Le Mérdien Grand Hotel Nürnberg: on the edge

In weiten Teilen schlichtweg überfordertes und/oder schlechtes Personal, signifikante bauliche Mängel, suboptimale organisatorische Abläufe, grottige Küchenleistung in einem nichtsdestotrotz recht netten Ambiente mit einigen unbestrittenen positiven Überraschungsmomenten — das wäre vielleicht eine Kurzformel für den heutigen Zustand des Nürnberger Grand Hotels, wäre aber gleichzeitig viel zu kurz gesprungen für die Beurteilung eine derart geschichtsträchtigen, ja geschichtsschwangeren Etablissements.

Erbaut Ende des 19. Jahrhunderts vis à vis des Hauptbahnhofes, in bester Lage mitten in der Stadt avancierte das Grand Hotel Nürnberg unter Führung der Familie Lotz bald zum unbestrittenen Treffpunkt der Mächtigen und Reichen sowie ihrer Equipage, die es in die bajuwarische Provinz verschlug. Königliche Hoheiten aus England, Bulgarien, Württemberg, Russland, Rumänien und Schweden verzeichnet stolz die Hotelchronik, außerdem ein paar Postillione aus Regensburg. Nach 1933 nistete sich die Braune Brut in dem Hotel ein, zu den Reichsparteitagen war das ganze Haus für Hitlers Spießgesellen reserviert, auch eine ständige Geschäftsstelle der Reichskanzlei gab es im Grand Hotel, die Geschäfte liefen prächtig. Nach dem Kriege okkupierten flugs die Amerikanischen Befreier und –satzer das – wie durch ein Wunder in den alliierten Bombenhageln von 88 Angriffen mit 6.782 Toten kaum beschädigte – Grand Hotel als Hauptquartier, allen voran logierten hier die Richter der sog. Nürnberger Prozesse. Erst 1954 wurde das Haus den Eigentümern, der Familie Lotz zurückgegeben, um alsbald wieder internationale Berühmtheiten wie Hildegard Knef, Bob Dylan, Harry Belafonte, die Beatles oder Herbert von Karajan zu beherbergen; legendär die spontane Session von Billy Joel 1995, dem vertriebenen jüdischen Fabrikantensohn aus Franken, in der Hotelbar des Grand Hotels. 1980 verkaufte die Familie Lotz das Hotel, zuerst an den späteren Pleite-Immobilien-Hai Bubis, und die Odyssee des Hauses durch verschiedene Eigentümer- und Betreiber-Konzerne begann: von Forte Hotels PLC zu Granada PLC Forte zu Le Méridien zu Starwood Hotels & Ressorts. So wurde aus einem Familienbetrieb mit Seele und Stil ein Investitionsobjekt mit Konzept und RoI. Renovierungen, Erneuerungen, Modernisierungen wurden vorgenommen, der Jahrhundertwende-Stil wurde immer beibehalten, ebenso die alten Initialen GH (für Grand Hotel), und doch verlor das Haus Jahr um Jahr an Authentizität, aber auch an Qualität.

Persönlich habe ich mich sehr gefreut, als Jürgen Sziegoleit Ende 2011 als neuer Direktor vom Dom Hotel in Köln ins Grand Hotel nach Nürnberg wechselte. Seit Anfang des Jahrtausends hatte es Sziegoleit verstanden, auf der Domplatte nicht nur ein Luxushotel von internationalem Niveau zu schaffen und am Laufen zu halten (und mich vom Stammgast im Ernst Excelsior in’s Domhotel zu ziehen), er hat – zumindest für mich persönlich – in Köln auch so etwas wie ein Zuhause, einen festen Anlaufpunkt, eine stets sichere, stilsichere, aber nicht abgehobene, sondern heimelige Adresse geschaffen. Ich war – und ich bin – immer gerne in Köln im Dom Hotel, und ich dachte/hoffte, das würde nun auch so im Grand Hotel in Nürnberg so werden. Nach fünf Jahren kann ich versichern, dem ist nicht so; was Sziegoleit mit solcher Bravour in Köln geschafft hat, ist ihm ebenso virtuos in Nürnberg misslungen. Im Nachhinein stelle ich mir manchmal die Frage: was bedeutet es, wenn ein Hotel-Direktor von einem 5- in ein 4-Sterne-Haus wechselt: persönliche Interessen, neue Herausforderung oder etwa Degradierung?

