Es gibt eine alte Lebensweisheit, die stimmt nahezu immer. Frag‘ einen Rezeptionisten oder Concierge in einem mehr oder minder gutem Hotel nach einem eher mehr denn minder guten, einheimischen Restaurant im Ort, so haben sie zu 30% keine Ahnung und fangen vor Deinen Augen hilflos das Googlen an, 30% empfehlen das örtliche Pendant zu Hofbräuhaus und Co., wo halt Touristen professionell und mit reichlich falschem Lokalkolorit abgezockt werden. zu nochmals 30% schicken sie Dich zu Ihrem Schwippschwager oder zu irgendeinem Restaurant-Betreiber, der bei Reservierungen durch das Hotel kräftige Provisionen zahlt, und zu 10% hast Du eine Chance, eine richtig gute Empfehlung für einen Insider-Geheimtipp zu bekommen. Nun gut, das, was uns die Damen an der Rezeption im Eureka Inn auf unsere diesbezügliche Frage antworteten, fiel definitiv nicht unter die letzten 10 Prozent.
Wir landen nämlich im Eureka Waterfront Café in einem sehr netten Eckhaus im schönsten Queen Ann-Baustil mit fast bodentiefer Fensterfront, keine zehn Gehminuten vom Hotel entfernt, quer durch die kleine, sehr gut erhaltene, recht hübsche viktorianische Altstadt Eurekas, an den alten Fährterminals direkt im Wasser gelegen. Touristen zum Abschütteln gibt es in Eureka kaum noch, trotz der zentralen Lage sind im Waterfront Café die Locals weitgehend unter sich. Der lange Eck-Tresen wird bevölkert von örtlichen Honoratioren – ein Bauunternehmer, ein Apotheker, eine pensionierte Lehrerin, eine Anwältin und deren lesbische Partnerin, wie wir im Laufe des Abends beim netten, belanglosen Plaudern erfahren werden –, die hier ihren Aperitif nehmen und/oder die Kante geben, von alten und neuen Zeiten reden und nebenbei auch Kleinigkeiten essen. Das ist alles sehr bodenständig und authentisch und passt irgendwie zur Geschichte dieses Etablissements, das im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Erdgeschoss Salon / Café / Bar beherbergte, wo man bis in die fünfziger Jahre für 10 Cent mit einer jungen Dame ein Tänzchen auf’s Parkett legen konnte und später im ersten Stock für wohl deutlich mehr Geld die Dame selber auf’s Parkett oder Bett legen konnte, im ersten Stock war nämlich bis zum Verbot der Prostitution in den 1950er Jahren ein Bordell untergebracht. Saufen, Fressen, Tanzen, Anbandeln, Ficken, und das alles ohne großen Ortswechsel, wahrscheinlich eine perfekte Location für fündige Goldgräber und findige Geschäftsmänner. Nun gut, das Haus verwaiste dann lange Zeit, im ersten Stock kann man heute zwei originalgetreu renovierte Appartements mit harbour view mieten, im Erdgeschoss folgte man dann seit den Siebzigern nicht mehr eigenen und fremden Trieben, sondern beschränkte sich der Not gehorchend auf’s Fressen und auf’s Saufen, der „Waterfront Sandwich Shop“ war geboren, aus dem dann das heutige „Eureka Waterfront Café Oyster Bar and Grill“ hervorging.
Und ich muss zugeben, dieser Ort atmet so etwas wie Authentizität. Das will einerseits nicht viel heißen, fast jeder verschissene Diner und jeder verdreckte McKotz ist im Imperium irgendwie „authentisch“, weil das nun mal das unverfälschte, originale, genuine, wahre, richtige, ursprüngliche us-amerikanische Wesen wiederspiegelt. Andererseits, das Waterfront Café ist irgendwie positiv authentisch, hier versucht man, eine gewisse Stufe der Kultiviertheit zu erreichen, und zwar für die Einheimischen mit den Einheimischen, und das ist gar nicht so einfach. Es sind Kleinigkeiten, die gefalteten Stoffservietten, der alte gemauerte Wandkühlschrank, Couvert mit ordentlichem Brot und selbst angemachtem Streichfett, eine handgeschriebene Tageskarte auf einem großen Aufsteller, der mit großer Geste und Stolz an den Tisch getragen wird, eine Servicekraft die von sich aus nachfragt, ob sie Wein nachschenken darf, … Selbstverständlichkeiten im alten Europa, Sensationelles in den alten Kolonien. Auch das Essen, auch das muss man zugestehen, ist im Eureka Waterfront Café deutlich besser als bei McKotz & Co., meistens zumindest … oft zumindest …
Vorab der hoch gelobte Qyster Shooter: eine frische, tadellose, ausgelöste Auster in einem Glas voller industrieller Cocktailsauce, dazu industrieller scharfe Saucen und ein wenig industrieller Meerrettich – wer isst so etwas? Hausgemachtes Chili: viel Fleisch, wenig Bohnen, verdammt süße Ketchup-Note, von Schärfe oder auch nur Würzung keine Spur. Hausgemachte Clam Chowder: sahnige, pürierte Kartoffel-Lauch-Suppe mit etwas Venusmuschel-Fleisch darinnen, die könnten auch aus dem Glas sein. Überbackene Austern: frische Austern mit billigem Reibekäse bestreut und kurz unter der Salamander geschoben – es gibt Dinge, für die sollte man Köche einfach hauen. Krabbencocktail: gekochtes, ausgelöstes, zerpflücktes Krabbenfleisch in einem Glas auf einem Beet aus ein paar Salatblättern und viel Ketchup – darf man Köche eigentlich hauen? Fish and Chips: richtig gute, dicke, extrem frische, grätenfreie, wohlschmeckende Heilbutt-Stücke in guter Panade in gutem Fett ausgebacken, noch ganz, ganz leicht glasig (höchstes Lob für den Fisch!), dazu 08/15 French Fries und Ketchup im Pappnäpfchen – schade, alles wieder kaputt gemacht. New York Steak: gutes Fleisch, ordentlich gegrillt, suspekte Sauce, im Dampfgarer erhitze TK-Gemüse-Brocken, in der Fritteuse erhitzte TK-Kartoffelschnitze – aber wozu, frage ich mich. Die sautierten Jakobsmuscheln schließlich wieder richtig gute Muscheln, wieder richtig suspekte Sauce, ich glaube, Estragon und Kerbel zu schmecken, soll das etwa eine Bérnaise sein?, dazu wieder im Dampfgarer erhitztes TK-Gemüse und Fertig-Reis – das Leben kann echt grausam, imperiale Köche sogar noch grausamer.
Summa summarum: Sicherlich früher mal ein netter Puff, heute taugt’s noch als Location für‘nen Drink mit Einheimischen, Essen kann sein, muss aber nicht wirklich.
Eureka Waterfront Café
102 F Street
Eureca, CA 95501
USA
Tel.: +1 (7 07) 4 43 91 90
Online: www.cafewaterfronteureka.com/
Hauptgerichte von 10,95 US$ (Einfacher Burger mit Pommes) bis 27,95 US$ (Gegrillte ganze Seezunge mit Zitronen-Fenchel-Sauce und Spinat), Drei-Gänge-Menue von 20,90 US$ bis 57,90 US$