Krone Großsachsen: handwerklich ordentliche Küche und doch kein kulinarisches Erlebnis

Summa summarum: altes Gasthaus an der Bergstraße, gut in Schuss, durchweg sehr freundliches Personal, die Speiseräume im tiefsten Achtziger-Jahre Ambiente, funktionale, saubere, seelenlose Hotelzimmer (aber es soll auch hübschere Zimmer geben), die Speisekarte bietet ein konzeptloses Sammelsurium meist traditioneller gutbürgerlicher Gerichte, die zwar ordentlich zubereitet werden, Convenience hätte ich kaum bemerkt, es gibt sogar Brettspätzle, doch das alles macht nur satt, das macht keine Freude, gibt kein kulinarisches Erlebnis.

Die Lage klingt idyllisch. Großsachsen an der Bergstraße. Weinberge an den sanft hügeligen Ausläufern des Odenwalds im Osten, ausgedehnte Obsthaine in der beginnenden Rheinebene im Westen, kleine Örtchen, fette Böden, mildes Klima, Ende Februar blühen die ersten Obstbäume – vergebens, der März-Schnee wird ihre Blüten grausam zunichtemachen –, im Süden ist man in zwanzig Minuten in Heidelberg am Neckar, im Westen in ebenfalls zwanzig Minuten in der Quadratstadt Mannheim am Rhein, vierzig Minuten in die Jugendstilstadt Darmstadt im Norden, im Osten kann man in zwanzig Minuten mitten im tiefsten Odenwald zusammen mit Fuchs und Hase beim Gutenachtsagen tot über’m Zaun hängen, die lothringischen Fresstöpfe erreicht man in keinen zwei Stunden und den Fluchtpunkt Frankfurter Flughafen in keiner Stunde. Die Lage klingt idyllisch – und pragmatisch zugleich.

Scheinbar. Am westlichen Rand des Odenwaldes schlängelt sich die B3 als Hauptverkehrsachse von Norden nach Süden zwischen Weinbergen und Obsthainen durch elende, einstmals schmucke Städtchen und Dörfer, die Ortsdurchfahrten waren nie für eine Bundesstraße konzipiert, das reiche Leben hat sich längst in Neubau-Villen an den Hügeln zurückgezogen, zurückgeblieben sind graue, triste, enge Städtchen in der Ebene mit verwesenden Bürgershäusern, schmalen Straßen, ungleich schmaleren Bürgersteigen, einer einspurigen Straßenbahnlinie, verwaisten Ladenlokalen, maroder Bausubstanz und viel Leerstand.

Inmitten dieser idyllischen Tristesse steht die Krone in Großsachsen, angeblich das erste Haus am Platze, stolz hängt das Rotarier-Schild neben der Tür, darüber das Drei-Sterne superior Zertifikat des Dehoga. Von außen gibt sich die Krone als solides, altes Wirtshaus mit den für die Region typischen Fensterstöcken aus rotem Sandstein, dahinter gesichtslose, neue Anbauten und einer seitlichen – gar nicht mal hässlichen – Terrasse samt Kinderspielpatz unter einer mächtigen Rotkastanie, nur durch einen sehr schmalen Bürgersteig getrennt von Bundesstraße und Straßenbahn. In der Eingangshalle – nun gut, sagen wir -hällchen – teilen sich Rezeption und Schanktresen eine alte, mächtige Theke aus dunklem Holz, weiter hinten eine Raucherlounge, die es in Sachen Gemütlichkeit mit jedem Wartezimmer aufnehmen kann, links führt eine knarzende Treppe mit unvorschriftsmäßigem Handlauf zu den Zimmern, dahinter die Restauranträume, der Hauptraum gediegen altdeutsch mit dickem Teppichboden (mit eigewebten Kronen als Muster), schweren Tapeten, hölzerner Kastendecke, Kronleuchtern, Sprossenfenstern zu nämlicher Bundesstraße, Stühlen und Beistelltischen mit passenden, dicken Hussen, in weißem Leinen ganz traditionell eingedeckten Tischen, das alles sind tiefste siebziger, achtziger Jahre, aber alles in einem tipptopp gepflegtem Zustand ohne Renovierungsstau, da beißt die Maus keinen Faden ab, nur Hallenbad und Sauna sind wegen dieses künstlichen Energie-Dingsbums geschlossen. Mein Zimmer ist eines dieser typischen Basst-Schoos (wie der Bayer sagen würde, „passt schon“ zu Hochdeutsch), knapp 20 qm groß, der hotelarchitektonisch übliche lange Schlauch, links vom Eingang ein 3 qm Mini-Bad, 90 cm Einzelbett, Hotel-Standard-Möblierung in ordentlichem Zustand, sauber und ruhig nach hinten raus, mit Blick auf ein dreckiges Flachdach und Hinterhaus, funktional, aber zum Pennen reicht’s. Laut der Hotel-Webpage soll es auch größere, komfortablere Zimmer geben, entweder mit modernen Hotel-Systemmöbeln eingerichtet oder aber mit historisierenden Möbeln im alpinen Stil um Neunzehnhundert mit diesen typischen Ornamenten und viel Türkis. Aber ich bin ja eh nur zum Essen hier und um Caro zu sehen, die dieses Etablissement als kulinarischen Treffpunkt auf halbem Wege vorgeschlagen hatte (erst später wird mir klar, dass Sie keine eineinhalb Stunden von ihrer Kanzlei in der Frankfurter Innenstadt hierher braucht, ich aber drei Stunden, mal wieder über den Tisch gezogen von meiner Startanwältin, aber von niemandem lasse ich mich so oft und so gerne über den Tisch ziehen wie von Caro).