Das Trauerspiel beginnt bei der Anreise. Die Anfahrt vor dem Hotel ist chronisch zugeparkt, niemand vom Hotel, der sich um die Dauer-Falschparker kümmerte, man muss den Wagen unter lautem Hupkonzert in zweiter Reihe auf einer Hauptverkehrsstraße parken, Page, Doorman, Wagenmeister Fehlanzeige, statt dessen eine dichte Traube rauchender Suchtkranker unter dem kleinen Vordach vor dem Hoteleingang, man muss sich durch Rauchschwaden und Menschenleiber (die nicht daran denken, Platz zu machen) drängen, um das Hotel zu betreten. Die Halle ein für eine Hotelhalle kleiner zugiger Raum mit einem Sofa und zwei Sesseln, links Bar und Brasserie, rechts Rezeption, hinten Veranstaltungsräume, von Hotel-Lobby und entsprechendem Leben darinnen keine Spur, aber dafür guter Durchzug. Zuerst bitte, ersuche, schließlich bettele ich darum, dass jemand meinen in zweiter Reihe stehenden Wagen parken und sich des Gepäcks annehmen möge; die tumbe Rezeptionistin versucht mir klarzumachen, dass dererlei Dinge allhier die Gäste (gefälligst) selber täten; nein, nein, entgegne ich, meine Sekretärin hat extra „Valet Parking“ gebucht, weil sie weiß, dass ich keine Lust habe, die Karre nach langer Fahrt auch noch zu entladen und zu parken; eine gefühlte viertel Stunde später holt endlich jemand unser Gepäck und parkt den Wagen. Es folgt Chaos beim Einchecken: welchen Tarif ich denn gebucht hätte, auf welcher Webpage, zu welchen Konditionen, ob der Zimmerpreis schon beglichen sei – da soll mich doch das Mäuslein beißen, wir haben ganz normal auf der Homepage des Hotels ein ganz normales Zimmer gebucht, ohne Promo-Code, Reisveranstalter All-Inclusive-Package oder Last-Minute-Webpage, einfach nur ein Zimmer direkt beim Hotel gebucht; dererlei Simplizität überfordert zwei Rezeptionistinnen sichtlich, to make a long story short, nach nur weiteren 15 Minuten hatten wir unsere Zimmerkarten. Das nämliche Trauerspiel beim Auschecken, wieder dauerte es eine Ewigkeit, bis ich meine Rechnung hatte, alldieweil meine Kreditkarte bereits beim Einchecken belastet worden war (unberechtigter Weise – hallo, eine normale Zimmerbuchung ohne irgendwelche Rabatte oder Sonderangebote vorab zahlen lassen: sehe ich aus wie ein Zechpreller?) und sich das Buchungssystem daher beharrlich weigerte, einen neuen Bezahlvorgang auszulösen, was die Damen an der Rezeption allerdings irgendwie nicht schnallten; dann wurde – als passender Abschluss unserer Hotelaufenthalts allhier – auch noch vergessen, unseren Wagen holen zu lassen, so dass wir nochmals eine halbe Stunde dumm wartend und fröstelnd in der zugigen Halle herumsaßen.

Der allgemeine bauliche und Renovierungs-Zustand des Hauses ist durchaus OK, die Art-Deko-Elemente im Erdgeschoss gut erhalten, das (reichliche) Messing und Spiegelglas des erneuerten Lifts stets tadellos geputzt und Tapser-frei (eine Nagelprobe für jedes Spitzenhotel), Teppichböden tadellos, keine Koffer-Schramm-Spuren an den Wänden. Auch die Zimmer sind geräumig, neue Betten, gute Matratzen, ordentliche Bettwäsche, iPod-Docking-Station allerdings kaputt, Flachbildfernseher mit x Programmen, W-LAN funktioniert und hat gute Geschwindigkeit, Minibar passt, deutlicher Design-Gestaltungswillen mit wandgroßem Bild eines Uhrenziffernblattes an der Wand, dessen Konturen sich als Muster auf dem Teppichboden in der entgegengesetzten Zimmerecke quasi spiegeln, fortsetzen, dazu Lampen mit schwarzen Schirmen (die mag Karen allerdings nicht) und graue Gardinen: man muss konzedieren, das ist nicht das übliche Hotel-Design-Einerlei. Signifikanter Wermutstropfen: die großen Fenster gehen direkt auf den Bahnhofsplatz, der Anblick des Verkehrs und Gewusels und die Lichter der Stadt, das ist für einen urbanen Menschen alles sehr nett – allerdings ist die Schallisolierung der Fernster für’n A…., will sagen, ist so gut wie nicht existent, man hört den gesamten Lärm der Straße volle Möhre. Das fensterlose Bad etwas altertümlich, Duschen muss man in der Badewanne, nur ein Waschbecken, kleine, kratzige, abgewetzte Handtücher, von Frottee-Flausch keine Spur, die Bademäntel für eine XXL-Persönlichkeit (wie ich sie nun mal bin) lächerlich, ich kriege das Ding noch nicht mal über dem Bauch zusammen, keine Beutel in den Mülleimern, Kosmetiktuch-Spender leer, das übliche Angebot an Körperpflege-Fläschchen, alles in allem passt das Bad schon. Was allerdings mit Sicherheit nicht passt, dass sind Betonbohrungen Samstagmorgen um 07:30 in einem anderen Teil des Hotels, wo offensichtlich noch gebaut wird.

