Soweit zum Negativen; wenn Sie sich trotz alledem nach Langenau trauen, es lohnt sich, und zwar einzig und allein wegen der Küche von Hans Häge jun., Sohn des Hauses. Nach einer Ausbildung zum Koch, Stationen in verschiedenen hoch-dekorierten Häusern und zahllosen gewonnenen Kochwettbewerben hat es ihn – aus welchen Gründen auch immer – zurück in’s elterliche Gasthaus gezogen. Am bemerkenswertesten ist die schizophrene Speisekarte: da tummeln sich schwäbische Kutteln neben Jacosbmuscheln, Zwiebelrostbraten mit handgeschabten (!) Spätzle neben Gelbflossenthunfisch von allerbester Sushi-Qualität, Linsen mit Saitenwürstchen neben Gänsestopfleber mit Mispelgeleè; kurzum, eigentlich offeriert Hans Häge drei Speisekarten in einer: schwäbische Brotzeitkarte (allerdings nicht am Wochenende), schwäbische-regional-traditionelle Küche in höchster Vollendung und internationale Sterne-Küche auf sehr hohem Niveau mit asiatischem Einschlag (doch weder Gault Millau noch Michelin ist Zum Bad eine Auszeichnung wert, der Reifen-Restaurantführer erwähnt es wenigstens). Die Speisekarte hier nacherzählen zu wollen bringt wenig: die hausgemachten Maultaschen sind, wie Maultaschen sein sollen, der Granat auf blanchiertem Gemüse mit Melone frisch als käme er direkt aus dem Hafen, das Gemüse knackig auf den Punkt, das Spiel von Krustentierschaum (ohne Molekular-Schnick-Schnack) und Melone verblüffend, neu auch, Kreativität halt. Auf den Punkt rosa gebratenes Rehfilet mit einer Sauce zum niederknien, Lamm mal eben orientalisch gewürzt und dazu – fast vergessene- Graupen, dann wieder Sandwich vom Kalbskopf mit Oktopus und Tomate, und das alles in der tiefsten Provinz. Hans Häge ist sich nicht schade für ein perfektes Wienerschnitzel, aber ebenso brilliert er bei seinem großen sieben-gängigen Abendmenue, das mit knapp unter 100 € sehr fair bepreist und jeden Cent mehr als Wert ist.
Ebenso verblüffend die Weinkarte, wirklich große Weine fehlen völlig, und doch ist die Auswahl ordentlich und zeigt eine klare Handschrift. In Deutschland dominieren badische und württemberger Flaschen, ein wenig Österreich, Burgund, Rhone, Bordeaux, Italien, Spanien, und – zu meiner großen Überraschung – Portugal (endlich hat mal jemand erkannt, dass es zwischenzeitlich jenseits des Portweins in Portugal recht formidable Tropfen gibt). Die üblichen Spinnereien aus Chile, USA, Australien, Argentinien, … fehlen völlig: bravo für diesen Mut Hans Häge! (Ich sage nicht, dass alle Weine aus Chile, USA, Australien, Argentinien, … per se schlecht wären oder so; ich liebe z.B. Riesling aus Washington (State of) sehr und trinke ihn gerne – wenn ich in den USA bin, aber nicht um die halbe Welt geflogen in Europa. Ich bin aber der felsenfesten Meinung, bei dem Weinangebot, das wir – glücklicher Weise – in Europa haben, braucht man nicht noch weiteren Wein hierher um die halbe Welt zu transportieren, allein aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen empfinde ich das als obszön.) Die Weinliste im Bad umfasst keine 100 Posten, und sie fängt ohne Scham bei einem Flaschenpreis von unter 20 € an und sie hört ohne Größenwahn unter 200 € auf. Das nenne ich reell und mutig, und das ist wohl auch der Grund, warum die professionellen Restaurant-Tester Hans Häge keines Blickes würdigen: um in den Zirkel der besternten und behaubteten Restaurants aufgenommen zu werden braucht man wohl in der Regel – zusätzlich zu perfektem Essen, Service, Ausstattung – Weinflaschen für ein paar Millionen im Keller, um den Herren und Damen Profi-Testern zu gefallen und dann und wann mal ein Fläschchen an ein paar G‘stopfte zu verkaufen – das geht in der intrinsisch geizigen Schwäbischen Provinz sicherlich nicht.
