Marginalie 45 – Das Sterben wird sichtbar

Gewiss nur eine Marginalie, und doch in höchstem Grade besorgniserregend und dazu noch ausgesprochen ärgerlich. Gestern Morgen auf dem Stadtmarkt, die Verkaufsstände von mehr als einem halben Dutzend lokaler Bäckern nebeneinander, scheinbar das Brotparadies auf Erden. Ich verlange bei einem der Stände Kastenweißbrot, dieses eckige, in Kastenformen gebackene Weizenbrot, welches man vorzugsweise des Sonntags zum Frühstück in dickere Scheiben aufschneidet, in einem speziell dafür geschaffenen Gerät, Toaster geheißen, beidseitig röstet (oder – je nach Toaster – verbrennt), sodann mit Butter und zum Beispiel Honig bestreicht und genießt. „Haben wir aus dem Sortiment genommen.“ lautet die profane Antwort der Verkäuferin. Nun gut, nächster Stand: „Haben wir nicht, Baguette oder Kaviarweißbrot kann ich Ihnen verkaufen.“ Dritter Stand: „Kastenweißbrot haben wir nur aus Dinkel.“(dieses Getreide, bei dem man furzt wie ein Zuchtbulle, der zu viel Klee gefressen hat). Panik macht sich breit, nächster Stand: „Gibt es bei uns nicht mehr.“ Nackte Panik, noch ein Stand: „Haben wir nur vorgeschnitten und abgepackt.“ Und so weiter. Fazit: auf diesem ganzen Stadtmarkt gibt es kein einziges Kasten-Weizen-Weißbrot mehr, nur noch Dinkel, vorgeschnitten und abgepackt oder industrieller Brot-Mist. Eine alte deutsche Brotsorte vom Bäcker, die hier erfolgreich vom Markt verdrängt wurde. An dieser Stelle geht mein besonderer Dank an die Golden Toasts, Harrys, Sammys und all die anderen industriellen Brotproduzenten, wo eine unheilige Allianz aus Finanzinvestoren, Lebensmittelchemikern und Schichtarbeitern industriellen wohlfeilen Nahrungsschrott für’s dumme Volk rausrotzt, und mein Dank geht an die, die das kaufen. Kastenweißbrot ist bestimmt nicht die erste Brotsorte, die vom Markt verschwindet, und es wird leider auch nicht die letzte sein. Hat sich jemand mal das Brotangebot in Imperial-Amerika angeschaut? Die Ärmlichkeit des Angebots wird dem Land gerecht, und wir sind – noch ohne es wirklich zu merken – ebenfalls auf dem Weg dorthin. Ich jedenfalls gehe jetzt in die Küche und backe mir selber Kastenweißbrot nach Altvätersitte.

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3 Comments

  1. Reinhard Daab

    Hallo Hr. Opl,

    „Hat sich jemand mal das Brotangebot in Imperial-Amerika angeschaut?“

    Dies ist in England oder Irland auch nicht anders, aber ich hatte einmal in USA in einem kleinen Gasthaus mit Bäckerei ein ganz hervorragendes Kastenweißbrot bekommen, besser als viele in Deutschland. Was sollen die armen Bäcker machen, die müssen wohl das anbieten was die Kunden kaufen.
    Dinkel hat in früheren Jahrhunderten wohl eine wesentlich größere Rolle gespielt, man denke nur an den Namen der Stadt Dinkelsbühl.

    Sie wissen doch, die Gesundheitsapostel sind auf dem Vormarsch, denn Dinkel
    soll ja so Gesund sein. Übrigens, wenn man in den Odenwald fährt, dort wird ganz selten Grünkernsuppe angeboten, diese ist eigentlich sehr schmackhaft. i Grünkern ist ebenfalls Dinkel, aber unreif geerntet.

  2. Lieber Herr Daab,
    in Manhattan, Boston, San Francisco, dem Farmer’s Market bei LA, Nappa Valley, … kenne ich eine Menge deutsche Bäckereien und fast authentische französische Boulangeries, die ganz formidable Brotprodukte zu meist gewaschenen Preisen raushauen, und die Leute stehen Schlange dafür. OK, dort ist auch das kaufkräftige Publikum, dass nicht unbedingt auf das 49 Cent Toastbrot angewiesen ist. Jede Münze hat immer zwei Seiten: nicht kaufwillige /-fähige Kundschaft zum einen, mangelndes Angebot und dadurch mangelnde Kenntnis von Besserem zum anderen, und die Wahrheit liegt auch hier wieder – Lessings Interpretation der Katharsis – in der Mitte zwischen zwei Extremiis.
    Und ich stamme aus einer alten Reformhaus-Familie, wir haben schon gesund und bio gegessen (und natürlich verkauft), da gab es krank und gen noch längst nicht. Von daher kenne ich Dinkel in allen seine Ausprägungen recht gut seit 50 Jahren. Und ich bleibe bei meiner Bewertung …
    LG
    EO

  3. Reinhard Daab

    Lieber Hr. Opl,

    „die ganz formidable Brotprodukte zu meist gewaschenen Preisen raushauen, und die Leute stehen Schlange dafür“

    Das gibt es auch bei uns, hier als Beispiel die Firma Manufactum. Die verkaufen ein 500 gr. Brot zum günstigen Preis von 6,90. Allerdings darf man sagen, dass es außergewöhnlich gut schmeckt. Es hat eine wirklich schöne Kruste einen lockeren großporigen Teig, man muss sagen, dies ist allererste Klasse. Einen weiteren Bäcker kenne ich in Bensheim/Bergstraße, dort backt ein Bäcker in einem Holzofen wunderbar schmackhafte Brote. Auch teurer als normale Bäcker, aber der Laden läuft sehr gut. Man muss auch froh sein, dass es überhaupt solche Leute gibt, wer will denn heute noch Bäcker werden?

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