Summa summarum: tolle Landschaft, weit ab vom Schuss, totale Ruhe, rustikales, aber gepflegtes Anwesen aus mehreren alten Gebäuden, Wiesen, eigene Bio-Landwirtschaft, gemütliche Zimmer mit ausreichend Komfort, hübsche Terrasse, heimelige Gaststuben, authentisches, unverfälschtes, derbes, fettes, aber leckeres steirisches Essen aus eigenen / heimischen Zutaten, beachtliche Österreichische Weinkarte und durch die Bank weg ehrlich freundliche Menschen
Wenn man hinter dem Tauernpass von Salzburg Richtung Steiermark immer südöstlich / östlich fährt, gelangt man in’s Mur-Tal, die massentouritische Verlausung hält vielleicht noch bis Tamsweg an, in St. Lorenzen gibt’s nochmals etwas Skizirkus, ansonsten diffundiert das Austria-Disney-Land langsam in’s echte Österreich, mit produzierenden Betrieben statt Hotelburgen, mit hart arbeitenden Bauern, die Milch und Getreide liefern statt Schaubauern mit Lift und Disco, mit Restaurantparkplätzen vollgeparkt mit einheimischen Autos statt Touristenbussen, Deutschen und Niederländern, mit Restaurants mit einheimischen Servicekräften statt Saison-Arbeitern aus aller Herren Ländern und mit Salon-Beuscherl statt Sushi, und gefühlt um wenigstens ein Drittel niedrigeren Preisen, das echte Österreich halt, zwar kein Dachstein-Panorama, Streif und Burg mit Folterkeller, aber echten, liebeswerten Menschen und – ganz wichtig für einen wie mich – echter Küche, nicht Touristen-Convenience-Fraß. Wenn man dann kurz hinter Judenburg das Mur-Tal verlässt und die Bundesstraße 77 entlang der Lavanttaler Alpen Richtung Südosten fährt, man kann auch den kurvigen, steilen Salzstiegl und Winkl Weg über’s Moasterhaus – einem kleinen, garantiert Massen-Touristen-freien Skigebiet – mitten durch die Lavanttaler Alpen nehmen, dann steht man mit einem Male kurz vor Stainz … im Wald, und zwar sowas von mitten im Wald. Hier, bei St. Stefan ob Stainz liegt der Jagawirt, ein kleiner Weiler mit vielleicht einem Dutzend Häusern an einer kleinen Straße im Wald, so klein, dass die Wirtsleute auf ihrer Webpage den exakten Längen-und Breitengrad ihres Hauses angeben, weil kaum ein Navi dieses Fleckchen kennt. Der Jagawirt selber besteht aus einem langgezogenen, einstöckigen alten Jagdhaus aus Stein und viel Holz, mit drei heimeligen, niedrigen, kleinen, gemütlichen Gaststuben, halboffener Küche, Terrasse und Gastgarten, mit Zimmerlein im ausgebautem Dachgeschoß und schmalen Balkonen, drum herum in den alten Wirtschaftsgebäuden sind Hofladen, Fest-Tenne, weitere Gäste-Zimmer, ein rustikaler Tagungsraum, Bediensteten-Wohnungen und tatsächlich Landwirtschaft untergebracht, an der Tür eines alten Schuppens steht provisorisch mit Kreide geschrieben „Nüchtern betrachtet war es besoffen besser“, und das alles in einer traumhaft-naturbelassenen Wiesenlandschaft mit alten Bäumen, Brunnen, Tischtennis-Platte, Lümmel-Liegen, Kinderschaukel, aber kein Pool, Spa und Fitnessraum, alles zusammengewürfelt, nicht designt, sondern gewachsen, authentisch, unaufgeregt-gemütlich. Die Gästezimmer sind landestypisch-heimelig eingerichtet, wohl zwischen 20 und 30 qm groß, alle mit Bad, kratzigen Frotteetüchern, Holzböden, Kiefermöbeln, Flachbildschirm, einfachen Betten, ländlicher Bettwäsche, dünnen