Hotel Weidenbrück in Swisttal: viel Licht, ärgerliche Schatten

Summa summarum: hübscher, properer Landgasthof/Hotel irgendwo im Nirgendwo zwischen Rhein und Eifel, unromantisch in einem Wohngebiet gelegen, tadellose, gepflegte Zimmer, gediegene, moderne, nicht überladene Gaststuben, legere Terrasse mit Lounge, kleines SPA, durch die Bank weg sehr freundliches, aufmerksames und meist kompetentes Personal, überschaubare, anspruchsvolle, überwiegend traditionell-deutsche Speisekarte, viele sehr gut gemachte Gerichte, tolles Frühstück, und doch einige schwere Fauxpas im Service und von der Küche.

Provinz kann auf Dauer nerven (Stadt übrigens auch). Was liegt nach einem halben Jahr non-stop Provinz also näher, als eine kleine Flucht anzutreten? Caro hatte sich kurz nach Ostern gemeldet. „Bonn?!“ lautete ihr erstes Wort das Telephonats, und das klang weniger wie eine Frage, als vielmehr wie ein Befehl. Warum nicht Bonn, dachte ich mir, ob es diesen Italiener in der Innenstadt noch gibt, mit diesem wirklich tollen Vorspeisenbuffet, wie mögen der Petersberg und der Königshof heute aussehen (im Venusberg habe ich Hausverbot, aber das ist eine ganz andere Geschichte), famose Dinge hört man vom Rheinhotel Dreesen, dann dieser kleine Steakbrater in Bad Honnef mit der offenen Küche, was mag aus dem altehrwürdigen Brauhaus Bönnsch mittlerweile geworden sein? Fragen über Fragen, ein paar Tage könnte ich mich sicherlich in Bonn durchfressen und durchpennen, just because. „Warum nicht?“ war meine ganze – vorfreudige – Antwort. „Freitagabend, im Hotel Weidenbrück in Swisttal, das ist über Bonn Richtung Eifel, Zimmer habe ich schon reservieren lassen, ich habe bis Montagmorgen Zeit, dann muss ich zurück nach Frankfurt.“ Terminabstimmung unter Freunden geht anders, aber das war noch nie Caros Stärke. „OK, aber ich kann erst ab Samstag,“ war meine Antwort. „Date mit einer anderen Frau?“ „Blödfrau.“ „Abgemacht, Samstag bis Montag.“ „OK.“ Caro hatte grußlos aufgelegt.