Gegen 18:00 Uhr klingelt mein Telephon, es ist Caro. „Bin jetzt auf der Autobahn, so in ’ner Stunde bin ich da. Vorfreudig begebe ich mich in’s Restaurant. Bald wird klar, dass es eine gute Idee war, einen Tisch zu reservieren, das Restaurant füllt sich schnell, ich würde sagen, zu 75% einheimische Besserverdiener, zu 25% Durchreisende, einige junge niederländische Familien mit Kindern darunter. Die Speisekarte gibt sich erfrischend, verheißungsvoll kurz: fünf Vorspeisen, drei Suppen, ein Dutzend Hauptgerichte, ein halbes Dutzend Desserts, vier Brotzeiten und zweimal was für die Essgestörten, Punktum, nicht mehr, schon mal ein gutes Zeichen. Doch die Suche nach dem „gemeinsamen Nenner“ nach dem Stil der Küche gestaltet sich ausgesprochen schwierig bis aussichtslos. Irgendwie ergeben Duett von Riesengarnelen und Jakobsmuschel, Wiener Schnitzel, Schwäbischer Filettopf, Rostbraten, Tafelspitz, Böfflamott, Rinderbraten in Rotweinsauce, Steak au poivre und Zanderfilet mit geeister Beurre Blanc (hier is’ser wieder, mein chronisch suspekter Zander) irgendwie keinen Zusammenhang, keinen großen kulinarischen Bogen, keine Richtung, am ehestens vielleicht noch Österreich/Süddeutschland oder aber gehobene Bahnhofsgaststätte um 1900, wo den feinen Bürgern aus der ersten Klasse ein möglichst umfängliches Sammelsurium aus der europäischen „gutbürgerlichen Küche“ offeriert wurde, alte Bahnhofsgaststätten-Speisekarte legen beredtes Zeugnis davon ab. Kaum eine Spur von Badischer oder Odenwälder Küche, jedenfalls alles andere als regional, maximal zwei regionale Alibi-Gerichte. Zumindest für mich – aber vielleicht bin ich da alleine – sollte eine Küche für irgendwas stehen, für einen Stil, eine Geisteshaltung, eine Region, eine Persönlichkeit, eine Vision. Einfach nur Altbewährtes und Altbackenes aus eher teuren Rohstoffen auf einer Karte wild zusammenwürfeln macht noch keine distinktive Küche aus, selbst wenn die einzelnen Gerichte durchaus akzeptabel oder sogar gut gebrutzelt werden. Wenn mich grimmiger Hunger grämt, so bin ich ohne Probleme mit einer Leberkäs-Semmel zufrieden und dankbar dafür, sofern es ein guter Leberkäs und eine gute Semmel sind. Wenn ich hingegen speisen gehe, und dafür 50 EURO oder auch viel mehr ausgebe, so erwarte ich ein Erlebnis (zuweilen bekommt man dieses Erlebnis auch für‘nen Appel und’n Ei, Rösti mit frischer Almbutter auf der Sennerhütte auf 2.000 Meter Höhe, Rostbratwürste in einer kleinen fränkischen Metzgerei), aber eine Jakobsmuschel mit einer Garnele auf einen Teller zu packen oder ein Steak in Blattgold  einzuwickeln (gell, Herr Ribéry?) ist gewiss keine kulinarische Großtat, doch es gibt ja immer wieder Voll-Prolls, die sowas goutieren). Positiv muss man der Speisekarte anrechnen, dass sie – sehen wir über den gebratenen Tofu mal weg – keinerlei internationalistisch-zeitgeistig-convenience-schwangeres Zeugs wie Bowls, Burger, Pizzen, Flammenkuchen oder Pulled Pork anbietet. Wenigstens die umfängliche Weinkarte hat sehr viele regionale Posten, und das zum durchaus wohlfeilen Preisen.

