Freisinger Hof: ziemlich guter Österreicher in München mit ärgerlichen Patzern

Summa summarum: wohnliches, individuelles Vier-Sterne-Hotel mit einem gepflegten österreichisch-wienerischen Restaurant, für Wiener Verhältnisse gehobene Mittelklasse, für Münchner Verhältnisse wohl das Beste, was man vor Ort an Wiener Küche finden kann.

Das alte, leicht in’s Ockerne gehende, typische kuk-Gelb, nicht ganz so ocker-stichig wie das Augsburger Fugger-Gelb, in Österreich die Hausfarbe zahlreicher Kaiserlich-Königlicher Gebäude und bis heute die Farbe der Wahl für monarchietreue Österreicher, sieht man in Bayern nicht oft. In Oberföhring im Münchner Nord-Westen, über Isar und Englischem Garten gelegen, findet man gleich zwei kuk-gelbe Häuser, das eine von 1893, das andere, nur getrennt von einem kleinen Parkplatz, unterirdisch verbunden durch eine diskrete Tiefgarage, von 2006. Zusammen bilden die Gebäude den Freisinger Hof, alles seit 1907 im Besitz der Freisinger Aktienbrauerei, seit 1995 geführt von der österreichischen Gastronomen-Familie Wallisch. In dem älteren Gebäude sind die Hauptküche, das Restaurant samt Wintergarten und romantischem, Kastanien-beschattetem Gastgarten mit Blick zum Englischen Garten und zur Stadt und ein paar Gästezimmer im ersten Stock (ohne Lift) untergebracht, in dem neueren Gebäude das eigentliche Hotel mit Rezeption, Frühstücksküche, Gastzimmern (mit Lift), Frühstücks-, Tagungs- und Fitnessräumen, hinter dem Haus eine lauschige Frühstücks-Terrasse. Alles ist gepflegter, gediegener, individueller Vier-Sterne-Standard, weiße Sprossenfenster, grüne Fensterläden, roter Fliesenboden im Erdgeschoss, dicker, obskurer, grüner Teppichboden vor und in den Zimmern, die Zimmer selber recht klein, aber wohnlich, wertige Massivholz-Möbel, meist in alpenländisch anmutender Lärche, kleine, funktionale Bäder, halbwegs weiche Frotteehandtücher, weiße Leinenbettwäsche, Winz-Tresor, Minibar, Flachbild-Fernseher, Schreibtisch, Sessel, Messinglampen mit weißen Schirmen, dicke Vorhänge, sogar einen Zimmerservice gibt es, das passt schon alles gut, hier kann man sich recht wohlfühlen (sofern man ein Zimmer nach hinten raus in’s Grüne hat, die Zimmer nach vorne liegen zur Straße). Dazu passt auch das wirklich sehr gute Frühstück, das nicht nur die üblichen Säfte-Cerealien-Backwaren-Brotaufstriche-Wurst-Käse-Fisch-Angebote in hervorragender Qualität bietet, sondern auch sehr gutes frisches Obst, à la minute Eierspeisen, bajuwarische Würste usw., alles serviert von ausgesprochen netten, aufmerksamen Kaltmamsellen.

Beim Einchecken allerdings gleich ein Ärgernis: eine Hochzeitsgesellschaft veranstaltet ihren Sektempfang in der – nett gestalteten, aber nicht wirklich großen – Hotelhalle, so dass ich mich samt Gepäck durch dichte Menschentrauben zur Rezeption drängen und mit der – freundlichen – Rezeptionistin schreiend verständigen muss. Ich gönne dem Paar und seinen Gästen die Feier von Herzen, aber wer plant denn sowas, frage ich mich, ausgerechnet in dieser kleinen Hotelhalle? Auf dem Weg zum Lift wieder dasselbe Gedränge. Mein Zimmerchen unter’m Dach ist klein, 90 cm Bett, nicht luxuriös, aber, wie gesagt, recht komfortabel und wohnlich, alles, was man als Reisender braucht, ist da, sogar frisches Obst zur Begrüßung, daneben eine vielleicht 0,5 Liter Bügelverschlussflasche aus Pressglas mit dem Schriftzug „Lei(s)tungswasser“, befüllt mit -guess what! – Leitungswasser. Daran hängt ein Zettelchen, dass man diese Flasche für 24,90 EURO an der Rezeption käuflich erwerben könne. Wer kauft sich für 24,90 EURO eine leere Bügelverschlussflasche, die es in jedem Haushaltsladen für ein paar EURO gibt, frage ich mich, und so toll ist der Schriftzug darauf nun auch nicht. Einerlei.