Also machte ich mich am Samstagmorgen in aller Herrgottsfrühe auf gen Westen. Drei Stunden hätte die Fahrt auf Autobahnen gedauert, auf Landstraßen habe ich locker Sechse im offenen Cabrio daraus gemacht, vom Weserbergland in’s Hessische Bergland, über das Sauerland quer durch den Westerwald, runter in die Rheinebene, auf der anderen Seite den Berg wieder hoch Richtung Eifel, das Ahrtal ist fast drei Jahre nach der Katastrophe noch nicht wieder durchgängig befahrbar, Straßen sind einfach weg, Deutschland in Agonie halt. Swisttal ist ein hübsches Örtchen irgendwo im Nirgendwo, aber aus der Provinz in die Provinz, vom Regen in die Traufe, vielleicht ein wenig weniger heruntergekommen, hier wird die Kaufkraft der Rheinstädte offensichtlich verbaut und verfressen. Es ist der erste schöne Frühlingstag, und die überall blühenden und sprießenden Sträucher und Bäume tun das ihrige. Das Haus Weidenbrück – irgendwas zwischen Gasthaus und kleinem Hotel liegt mitten in einem Wohngebiet mit properen Ein- und Zweifamilienhäusern, unglaublich viele, offenbar wohlgeratene Kinder spielen fröhlich auf dem Trottoir, zuweilen auch auf der Straße, aber schnell fährt hier sowieso niemand, der gepflegte hauseigene Parkplatz ist sicherlich für 40 oder 60 Autos gut, aber jetzt ist er fast leer, obwohl am Wochenende durchgängig geöffnet ist, ist die hübsche Terrasse samt Lümmel-Lounge weitgehend verwaist, nur ein altes Wandererpaar, dazu Caro mit einer bereits gut geleerten Flasche Ruinart – und das um Drei! – in einer Lounge-Ecke in der Sonne, süffelt vor sich hin und schreibt geschäftig irgendwas in ihren Laptop. „Sei bloß froh, dass ich das hier vorgeschlagen habe. Du hättest schon längst einen Satz rote Ohren.“ Eine ganz typische Caro-Begrüßung unter Freunden, die sich lange nicht mehr gesehen haben. Ruinart mag Madame nun wirklich nicht, aber es ist der einzige Champagner auf der kleinen Getränkekarte. „Opfer müssen hat gebracht werden, hättest Du halt vorher nachschauen müssen! Du hast das hier ausgesucht“, sage ich lakonisch, während wir uns rituell umarmen und abbusseln. „Hätte-Hätte-Fahrradkette! Eine Freundin hatte mir das hiesige Restaurant wärmsten empfohlen, ‚Eli’s Deli“, (mit falschem Apostroph) mault Caro weiter. „Ich wäre ja lieber in den Petersberg oder den Königshof gegangen.“ „Glaubst Du, ich habe einen Geldscheißer?“ Ich verkneife mir gerade noch, sowas wie „O ja, und zwar einen großen“ zu sagen. Besser war das.

Den Nachmittag verbringen wir redend und süffelnd auf der Terrasse in der Sonne, das Eifeler Landbier vom Fass ist zwar nicht exzeptionell, aber basst scho, besser jedenfalls als Gaffel Kölsch oder Bitburger, Caro nimmt Rum zum Bier, ich Aquavit. Die Bedienungen sind jung, meist weiblich, einheitlich schwarzer Rock, weiße Bluse, weiße Bauwollhandschuhe, sehr freundlich und aufmerksam, weitgehend gut ausgebildet, hier beschäftigt man keine Bierschlepper, sondern Servicekräfte … wären da nicht ärgerliche Kleinigkeiten. Die Speisekarte in Eli’s Deli ist eher minimalistisch, fünf Vorspeisen und Suppen (Spargel- oder Bärlauchsuppe, gratinierter Ziegenkäse, Carpaccio und so), drei verfluchte Burger aus selbstgemachter Brioche, zwei Salate, Spargel mit den üblichen Beilagen, sieben sonstige Hauptgerichte (Kalbs- oder Schweineschnitzel, Rumpsteak, Rinderfilet, Wildragout, …), schließlich drei offenbar hausgemachte Desserts ohne Fertigeis-Eisbecher und so. Da ist alles überschaubar, der Größe des Gasthofs angemessen und kann auch mit einer relativ kleinen Küchenbrigade à la minute zubereitet werden. Die Weinkarte enttäuschend klein und offensichtlich beliebig, dafür aber durch die Bank weg wohlfeil, es gibt einen einzigen Posten von der Ahr, in einer Zeit, in der die Ahr-Winzer jede Unterstützung brauchen können. (Ein Freund von mir betreibt einen Weinhandel in Görlitz, direkt an der polnischen Grenze; unmittelbar nach der Flutkatastrophe hat er einen großen Posten Ahr-Weine in sein Sortiment aufgenommen, die er mit 2 EURO Aufschlag verkauft; die 2 EURO werden an die Flutopfer gespendet. Der Handel läuft wie geschnitten Brot, sagt er, mittlerweile hat er Lieferprobleme, offensichtlich will jeder Weintrinker in Görlitz sein Scherflein für die Flutopfer beitragen.) Das Lokal selber modern, aber nicht aufgetakelt, überladen eingerichtet, Stoffservietten, weiße Damasttischtücher, dezente Dekoration, eine rustikale, altdeutsche Stube, in der die heimischen Bauern karteln, sucht man vergebens, das Publikum gediegen, der Gesprächston gedämpft, auf dem Parkplatz stehen gehobene Mittelklasse-Wagen, teils mit Kennzeichen aus den Nachbarkreisen, man findet sich in der Region also hier zum Schmausen ein, ein gutes Zeichen. Auch die Terrasse ist ordentlich, auch hier Damast, nur kein Blick in’s tiefe Tal oder auf grünen Forst, sondern auf propere Einfamilienhäuser, die zahllosen spielenden Kinder auf der Straße geben Hoffnung. Auch dass im Wiedenbrück in anscheinend jedem Raum ein Kreuz hängt, gibt Hoffnung.