Caro kommt in Pelzjacke und kleinem Schwarzen mit Hut, goldener Kette und wahrscheinlich nobler Tasche (ich kenn‘ mich mit diesem Schnickschnack nicht aus, habe aber gelernt, dass man bzw. frau durchaus einen fünfstelligen Betrag ausgeben kann, um eine Handtasche zu erstehen, die genau dieselbe Beförderungskapazität hat wie eine billige), am Handgelenk trägt sie – ich glaub’s ja nicht – tatsächlich ihre neue Lange Nr. 1, das sieht einfach nur affig aus, das muss ich ihr dringend mal sagen, aber nicht jetzt, für den unvermeidlichen Streit danach braucht’s Zeit. Ihr Auftritt im Speiseraum zieht jedenfalls fast alle Blicke auf sich, die Leute blicken schon etwas seltsam, als sie ausgerechnet zu mir – ich trage schlunziges Räuber-Zivil, Jeans, Polo, Pullover – kommt und sich nach der üblichen herzlichen Begrüßung an meinen Tisch setzt.

Doch zurück zum Essen in der Krone. Der Shrimps-Cocktail mit Cocktailcrème und Chiffonade, …  ja was ist er denn? Groß portioniert ist er, ganz schön viele, weitgehend geschmacklose Shrimps und einer dicken, fettigen, wenig vertrauenserweckenden, nicht sonderlich gut schmeckenden Sauce. Die Kashmir-Currysuppe scheint im Wesentlichen aus säuerlich abgeschmeckter Kokosmilch und Curry zu bestehen (auf der Speisekarte steht mit „Yuzo“ wahrscheinlich ist Yuzu gemeint, eine Zitrusfrucht aus China, deren Saft anders als der der normalen Zitrone schmeckt, säuerlich-bitterlich; in deutschen Läden habe ich noch keine Yuzu gesehen, aber der Saft ist in gut sortierten Asia-Läden in der Flasche erhältlich), die gebratene Riesengarnele zur Suppe sieht hübsch und fancy aus, aber mehr auch nicht, das kulinarische Erlebnis bleibt aus, nur Sättigungseffekt. OK ist die Flädlesuppe, eine kräftige Fleischbrühe mit Streifen von selbst gemachten Pfannkuchen. Der Zwiebelrostbraten ist gut, zartes Fleisch medium-rosa gebraten unter einem Berg frisch sautierter Zwiebeln, offensichtlich Brettspätzle und eine schwächelnde Demiglace. Caros Böfflamott ist eindeutig zu weich, man könnte das Fleisch durchaus mit dem Löffel essen, Sößchen ist OK, Kartoffelknödel und Blaukraut ebenfalls – aber es ist halt wieder nur OK und nicht mehr, kein Erlebnis. Die Gin-Tonic-Panna-Cotta mit Zitronensorbet und gepickelter Gurke zum Dessert ist eine witzige Idee, passend zum anhaltenden Gin-Hype, aber man hätte den Gin besser direkt getrunken. Der Apfel-Crumble mit Salzkaramell ist wirklich ordentlich, das Wesen des Butterkeks-Parfaits dazu erschließt sich uns nicht.

Erwähnen muss man noch, dass das Personal in der Krone nicht nur flott, aufmerksam, engagiert und freundlich ist, sondern offensichtlich auch sehr gut ausgebildet im Kellnerhandwerk. Sowas findet man heute nicht mehr so oft. Als wir nach dem Essen noch in besagter Raucherlounge eine Zigarre rauchen, einen Kaffee trinken und einen Digestiv nehmen wollen, serviert der Kellner auch in der Lounge, unseren restlichen Wein trägt er uns ebenfalls nach, samt frischen Gläsern. Nette Gesten. „Wer in Dreiteufelsnamen hat Dir denn diesen Laden als kulinarischen Hotspot empfohlen?“ frage ich Caro in der sonst leeren Lounge bei Zigarre, Espresso und heimischem Obstler. „Jemand, der demnächst sehr viel Ärger mit mir bekommen wird.“ antwortet sie. Armer Gewährsmann oder arme Gewährsfrau, Ärger mit Caro ist niemals gut.

Was bleibt? Ein altes, authentisches Haus, freundliches Personal, eine Nacht in einem schmucklosen, funktionalen, sauberen, ruhigen Zimmer und ein Abendessen, das ordentlich gekocht war und das gesättigt hat, erfreut hat es nicht.


Hotel Krone
Sabine Grüber
Landstraße 9 – 11
D – 69493 Hirschberg
Tel.: +49 (62 01) 50 50
Fax: +49 (62 01) 50 54 00
E-Mail: info@krone-grosssachsen.de
Online: www.krone-grosssachsen.de/

Hauptgerichte von 22,50 € (Wienerschnitzel mit Petersilienkartoffel) bis 37 € (großes Filetsteak mit Beilage und Sauce), Drei-Gänge-Menue von 31,30 € bis 63,50 €

ÜF/DZ 92 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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