einerseits, gewiss, es ist Ihr Laden, der Erfolg gibt Ihnen Recht, Sie haben es lange nicht mehr nötig, sich – wie etwa die Grinse-Hure vom Platzl – für jedermann zum Deppen zu machen, und doch sind Sie sich bei Hochbetrieb in Ihrem Lokal nicht zu schade, tatkräftig mit anzupacken und ganz einfach auch mal Teller abzuräumen, statt nur am Eingang Bussys zu verteilen und an den Tischen der G‘stopfen Ihre Horsd’œuvre (oder wie hieß das noch?) zu machen, dafür habe ich Sie in all den letzten Jahren gemocht und bewundert, Ihre Mitarbeiter in den weißen Bartender-Jacken sind allesamt nahezu perfekt, höflich, zuvorkommend, geschult, manchmal sogar freundlich, die Drinks sind tadellos bis hervorragend, ich teile Ihre Vorliebe für eine unkomplizierte Küche mit mehreren kleinen Gängen, dass Sie nicht die schwarze Jacke, die Ihnen Maître d’hôtel zustünde, tragen, sondern quasi in urkommunistischer Einheits-Uniform mit Ihren Mitarbeitern in ebenfalls weißer Bartender-Jacke gehen, ehrt Sie zweifelsohne und zeigt, dass Sie hier Ihr Ego längst nicht mehr ausleben müssen, sogar Ihre – alles in allem noch nicht mal schlechten – Auftritte als bezahltes Werbe-Testimonial für mittelpreisige Bürostühle und Herrenbekleidung habe ich toleriert, und seit Sie am Odeonsplatz hausen, habe ich selbst das zunehmend unsägliche Publikum ertragen, in der Maximiliansstraße war es wenigstens noch die echte Schickeria, jetzt ist es in meiner Wahrnehmung mehr und mehr nur noch eine erbärmliche Melange aus Tagestouristen, die von Ihrem Etablissement auf irgendeiner Geheimtipp-Internet-Seite gelesen haben, Bank- und Berater-Eleven, die ihre Schnitten mal richtig fett ausführen wollen, Schicky-Micky-Rentnern und schlichtweg Halbwelt, und doch sind wir Monat für Monat wieder mal zu Ihnen gekommen, meist gleich um 18:00 Uhr, wenn es noch nicht ganz so schlimm ist. Nun gut, Barkultur haben meine Söhne nicht bei Ihnen, sondern beim Grandseigneur der Deutschen Barkultur, bei Bill Deck nicht nur kennengelernt, sondern gelernt, und ich bin froh darüber, dass sie so früh den Unterschied zwischen kultiviert Trinken und Saufen bis die Schädeldecke wegfliegt verstanden haben. Nichtsdestotrotz, bei Ihnen haben sie zwischenzeitlich auch recht viel Geld gelassen, und Ihre dicke rote Bar-Bibel ist bei uns daheim eines der meist frequentiertesten „Koch“-Bücher, sie ist mindestens ebenso abgegriffen wie die Henriette Davidis und das Sacher-Kochbuch, und das will was heißen.
Aber Sie Hirsch müssen alles kaputt machen. Neulich waren wir wieder einmal bei Ihnen, es war wie fast immer ordentlich voll, Ihre Leute hatten die Situation gut im Griff, flotte Bedienung, keine langen Wartezeiten, gute Cocktails, sogar ein dann und wann ein freundliches Wort oder ein Lächeln. Sie mittendrin im Geschehen, Sie hatten an den Nachbartischen mit Menschen geplaudert, die offensichtlich wichtiger und/oder bekannter als wir sind – geschenkt – und gingen an unserem Tisch vorbei. Mein großer Sohn, bis dato auch ein großer Bewunderer von Ihnen und Ihrer Art der Barkultur, er trank gerade einen Mojito Royal mit einem Spritzer Angustura – einer seiner Lieblings-Cocktails, wenngleich der Champagner mehr als mäßig war – sprach Sie höflich an: „Entschuldigung, Herr Schuhmann, eine Frage: was ist Ihr Lieblings-Cocktail?“ Diese Frage wollte er Ihnen schon seit Ewigkeiten stellen, jetzt hatte sich die Gelegenheit geboten, und er hatte sie beim Schopfe gefasst. Sie blickten sichtlich irritiert. Um dies an dieser Stelle vorwegzunehmen: Sie waren nicht übermäßig im Stress oder gerade mit anderen, wichtigeren, unaufschiebbaren Aufgaben befasst, nach uns plauderten Sie an weiteren Tischen und widmeten sich dann dem Abräumen dreckigen Geschirrs. Zurück zur Frage meines Sohnes. Wie erwähnt irritiert blickend antworteten Sie „Das kann man so nicht sagen.