Summa summarum: bodenständiges, derbes, gutes Essen in großen Portionen, dazu süffige, kleine heimische Weinchen, alles zu sehr moderaten Preisen, und das alles sowohl vom Interieur als auch der kollektiven Stimmung her in einer brechend vollen Musikantenstadel-Umgebung.
„Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein;
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“
(Johann Wolfgang von Goethe, Osterspaziergang, 1801)
Soviel Goethe muss an dieser Stelle einfach mal sein. Da fährt man im tiefsten Schwabenlande gefühlte Ewigkeiten entlang des Neckars, durch hübsche Städtchen und propere Dörfchen, fruchtbare Felder, alte Streuobstwiesen, fette Weiden, dann mal wieder moderne Fabrikanlagen (irgendwo muss er ja herkommen, der legendäre schwäbische Wohlstand), Poppenweiler (der Ort heißt tatsächlich so) scheint schon das Ende der Welt zu sein, doch dahinter geht’s noch weiter, fast schon auf Feldwegen, durch Wiesen und Äcker, wie beim Osterspaziergang flanieren hier die Eingeborenen am ersten schönen Sonntag des Jahres zu Hauf im strammen Wanderschritt, und scheinbar streben alle in Richtung eines stattlichen Gehöfts, das alleine mitten auf den Äckern und am Rande von Weinfeldern und –bergen steht: im Weingut Geiger ist die Besenwirtschaft geöffnet. Besenwirtschaft oder kurz Besen oder Besa, Straußen-, Häcker- oder Rädlewirtschaft, in Österreich Heuriger oder Buschenschank, Besenbeiz in der Schweiz, das alles bezeichnet die temporären Weinwirtschaften direkt bei Weinbauern, wo diese in ihrem Weingut eigene Weine ausschenken und dazu einfache, regionale Speisen servieren. In Deutschland dürfen die Weinbauern maximal 4 Monate im Jahr eine Besenwirtschaft mit gelockerten gastronomischen Auflagen betreiben. In den Weinanbaugebieten gibt es eigene Kalender, aus denen man entnehmen kann, welcher Weinbauer gerade ausgesteckt hat, sprich seine Besenwirtschaft geöffnet. Der Besen oder ein paar buschige Äste vor dem Haus dienen dabei als Zeichen, dass die Wirtschaft offen ist. Aber die Einheimischen wissen ohnehin, wer wann ausgesteckt hat, und es gibt Glaubenskriege zwischen sonst friedlich-einhelligen Stammtischbrüdern, bei welchem Besen es den besseren Zwiebelkuchen oder die bessere Schlachteplatte gibt (oder die größeren – je nachdem). Besen, das ist eine Institution hier in Schwaben. Ähnlich wie im bajuwarischen Bierzelt, beim westfälischen Schützenfest oder friesischen Grünkohlessen fallen hier alle Standesunterschiede, die Studienrätin sitzt neben ihrem Schüler, der Richter neben dem Einbrecher, der Demokrat neben dem Grünen, der arbeitslose Tagedieb neben dem reichen Nichtsnutz, sogar Veganer wurden bereits gesichtet, nur noch keine Schweinefleisch-verachtenden Anti-Alkoholiker, aber ansonsten scheint die ganze Bandbreite bundesdeutscher behäbiger, arrangierter Gutbürgerlichkeit vertreten, und man lässt es sich kollektiv gut gehen, beim Besen. Ausgeschenkt werden dürfen nur eigene Weine bzw. Most, kein Bier, und die angebotenen Speisen sollen einfach und regional-typisch sein, nicht erwünscht sind Pizza, Burger, Trüffel und Kaviar. Natürlich gibt es Winzer, die emotions- und kulturlos Fleischwurst und Fertigsalate vom Großhandel beziehen, umpacken und weiterverkaufen, aber die werden spätestens von den einheimischen Müllfachwerkern beim Entleeren der Tonnen enttarnt und der öffentlichen Steinigung preisgegeben (es sei denn, es ist eine Besenwirtschaft oder Pseudo-Besenwirtschaft speziell für Touristen, dann ist sowas nicht nur erlaubt, sondern geradezu gewollt); ansonsten gibt es durchaus einen gesunden Wettbewerb, wer den besten Metzger als Wurst- und Maultaschen-Lieferanten hat und welche Küchen-Crew um die Winzersgattin die besten Rahmkuchen und Kartoffelsalate macht. Ergo: im echten Besen isst es sich bodenständig, deftig, ehrlich, lecker, selten leicht, noch seltener bio-öko-vegan-glutenfrei-tralala, aber fast immer gut, sofern man authentische, derbe, regionale Küche mag. Die Weine dazu, was soll man sagen? Kleine schwäbische Gewächse halt, wenngleich jeder Eingeborene spätestens seit Wilhelm I das Gegenteil propagieren wird, wirkliche Gaumenschmeichler sind die Ausnahme, und schon gar nicht beim Besen, hier trinkt man Trollinger, Samtrot und Lemberger aus 1-Liter Schraubverschlussflaschen, die gehen ja noch, aber die Rieslinge spotten dann meist jeder Beschreibung. Einerlei, wenn schon das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht jedes Mal stimmen mag, so passt das Preis-Mengen-Sättigungs- und Dröhnungs-Stimmungs-Verhältnis im Besen fast immer.
