Marginalie 107: Sexspielzeug und Reizwäsche

Mit Caro bin ich über’s Wochenende in einem versteckten, sehr schönen, sehr angenehmen, sehr gepflegten, sehr entspannten, aber nicht massiv-luxuriösen Wellness- und Genusshotel im Badischen, keine 100 Zimmer, großer SPA-Bereich, tolle Gartenanlagen, ein Ein-Sterne-Restaurant mit internationalistischem Zeugs, eine rustikalere Bauernstube mit typisch badischer Küche, beachtlicher Weinkeller, nettes Café mit Kuchen und Torten aus der hauseigenen Patisserie, kleine, cosy Hotelbar mit einem richtig guten Keeper und Piano-Musik am Abend, super Frühstück ohne Backlinge, dafür mit auf den Punkt reifem Obst und heimischen Produkten, ziemlich perfektes, sehr freundliches Personal in einheitlicher traditioneller Arbeitskleidung, die Herren im schwarzen Anzug, weißen Hemd und Fliege, nur die Hausdiener tragen Weste und Schlips, die Damen im knielangen, schwarzen Rock mit weißer Bluse, die Kellnerinnen zusätzlich mit gestärktem weißem Rüschen-Schürzchen, rundherum um das Hotel Wanderwege durch dunkle Forsten oder liebliche Bachtäler, keine halbe Stunde mit dem Wagen bis Frankreich, keine Stunde in die Schweiz, im Ein-Stunden-Radius gewiss mehr als 100 Guide Michelin-Sterne, wären da nicht die Preise für dieses Ambiente, das wäre ein Platz, an dem’s sich dauerhaft aushalten ließe. Sollte mich jemals ein Verlag dafür bezahlen, dass ich ein Buch für ihn schreibe, so würde ich mir dieses Etablissement für ein Jahr als Arbeitsort auf Verlagskosten vertraglich ausbedingen. (Interessierte Verleger erreichen mich gerne über das Kontaktformular auf dieser Website.) Nach dem Einchecken begleitet uns eine junge Dame höflich auf die Etage, einen Lift später folgt ein Page mit dem Gepäck. Als wir den Aufzug verlassen, kommt uns eine – nun sagen wir – mittelalterliche Dame entgegen, sehr gepflegt, nur ganz dezent geschminkt, die blonden, teilweise schon ergrauenden Haare streng hinter dem Kopf zu einem Dutt zusammengebunden, wie alle weiblichen Hotelangestellten im knielangen, schwarzen Rock, schwarzen Seidenstrümpfen, flachen, schwarzen Pumps, ich glaube Todds, weiße Bluse, darüber ein schwarzes Jäckchen, in der Hand ein Klemmbrett mit Papieren. Bereits bei ihrem Anblick fühle ich ein Déjà-vu in meinem Bauch aufsteigen, kann es aber nicht zuordnen. Die Dame mit Klemmbrett tritt artig beiseite, um uns aus dem Lift aussteigen zu lassen und grüßt dabei höflich. Als ich ihre Stimme höre, trifft mich das Déjà-vu mit voller Breitseite. Noch bevor ich zurückgrüße, frage ich unvermittelt: „Biggi? Birgit Wöhler?“ Caro schaut mich mit einer Mischung aus Verwunderung und aufkommendem Ärger an, die Dame mit dem Klemmbrett schaut lediglich verwundert und antwortet: „Im Prinzip ja, nur mittlerweile Birgit Rathoch. Kennen wir uns?“ „Mensch Biggi, achtziger Jahre, Obermenzing, der Student, der bei Deinen Großeltern zur Untermiete wohnte, neben Deinem Zimmer …“ „Du bist … Sie sind …?“ fragt sie ungläubig. „Genau der bin ich.“ Eigentlich möchte ich jetzt einen Schritt vortreten und sie fest in den Arm nehmen, aber Caro blickt mittlerweile vollkommen ärgerlich, die Dame von der Rezeption peinlich berührt und Biggi nur cool-professionell-distanziert, kein Anzeichen von Freude über das unvermittelte Wiedersehen. ‚Na gut, ihr drei Spaßbremsen‘, denke ich mir, ‚behalte ich meine Umarmung halt für mich.‘ Dennoch frage ich „Was machst Du hier?“ „Ich bin die Hausdame.“ „Hast Du irgendwann Feierabend? Können wir was zusammen trinken und ein wenig reden?“ „Eigentlich sieht es die Direktion nicht gerne, wenn wir mit den Gästen was trinken, aber was soll’s. Aber vor 20:00 Uhr wird das nichts, wir haben noch Tagesgäste, die erst spät abreisen, da muss ich mich noch um die Zimmer kümmern.“ „Sagen wir 21:00 Uhr in der Hotelbar? Wir müssen vorher eh noch was essen. Ich habe ganz vergessen, Euch vorzustellen: Caro, das ist Birgit, eine ehemals sehr gute Freundin aus Münchner Studententagen, Biggi, das ist Caro, meine allerbeste-beste Freundin.“ Die beiden Frauen murmeln artig irgendwas von „Angenehm“, gleichwohl beiden an den Nasenspitzen anzusehen ist, dass es ihnen alles andere als angenehm ist. Wir verabschieden uns kurz und gehen dann schweigend in Richtung Zimmer.