Kissen, die meisten Zimmer mit schmalem Balkon, für den Preis ist das alles vollkommen ok, solider Drei-Sterne-Standard würde ich sagen, hier nächtigt man gerne … und himmlisch ruhig. Verliebte können auch ein kleines altes, top-hergerichtetes Häuschen mieten, in 1 km Entfernung mitten im Wald steht für Familien ein komplett renoviertes Bauernhaus mit Küche bereit. Weiter hinten gibt es Scheunen, Stallungen, einen naturbelassenen Hügel-Nutzgarten, wo Kräuter, Salate und Gemüse für die Küche geerntet werden, dazu Koppeln und große Pfuhle, in denen super-leckere Wald-Wollschweine gezüchtet (und gleich vor Ort verwurstet) werden, auf einer Wiese unter einem Baum sitzt uneingezäunt eine Gruppe Häschen, die mich interessiert anschauen, dazwischen rennt das schwer neurotische Huhn Luise, das seit Wochen unbefruchtete Eier bebrütet, was ihr wohl langsam auf’s Gemüt schlägt, die Wirtin will sich jetzt aber mal einen Hahn von der Nachbarin ausleihen, für Luise, dazu noch Pauli, der altersschwache, humpelnde, aber freundliche Hund der Wirtsleute, und Sophia, die jüngst zugelaufene, freche, dreifarbige Glückkatze … Um dieses Ensemble herum stehen noch ein paar modernere, kleine Wohn-/Wochenendhäuser, die aber nicht weiter auffallen. Ansonsten kilometer-lang hüglige Waldlandschaft, die irgendwann mal in Weinberge mit Heurigen-Lokalen und kleinen Siedlungen übergeht. In 30 Minuten ist man dann in Graz. Wenn man Ruhe und Ursprünglichkeit sucht, dann lässt‘s sich hier aushalten. An Wochenenden ist der Jagawirt oft komplett ausgebucht mit Hochzeiten und Familienfeiern, dazu Wochenendgäste und Wanderer, aber unter der Woche scheint man immer ein Plätzchen zu bekommen.
Nochmals ungleich angenehmer als diese „Hardware“ ist die „Software“, sprich die Menschen, die hier arbeiten, insbesondere die Wirtsfamilie Goach sen. und jun., aber auch durch die Bank weg das restliche Personal. Der Umgangston ist ehrlich herzlich, offen, freundlich, selbst zu Stoßzeiten, der Service ist flott, exakt, kompetent, auch was z.B. die fachkundige Erläuterung der umfangreichen, zum größten Teil aus steirischen Positionen bestehenden und daher zumindest für einen wie mich erklärungsbedürftige Weinkarte oder auch der nicht bekannten oder selbst erklärenden steirischen Gerichte angeht. Schon am zweiten Tag wird man durchweg mit dem Namen angeredet. Über der kleinen Speisekarte steht selbstbewusst „Hier isst man Schwein und trinkt man Wein“, das sollte trefflich dazu angetan sein, gewisse Klientele zuverlässig fernzuhalten. Nach 2 Suppen und 4 Vorspeisen, alle zwischen 4 und 12 EURO, 8 Hauptspeisen zwischen 12 und 22 EURO, 5 Nachspeisen zwischen 4 und 10 EURO – zusätzlich ein paar wechselnde, mündlich vorgetragene Tagesgerichte – steht selbstbewusst quasi als Abbinder „Wir akzeptieren keine Kreditkarten.“ Wer ko, der ko, denkt sich der Viel-Reisende. Die Speisen sind derb, fett, authentisch, schwer, unverfälscht, von Hoch-Küche eben so wenig eine Spur wie von Chichi, die Zutaten stammen weitestgehend vom eigenen Hof oder aus der unmittelbaren Region, allen voran natürlich besagte leckere Schweine sowie Gartenkräuter und –salat, wahrscheinlich wird genau so auch in den umliegenden bäuerlichen Gehöften seit Jahr und Tag gekocht.
