Kroate Fürstenberg

Das Leben ist eines der Seltsamsten und hält immer wieder Überraschungen bereit, nicht nur Große wie das Finden der Frau für’s Leben, den Tod eines nahen Menschen oder einfach auch nur ein ganz profaner Sechser im Lotto, sondern auch Kleine, ganz Kleine, Banale, die so manch einer gar nicht bemerken mag, und selbst wenn er sie bemerkt, doch nicht des Aufschreibens für würdig erachtet ob ihrer Banalität. Solch ein ganz kleines Erlebnis hatte ich jüngst in Fürstenberg, einem elenden Städtchen im Weserbergland. Seit dem es das Belgische Munitionsdepot nicht mehr gibt, ist die Welfische Porzellanmanufaktur aus dem späten 18. Jahrhundert (immerhin die Drittälteste Deutschlands) hoch über der Weser das einzige Highlight des Ortes, irgendein Designer- oder Lifestyle-Magazin hatte Vasen aus Fürstenberg gehypt, also wollte Caro alldorten Vasen kaufen, also musste ich mit dorthin, obwohl ich persönlich das Fürstenberger Porzellan nicht sonderlich mag (nicht nur das Festtags-, auch das Sonntags-Geschirr meiner Eltern war Fürstenberger, beide noch handbemalt und nicht mit Folien coloriert und durften daher nicht in die Spülmaschine, ich habe den Abwasch gehasst, und wenn was zu Bruch ging, gab’s ob des Preises großes Gezeter, daher mag meine mangelnde Begeisterung für Fürstenberger rühren). Nach erfolgreichem Kreditkarten-Glühen (Caro, nicht ich) hungerte uns, und Hunger im Weserbergland, das ist generell so eine Sache, wenn man nicht gerade Ahle Worscht oder Schnitzel mit Sauce und Bratkartoffeln essen mag, und immer mag selbst ich das nicht essen. Am Ortseingang von Fürstenberg steht auf einer schlohweißen Wand in großen, ordentlichen Lettern geschrieben „Weserberg-Terrassen“ und darunter ebenso akkurat „Kroatische Spezialitäten“. Früher war hier mal ein Café beheimatet, das berühmt war für die exorbitant großen Kuchenstücke zu exorbitant kleinen Preisen, aber selbst mit diesem Konzept kann man dort oben offensichtlich nicht auf Dauer gastronomisch überleben. Nun also ein Kroate – warum in einer Gegend, in der selbst die Italiener, Türken und Asiaten mies sind, nicht mal Kroatisch essen versuchen?

Die Inneneinrichtung ist – na-ja – Dorfkneipe, aber mit Salatbuffet, sogar gekühlt, die Terrasse ist unverändert rustikal-hübsch mit entzückendem Blick in’s Wesertal, sofern einen der Blick in’s Wesertal entzücken kann. Die Speisekarte ist ziemlich identisch mit hunderten anderer Speisekarten Kroatischer Restaurants im Deutschland: Cevapcici, Pola-Pola, Djuwetsch, Pommes, Hühnersuppe, Pleskavica, gemischter Grillteller, Adria-Platte, dazu eine „Schnitzelbörse“, Salate, Steaks, Pfefferlendchen, Eis mit heißen Himbeeren, man kennt das, dann noch für die Ess-Gestörten ein „Vegie-Teller mit verschiedenen Gemüsesorten, Spiegelei und Kroketten zu 12,50“, kann man Ess-Gestörte trefflicher demütigen?

Auch der Kellner ist eindeutig Kroate, hager, wendig, um die Fünfzig, etwas grimmig, aber dienstbar-flott, deutlicher Akzent, weißes Hemd, speckige schwarze Weste, speckige, zu große schwarze Hose, ausgetretene schwarze Billig-Schuhe; noch kroatischer ist der Wirt, der auch kocht, ein Bär von einem Mann,  vielleicht 40, Jogginghose, Muscle-Shirt, Turnschuhe, im weiten Strecken weiße Kochschürze, kahler Schädel, Stiernacken, kräftige Oberarme, generell sehr muskulös, vielleicht ein ehemaliger Posten-Kommandant im Jugoslawien-Krieg, dem jedenfalls möchte ich nicht sagen müssen, dass ich meine Zeche nicht begleichen kann, dabei ist er höflich-freundlich, fast schon schüchtern, was in krassem Gegensatz zur äußeren Gestalt steht. Ich jedenfalls mag die Kroaten generell.

