L’evasion: unverändert gut

Summa summarum: l’évasion ist tatsächlich eine kleine Flucht, eine Flucht aus der Hektik von Paris und eine Flucht vor der schlechten Französischen Küche.

Es ist kurz vor 21:00 Uhr an einem Mittwoch, Laurent und Catherine Brenta sind wohl schön gegangen, James Torilhon, der Sommelier mit der wirklich bemerkenswerten Biographie, macht den Service alleine, kassiert gerade die letzten Gäste ab, als ich das Bistrot l’evasion im 8. Pariser Arrondissement betrete und frage, ob ich noch was zu essen bekommen könne, James ruft kurz in die Küche, „Oui mais vite,“ ruft Rachid Anzali zurück, der wohl auch Heim will. Alles ist wie immer, und das will was heißen, in einer schnelllebigen Metropole wie Paris: blanker Steinfußboden, kleine, blanke Holztische, zum Essen werden Streifen von einfachem weißem Papier darüber gelegt, nicht so eng bestuhlt wie in anderen Französischen Restaurants, auch keine typischen Bistrostühle, dazu rot bezogene Sitzbänke an den Wänden, große Tafel für die Tageskarte, vor der Tür ein paar kleine Tische auf dem Trottoir, mächtige Theke, aber – und das ist auch nicht selbstverständlich für Pariser Bistrots – alles sehr aufgeräumt, wenig Tinnef, verheißungsvolle Boutillen hinter dem Tresen, viele davon offen und glasweise erhältlich, ordentliche Weingläser eingedeckt (Pressglas zwar, aber immerhin), für ein Bistrot sogar ordentliches Besteck und keine Blechlöffel (wie sonst so oft), dazu Stoffservietten. Alles macht einen sauberen, properen, aber unprätentiösen Eindruck, dadurch aber auch unangestrengt und locker. Hier erschaudert man nicht beim Eintreten (soll man ja auch nicht, ist schließlich ein Bistrot), allerdings erschaudert man hier unweigerlich beim Blick in die Speiskarte, genauer genommen beim Blick auf die Preise, denn die sind selbst für ein Pariser Bistrot happig, aber so hält man sich das „gemeine Volk“ ganz einfach vom Leibe, die billigsten Hauptgerichte – Blutwurst oder Tatar – kosten gleich mal 29 bzw. 35 EURO, das ist selbst für Pariser Verhältnisse schon eine Ansage, die den einen oder anderen zur spontanen Revision seiner Gaststätten-Pläne bewegen dürften. Aber Preis ist nur die eine Seite der Medaille. Was man dafür bekommt, die Andere. Brenta und sein Team setzen dabei durchweg auf Qualität: bodenständige, meist französische Produkte von höchster Qualität mit klarer, unverschnörkelter Zubereitung.

„Mais vite“, das kommt mir heute gerade zupass, ich bin am Morgen mit den  red-eye-bomber nach London, drei Stunden pures „Beschnuppern“ mit potentiellen Verkäufern und deren Beratern in den Räumen einer noblen Anwaltskanzlei Nähe Piccadilly Circus, es ging nicht um Kaufpreise, Konditionen, Klauseln, sondern allein um „Chemie“, dieses seltsamste aller Phänomene im M&A-Business, und wenn die Chemie stimmt, kommt das Vertrauen (oder eben nicht), und wenn das Vertrauen da ist, ist der Rest Juristen-Handwerk. Piccadilly ist immer gut, denn von dort aus ist man in keinen zehn Fuß-Minuten bei Turnbull and Asser, zwar auch Jermyn Street, aber nicht dieser Tyrwhitt-Schrott, sondern richtige Hemden, für mich allerdings ohne diese affigen Cocktailärmelaufschläge mit gleich drei Manschettenknöpfen, aber auch ohne Sir Thomas Sean Connery zu sein, kann man sich da dann gleich nochmal eindecken, wenn man schon im Herzen des alten Imperiums ist, und wenigstens 200 Britische Pfund für ein Herrenhemd sind in dem Augenblick wohlfeil, wenn das Teil im Alltagsgebrauch zehn Jahre hält, und das tun die Hemden von Turnbull and Asser allemal. Dann Abendmaschine nach Paris – mit dem Bestellschein für fünf neue maßgeschneiderte Hemden im Gepäck –, verdreckter Flughafen CDG, verdreckte Taxis, verdreckte Taxifahrer, ich mag Paris nicht, mein Termin am nächsten Morgen wird bei unseren Anwälten am Boulevard Hausmann stattfinden, irgendein akzeptables Hotel im 8. Arrondissement, 300 bis 400 EURO max. hatte ich meiner Sekretärin als Limit zugerufen (viel Geld im Allgemeinen, wenig Hotel-Geld in Paris im Speziellen), aber das Diamond in der rue de la Pépinière ist sein Geld allemal wert. Und siehe da, die Gegend kommt mir bekannt vor, im Taxi fahre ich am l’evasion vorbei, zwei Minuten später sind wir am Hotel, und ich freue mich: duschen, umziehen, es ist kurz vor 21:00 Uhr, als ich das Bistrot l’evasion im 8. Pariser Arrondissement betrete und frage, ob ich noch was zu essen bekommen könne.