Da gibt es als Vorspeise eine Zigarren-große Frühlingsrolle aus knusprigem Brickteig, gefüllt mit gewürztem Schweinehack, auf frischem Krautsalat, in dem man alle Facetten des Kümmels schmecken kann , dazu eine ganz eine kuriose süß-scharfe Kernöl-Chili-Sauce. Was hier am meisten auffällt ist das Schweinefleisch, das nicht nur nach Gewürzen schmeckt, sondern nach Schwein, das ist bei den hochgezüchteten Turbo-Schweinen ein gänzlich in Vergessenheit geratener, originärer, doch etwas strenger Geschmack, der – wenn ich auf die Nachbartische blicke – offensichtlich gerade bei jüngeren Gästen pures Entsetzen auslösen kann, selbst bei einem unscheinbaren Kinderschnitzel: „Mami, ich mag das nicht …“. Dieser Geschmack wird sich beim Kürbiskern-Panier-Schnitzel, beim Schweinebraten und auch beim Schweinefilet unter Kräuterkruste fortsetzen, so schmeckt Schwein nun mal, wenn es naturbelassen aufwächst. Die Salate sind vorbildlich frisch aus dem eigenen Garten, aber selbst die – wenn man es nicht abbestellt – durch ein reichliches Kürbiskernöl-Dressing fett. Die Rindssuppe ist eine gute Rindssuppe, die Fritatten sind selbst gemacht, beides sehr ordentlich … bis man auf die frischen Schnittlauchröllchen beißt, die scheinbar nebenher als Garnitur darüber gestreut wurden; so geschmacksintensiven Schnittlauch habe ich seit Mutters Garten nicht mehr gegessen, solche Ware bekommt selbst der gut meinende Großstadtwirt weder bei der Metro noch bei Bos, dazu braucht’s schon den naturbelassenen Garten hinter dem Haus. Dasselbe beim Schnitzel: das Fleisch ist reichlich, tadellos-geschmacksintensiv, die Kürbiskern-Panade fett, aber alles in gutem Fett in der Pfanne gebacken, bis man dann zu den Petersilien-Erdäpfeln – scheinbar eine nebensächliche Sättigungsbeilage – kommt: so gute Kartoffeln sind heute eine Seltenheit, und bei der Petersilie dasselbe Erlebnis wie vormals beim Schnittlauch. Der Schweinebraten ist ebenfalls reichlich, unendlich fett, leider keine resche Kruste, die Serviettenknödel mit sehr deutlicher Muskatnote, leider aufgewärmt und zum Teil matschig, im kurzen, geschmackskonzentrierten „Saftl“ zusätzliche Brunoise, das Schilcher-Kraut grob geschnitten, weich zerkocht, mit seiner süß-sauren Note an Bayrisch Kraut erinnernd, allerdings ohne Kümmel. Tja, so könnte ich jetzt noch mehrere Gerichte durchdeklinieren, das Ergebnis wäre immer das gleiche: naturbelassene, beste, frische, heimische Zutaten, gekonnte, aber grobschlächtige und fette Zubereitung, große Portionen, manchmal sehr interessante Würzung, keinerlei Chichi und keinerlei Innovation. Im Prinzip gilt dies auch für die – ebenfalls durch die Bank weg selbst gemachten – Desserts, allen voran wahrscheinlich die sich grausam anhörende „Mangoldtorte“, die sich dann aber als nichts weiter entpuppt als eine ordentliche Biskuit-Creme-Torte mit Schokopuder oben drauf wie bei einem Tiramisu, allerdings das Biskuit mit Mangoldsaft giftgrün eingefärbt (wie bei Spinat-Spätzle mit Spinat-Saft), ein netter optischer Effekt, geschmacklich überflüssig, aber trotzdem eine leckere, mächtige und – guess what – fette Torte. Das selbst gemachte Eis ebenfalls lecker, Vanilleeis mit karamellisierten Kürbiskernen und Kürbiskernöl ist in der Steiermark wahrscheinlich unvermeidlich. Ach ja, und die immer wechselnden Tageskuchen sind gerade bei Ausflüglern und Wanderer