Was dann in Eli’s Deli aufgetragen wird, ist – sagen wir mal – durchwachsen. Spargelcremesuppe tadellos, Bärlauchschaumsüppchen zu fett und viel zu wenig Bärlauch, trotz des frittierten Bärlauchs als Garnitur. Das Carpaccio hauchdünn, tolles Fleisch, keine Balsamico-Pampe (was für eine Unsitte, Giuseppe Arrigo Cipriani würde sich im Grabe umdrehen). Die Spargel perfekt geschält und gegart, auf den Punkt knackig und doch weich, nur leider relativ geschmacklos, aber selber schuld, wenn man Anfang April schon Spargel essen will, da gibt’s halt noch nichts Besseres, das kann der beste Koch nicht beheben. Der Lachs zum Spargel ziemlich gut, glasig gebraten, gut gewürzt, das Schweineschnitzel (eigentlich gibt es Kalbsschnitzel zum Spargel, aber ich mag keine Kalbsschnitzel, Umbestellung war kein Problem) ein Fiasko, zwar gutes Fleisch, aber matschige, nicht soufflierte, fettgesogene, sich ablösende Panade, so macht Schnitzel keinen Spaß. Die lauwarmen, fetttriefenden, alles andere als reschen Bratkartoffeln harmonierten perfekt mit dem Schnitzel. Die Hollandaise zum Spargel tatsächlich selbst gemacht, gut von der Konsistenz, aber eiskalt und blass vom Geschmack, offensichtlich viel zu wenig Reduktion. Als wir die Temperatur der Hollandaise monieren, erklärt uns die Serviceraft, das werde hier bewusst so gemacht, um ein Ausflocken der Hollandaise zu verhindern. Gutes Fräulein, eine Hollandaise im Wasserbad verträgt 65° bis 80°, ohne auszuflocken – wenn man es denn kann. Das sind dann so die unschönen Erlebnisse in Eli’s Deli. Der Aschenbecher wird nicht gewechselt, schon gar nicht vorschriftsmäßig, trotz dreifacher Aufforderung, selbst wenn das Essen aufgetragen wird, bei der vierten Aufforderung hat’s dann geklappt. Wieder gut gemacht wurde dieser Fauxpas durch einen Kellner, der uns den ganzen Abend nicht bedient, kein Trinkgeld von uns erhalten hatte. Ich hatte noch zwei Bier, einen Rum und einen Aquavit an der Theke als Absacker auf dem Balkon geordert und wackelte reichlich beladen Richtung Zimmer. Nämlicher Kellner sah mich, schnappte sich ein Tablett, nahm mir die Getränke ab und fragte höflich: „Auf welches Zimmer darf ich es bringen?“ Wow, kann ich da nur sagen.

Die Zimmer schließlich vollkommen ok, kleines, modernes, pikobello sauberes Bad, ordentliche Möbel, ordentliche Matratze, gute Bettwäsche, flauschige, dicke Handtücher, kleiner Balkon mit super-ruhigem Blick auf einen bewachsenen Steilhang, für einen Absacker und eine Zigarre vollkommen ausreichend. Im Keller gibt’s offensichtlich noch ein kleines SPA, haben wir allerdings nicht genutzt, wir hatten anderes zu tun. Das Frühstück reichlich, gute Backwaren, überbordendes Buffett mit fast allem, was das Herz zum Frühstück begehrt, die Reibekuchen mit Lachs auf der Warmhalteplatte ziemlich suspekt, auch Eierspeisen nicht à la minute, sondern warmgehalten, dafür gibt’s einen ziemlich guten Obstsalat und eine große, appetitliche Wurst- und Schinkenauswahl.