Die Brasserie des Grand Hotels – die zugleich als Restaurant und Frühstücksraum fungiert – sieht aus, wie eine Brasserie nun mal aussieht: legere Restaurantmöbel, Tische in ausreichendem Abstand, weiß, aber einfach eingedeckt, keine große Show, hier kann man sich entspannt wohlfühlen – wäre da nicht das Essen. Wir goutierten uns an dem All-you-can-eat-Buffett incl. Weiß- und Rotwein bis zum Abwinken für 45 € pro Person. Große Teile des Publikums benahmen sich an dem Abend wie man es von einem All-you-can-eat-Publikum erwarten würde: rustikale Tischmanieren, Fokus auf übervolle Teller, die dann doch nicht leergegessen werden (ist ja alles inklusive und kost‘ nicht mehr), dazu zuweilen eine Gesprächs-Lautstärke, bei der selbst Omma ihr Hörgerät nicht braucht. Im Gastraum selber ein großes Buffet kalter Vorspeisen, gekrönt von ein paar geöffneten Austern auf Eis, in einem Seitenraum ein Dutzend Bain Maries mit warmgehaltenen Speisen, dahinter nochmals ein Raum mit Desserts, vorwiegend aus der Convenience-Tüte zusammengerührt; die angekündigte „Showküche“ entpuppte sich als eine gekachelte Raumecke mit einer Grillplatte und einer Warmhalte-Leuchte, wo ein Lehrling (Verzeihung: Auszubildender) winzige und dazu noch zähe Steaks vom Roastbeef grillte und ein totgebratenes Rinderfilet unter der Warmhaltelampe vor sich hinlitt. Über dieses All-you-can-eat-Buffet und seine Qualität könnte ich gewiss fundiert seitenlang schimpfen, aber vielleicht nur zwei Beispiele. Schweinefilet im Speckmantel mit Pfifferling-Sauce: abgesehen von dem F…trockenen Fleisch und den breiig-schleimigen Pilzen, Pfifferlinge im Februar – Halloooo? Und die Ente à l’orange muss mit einer Handgranate tranchiert worden sein, so präsentierten sich die Fleisch- und Knochenfetzen zumindest in dem blechernen Warmhaltebottich. Was die Küche da ablieferte, war mäßigstes kulinarisches Niveau in großen Mengen mit sehr viel Convenience-Support aus Tiefkühltruhe, Dose, Tüte.  Dieses Buffet ist sicherlich eines All-Inclusive-Drei-Sterne-Hotel auf dem Ballermann würdig, aber nicht eines Grand Hotels Nürnberg (mit solchem Schund füllt man vielleicht kurzzeitig das Restaurant, aber beschädigt bereits mittelfristig das Image und die Marke).

Das Personal in diesem kulinarischen Trauerspiel nichtsdestotrotz flott, jung, bemüht. Aber wenn mir eine Servicekraft von links quer über den Teller langt (während ich esse), um mir Wein nachzuschenken (statt einfach um mich herumzugehen und – wie es sich gehört – von rechts einzuschenken), und dabei auch noch den Karaffen-Rand auf dem Glas-Rand abstützt, wenn Gläser ohne Handschuhe oder Tablett einfach quer durch den Raum getragen werden, wenn Personal an leeren, auf dem Tisch mit parallel gelegtem Besteck zur Seite gestellten Tellern mehrfach vorbei geht und diese wiederholt ignoriert, statt sie abzuräumen, ( … t.b.c. …), denn merkt man doch, doch dass hier die überwachende, anleitende und ordnende Hand eines echten Maître d’hôtel fehlt, hier ist maximal ein Restaurant Manager auf größtmögliche Effizienz bedacht.