Bei all dem Lob, es gibt auch Schattenseiten: Sonntag Mittag zum Beispiel gibt es nur eine stark verkürzte Karte für das Landpublikum mit Wiener Schnitzel mit Pommes, Braten mit Knödel und anderen Dorf-Wirtshaus-Standards. Die missglückte Kantineneinrichtung des Restaurants hatte ich bereits erwähnt (der Frühstücksraum ist übrigens noch schlimmer-steril, das Frühstück selber so la-la). Die Bedienungen sind durchweg bemüht, muss man wirklich sagen, aber man merkt schon, dass es zumeist Dorf-Kellnerinnen ohne wirkliche gehobene Restaurant-Ausbildung zu sein scheinen, eben mehr die kraftvolle Maßkrug- und Schweinsbraten-Heranschlepperin. Aber: durchaus bemüht …
Summa Summarum: genialer Koch, gänzlich unentdeckt am A… der Welt, der den Mut und das Können hat, gekonnte, aber nicht abgehobene Hochküche und gut bürgerliche Küche nebeneinander auf einer Speisekarte anzubieten – dafür nimmt man gerne die trostlose Umgebung, das bemühte Servicepersonal, die gewöhnungsbedürftige Einrichtung und die sehr spartanischen Zimmer in Kauf.
Genialer, gradliniger Koch in gewöhnungsbedürftiger Umgebung
Fangen wir ex negativo an: Langenau ist eines der hässlichsten Käffer, die Deutschland zu bieten hat, ein architektonisch abstoßender, zersiedelter, heruntergekommener Häuserhaufen nördlich von Ulm, kein eigentliches Stadtzentrum, keine netten Geschäfte oder Kneipen (mit einer Ausnahme, s.u.), sehr viel Leerstand, obligatorische, gesichtslose Einkaufs-Bunker am Stadtrand mit Großparkplätzen, im Städtchen selber entlang der trostlosen Hauptstraße Dönerbuden, Spielhallen, Ramsch-Läden, Pizza- und Asia-Lieferservices, verfallender Bausubstanz, eine langsam aussterbendes, stetig absteigendes, typisches Deutsches Mittelstädtchen, das vielleicht seine letzte Daseinsberechtigung darin findet, als wohlfeile Übernachtungs- und Einfamilien-Häusle-Bau-Stätte nördlich des Ballungs-Zentrumchens Ulm zu dienen. Der Gasthof Zum Bad schließlich, mitten in der Stadt gelegen: ein belang- und gesichtsloser Nachkriegsbau mit ungleich belang- und gesichtsloserem neuen Anbau, gelegen an einem unasphaltierten, staubigen, innerstädtischen Platz voll mit Autos (positiv könnte man sagen: ausreichend Parkmöglichkeiten unmittelbar vor dem Haus), kein Biergarten, winzige Terrasse, geschmacklose Restaurant-Einrichtung mit komischem Mobiliar, im hinteren Teil etwas Speisesaal-/Kantinen-artig ob der Größe. Es gibt keine richtige Rezeption, das Service-Personal fertigt die Übernachtungsgäste nebenbei ab. Die Zimmer sind funktional und sauber, mit billigen Pressspanmöbeln ohne jeden Komfort und ohne jedes Ambiente eingerichtet, von der Gemütlichkeit irgendwo zwischen Formule One und Ibis angesiedelt. Hotel- oder Gasthausleben Fehlanzeige: wenn das Restaurant geschlossen hat (und das hat es meistens, außer zwischen 12:00 und 14:00 und 18:00 und +/- 22:00 Uhr) ist im Hotel tote Hose, keine Bar, kein Café, noch nicht einmal ein Aufenthaltsraum mit rudimentärer Bewirtung: tote Hose halt, nix, nada. Und auf dem Zimmer bleiben will niemand freiwillig, und im Städtchen bummeln ebenfalls nicht, es gibt noch nicht einmal eine nette Kneipe um die Ecke oder einen halbwegs hübschen Marktplatz, wo man die Zeit zwischen Anreise und Dinner verbringen könnte; maximal kann man’s in nahegelegene Lonetal (landschaftlich recht hübsch) fahren und ein wenig laufen.