Landzunge (1/2): Landgasthof zum Adler, Fellheim

„Landzunge“ nennt sich eine Vereinigung von mittlerweile knapp 100 Wirten aus Schwaben, die es sich zum Ziel gesetzt haben, regionale Küche mit regionalen Produkten hochzuhalten und – so heißt es im eigenen Werbeprospekt – „die Dorfwirtschaften (zu) stärken, denn ohne Wirtschaft verliert ein Dorf seine Seele“. Das sind gewiss löbliche Ansinnen. Unterstützt werden die Wirte zwischen Ehingen und Oberstdorf, zwischen Bad Wörishofen und Friedrichshafen dabei von zahlreichen heimischen Brauereien, Lebensmittelproduzenten und Großhändlern wie z.B. Meckatzer Löwenbräu, der Fruchtsaftkellerei Stiefel, dem Mineralbrunnen Krumbach,  dem Frischedienst Eberle und zusätzlich natürlich noch von der heimischen Sparkasse. Nach zahlreichen PR-trächtigen Aktionen – 2002 erscheint das eigene Magazin „LandZunge“, 2003 kreiert die Brauerei Härle ein eigenes „LandZungen Bier“, 2006 erregt die Aktion „Alpenrind“ großes öffentliches Interesse, 2009 wird die „Stiftung LandZunge“ gegründet und das erste „Deutsch-Italienische Schlachtefest“ organisiert, 2010 wird zum „Jahr des Siedefleisches“ ausgerufen, 2011 der „LandZunge Grillsommer“ – wird es heute wieder stiller um die LandZunge-Aktion, das letzte „LandZunge-Magazin“ erschien 2016, die letzten Einträge in der Sparte „Aktuell“ auf der LandZunge Homepage (www.landzunge.info) datieren von 2015 und dann von 2012, die Sparte Rezepte auf nämlicher Homepage umfasst gerade mal 9 Rezepte, nämlich 6 Fischrezepte und 3 Erdbeer-Desserts: eine brummende, hochaktuelle, lebendige Online-Präsenz sieht anders aus.

Aber es gibt sie noch, die Schwäbischen Wirtshäuser, bei denen stolz das LandZungen-Schild neben den Eingangstüren an den Häuserwänden prangt und die in ihren Speisekarten und Hausprospekten die LandZuge-Ideen propagieren. Ein paar davon haben wir in den vergangenen Monaten zuerst eher zufällig, dann gezielt ausprobiert, und dabei haben wir zwar keine wirklichen kulinarischen Höhenflüge erlebt, aber sehr, sehr solide, bodenständige, zum ´Teil auch kreative Küche ebenso wie kulinarische Tiefschläge in die Magengrube. Zwei der Guten davon will ich kurz (das mit dem „Kurz“ hat wieder mal nicht geklappt, wie ich im Nachhinein feststelle) vorstellen.