Als wir später im SPA im Whirlpool liegen, bricht Caro ihr Schweigen und fragt, wer das denn nun gewesen sei. „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“ platzt es unvermittelt aus mir heraus, und ich erzähle ihr die ganze Geschichte. Als Student lebte ich in den Achtzigern in München bei einem netten, alten Ehepaar in einem Zimmerchen mit Klo über’n Flur zur Miete, das Zimmer neben mir wurde von der Enkelin der Vermieter bewohnt, da die Mutter sich nicht um das Kind kümmerte. Sie war knapp zehn Jahre jünger als ich. Wir wurden recht bald sowas wie großer Bruder und kleine Schwester, wir teilten nicht nur das Klo, sondern auch viele Geheimnisse, Sorgen, Freuden und auch gewisse Substanzen, irgendwann, als sie älter geworden war, war da auch mal … „Du weißt schon was …“ „Also doch!“ sagt Caro misstrauisch. „Ja, aber nie was Ernsthaftes, es waren die Achtziger, es gab die Pille, kein AIDS, keine Wokeness, die Moral war lockerer. Wir wollten unsere Freundschaft nicht gefährden, deshalb war es nie was Festes, eher gelegentliche – seltene – Ausrutscher oder Tröstungen.“ „Und dann?“ „Nichts ‚Und dann‘. Als ich in den Neunzigern den Osten gegangen bin, haben wir uns schlichtweg aus den Augen verloren – bis heute.“ Caro blickt sparsam.

Nach einem fulminanten Abendessen in den Bauernstuben – das Sterne-Restaurant des Hauses heben wir uns für den zweiten Abend auf – mit Schnecken, Markklößchensuppe, Bibbeleskäs, geschmälzten Maultäschle, eingemachtem Kalbfleisch mit Kratzete, Rehrücken mit Rahmblättle, zum Abschluss Ofenschlupfer und – Caro konnte nicht widerstehen – Schwarzwälder Kirschtorte treffen wir kurz nach 21:00 Uhr Biggi in der Hotelbar. Caro hat einen La Peruana Mosto Verde Torontel, einen Pisco aus Peru, mit ihren Adleraugen treffsicher in dem Flaschenregal hinter dem Tresen entdeckt und trinkt – wie sollte es anders sein – Pisco Sour; ich habe brav mein Sprüchlein aufgesagt, dabei um einen No. 3 gebeten, der Keeper hat nur wissend genickt und einen perfekten extra trockenen Martini Cocktail gerührt. Und am folgenden Tag wird er uns höflich mit einem „Dasselbe wie gestern?“ begrüßen. Wir bekommen gerade unsere Getränke, da kommt Biggi zu uns an den Tisch, mehr ein Tischlein in einer diskreten Nische der Bar, sie bestellt einen Aperol Spritz mit viel Mineralwasser und zusätzlich ein großes Glas Wasser. Als sie – fast entschuldigend – sagt „Ich kann mir hier doch nicht die Kante geben, was sollen die Kollegen denken?“ ist bei Caro das Eis gebrochen. Es folgen zwei Stunden eines „Weißt‘e noch – Kennst‘e noch – Hast’e noch – Bist’e noch – Machst’e noch?“-Feuerwerks, wie es halt bei alten Freunden üblich ist, die sich Jahrzehnte nicht gesehen haben. Auch für Caro wird unser Gespräch interessant, sie erfährt so einige Dinge über mich, die sie eigentlich nie hätte erfahren sollen; zuweilen lächelt sie süffisant und später in der Nacht und die nächsten Tage werde ich so manche Kommentare zu hören bekommen. Sei’s drum.