Was dann serviert wird, könnte Kroatischer nicht sein. Zuerst eine kräftige, fette, trübe, garantiert selbst gemachte Hühnerbrühe mit zerkochtem, breiigem Gemüse und zerkochten breiigen, aber ebenfalls selbst gemachten Nudel-Fleckerln. Cevapcici vom Grill aus grob gewolftem Hack mit viel altersschwachem Lamm und Knofl. Ziemlich genialer Djuwetsch-Reis mit viel Gemüse, sogar die obligatorischen Pommes sind OK. Auch der Krautsalat ist selbst gemacht und authentisch-lecker, nur die anderen Salate und Dressings sind leider weitgehend aus dem Eimer. Das absolute Highlight allerdings ist der große Grill auf der Terrasse, auf dem sich wohl seit Mittag ein komplettes Spanferkel dreht, ganz wie vor unzähligen Konobas am Straßenrand in Kroatien; wir müssen etwas warten, aber als der bejogginghoste Wirt und Grillmeister das Ferkel als fertig erachtet, bekommt Caro tatsächlich das zweite Stück, riesengroß, heiß, dampfend, saftig, kaum Fett, resche Kruste, dazu einfach nur einen Kanten weißes Brot, Ajvar und einen Salatteller.

Das Bemerkenswerte an diesem Kroatischen Restaurant ist nicht etwa irgendwelche verfeinerte, anspruchsvolle Küche. In Fürstenberg wurde mir wieder einmal bewusst, wie sehr für uns Deutsche fremde National-Küchen von Restaurantbetreibern „germanisiert“ – „prostituiert“ wäre ein anderes Wort – werden, Spaghetti Bolognese beim Italiener, Suppen als Vorspeise beim Chinesen, Borscht mit Rinderfiletwürfeln beim Russen, you name it. Und „Deutsche Kroaten“ lassen längst das Hammelfleisch aus den Cevapcici weg, entfetten Hühnersuppen und geben separat blanchiertes Industrie-Gemüse und vorgekochte Industrie-Nudeln frisch vor dem Servieren in die Suppe, und Spanferkel vom Grill gibt’s sowieso nicht, zu aufwändig und zu risikoreich, wenn zu wenig Gäste kommen, dann doch lieber noch einen Toast Hawaii und ein Indisches Putengeschnetzeltes mit frischen Früchten auf die Karte, tiefgefroren ist das eine sichere Bank und leicht verdientes Geld, und der König Gast will’s ja offenbar.

In Fürstenberg hingegen wird ziemlich authentisch-derb original Kroatisch gekocht, ohne Kotau vor dem arischen Geschmacksnerv. Ich bin oft genug in Kroatien um sagen zu können, Fürstenberg könnte auch in Karlovac oder Šibenik sein. Ob das ein Miteinander wird oder ein Gegeneinander von kroatischem Koch und deutschem Gast, ob sich ursprüngliche, derbe Authentizität gegen weichgespülte Geschmacksanpassung durchsetzen kann, das wird die Zeit zeigen.

Restaurant Weserberg Terrassen
Inhaber: Ante Pocrnja
Meinbrexener Straße 4   
37699 Fürstenberg
Tel.: +49 (52 71) 4 04 92 10
Mobil: +49 (1 60) 62 20 28 09
E-Mail: ante_pocrnja@outlook.de
Internet: www.weserberg-terrassen.de

Hauptgerichte von 11 € (Schnitzel mit Pommes) bis 24,50 € (Rumpsteak mit Pfeffersauce, Prinzessbohnen, Kroketten und Salat), Drei-Gänge-Menue von 18 € bis 39 €; „typisch kroatische Gerichte“ von 11,50 € (Cevapcici) bis 19 € (Adria-Teller)

P.S.: Ich mag den Kroaten in Fürstenberg. Ich gebe ihm kein Jahr.

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