legendär, groß portioniert und meist spätestens gegen 16/17 Uhr aus. Diese Speisekarte macht, um ehrlich zu sein, drei, vier Tage Spaß, man sollte sich allerdings viel bewegen und Kalorien verbrauchen, aber dann wird’s für den Hausgast zäh … Bei den Getränken gibt es zwei ausgesprochen süffige regionale Hausbiere vom Fass, und mit der umfänglichen Weinkarte kann man sich unter fachkundiger Beratung für 18 bis 80 EURO die Flasche einmal quer durch die Steiermark trinken, ein wenig Burgenland und Niederösterreich ist auch dabei, löblicher Weise keine Flugweine vom anderen Ende der Welt. Zu erwähnen ist unbedingt das Frühstück, das perfekte Beispiel für klein aber fein. Erstens, Frühstück gibt’s offiziell ab 08:00; wenn sich nun aber der bestens ausgeschlafene Gast schon um 07:00 bei schönstem Wetter auf die Terrasse setzt, um vor dem Frühstück noch etwas zu lesen oder zu schreiben, eilt sogleich die Kaltmamsell herbei und bringt Kaffee. In einem großen Haus wäre man wahrscheinlich mit Verweis auf die Frühstückszeiten der Terrasse verwiesen worden (ist mir tatsächlich auch schon passiert), beim Jagawirt gibt’s halt Frühstück, wenn der Gast da ist. Auf einem ganz kleinen Buffet – eigentlich auf einem alten Holzofen, der als Buffet herhalten muss –gibt es frische heimische Säfte, Bäckersemmeln, Brote, wenig selbst gemachte Wurst und Schinken (die immer frisch nachgelegt werden, keine Berge von Fleischwaren auf einmal, deren Reste dann halt entsorgt werden … wie in manchen anderen Häusern), dabei ein phantastisches, zart-mürb-salzig-rauchiges Geselchtes mit frisch geriebenem Kren (!!!) dazu, selbst gemachte Marmeladen, Gemüse und Obst aus dem Garten, Honig, Butter, Quark, Milch und Käse vom Nachbarn, Eierspeisen à la minute auf Wunsch, … Herz, was willst Du mehr?
Kein Wunder also, dass beim Jagawirt achtlos seit Jahren übereinander geklebt die Bapperl für Auszeichnung von Falstaff, Gault Millau, Slow Food sowieso, Guide Michelin, Feinschmecker, Aral, Krone, Gusto … an der Wirtsstuben-Tür prangen, aber solcherlei Auszeichnungen sammelt man hier nicht, die kommen einfach und sind dann nett, mehr nicht. Auch das ist sehr sympathisch, finde ich …
Wirtshaus Jagawirt
Werner & Maria Goach
Reinischkogel – Weststeiermark
Sommereben 2
A-8511 St. Stefan ob Stainz
Tel.: +43 (31 43) / 81 05
Fax: -+43 (31 43) / 81 04
E-Mail: goach@jagawirt.at
Internet: www.jagawirt.at
Hauptgerichte von 11,90€ (Polentascheiben mit Tomatenragout) bis 21,90 € (Zwiebelrostbraten), Drei-Gänge-Menue von 20,60 € bis 43,90 €
Doppelzimmer mit Frühstück (pro Zimmer, pro Nacht) 124 € bis 144 €
Guten Morgen Hr. Opl,
sehr schöner Bericht, auch wir kennen diese Gegend sehr gut und wissen um die Qualitäten. Allerdings darf man schon ein wenig Kritik üben, denn so ganz ganz billig oder sagen wir preiswert ist es eben nicht. Eine andere Dame schrieb darüber folgendes:
„Preis und Leistung stehen in keiner Relation. Die Zimmer kann man bestenfalls als „charmant“ bezeichnen. Würde ich schreiben das Essen hat Dorfgasthausniveau würde ich so manches Dorfgasthaus beleidigen…. völlig uberteuert …“
In der südl. Steiermark gibt es eine ganze Menge sehr guter Gasthäuser, ob nun dieser Jagawirt überteuert ist, weiß ich nicht, günstig ist es jedenfalls nicht. In aller Regel fahren wir vor allem wegen der schönen Landschaft und dem Sauvignon Blanc dorthin.