Da ist zuerst einmal 10 Kilometer nördlich von Memmingen direkt an der B300 in der Ortsmitte von Fellheim gelegen der Landgasthof zum Adler der Familie Schiefele. Fellheim ist ein recht hässlicher, toter, aber sehr interessanter Ort. Die Ursprünge der Siedlung an der ehemaligen Befestigungslinie des Donau-Iller-Rhein-Limes liegen im Dunkeln, 1273 werden urkundlich erstmals die Edlen von Vellheim erwähnt, im 15. Jahrhundert gehörte die Siedlung dem Patriziergeschlecht der Besserer von Memmingen, 1555 fällt es durch Heirat an die Familie Reichlin von Meldegg. Im Dreißigjährigen Krieg wurde der Ort durch Rekrutierungen, Plünderungen und Brandschatzungen sowohl der Schweden als auch der Kaiserlichen vollkommen entvölkert (Arschkarte nennt man das ja wohl), bis 1643 lebte kein Mensch im Ort, die Felder lagen brach, ein einziger Bauer kehrte aus dem Kriege zurück. Um den Flecken wieder zu beleben siedelte der Grundherr Bernhard von Reichlin-Meldegg 1670 fünf jüdische Familien an und begründete damit eine jüdische Tradition Fellheims. Heute gehört Fellheim zur Verwaltungsgemeinschaft Boos, aber nichtsdestotrotz gibt das Bayerische Landesamt für Statistik unter dem Regionalschlüssel 99 778 139 mit Stand 2015 mannigfache, äußerst interessante Daten über Fellheim preis. Die Bevölkerung ist von 818 Personen im Dezember 1840 auf 1.123 Personen im Dezember 2014 angestiegen, und sie wächst weiter, was aber nicht heißt, dass die Schnaxelrate im Orte über dem Bundes-Schnaxel-Durchschnitt läge, das Bevölkerungswachstum resultiert vielmehr aus Zuzügen (aus welchen Gründen auch immer). 454 Beschäftige gibt es im Ort, davon sind 239 Auspendler. Von den 12 Arbeitslosen ist einer langzeitarbeitslos, keiner schwerbehindert, zwei sind Ausländer, zwei 15 bis 25 Jahre und vier älter als 55 Jahre. Bei den Wahlen ist die CSU seit den Neunzigern von rd. 60 auf +/-50% Stimmen gerutscht, ist damit aber noch immer fast dreimal so groß wie die Sozen. Und 2010 gab es in Fellheim 267 Milchkühe sowie 29 Hühner, darunter 29 Legehennen (1/2 Jahr oder älter) und keine Masthühner-/hähne, ebenso keine statistischen Schweine, Schafe, Pferde. Straßenverkehrsunfälle gab es 2011 zwei Stück, 2012 schnellte die Unfallstatistik auf dramatische sechs Unfälle hoch, um 2013 auf fünf Unfälle abzusinken, im Folgejahr aber wieder den dramatischen Höchststand von 2012 zu erreichen. Und ergänzend teilt das Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Bayern mit, dass Fellheim gemäß der Gauß-Krüger-Koordinaten den Rechtswert 4362348 und den Hochwert 5327791 hat. Da fühlt man sich doch gleich besser, wenn man das amtlich abgesichert weiß! Was dieses Wissen sonst noch bringt? Keine Ahnung, aber es ist immerhin amtlich.