So auch im Geiger, einer größerem, semi-professionellen Schankwirtschaft mit eigener Profi-Küche. Hier brutzelt keine Winzers-Gattin in der heimische Familienküche mal nebenbei Bratwürste für zahlende Gäste, hier zählen die vier erlaubten Monate Besen (plus Sonderöffnungszeiten für Familienfeiern etc.) wohl zu einem der wichtigeren Einnahmeströme des Weingutes. Es ist brechend voll, an diesem Sonntagmittag. Es gibt nicht etwa Zweier- und Vierer-Tische, sondern nur lange Tischreihen, fast wie in einem Refektorium oder einem Bierzelt. Ansonsten erinnert die Einrichtung irgendwie an eine Mischung aus Scheune und Musikantenstadel, an den Holzbalken hängen etliche Akkordeons, die dem Vernehmen nach zuweilen auch von Gästen für mehr der minder spontane Mini-Konzerte genutzt werden (in der lauten Enge jetzt auch noch folkloristisches Quetschkommoden-Gedudel: eine grausige Vorstellung!). Durch die Tischreihen wuseln unablässig Kellnerinnen, die schwitzend und schleppend irgendwie die Übersicht behalten, mit Engelsgeduld ausharren, wenn sich das ältere Ehepaar bei der Bestellung nicht einigen kann, ob sie sich eine Portion Bratwürste mit Kraut oder mit Brot teilen wollen und die sogar Zeit für ein paar nette Worte oder sogar ein Schwätzchen finden, bei allem Stress. Wartende Wanderer stehen im Eingangsbereich, sobald irgendwer an irgendeinem Tisch nach der Rechnung verlangt, stehen deutlich mehr Neuankömmlinge wartender Dings um nämlichen Tisch als Plätze frei werden werden, zuweilen grätschen Asoziale von der Seite rein auf die frei gewordenen Plätze, derweil die anderen Wartenden noch höflich den Gehenden Platz machen. Aber so ist das halt in Volkes Himmel. Doch einmal niedergehockt ist alles mit einem Male friedlich und vertraut. Man „schwätzet“ mit dem Tischnachbarn, egal, neben wem man halt zum Sitzen gekommen ist, mal sind es sogar örtliche Bekannte, meist wildfremde Menschen, aber schwätzend lernt man sich kennen. Die Speisekarte ist so typisch für einen Besen, typischer geht es kaum. Das teuerste Gericht sind Ripple mit Kraut für 7,50 EURO, Schlachteplatte, Siedefleisch mit Meerrettich, Bratwürste mit Kraut, Semmelknödel mit Champignonrahmsauce gibt es für 7 EURO, Leber und Griebenwurst mit Kraut, Bratwürste mit Brot, Maultaschen kosten 5 EURO, große Stücke Zwiebel- oder Rahmkuchen 2,20 EURO, dann gibt es noch ein paar kalte Speisen, Wurstsalat, Käsewürfel, Vesperplatte & Co. für 3 bis 5,50 EURO. Das Viertel hauseigener Wein kostet 2,80 EURO, egal, welche Sorte, nur Weine aus der ¾ Liter Flasche kosten 3,20 EURO, das Viertel, Schnaps, Likör, Kaffee, Saft 2 EURO, der halbe Liter Wasser 2,20 EURO. Teuer geht ganz anders. Dabei stimmen sowohl Qualität und als auch Menge. Würste, Fleisch, Maultaschen sind allesamt 1a schwäbische Metzger-Qualität, die süßen und salzigen Kuchen, Kartoffelsalat und Kraut sind offensichtlich selbst gemacht und ebenfalls sehr gut, der schlorzige Kartoffelsalat, der in einer sehr großen Blechschüssel in der Küche steht, ist sogar sehr, sehr, sehr gut. Die Weine dazu sind süffig, leicht, nach mehr und mehr heischend, süffig allerdings nur in dieser Situation und in dieser Umgebung, wer hier ein paar wohlfeile Fläschlein vom Winzer mit Heim nimmt, wird daheim sein önologisches Wunder erleben, denn dort funktionieren diese Dünnlinge nicht mehr, die gehen nur im Besen, aber dort umso besser. Zum Abschluss noch ein paar hauseigene Schnäpsle für 2 EURO, hier merkt man den Schwaben als Brenner, nur möglichst wenig von Vor- und Nachlauf wegkippen, ist ja schließlich auch Schnaps, die Folge sind Schärfe und Fuselöle im Brand, das ist dann nicht lecker. Aber dafür wohlfeil.
Weingut Geiger
Inhaber: Martin Geiger
Holzweg 80
71642 Ludwigsburg-Poppenweiler
Tel.: +49 (71 44) 44 16
Fax: +49 (71 44) 99 84 82
Email: kontakt@geigers-weinstueble.de
Online: https://geiger-weinstueble.de