Das Frühstück zugegebener Maßen sehr ordentlicher Standard mit frischen Backwaren, frischem Obst, allerlei frische Milchprodukte, frisch zubereiteten Eierspeisen (wieder in der Showküche-genannten gefliesten Ecke), keine frisch gepressten, aber ordentliche Säfte, Wurst und Lachs, mäßiger Käse, Cerealien, Brotaufstriche, in nämlichen Bain Maries allerlei warmgehaltenen Zeugs wie Würstchen, Speck, Pancakes, sogar eine Miso-Suppe, dazu guter Kaffee , all das mach ein tadelloses, aber auch nicht sonderlich lobenswertes Hotelfrühstück, wäre da nicht dieses ständige, unentrinnbare Beschallungs-Gedudel mit irgendwelchem elektrischen Musikbrei aus unerbittlichen Lautsprechern aus dem Hintergrund bzw. aus dem akustischen Hinterhalt. Wer sich sowas nur ausdenkt, gewiss Sadisten, die keine Gäste mögen … Enervierend!

Nach wie vor ein echtes Pfund, mit dem das Grand Hotel Nürnberg wirklich wuchern kann ist die authentisch im Art Deko-Stil wunderschön eingerichtete Hotelbar, überschaubare Größe, Marmorboden, langer Tresen mit Hockern, eine Reihe kleiner Fenster-Tische, ein paar Lümmel-Sessel im Eingangs-Bereich, ein Tisch in einem Erker mit 270° Fenstern, eine kleine Bühne – ein wahrlich treffliches Ambiente. Die Spirituosenauswahl nicht gigantisch, vielleicht 6 Gins, 8 Bourbons, ein Dutzend Scotchs, usw. …., aber durchaus ausreichend, um anständige Cocktails zu mixen oder sich straight und pur die Kante zu geben – oder um verantwortungsvoll ein paar gute hochprozentige Tropfen zu genießen. Die jungen Barkeeper verstehen ihr Handwerk, nur selten wird Schumanns rot-braune Bar-Bibel diskret zu Rate gezogen, allerdings werden sie in der Hitze des Gefechts zuweilen noch etwas hektisch, aber das wird sich gewiss legen. Die Bar ist ein wahrlich authentisch-gemütlicher Ort, wo sich jede Bar Fly getrost wohlfühlen wird. Highlight war hier Samstagnacht eine vierköpfige Country-Rock-Truppe auf der kleinen Bühne, die Oldies von Elvis Presley bis Johnny Cash in durchaus guter Qualität und mit viel Freude am Spiel zum Besten gaben. So muss Bar sein.

Summa summarum ist das Le Mérdien Grand Hotel Nürnberg ein Haus „on the egde“. Einerseits wird anscheinend investiert und renoviert (Betonbohrung Samstagmorgen um 07:30!), andererseits wird das Hotel durchgenudelt und ausgelutscht (All-you-can-eat). Das Haus ist ein echtes Asset, was Geschichte, Bausubstanz, Ambiente, Lage, Ausstattung anbelangt, und doch wird diese Asset nicht wirklich genutzt, Grundregeln der gehobenen – ich sage noch nicht einmal der Spitzen- – Hotellerie werden einfach missachtet, An- und Abreisemanagement (von der freien Auffahrt bis zur Übersicht über Buchungen), gut angeleitetes Personal (das Über-den-Teller-Langen beim Einschenken), vernünftiges kulinarisches Angebot, nicht ordentliche, sondern perfekte Zimmer, … hier ist der Schlendrian drinnen, und zwar massiv, und es bleibt abzuwarten, wie lange die Markenverantwortlichen  von Starwood noch gestatten, dass dieses Haus unter der Marke Le Méridien läuft, bevor sie es innerhalb des Konzerns an eine nächst anspruchslosere Marke durchreichen und aus dem armen alten Grand Hotel vielleicht ein Four Points by Sheraton wird. Das Haus ist on the edge. Die Substanz ist da, mit gutem Willen, gutem Management und ein paar überschaubaren Investitionen hat das Grand Hotel Nürnberg das Zeug zum soliden Fünf-Sterne-Haus; ohne guten Willen, ohne gutes Management und ohne weitere Investitionen ist der Abstieg zu Drei-Sterne-Haus auf Auscash-Position vorprogrammiert.

 

Ein PS muss ich noch anfügen: ein/e unglaublich geschwätzige/r und stimmgewaltige/r Servicemitarbeiter/in des Hotels  erzählte einem Gast neben uns in nicht zu überhörender Lautstärke, dass die Betreiber des Grand Hotels gar nicht wollten, dass das Haus ein Fünf-Sterne-Hotel werde, gleichwohl dies mit sehr überschaubaren baulichen Maßnahmen leicht zu bewerkstelligen sei; aber wenn es ein Fünf-Sterne-Haus sei, dann könne man aufgrund irgendwelcher Vorschriften Firmenkunden das Zimmer nicht mehr – wie jetzt üblich – für 65€ die Nacht geben. Danke, das höre ich doch wirklich gerne, wenn ich gerade 200€ pro Nacht für’s Zimmer zahle.

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