Doch darum geht es hier gar nicht, das ist alles nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Nachdem Caro und ich Biggi erzählt haben, was wir so treiben, wenn wir uns nicht in hübschen Hotels rumtreiben, kommt die Sprache auch auf Biggis Job. Nach Fach-Abi mit Achen und Krachen, Ausbildung zur Hotelfachfrau, der üblichen Tingeltangel-Tour durch die internationale Hotellerie und einer gescheiterten, kinderlosen Ehe ist sie dann irgendwann hier gelandet und leitet und kontrolliert als Hausdame oder – wie es so schön neudeutsch heißt – Executive Housekeeper das gesamte Houskeeping; nach Jahren treuer Dienste haben sie die Eigentümer mittlerweile sogar zur stellvertretenden Hoteldirektorin gemacht, neben dem Chef-Concierge, der sie dafür hasst, aber das ist ihr egal, sie hat hier im Badischen ihren Frieden gemacht, sie wohnt sogar im Hotel. Für Caro und mich als Profi- und Vielreisende ist es hochinteressant, mal etwas von den für den Gast in der Regel unsichtbaren Sphären des Hotels zu erfahren. Biggi unterstehen die Zimmermädchen (nein, es gebe hier keine Zimmerjungen, erklärt sie Caro auf deren Nachfrage), die Hausmeister, die Techniker, die Gärtner, das SPA-Personal, sie macht für ihren Beritt die Personalbeschaffung und -planung, Weiterbildung, Reinigungsplanung, Pflege-, Putz- und Betriebsmittel-, Hotelwäsche- und Arbeitskleidungseinkauf, Hygienemanagement, Gastgeschenke auf den Zimmern, natürlich die Kontrolle der Zimmer und tausend andere Sachen. Ach ja, und die Verwahrung von Fundsachen im Hotel obliegt ihr auch. Was es da zu verwahren gebe, fragt Caro, warum werden die Fundsachen nicht einfach an die Gäste nachgeschickt, als ordentliches Hotel habe man doch gewiss die Namen und Adressen der Gäste gespeichert. „Natürlich haben wir alle Gästedaten gespeichert, aber kaum ein ordentliches Hotel schickt seinen Gästen vergessene Sachen ungefragt nach.“ sagt Biggi. „Warum das?“ will Caro wissen, „Zu viel Aufwand, zu teures Porto? Was ist schon dabei, ein gefundenes Handy, eine Kreditkarte, einen Schlips in einen Umschlag zu stecken und dem Gast nachzusenden? Das würde ich von einem guten Haus wie Eurem schon erwarten!“ „Ach, darum geht es doch gar nicht. Aber woher sollen wir wissen, dass der Herr Doktor Müller, der hier mit seiner jungen Gattin ein wunderschönes Wochenende verbracht hat, tatsächlich mit seiner jungen Gattin hier war? Vielleicht war es ja seine Sekretärin und gar nicht seine Gattin? Und selbst wenn der Herr Doktor Müller alleine hier war, woher sollen wir wissen, dass er seiner Gattin oder von mir aus seinem Chef nicht erzählt hat, er sei auf Geschäftsreise in New York, während er einfach nur mal seine Ruhe haben wollte und stattdessen bei uns war? Und stell Dir“ – die Mädels duzen sich zwischenzeitlich, Caro hatte beherzt die Initiative übernommen – „mal die echte Gattin oder von mir aus die Sekretärin in der Firma vor, die einen Brief von uns aufmacht mit einem Anschreiben drinnen ‚Sehr geehrter Herr Doktor Müller, wir bedanken uns nochmals für Ihren Aufenthalt am vergangenen Wochenende in unserem Hause. Der guten Ordnung halber senden wir Ihnen anbei den Damenslip, den Ihre Gattin offensichtlich im Bett vergessen hat, nach. Wir hoffen, Sie recht bald wieder als unseren Gast begrüßen zu dürfen. Mit freundlichen Grüßen aus dem Badischen …‘ Wenn ein Gast anruft oder mailt, dass er was vergessen hat und wir es gefunden haben, schicken wir es ihm natürlich unverzüglich nach. Aber nicht automatisch.