Marginalie 44: Glutamat oder Arroganz und/oder Dummheit der abendländischen Küche

Frau S. aus L. hat mir geschrieben, sie moniert, dass ich als – wie sie schreibt – „Feinschmecker“ Glutamat in meiner Küche verwende und dies dann auch noch in den Rezepten öffentlich mache. Bei diesem ganzen Glutamat-Bashing weiß ich nie, ist es Arroganz oder einfach nur Dummheit. Vier Geschmacksrichtungen kennt die abendländische Küche: süß, sauer, salzig und bitter. Etwas anderes darf es folglich nicht geben, schon gar nicht von den Schlitzis. Dabei wurde Glutaminsäure erstmals von einem Deutschen Chemiker 1866 aus Weizengluten isoliert, und der Japanische Wissenschaftler Kikunae Ikeda konnte Anfang des zwanzigstens Jahrhunderts belegen, dass es einen fünften Geschmack gibt, im Japanischen Umami („Köstlichkeit“)  genannt, der u.a. für den besonderen Geschmack  von Erbsen, Rindfleisch, Lachs oder Käse verantwortlich ist. Mittlerweile ist nachgewiesen, dass die menschliche Zunge tatsächlich eigene Rezeptoren speziell für diesen Umami-Geschmack besitzt, und an der Universität Dijon untersucht ein Forscherteam um Phillipe Besnard derzeit, ob es sogar noch Rezeptoren für eine sechsen Geschmack – sein „Arbeitstitel“ ist „fettig“ – gibt.

Ich weiß wie gesagt nicht, woher dieses abendländische Glutamat-Bashing stammt. Vielleicht aus der Tatsache, dass Glutamat tatsächlich in großem Stil industriell durch die natürliche bakterielle Fermentierung von Pflanzenproteinen hergestellt wird, was natürlich wesentlich unromantischer ist als industrieller Salzabbau unter Tage für unseren salzigen Geschmack, unromantischer als ganze Landstriche voller Zuckerrüben-Monokulturen für unseren süßen Geschmack, unromantischer als mit Pestiziden und Insektiziden vergiftete, mit Flugzeugen eingeflogene Zitronen für unseren sauren Geschmack, und allemal unromantischer als das Abschaben der  Rinde des Chinarindenbaums durch unterbezahlte Tagelöhner in Indonesien, Malaysia und der Demokratischen Republik Kongo für unseren bitteren Geschmack.  Vielleicht aber auch aus der Tatsache, dass fast alle Fertiggericht-Hersteller tatsächlich Glutamat in ihren Produkten einsetzen; nicht, dass ich diesen Fertig-Scheiß jetzt gut-reden wollte, aber ich weiß nicht, was an Glutamat in der Tütensuppe schädlicher sein sollte als ausgekochte und getrocknete Fleischabfälle.  Wahrscheinlich aber aus der guten, altfränkischen Gewohnheit „Wat der Bauer net kennt, dat frett er net.“ Fakt ist, dass sich um’s Glutamat wohlige und sorgsam gepflegte Schauergeschichten ranken. Das China-Restaurant-Syndrom soll es auslösen, weil die Schlitzis ja bekannter Maßen reichlich mit dem Teufelszeug kochen und ein paar Ariern nach dem Besuch von China-Restaurants schlecht geworden war; in verschiedenen Blindtests konnten seriöse Wissenschaftler niemals nachweisen, dass es tatsächlich so etwas wie eine Glutamat-Unverträglichkeit gibt. Und wenn es sie gäbe, dann würden diese Menschen auch ohne Besuch beim Chinamann leiden: Kuhmilch enthält 0,8% natürliches Glutamat, Eier 1,6%, Lachs 2,2%, Rindfleisch 2,9%, Erbsen sogar 5,8% – 100 g Erbsen enthalten also 5,8g reines Glutamat; insgesamt nimmt jeder durchschnittlich ernährte Mensch täglich 8 bis 12 Gramm natürliches Glutamat zu sich, ein zig-Faches jeder Tütensuppe und jedes China-Restaurant-Besuchs. Dennoch nahm der Gault Millau das Restaurant „Schiffchen“ in Kaiserwerth – mit immerhin 3 Michelin-Sternen ausgezeichnet – 2005 aus seiner Wertung, weil dessen Betreiber Jean-Claude Bourgueil öffentlich zugegeben hatte, Glutamat zu verwenden.

