlang des Weges im Gang steht eine schöne, große Schale voll mit Streichholzschächtelchen mit dem Schriftzug des Hotels. Die Frau greift in die Schale, nimmt nicht etwa ein Schächtelchen, sondern eine ganze Handvoll, stopft die Streichhölzer in ihre Jackentasche, greift ein zweites und ein drittes Mal zu bis die Schale fast leer und die Jackentasche fast voll ist. Dann verschwinden beide kräftig mit den Funken knipsend Richtung Hotelhalle, zurück bleiben eine fast leere Schale und ein konsternierter Hausgast.
Borniert, elitär, etepetete, eingebildet, … mögen jetzt einige sagen, wenn man sich über diese gewiss unschädlichen Zaungäste moniert, Sandra L. vom Berliner Landeverband der Linken würde wahrscheinlich wieder erschießen wollen, und ihr Parteichef Riexinger nützlich arbeiten lassen. Wie dem auch sei, man merkt immer mehr, dass eigentlich gediegene Stadthotels zu massentouristischen Hotspots verkommen: die Selfy- und Handy-Photo-Orgien vor dem Elephantenbrunnen im Adlon in Berlin zum Beispiel, im Taschenberg in Dresden, im St. Regis in Rom, im Ritz in London, im Imperial in Wien… you name it. Im Pariser Ritz hingegen wird diese Hotel-Sight-Seeing-Unsitte seit dem Umbau konsequent nicht mehr geduldet, im Wiener Sacher, im The Pierre in New York oder im Taj in Bombay wurden Gaffer schon immer erfolgreich vergrault und nicht eingelassen. Für mich persönlich muss ich sagen, ich habe keine Probleme damit, neben oder auch mit jemandem mit Deichmann Schuhen und Hauptschulabschluss ein Bier zu trinken, warum auch nicht. Allerdings habe ich so langsam ein Problem damit, mich in einem semi-öffentlichen Raum wie einem Hotel andauernd begaffen und photographieren zu lassen wie ein Ausstellungsstück, das nervt mit der Zeit. Und die Streichhölzer werden auch knapp.