“ „Da ist was dran,“ räumt Caro ein, „aber es werden doch nicht immer gleich Damenslips sein, die Ihr findet.“ „Das ist richtig,“ räumt Biggi ein, „am meisten finden wir ganz was anderes.“ „Und was?“ frage ich. „Glaubt Ihr mir nie!“ „Sag schon!“ Biggi blickt auf ihre Uhr. „Nach 23 Uhr. Das kann mich meinen Job kosten, aber die Eigentümer sind im Urlaub, der Chef-Concierge längst zuhause und besoffen, sind eigentlich nur noch der Nachtportier und die Bar-Crew im Haus, und mit denen kann ich gut, die verpetzen mich nicht. Kommt mal mit. – Wir sind gleich wieder da,“ ruft Biggi dem Barkeeper zu und steht auf. Wir folgen ihr in die leere Halle zur Rezeption. „Du hast nichts gesehen.“ sagt Biggi fast schelmisch zum Nachtportier, „Geht klar.“ antwortet dieser, ohne von seinem Bildschirm aufzuschauen, wahrscheinlich vertreibt er sich den langweiligen Job mit Videospielen oder so. Biggi führt uns in ein überraschend geräumiges Büro hinter dem Rezeptions-Counter, acht aufgeräumte Schreibtische, raumhohe Aktenschränke und -regale an den Wänden, alles gänzlich schmucklos-pragmatisch, ganz im Gegensatz zur komfortablen-gemütlichen Welt davor. Biggi holt einen großen Schlüsselbund aus ihrer Jackentasche – „Ich habe zu allem hier die Schlüssel, ich muss ja überall hinkommen, sogar zum Direktionsbüro, auch das muss schließlich geputzt werden, nur nicht zum Tresor … leider.“ Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. –, frumselt einen Schlüssel heraus und öffnet einen der Aktenschränke, „Et voilà! Unser hoteleigenes Fundbüro. Das hier ist alles aus den letzten drei Jahren oder vielleicht etwas länger, ich muss hier dringen mal wieder ausmisten.“ Caro und mir verschlägt’s die Sprache. Alle Fundsachen des Hotels liegen hier fein säuberlich in verschlossenen Plastikbeuteln verpackt, bei jeder Fundsache ein akkurater Zettel mit Zimmernummer, Datum des Funds, Name und Adresse des Gastes, der zuvor in dem Zimmer logiert hatte, samt An- und Abreisedatum. Ich sehe drei Handys, zwei Laptops, viele Ladekabel, etliche Schuhe und Schlappen, Notizbücher, tatsächlich Krawatten, einiges an Kleidung, offensichtlich ein paar Schmuckstücke; das Gros der Fundstücke bilden allerdings mehr oder minder delikate Objekte: Reizwäsche, zwei Paar Handschellen, die einen solche Leder-Plüsch-Dinger wie aus „Fifty Shades of Grey“, die anderen massive Polizei-Handschellen, komische Klammern, diverse Schlagwerkzeuge, undefinierbare Ledergeschirre, Seile und andere Fessel-Utensilien und … etliche Vibratoren, Dildos, Eier jedweder Größe. Unübersehbar und unausweichlich fällt mein Blick auf ein Monster von Dildo, bei dem mich mir weder vorstellen kann noch mag, wo frau (oder man?) den hinstecken könnte, verzweifelt versuche ich, Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. Selbst Caro, die aus ihren Prozessen die unglaublichsten Asservaten kennt, hat es die Sprache verschlagen. „Versteht Ihr jetzt, warum wir Fundstücke niemals automatisch nachsenden?“ fragt Biggi. „Und Anfragen von Ex-Gästen, so in der Art ‚Liebes Hotel, ich habe meinen Lieblings-Vibrator bei Euch vergessen, der so ´errlich gekribbelt hat in meine Bauchnabel“ (sie versucht, die allbekannte Weißbier-Werbung nachzuahmen), „er ist rosa, hat ca. 4 cm Durchmesser, ca. 25 cm Länge und 12 Vibrationsstufen.‘ kommen eher selten. Und wenn sie kommen, bewundere ich die Leute ehrlich für ihren Arsch in der Hose.“