Es ist 15:00 Uhr, ich bin zu früh dran, Caro kommt erst kurz vor 18:00 Uhr von einem Termin zum gemeinsamen Abendessen hierher. Mein Plan ist es, mich so lange in das gepflegt-gemütliche Hotelrestaurant im Nachbargebäude zu setzen und zu arbeiten. Obwohl die Webpage ausweist, das Restaurant sei von 11:00 bis 24:00 Uhr geöffnet, muss ich vor Ort jedoch erfahren, dass es eigentlich zwischen 15:00 und 17:30 Uhr geschlossen ist, aber der außerordentlich freundliche Kellner führt mich trotzdem zu unserem für abends reservierten Tisch, bereits mit blütenweißem, schwerem Leinen, Besteck, kleinem Blumenschmuck eingedeckt, ich ordere eine Bouteille Gemischten Satz vom Wieninger aus Wien von der konsequent und klug österreichisch dominierten Weinkarte und einen Krug Leitungswasser und nehme mir vor, das Personal bei seinen nachmittäglichen Aufgaben zur Vorbereitung des Abendgeschäfts nicht weiter zu stören. Mein Kellner serviert Wein und Wasser, stellt mir noch einen Brotkorb und ein Näpfchen mit Aufstrich dazu, mit der freundlichen Bemerkung, ich müsse doch zumindest ein wenig was essen zum Wein; er wird auch – trotz seiner anderweitigen Verrichtungen – meine Gläser immer im Auge behalten und sofort nachschenken, wenn sie leer sind. Hier muss ich sagen: das ist Servicegedanke pur, so muss Gastronomie, da fühlt sich der Gast tatsächlich als König. Ein anderer Kellner in einem anderen Restaurant hätte mir wahrscheinlich gesagt, ich möge mich trollen und zu den regulären Öffnungszeiten zurückkommen.

Irgendwann kommt Caro zum Essen. Nicht nur die Fassaden des Hotels sind in kuk-Gelb gehalten, auch die Speisekarte ist durch und durch Österreichisch. Sie wird typisch wienerisch dominiert von verschiedenen Sorten gekochten Rindfleisches – Tafelspitz, Schulterscherzel, Ochsenbrust, Weißes Scherzel, Rinderzunge –, alles klassisch serviert in der Brühe mit Gemüse im Kupfertopf. Vorweg werden – saisonal variierend – etwa geräucherte Blutwürste, Salat mit Garnelen, gratinierter Ziegenkäse, Lachs, natürlich Tafelspitz-Boullion mit Einlage angeboten. Neben den gekochten Rindfleischgerichten gibt es als Hauptspeisen Wiener Schnitzel, Backhendl (überflüssig zu sagen, aus echtem Huhn, nicht aus panierten Hühnerformfleischstücken), Zwiebelrostbraten, Skrei mit Spargelragout (es ist genau die Zeit, wo beide sich treffen), Bärlauchgnocchi, gebratene Ente mit Knödeln, Loup de Mer mit Scampi, etwas zu früh für die Jahreszeit reichlich Spargel, zum Dessert Marillenpalatschinken, Crème Brûllée und – natürlich – Kaiserschmarrn. Diese Speisekarte könnte auch von einem gehobenen Lokal mitten in Wien stammen.