“ Mein Sohn hakte höflich nach: „Was würden Sie jetzt denn gerne trinken?“ „Also“, antworteten Sie, „später, nach Dienstschluss, würde ich wohl einen Cocktail aus rauchigem Whiskey und mit etwas Absinth trinken.“ „Wunderbar“, sagte mein Sohn, „können Sie mir so einen mixen oder mixen lassen?“ Sie nuschelten daraufhin etwas, entschwanden Richtung Bar, kamen irgendwann zurück mit einem Tumbler mit einem absurd großen, klaren, offensichtlich nur sehr langsam schmelzenden Eiswürfel und einer bräunlichen, scharfen Flüssigkeit darinnen. Sie reichten den Tumbler eilig quer über den Tisch – fast hätten Sie Caro, meiner Begleiterin dabei eine beidseitig ungewollte Kopfnuss verpasst – zu meinem Sohn, murmelten nuschelnd dabei „Brabbel-brubbel-bröbbel … „ – wir verstanden es alle nicht, vielleicht der Name oder die Bestandteile des Cocktails – „… den schenk‘ ich Dir.“ und verschwanden grußlos in den Untiefen Ihres Etablissements. Also, Absinth war ganz gewiss keiner in der bräunlichen Flüssigkeit, soviel kann selbst ich als gustatorischer Grobmotoriker bestätigen. Der Rest war … nachdem wir alle gerochen und gekostet hatten … dubios, am ehesten hätten wir auf einen Bulleit getippt, mit seinen typischen Noten nach Torf und Lösungsmittel, aber dafür war das bisschen Flüssigkeit im Tumbler um jenen absurd großen, klaren Eiswürfel herum eigentlich von der Farbe her zu dunkel. Aber einerlei, mein Sohn hat’s eh nicht ausgetrunken.
Lieber Charles Schuhmann, Sie hatten die Chance, die nächste Connaisseur-Genration, die sie in Gestalt meines älteren Sohnes ohnehin schon bewunderte, für sich zu begeistern, und Sie haben’s versemmelt. Ein freundliches „Sorry, ich habe jetzt keine Zeit.“, jeder hätte es verstanden, und alles wäre gut gewesen. Aber diese unsensible, schroffe Abfertigung, dann dieses dubiose Getränk und diese großkotzig wirkende Schenkung. Lieber Charles Schuhmann, wir haben an diesem Abend – wie fast immer – ein paar hundert EURO bei Ihnen gelassen. Ich weiß, Sie können jetzt sagen, auf diese paar hundert EURO kann ich verzichten, was Sie gewiss können, aber wir brauchen auch keinen arrogant und kommentarlos geschenkten Drink von Ihnen, die können wir schon noch selber bezahlen. Aber ein kurzes Einlassen auf einen jungen, offenen, interessierten Gast, das hätten wir schon erwartet. Caro – sie kann zuweilen sehr zynisch bis bösartig sein – hat’s dann zum Ende des Abends auf den sarkastisch-bösartigen Punkt gebracht, als sie bemerkte, sie wisse jetzt, warum Sie Tische in Ihrer eigenen Inn-Bar abräumten, wahrscheinlich taugten Sie zu nichts anderem und das sei das einzige, was Sie wirklich könnten … Hat Caro gesagt.
Wir gehen jetzt wieder mehr zu Bill Deck und seinem Sohn David in’s Pussers. Auch wenn das Publikum im Pussers zwischenzeitlich etwas – sagen wir mal – rustikaler geworden ist, so ist es doch zumindest ehrlicher. Dort werden wir freundlich begrüßt, David zeigt uns zuweilen begeistert neue Gins, Scotchs und Rums und lässt sie uns großzügig kosten, es ist cosy und persönlich, keine Nobel-Trinker-Abfüll-Anstalt im Akkord, zuweilen blicken Bill und seine Frau freundlich hinten aus der Küche, und das eine oder andere nicht vorbestrafte Gesicht unter den Gästen kenne ich auch dort. Und Alexander Schmaltz leistet mit seinem Team im Zephyr ganz tolle Arbeit – wenn man das Partyvolk erträgt, aber das ist meist nur am Wochenende da, und 150 verschiedene Gins sind heutzutage zwar nicht viel, aber der Couch Club ist auch ganz nett. Da kann ich Ihnen nur noch sagen: „Und tschüß …“
Toller Kommentar und vieles denke ich zum Punkt. Wenn man meint, dass man sich gar nicht mehr anstrengen muss, ist das meist ein schlechtes Zeichen!