Landidyll Hotel Weidenbrück GbR
Geschäftsführer: Petra Weidenbrück, Elisabeth Weidenbrück
Nachtigallenweg 27
D – 53913 Swisttal
Tel.: + 49 (22 54) 60 30
E-Mail: info@hotel-weidenbrueck.de
Internet: www.hotel-weidenbrueck.de

DZ Ü/F ca. 125 EURO bis 215 EURO (pro Zimmer, pro Nacht)

Hauptgerichte 20 EURO (veganer Burger oder Pasta) bis 45 EURO (Rinderfilet mit Beilagen), Drei-Gänge-Menue 38 EURO bis 77 EURO

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4 Comments

  1. Reinhard Daab

    Lieber Hr. Opl,

    freut mich, dass nunmehr wieder etwas von Ihnen kommt. Allerdings möchte ich daran erinnern, dass dieser Koch für den geschmacklosen Spargel nichts kann! Bitte nachfolgendes lesen. Bei uns gibt es sehr oft Spargel, da meine Frau eine „Spargel-Marie“ ist. Früher hatte ich hier im Ort einen sehr guten Spargelbauer, dieser baut nunmehr leider keinen mehr an.

    Was Ihnen Ihr örtlicher Spargelbauer als Braunschweiger, Beelitzer, Abensberger usw. Spargel verkauft, ist praktisch immer eine der vor zwanzig Jahren entstandenen globalen Hybridsorten, deren Namen entweder mit R- beginnen oder auf -lim enden. Sie sind durch die Bank verfrühbar, reinweiß, geradwüchsig und ertragreich, aber elendig geschmacksarm: leicht süß, wäßrig und banal. Erst im Vergleich bemerkt man den Verlust. Die alten deutschen Lokalsorten (Ruhm von Braunschweig, Eros, Huchels Leistungsauslese, Huchels Alpha, Schwetzinger Meisterschuß) unterschieden sich zwar deutlich voneinander, beglückten aber alle mit einem Vielklang an Aromen: Es waren Bitternoten unterschiedlicher Intensität dabei, Nuß- und Mandelaromen als Zwischentöne, Obstanklänge, Butterschmelz auch ohne Butter, geschmacklicher Reichtum eben. Diese alten Sorten hatten die mineralischen Besonderheiten jeden Anbaugebietes in ihren Geschmack aufgenommen; sie hatten also noch »terroir«.

    Schmegge musses!

    • Lieber Herr Daab,
      dieses von Ihnen beschriebene geschmackliche Spargelerlebnis hatte in 1991 bei Meißen, kurz nach der Wende, in einem kleinen, alten Restaurant noch im typischen DDR-Stil an der Elbe. Bei Meißen gab es ein kleines Spargelanbaugebiet, das damals noch nicht von Industrie-Sorten verdorben war. Krumme, schiefe, unterschiedlich dicke Spargelstangen, aber mit einem gigantischen Eigengeschmack, da konnten die meisten Schwetzinger und Schrobenhausener Spargel einpacken. Zum Glück habe ich bei Schrobenhausen zwei Spargelbauern gefunden, die noch alte Sorten anbauen. Eine genussreiche Spargelzeit wünsche ich.

  2. Reinhard Daab

    Lieber Hr.Opl,

    vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar!

    Leider ist es heute bei sehr vielen Gemüsesorten so, man kann kaum noch einen besonderen Geschmack erleben. Demnach darf man schon behaupten, früher war vieles besser.

    Viele Grüße
    R. Daab

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