Sie verschließt den Schrank wieder und wir gehen zurück in die Bar, Caro und ich ordern noch eine Runde für uns, „Jetzt ist’s eh‘ schon egal, bring mir einen doppelten Lagavulin 18 Jahre mit einem Schuss Eiswasser.“ ruft Biggi dem Barkeeper zu. „Wenn ich das so sehe, glaube ich manchmal, ich arbeite in Sodom und Gomorrha. Ich habe ja nichts dagegen, dass die Leute zu uns kommen, um ein paar schöne Tage zu verleben, dafür gibt’s uns ja schließlich, ich habe auch nichts dagegen, wenn die Leute nicht nur beim Wandern, im SPA, den Restaurants, der Bar Spaß haben, sondern auch auf den Zimmern hinter verschlossenen Türen, mir ist es egal, ob es Ehepaare, Paare, Ehebrecher sind, Hetero, Bi oder Homo, zart oder hart, ist mir alles egal, alle sollen hier ihren Spaß haben können. Aber was da zuweilen auf den Zimmern, was manchmal auch in den Saunen und Whirlpools abgeht, das ist zum Teil schon echt widerlich. Und meine Leute finden dann die Überreste. Diese ganzen vergessenen Spielzeuge, die ich Euch gezeigt habe, sind nur die harmlose Spitze des Eisberges. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass sich 95, 90 Prozent unserer Gäste tadellos benehmen, das trifft vielleicht auf die öffentlichen Bereiche zu, Tischmanieren, Kleidung, Benehmen, alles ganz manierlich, obwohl so manchem adligen, promovierten Generaldirektor kein Zacken aus der Krone fallen würde, mal zu einem Kellner ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ zu sagen. Aber sobald die Zimmertüren geschlossen sind, benehmen sich aus meiner Erfahrung maximal zwei Drittel, vielleicht auch nur die Hälfte noch wirklich manierlich, und dabei sind wir kein Voll-Proll-Bums-Schuppen auf Malle, unsere Gäste zahlen 250 EURO aufwärts die Nacht, aber Kaufkraft ist offensichtlich keine hinreichende Bedingung für eine ganz normale gute Kinderstube, vielleicht eher das Gegenteil. Was wir an Körperflüssigkeiten infolge sexueller Aktivitäten wegputzen müssen, das geht auf keine Kuhhaut, beileibe nicht nur Sperma, alles, was irgendwo rauskommen kann, landet auf unseren Laken, in unseren Kissen, in unseren Teppichböden, in unseren Badewannen, an unseren Tapeten. Nur die Tränen sieht man nachher nicht. Aber nicht nur das, je teurer die Zimmerkategorie, desto weniger werden die grundlegendsten Regeln des menschlichen Anstandes eingehalten. Ich habe ein paar Monate mal eine einfache Strichliste gemacht: je teurer das Zimmer, desto weniger wird die Klobürste benutzt, je teurer das Zimmer, desto versauter sieht es jeden Morgen aus. Einen gebrauchten Präser kann man doch wohl bitte in den Mülleimer oder in’s Klo werfen, aber nicht hinter’s Bett oder auf den Nachttisch! Aber es geht auch andersrum: je billiger das Zimmer, desto mehr Pflegeprodukte aus dem Bad werden bei der Abreise abgeräumt, desto mehr Handtücher und Bademäntel verschwinden. Ihr macht Euch ja keine Vorstellungen: hier sind schon