Die Tafelspitz-Boullion vorweg ist perfekt, kräftig, knackige Gemüsestreifen und eine mächtige, aber fluffige, sehr gut gewürzte Grießnocke. Enttäuschender Caros Salat: die Knoblauch-Scampi tadellos, die Salate frisch gezupft, gut geputzt und knackig, nur das Dressing leider viel zu ölig. Als Zwischengang zum Probieren eine kleine Portion des Stangenspargels mit Hollandaise von der Wochenkarte zu bekommen, ist kein Problem, wieder sehr löblich. Es kommen drei dicke, gut geschälte, etwas zu weich gegarte, leicht bitterliche – Spargel-Eigengeschmack eben, der heutzutage gerne weggezüchtet wird, um den Spargel massentauglich dem gemeinen Mainstream-Geschmack  anzupassen – Spargelstangen (um diese Jahreszeit natürlich verfluchter Folien- oder – ungleich schlimmer – Heiz-Spargel, aber die Vorfreude ist groß im April, da drücke ich schon mal ein Auge vor mir selber für mich selber zu, solange es nicht überhandnimmt), artig garniert mit einem Löffelchen von in Butter gerösteten Semmelbröseln, einer zweckbefreiten Kirschtomate und einem Kerbelzweiglein, begleitet von drei Petersilienkartöffelchen; leider ist die Hollandaise gänzlich geschmacklos, dazu kalt und dick, eher eine Mayonnaise. Der Tafelspitz wird hübsch im Kupfertopf serviert, tadellos, bestes Fleisch, auf den Punkt gesotten – weder hart noch weich-fasrig zerfallend, wieder knackige Gemüse in seiner Brühe, das mit dem Fleisch gereicht wird. Der Wirsing als Gemüsebeilage jahreszeitlich gerade noch passend, ebenfalls auf den Punkt gegart, garniert mit einem hübschen – aber wieder sinnbefreiten, rein optischer Firlefanz – Milchschaumhäubchen, nur leider für mich hoffnungslos unterwürzt. Die Wiener Schnittlauchsauce ist so la-la, da habe ich schon deutlich bessere gegessen (nach Sacher stellt man sie her, indem man von der Rinde befreites Weißbrot in Milch einweicht, ausdrückt, mit hartem, durch ein Sieb passiertem und frischem Eigelb vermengt, mit Öl zur Mayonnaise aufschlägt, mit Salz, Zucker, Essig und weißem Pfeffer würzt und reichlich frisch geschnitten Schnittlauch unterhebt), im Freisinger Hof kommt sie eher als mit Schnittlauchröllchen bestreute Mayonnaise daher (und das ist geschmacklich ein meilenweiter Unterschied). Der Apfelkren (letztendlich ein Brei – kein Mus – von säuerlichen Äpfeln, etwas Essig, Zucker, Salz, evtl. noch Estragonsenf und reichlich geriebener frischer Meerrettich) ist gut und authentisch, mir persönlich fehlt allerdings mehr Kren und damit Schärfe. Ein Trauerspiel sind die „Röstkartoffeln“ als Beilage zum Tafelspitz, die sind nichts anderes als schlechte Bratkartoffeln aus dicken Kartoffelscheiben, wie sie in Süddeutschland (leider) üblich sind. Um hier keinen unbegründeten Schmarrn zu schreiben, bin ich extra nochmals in meine Kochbücher-Bibliothek gegangen. „Das Große Sacher Kochbuch“ von Franz Maier-Bruck schreibt für den „Tafelspitz im Hotel Sacher“ „geröstete Kartoffeln“ als Beilage vor, das sind am Vortag gekochte, mit dem Kartoffelreißer zerkleinerte, sodann als kompakte Masse am Stück in der Pfanne knusprig gebratene und gewendete Kartoffeln. Plachuta (den ich ja nun so gar nicht mag) verlangt Erdäpfelschmarrn, Stürz-, Röst- oder Boullionerdäpfel, der launige Christoph Wagner (so eine Art Wolfram Siebeck der Alpenrepublik, Gott habe sie beide selig) nennt Stürzerdäpfel als klassische Beilage. Was dem einen jetzt so vorkommen mag wie der Streit um des Esels Schatten: dicke, kurz in Fett erhitzte Kartoffelscheiben haben so gar nichts zu tun mit den genannten Wiener Kartoffelzubereitungen, die sich eben dazu auszeichnen, dass sie nicht aus dicken Kartoffelscheiben bestehen, sondern aus kleinem, dünnem Kartoffelscheiben-Bruch bis hin zu Rösti-ähnlichen Kartoffel-Streifen, die eine wesentlich größere Ober- und damit Bräunungs-Fläche als profane Kartoffelscheiben besitzen, Speck, Zwiebelchen, Kräuter als Würzung vermögen das ihre weiterhin dazu beitragen. Kurzum: profane und dazu noch äußerst mäßige Bratkartoffeln gehen meiner Meinung so gar nicht zu einem sonst durchaus guten Tafelspitz. Das Wiener Schnitzel dem entgegen absolut tadellos, bestes Kalbsfleisch, kein bisschen wässrig oder faserig, soufflierte, abgehobene, goldgelbe, knusprige Panade, bestes Fett, untadelige Petersilienkartoffeln, kalt gerührte Preiselbeeren, Zitronenhälfte manierlich im Säcklein gegen die bösen Kerne: ziemlich perfekt. Ebenso die Marillen-Palatschinken und das Holunderblüten-Tiramisu (wer kennt sie nicht, die heimischen April-Holunderblüten?) mit Himbeeren gekonnt und lecker.

Was soll ich sagen? Längst nicht so gut wie etwa beim Renner in Wien, aber hundertmal besser als alles, was ich bisher als Pseudo-Österreicher in München gefunden habe.

Hauptgerichte von 22,50 € (Bärlauchgnocchi) bis 36,50 € (Skrei oder Loup de Mer und Scampi mit Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 40 € bis 72,50 €

DZ / ÜF (pro Zimmer, pro Nacht) von 169 € bis 677 € (zu Messe-/Oktoberfest-Zeiten)

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One comment

  1. Reinhard Daab

    Hallo Hr. Opl,

    es ist genau so wie es schreiben, mit dem Spargel. Ich möchte Sie bitten, einmal zu lesen was der Lieferant „Essbare Landschaften“ zu den heutigen Spargelsorten schreibt.
    https://www.essbare-landschaften.de/schwetzinger_meisterschuss

    Innerhalb meiner näheren Umgebung gibt es sehr viele Spargelbauern, bei denen ich schon gekauft habe. Allerdings kann man überall das gleiche feststellen, der Spargel schmeckt nach nichts, auch wenn man sich noch soviel Mühe beim Kochen gibt. Nun, werde ich die nächsten Tage einmal zu dem genannten Spargelhof Böll fahren, mal sehen, ob sich das Spargelgeschmackserlebnis wieder einstellt.

    Beste Grüße
    R. Daab

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