Aber wenn man die einschlägigen Dummschwätzer-Quellen durchstöbert, findet man die kuriosesten Schauergeschichten über Glutamat: Krebs soll es auslösen, Fettleibigkeit, Alzheimer, Parkinson, Chorea Huntington, amyotrophischer Lateralsklerose, Multiple Sklerose, kaum ein Unbill dieser Welt, das nicht Glutamat (oder aber Putin bzw. der AfD und neuerdings auch noch den beiden dicken Cholerikern aus Washington und Pen Yang ) zugeschrieben wird. Wissenschaftlichen Untersuchungen konnte keine dieser Horrorstories je standhalten, weltweit ist Glutamat ein zugelassener Lebensmittelzusatzstoff, in der EU wird es als E 621 (Mononatriumglutamat), E 622 (Monokaliumglutamat), E 623 (Calciumdiglutamat), E 624 (Monoammoniumglutamat) und E625 (Magnesiumdiglutamat) deklariert. Aber da schreibt zum Beispiel eine Katja Becker – nähere Informationen zur Person und ihrer Qualifikation sind nirgends aufzutreiben – auf der Webpage www.koeper-entgiften.de,  die von der Firma Berrywise Corp., Unit 117, Orion Mall, Palm Street, P.O. Box 828, Victoria, Mahé, Seychelles betrieben wird und wo u.a. die heilende Wirkung von Kamelurin angepriesen wird,  vor allem aber befasst sich die Site mit der Online-Vermarktung von allerlei höchstpreisigen Wundermittelchen:

„In fast allen industriell hergestellten Nahrungsmitteln wird Glutamat als Geschmacksverstärker verwendet und chemisch aufbereitet zugesetzt, obwohl bereits seit Jahren bekannt ist, dass der Zusatzstoff extrem gesundheitsschädlich für den menschlichen Körper ist. Geschmacksverstärker aus industrieller Herstellung wie eben Glutamat sind keine Gewürze, sondern Substanzen aus chemischer Herstellung, welche unabhängig vom Aroma eines Produktes ein künstliches Hungergefühl im Gehirn erzeugt, um den Absatz theoretisch geschmacklich ungenießbarer Produkte zu ermöglichen.“

Jegliche Belege bleibt Frau Becker schuldig. Einfach mal behaupten. So geht guter Journalismus, kann man da nur sagen. Ähnliche unbelegte oder völlig aus dem Zusammenhang gerissene Horrorgeschichtchen finden sich z.B. auch auf der von einer ominösen Schweizer Neosmart Consulting AG betriebenen Seite www.zentrum-der-gesundheit.de. Neben der pauschalen Glutamat-Verteufelung wird dort mal eben die Existenz von AIDS geleugnet oder Natron als probates Hausmittel zur Krebsbehandlung in Eigenregie angepriesen, vor allem aber werden meist überteuerte Wundermittelchen gegen jedes Wehwehchen von kaufkräftigen, bescheuerten Hypochondern  und Gesundheitsaposteln online verkauft. Seriöse Quellen geben solchen Quatsch nicht wieder, und doch hält sich der Schmarren in Volkes Bewusstsein.

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4 Comments

  1. Reinhard Daab

    Hallo Hr. Opl,

    wesentliches bezugnehmend auf Glutamat wurde von Ihnen bereits beschrieben.
    Zunächst einmal gibt es dagegen absolut nichts einzuwenden, innerhalb der letzten Jahre sind mir sehr viele Köche begegnet, auch solche mit einem Stern, die es ebenfalls bei bestimmten Zubereitungen einsetzen. Es wird jedoch behauptet, in der anständigen Küche sei das verpönt.

    „Maria Hilf“ galt als Codewort für das erstaunliche Gewürzmittel.

    Vor Jahren haben zwei mir bekannte Köche einmal in einer Schule solche Geschmackstests durchgeführt. Es wurden darunter auch natürlich hergestellte Speisen den Kindern angeboten, allerdings auch Produkte von Fast Food Gaststätten. Die Kinder fanden z.B. die Erdbeerzubereitung von Mc Do. besser, als ein Naturjoghurt mit frischen Erdbeeren. Sie waren der Meinung, dass die Mc-Zubereitung vom Geschmack her die korrekte sei.

    Nun sei die Frage erlaubt, worüber regen sich die „Radfahrenden-Veganerinnen“ eigentlich auf?

    Mit gewürztem Gruß

    • Liebe Nina Störk,
      Danke für’s genaue Lesen. Die URL http://www.koerper-entgiften.de gab es zumindest sehr wohl, ist heute aber offensichtlich blockiert oder abgeschaltet. Wenn Sie bei Google z.B. die Suchworte „Glutamat Koerper entgiften“ oder „Katja Becker Koerper entgiften“ eingeben, erscheinen noch zahlreiche Links zu dieser URL mit Beiträgen aus dem Jahr 2015 (Google vergisst bekanntlich nichts so schnell), nur sind die Links heute tot, aber sie haben existiert. Auch wieder so ’ne Sache, wo man in’s Grübeln kommen kann.
      Herzliche Grüße
      Eberhard Opl

  2. Pingback: Umami: Zwei Umami Kochbücher von belanglos bis beachtlich – opl.guide

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