Flachbildfernseher von der Wand geschraubt worden, Bilder oder Grünpflanzen verschwunden. Ich bin heilfroh, dass die Direktion die Minibars auf den Zimmern abgeschafft und statt dessen wieder den guten alten 24/7 Zimmerservice eingeführt hat, die knapp 100 EURO Personalkosten für einen Nachtkellner von Mitternacht bis sechs Uhr morgens sind deutlich besser als diese ständigen Streitereien über geleerte und mit Wasser – oder bei Whisky auch gerne mal mit Pippi – aufgefüllten Schnapsfläschchen, und allemal besser als der Ärger mit neuen Gästen, die solch ein Fläschchen dann arglos aus der Minibar genommen haben, nachdem wir es Service nicht bemerkt hatten. Trotz alledem arbeite ich gerne hier, das ist eines der besten Häuser, in denen ich jemals war. Meine Brigaden haben nicht einen vorgegebenen Minutentakt, um ein Zimmer wieder auf Vordermann zu bringen. Die putzen jedes Zimmer, solange es halt nötig ist, und das kann schon mal auch statt ein paar Minuten eine halbe Stunde und mehr kosten, und das kostet. Als ich noch in der internationalen Fünf-Sterne-Hotellerie bei den altbekannten Luxus-Ketten unterwegs war, da wurde teilweise im Akkord geputzt, oft auch nicht mit eigenen Leuten, sondern mit externen Sub-Unternehmern, da gab es eine vorgegebene Minuten-Zahl pro Zimmer, egal, wie es darin aussah, da wurden Waschbecken, Klo, Dusche, Tische, Trinkgläser und Zahnputzbecher mit ein und dem selben Lappen kurz abgewischt, Hauptsache, die äußerlich Optik stimmte, das Bett war hübsch gemacht und dieses Scheißdreieck in’s Klopapier gefaltet. Bei uns hier ist das anders, zum Glück haben wir die Personaldecke dafür, alles eigene Leute, und wenn jemand in den Putz-Brigaden unsere Standards wiederholt nicht einhält, dann ist es an mir, das zu merken und dann fliegt er. Die Eigentümer wollen das auch ganz bewusst so, auch wenn es an ihrer Marge nagt, aber wenn das Haus voll mit Saubazis ist, müssen halt Überstunden geschrieben werden. Glaubt mir, ich kenne Hotel von innen: ihr seid hier in einem Ausnahme-Etablissement am oberen Ende der Skala, und die sind selten. Und an mir ist es, das alles zu kontrollieren. Ich stehe für meinen Arsch dafür gerade,“ – der Lagavulin zeigt seine Wirkung – „dass bei uns in den Zimmern und auch sonst alles pikobello ist. Und das ist nicht nur, einmal mit dem weißen Baumwollhandschuh über die Schrankoberfläche zu wischen oder Wollmäuse unter’m Bett zu suchen. Unter den vorgeschriebenen Baumwollhandschuhen trage ich immer noch Einmal-Handschuhe, obwohl das eigentlich nicht vorgesehen ist, aber nach all den Jahren graust’s mich zuweilen, ohne die in Gästezimmer zu gehen. Manchmal arbeite ich auch mit einer UV-Lampe und finde Dinge, die niemand wirklich finden will.“

Der Abend neigt sich dem Ende zu. „Aber ihr behaltet schon für Euch, was ich Euch erzählt habe.“ sagt Biggi. Jetzt umarmen wir uns bei der Verabschiedung alle miteinander. Mit sehr gemischten Gefühlen gehen Caro und ich zu Bett.


P.S.: Das Hotel im Badischen gibt es tatsächlich, und es ist ausgesprochen schön dort, doch Biggi heißt nicht Biggi, sie ist aber sehr wohl Hausdame, nur ihr – durchaus vergleichbares – Hotel liegt nicht im Badischen, sondern … ach, lassen wir das lieber.

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