Torilhon mustert mich, man sieht, wie sein Gehirn arbeitet, aber vielleicht zwei, drei sporadische Besuche pro Jahr reichen nicht aus, mich als „Stammgast“ abzuspeichern. Einerlei, ich will essen und keine Stammgast-Freundschafts-Bekundungen. Und ich will Bistrot-Essen, leicht, flott, einfach und doch aus besten Zutaten hervorragend zubereitet, das ist das Typische im l’evasion. Ein Gläschen Heidsieck Blanc de Blancs Champagner vorab, mit 17 EURO für 100 ml nicht wohlfeil, doch bei einem Champagner, der um die 50 EURO im Großhandel kostet, bedeutet das gerade mal gut 100 Prozent Aufschlag, das ist wieder fair. Das l’evasion ist berühmt und prämiert für seine – man mag es nicht glauben – Mayonnaise, also esse ich zwei wachsweiche Bio-Eier auf einem Gemüse-Salat mit kleinen Würfeln knackig gekochter, frischer Saison-Gemüse – Möhren, Blumenkohl, grüne Bohnen, Erbsen – in einer ganz leicht säuerlichen Mischung von Mayonnaise und Crème fraîche, alles überzogen mit einer weiteren, deutlich Senf-lastigeren Mayonnaise, garniert schließlich mit gehacktem Ei: trotz dieser Mayo-Orgie ist das Gericht ganz kurios, sowohl von der Geschmacks-Kombination von einerseits der Sauerrahm-Mayo, andererseits der Senf-Mayo und schließlich dem Mayo-Grundstoff Ei, als auch von den Texturen der knackigen Gemüsestückchen, der wachsweichen Eier und schließlich der fast flüssigen Mayonnaise, alles kurios, aber ausgesprochen lecker. Danach esse ich ein wunderbar cremiges Trüffelrührei mit reichlich guten Sommertrüffeln drinnen, dazu geröstetes Brot, das Leben kann so einfach und so schön sein. Ich trinke ein Fläschchen 2013er Pavillon de Taillefer, ein Saint Emilion Grand Cru, der für 70 EURO geradezu preiswert ist. Es ist noch nicht 22:00 Uhr, als ich das l’evasion wieder verlasse, gesättigt, aber nicht vollgestopft, beschwingt, aber nicht besoffen, so sollte man sich nach einem Bistrot-Besuch fühlen.

l’évasion ist tatsächlich eine kleine Flucht, eine Flucht aus der Hektik von Paris und eine Flucht vor der schlechten Französischen Küche.

l’évasion
Laurent und Catherine Brenta
7 Place Saint-Augustin
75008 Paris
Tel.: +33 (1) 45 22 66 20
Online: www.restaurant-levasion.com

Hauptgerichte von 29 € (Blutwurst mit Äpfeln) bis 45 € (300g Steak mit hausgemachten Pommes), Drei-Gänge-Menue von 62 € bis 96 €

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