Mitten in Fellheim steht nun besagter Landgasthof Adler, wahrscheinlich fast so alt wie der Flecken selber, 1460 erstmals urkundlich erwähnt, seit nunmehr vier Genrationen im Besitz der Familie Schiefele. Nach Ausbildungen zuerst zum Metzger in der Metzgerei Kleiber mit Meisterpreis und dann zum Koch im 4-Sterne-Hotel Allgäuer Tor in Bad Grönenbach und danach der üblichen Ochsentour mit Stationen bei Eberhard Aspacher in der Schloßwirtschaft Illereichen, (ein Michelin-Stern), im Landhaus Henze in Probstried (ein Michelin-Stern) und – quasi als Krönung – beim Deutschen Sterne-Zinnober-Urgestein Heinz Winkler in seiner Residenz in Aschau (3 Michelin-Sterne), kehrte Reinhard Schiefele nach 2002 Hause zurück und übernahm den Betrieb von seiner Mutter. Von außen präsentiert sich der Adler gänzlich unspektakulär, ein langes, zweigeschossiges, altes Bauernhaus, viele kleine Fenster, hinter dem Haus ein geschotterter Parkplatz, neben dem Haus, hinter der Zufahrt zum Parkplatz, zwischen ein paar alten Bäumen und Scheunen ein recht rustikaler Biergarten, dörflich eben. Den Gaststuben merkt man an, dass sie renoviert wurden, massive, funktionale Wirtshausmöbel aus Holz, denen die Patina, das Ambiente, die Geschichte … die Magie fehlt, recht neue Möbel halt, die erst in kommenden Generationen ihre Heimeligkeit und eben Magie werden entwickeln können. Dazu dicke Holzdielen am Boden, auch die Wände zum Teil mit massiven Bohlen verkleidet, die Tische in einem Raum mit Tischtüchern eingedeckt, im anderen blank, ganz viel Dekorations-Zeugs überall (über Geschmack lässt sich nur schwerlich streiten), Herrgottswinkel mit Kreuz, … das alles macht einen sehr, sehr soliden, bodenständigen Eindruck. Das Publikum ist offensichtlich vorwiegend heimisch, hier geht man Sonntagmittag mit der Familie zum Essen, hier treffen sich Damen- und Herrenstammtische, die neue Flamme führt man hier ebenso aus wie den Partner zur Silberhochzeit, Taufen, Geburtstage, Hochzeiten, Beerdigungen werden hier sowieso gefeiert. Die Speisekarte ist dazu eine sichere Bank, was Reinhard Schiefele bei uns aus der Küche ablieferte, war durchweg tadellos bis teilweise sehr gut. Neben einer deftigen, recht wohlfeilen Brotzeitkarte gibt es eine umfangreiche Steakkarte mit reichlich hausgemachten Beilagen und Saucen, ein paar Salate, je zwei Suppen, Salate, Fische und vegetarisches Zeugs, dazu Wirtshausklassiker vom Schnitzel Wiener Art bis zum Filettöpfle (aber offensichtlich keine Bratengerichte), ein Menue mit etwas anspruchsvolleren Gerichten (s.u.), eine eher bescheidende Dessertkarte aber … eine ziemlich umfängliche, recht interessante Weinkarte. Zum Mittagessen vorweg eine kräftige, geschmackvolle Hochzeitssuppe und ein Salat aus Feldsalat, Blutorangen, Rote Bete und Avocado, alles perfekt auf den Punkt reif und dazu ein geniales Dressing: schon mal Respekt. Obwohl der Laden brummte und bis auf den letzten Platz voll war, war es kein Problem, den Schwäbsichen Zwiebelrostbraten statt mit Käsespätzlen mit normalen Spätzlen zu bekommen (andere Küchenbrigaden zeigen einem hier bei vollem Haus den Vogel), das Fleisch – ein dry aged Rumpsteak – butterweich, auf den Punkt rosa, die Röstzwiebeln frisch hausgemacht, ebenso die Spätzle, der Beilagensalat knackig-frisch, bestens geputzt, in mundgerechte Stücke gezupft (nicht wie so oft ganze Salatblätter, die man kaum in’s Maul bekommt und sich auch noch bekleckert), dazu eine dezent saure Salatsauce.  Ebenso perfekt die Rinderfiletmedaillons mit frischem, leicht knackigen Schalotten-Bohnengemüse und (hurra!) hausgemachten Rösti (und nicht dieser Röstinchen-Dreck aus Tiefkühltruhe und dann Fritteuse). Also, hier kann jemand kochen und mit Rindfleisch umgehen. Zum Dinner war das Schwarzwurzelschaum-Süppchen wieder richtig gut, das Kartoffel-Speck-Raviolo gewöhnungsbedürftig und die Trüffelscheiben aus Frankreich, … naja. Das Laiberl von Lachs und Zander in der Spinathülle von der Konsistenz und Körnung her deutlich zu weich-matschig, geschmacklich aber gut, ebenso der Krustentierschaum. Auch wieder sehr lecker das Pina-Colada-Sorbet vor dem Hauptgang und der geeiste Vanilleschaum mit Kürbiskernöl zum Dessert. Da merkt man, dass ein Koch mit Passion zum Höheren in der Küche steht (aber auf dem Dorfe wahrscheinlich nur wenig an den Mann bzw. die Frau bringt). Dazu kommen flinke, gewiss nicht perfekte, aber stets bemühte und freundliche Bedienungen, frische Biere von Härle und Memminger und die Edelbrände von Salzgeber aus Bebenhausen, die es einen bedauern lassen, dass der Adler keine Übernachtungsmöglichkeiten bietet.

Landgasthof zum Adler
Geschäftsführer: Reinhard Schiefele
Memminger Strasse 5
87748 Fellheim
Tel. +49 (83 35) 260
Fax +49 (83 35) 98 61 74
Email: info@landgasthof-zum-adler.de
Internet: www.landgasthof-zum-adler.de

Hauptgerichte von 11,90 € (vegane Lasagne) bis 42,90 € (Surf & Turf mit Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 19,60 € bis € 58,50 €

Das sagen die Anderen:
Tripadvisor: 4,5 von 5 Punkten bei 11 Bewertungen
Holidaycheck: n.a.
Varta: n.a.
Guide Michelin: n.a.
Gault Millau: n.a.
Booktable: 4,2 von 5 Punkten bei 5 Bewertungen
Schlemmer Atlas: n.a.
Gusto: n.a.

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